12| So Nah Und Doch So Fern
Bei Sonnenaufgang verabschiedete Luzifer sich schweren Herzens von seinen Geschwistern. Besonders bei Michael fiel es ihm am schwersten. Nur die beiden Seraphim blieben noch auf der Erde.
Amora stand am Meer und blickte zum Horizont. Der raue Wind wehte die salzige Luft zu ihr herüber und zerrte an ihrem weißen Kleid. Sie bemerkte nicht, dass Luzifer sie beobachtete. Nach langem überlegen ging er zu ihr hinüber. Erst stand er nur schweigend neben ihr, bis er die Stille brach. »Du gehst meinem Sohn aus dem Weg.« Da lag keine Enttäuschung, keine Anklage in seiner Stimme, es war einfach nur eine Feststellung.
Die Seraphim blickte ihn lange an. Sie überlegte, ob sie ihm sagen sollte, wie sie sich bei Astaroth fühlte. Doch wenn sie so darüber nachdachte, würde außer Luzifer sie wohl niemand verstehen. »Er verwirrt mich«, gestand Amora schließlich. »Schon bei der ersten Begegnung war es so - so seltsam. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll.« Sie seufzte resigniert. Luzifer betrachtete sie von der Seite, sie hatte etwas Zerbrechliches an sich, wie sie so neben ihm stand und den Kopf hängen ließ.
»Du fühlst dich auf eine unerklärliche Art zu ihm hingezogen. Du wünschst dir ihm nah zu sein, vielleicht sogar von ihm berührt zu werden und wenn es nur von kurze Dauer ist. Du sehnst dich regelrecht danach.«
Amora schaute überrascht zu ihm auf. Das beschrieb ihre Empfindung schon ziemlich gut, wie sie fand. »Was hat das nur zu bedeuten?«, flüsterte sie mehr zu sich selbst, Luzifer hatte es dennoch gehört. »Ich - ich hab Angst, das er mich mit einem Zauber belegt haben könnte«, fügte sie lauter hinzu und sprach damit ihre Befürchtung aus, was Luzifer jedoch zum Lachen brachte.
»Ich kann dir versichern, dass er sicher keinen Zauber angewandt hat. Und was deine Gefühle zu bedeuten haben, musst du selbst herausfinden und das kannst du nicht, wenn du ihm aus dem Weg gehst. Ich rate dir, ihn erstmal kennenzulernen. Gib ihm eine Chance und verurteile ihn nicht gleich.«
Lange dachte Amora über seine Worte nach und musste sich eingestehen, dass Luzifer recht hatte. Sie kannte Astaroth kaum, wie auch, hatte sie bisher kaum ein Wort mit ihm gesprochen. Stattdessen dachte sie von vornherein das schlimmste von ihm. Und das nur, weil er ein Dämon war. Aber Luzifer war inzwischen auch ein Dämon und hatte sich dadurch kaum verändert. Abgesehen von der Tatsache, dass er nun glücklicher wirkte, was für sie irgendwie seltsam war.
Im Himmel wurde immer gesagt, dass Dämonen kaltblütige und grausame Geschöpfe seien. Bisher hatte sie dem Glauben geschenkt. Doch langsam fragte sie sich, ob das wirklich stimmte. Ninurta, mit der sie sich vergangenen Abend unterhalten hatte, wirkte überhaupt nicht so. Sie schien eher ein sanftmütiges Wesen zu besitzen. Oder stimmte es, dass Dämonen einfach wirklich sehr gut drin waren andere zu täuschen. Amora seufzte frustriert und ging zum Haus zurück, um sich auf die Stufen zu setzen. Seit sie hier ankam, wusste sie einfach nicht mehr, was sie glauben sollte. Sie fühlte sich hin- und hergerissen. Vielleicht sollte sie einfach Luzifers Rat befolgen und Astaroth eine Chance geben. Wobei sie sich nicht sicher war, ob sie das wirklich konnte. Seine Gegenwart brachte ihr innerstes einfach zu sehr in Aufruhr. Aber sie würde sich bemühen, es zumindest versuchen.
Während Amora mit ihrem inneren Zwiespalt kämpfte, saß Astaroth gedankenverloren in seinem Gemach. Sein Vater hatte ihm kurz zuvor von dem Gespräch berichtet, dass er mit Amora hatte. Nun war Luzifer auf dem Weg nach Babylon, um sich mit Ištar zu treffen. Den Prinzen interessierte dies jedoch wenig. Viel lieber würde er jetzt bei seiner Gefährtin sein und sie in seinen Armen halten. Doch das konnte er nicht. So lange hatte er sich nach ihr gesehnt, sich gewünscht ihr nah zu sein, ihre Wärme zu spüren. Nun, wo er sie endlich gefunden hatte, musste er feststellen, dass sie ihm tatsächlich nicht vertraute. Wie konnte seine Gefährtin nur denken, er hätte sie mit einem Zauber belegt? Natürlich war ihm durchaus bewusst, dass sie nichts von dem Seelenbund wusste, dennoch schmerzte ihn diese Tatsache. Fieberhaft überlegte er, wie er ihr vertrauen gewinnen konnte. Er musste das Gespräch mit ihr suchen. Untätig herumzusitzen und zu grübeln brachte nichts. Es quälte ihn nur.
