12| Die Hölle

Von einer Sekunde zur anderen standen sie in einer riesigen Halle. Sie sahen sich um. Die Wände, der Boden, sowie die Decke waren aus grauem Stein. Die Säulen, die einen Weg zu einem riesigen Tor säumten, waren aus einem silbernen Metall. Durch die riesigen Fenster drang ein rötliches Licht, dass den ganzen Saal durchflutete.

»Willkommen in meinem Palast«, verkündete Baal mit Stolz, »ihr dürft euch gerne umschauen.«

Luzifer strebte auf eines der Fenster zu, Baal folgte ihm. Vor dem Palast schien ein See zu sein, dessen Oberfläche sich aber unnatürlich bewegte. Die Wellen verliefen nicht in die gleiche Richtung, sondern gingen kreuz und quer. Baal erklärte ihm, dass dies ein kochend heißer See sei, in dem die Seelen all der verloren schwammen. Diese Seelen seien es, die sich an der Oberfläche bewegten. Hinter dem See, über den eine breite Brücke führte, konnte Luzifer nur Flammen, Rauch und Felsgestein ausmachen. 

Baal wies Luzifer an, ihm zum hintersten Teil des Palastes zu folgen. Sie gingen den Säulengang entlang und traten durch das riesige Tor in den dahinter liegenden Thronsaal. Es war düster, nur die Flammen ringsherum, die scheinbar aus dem Boden heraus schossen, spendeten ein unheimliches Licht. Der Thron aus Menschlichen Knochen verstärkte den Eindruck des makabren. 

Hoffentlich steht so ein Thron nicht im Palast des Königs, dachte Luzifer angewidert und wandte sich ab. Belphegor, der den Blick seines Herrn richtig deutete, trat neben ihn und flüsterte ihm leise zu, dass sein Thron um einiges prunkvoller und bequemer sein wird. Die große Halle mit dem Säulengang und der Thronsaal selber, seien zwar dem Königspalast nachempfunden, aber nur was die Bauweise anging. Das stimmte Luzifer wieder etwas milder. 

Hinter dem Thron gingen sie weiter durch einen Rundbogen, an dem ein langer Flur angeschlossen war, in dem sich viele Türen befanden, die zu den Kammern der Bediensteten führten. Am anderen Ende war erneut ein riesiges Tor, dahinter befanden sich die Privaträume des Höllenfürsten. 

Sie durchschritten einen großen Raum und traten hinaus auf eine Terrasse, an der eine Treppe runter in den Garten führte. Was Luzifer da sah ließ ihn staunen. Vor ihm standen haufenweise, kampfbereite Dämonen. Das war zweifellos die Armee von der Baal ihm erzählt hatte. 
Zusammen mit Baal ging er durch die Reihen der Soldaten. Der Rest von ihnen blieb auf der Terrasse zurück. 

Baal erklärte ihm die Fähigkeiten und stärken im Kampf dieser Dämonen. Luzifer hörte aufmerksam zu und speicherte die Informationen gedanklich ab. Die Armee war größer als er geglaubt hätte, aber das reichte dennoch noch lange nicht um den König zu stürzen. 
Sie begaben sich wieder in den Palast und zogen sich gemeinsam zurück, um sich weiter zu beratschlagen. Belphegor und Ninurta, brachte man währenddessen in ihre Schlafzimmer, die sich gegenüber von Luzifers Gemach befanden, wie ihnen mitgeteilt wurde. 

Es vergingen Stunden und Belphegor wurde allmählich unruhig. Was hatten die beiden nur so lange zu besprechen, fragte er sich, während er nervös im Zimmer auf und ab lief. Der dürre Dämon wüsste nur zu gern, ob Luzifer seine versprechen wirklich halten würde. Die Aussicht auf ein besseres Leben war das einzige, was ihn bei dem Engel hielt. Doch was sollte er tun, wenn Luzifer sie alle täuschte. Wenn er nicht den Frieden brachte, sondern nur noch mehr Leid. Seine Bedenken, das der Engel den König nicht würde stürzen können, waren indes verschwunden. Immerhin hatte er schon ein paar starke Verbündete gefunden. Doch die Zweifel an Luzifers Ehrlichkeit blieben. Warum sollte ein Engel sich auch für das Wohlbefinden von Dämonen interessieren. Belphegor hatte in seinem Leben bisher nie jemandem Vertrauen können. Er hoffte, dass seine Sorgen unbegründet waren.

Ninurta, die im Zimmer nebenan saß, wurde in der Zwischenzeit auch immer