Doch gerade, als er diesen Entschluss in die Tat umsetzen wollte, klopfte es zaghaft an seiner Tür. Er spürte die Aura und wusste nur zu gut wem sie gehörte. »Komm rein!«, rief er und blickte erwartungsvoll zur Tür.
Nur quälend langsam öffnete sie sich und Amora trat ein. Nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte, blieb sie unsicher dort stehen. Astaroth bemerkte ihre Nervosität, da sie unentwegt an ihren Händen herumspielte. Er konnte nicht anders, als bei diesem Anblick zu lächeln. »Setz dich doch«, bot er ihr an. Daraufhin setzte sie sich auf einen Hocker. »Also, warum bist du hier?«, wollte er dann wissen und schaute sie durchdringend an.
»Ich - nun - ich wollte dir erklären, warum ich dir immer aus dem Weg gehe«, begann sie, aber als sie weitersprechen wollte, würgte Astaroth sie ab.
»Weil du denkst, ich hätte dich mit einem Zauber belegt«, kam es düster von ihm. Er konnte nicht verhindern, dass er verbittert klang. Noch immer schmerzte es ihn, dass sie so von ihm dachte.
»Es tut mir leid«, flüsterte sie niedergeschlagen. Sie sah ihm an, dass es ihn verletzte, der Schmerz war deutlich in seinen Augen zu sehen. Amora fragte sich allerdings, warum ihn das so sehr zu belasten schien. »Weißt du, im Himmel wird immer wieder davon erzählt, wie grausam und rücksichtslos ihr Dämonen seid.«
»Das trifft aber nicht auf alle zu. Natürlich gibt es Dämonen, die so sind, aber es gibt auch genug, die Gewalt sogar verabscheuen, wie meine Mutter zum Beispiel«, erwiderte Astaroth aufgebracht.
»Und du?«, wollte Amora wissen. »Zu welcher Sorte gehörst du?« Eine Frage, die den Prinzen erstarren ließ. Er war in der Unterwelt für seine Grausamkeit bekannt, doch sollte er ihr das wirklich sagen? Was, wenn sie sich dann erst recht vom ihm distanzierte? Das würde er nicht verkraften. Anderseits war sie doch seine Gefährtin und er wollte vor ihr keine Geheimnisse haben. »Bitte sei ehrlich.« Ihre Stimme war nicht mehr als ein Hauch.
Astaroth blickte in ihre goldenen Augen. Augen, die ihn vom ersten Moment an verzaubert hatten. Er seufzte resigniert, während er sich erhob und zum Fenster ging. »Ich bin noch nie einem Kampf aus dem Weg gegangen«, erklärte er, ohne sie anzusehen. Er hatte Angst, dass er in ihrem Blick Abscheu oder gar Verachtung sehen könnte. Daher ließ er seinen Augen starr auf das Meer vor sich gerichtet. »Ich habe meine Gegner immer auf eine sehr blutige Art und Weise abgeschlachtet. Ich gelte nicht umsonst als einer der grausamsten Dämonen. Und als rücksichtslos könnte man mich wohl auch bezeichnen. Ich habe bei Frauen nie etwas anbrennen lassen und dabei nicht selten meinen Rang ausgenutzt.« Er wartete auf ihre Reaktion, doch es kam nichts. Zu gern hätte Astaroth gewusst, was sie gerade dachte. Der drang sich zu ihr zu drehen, wurde beinah übermächtig, doch er Widerstand ihm mit aller Kraft. »Du hältst mich jetzt sicher für ein Monster, nicht wahr?«, fragte er schließlich.
Amora schaute ihn überrascht an. Sie sah, wie sich seine Muskeln unter seinem eng anliegenden Hemd verkrampften. Hatte er etwa Angst vor meiner Antwort, fragte sie sich, warum interessiert es ihn so sehr, was ich von ihm halte. Lange dachte sie über seine letzte Frage nach. Er hatte zugegeben, zur schlimmsten Sorte seiner Art zu gehören und wenn sie seine Stimmlage vorhin richtig gedeutet hatte, machte ihm das töten auch noch Spaß. Nur bei dem Teil mit den Frauen, meinte sie Reue gespürt zu haben. Letzteres war etwas, dass ihr ein Stich ins Herz versetzt hatte, sie fragte sich wieso. Doch hielt sie ihn wirklich für ein Monster? Nein, musste sie sich eingestehen. Sie fühlte sich nach wie vor zu ihm hingezogen. Amora ging auf ihn zu.
Erst als sie eine Hand vorsichtig auf seinen Arm legte, blickte er sie überrascht an. Sie lächelte ihn an, wodurch er sich sichtlich entspannte. Sein Blick war so sanft und liebevoll, dass ihr Herz zwei Takte schneller schlug. Wieso hatte seine Nähe nur eine solche Wirkung auf sie? Unverhofft nahm Astaroth sie in den Arm. In ihrem Körper breitete sich eine wohlige Wärme aus. Im ersten Moment war sie versucht ihn von sich zu stoßen, aber dann genoss sie einfach dieses Gefühl. Seine Wärme, sein Geruch zogen sie in seinen Bann. Sie fühlte sich so wohl bei ihm, so vollkommen, auch wenn sie noch immer nicht wusste, was das bedeutete. Sie wollte auch gar nicht mehr darüber nachdenken, sondern einfach diesen Moment auskosten.
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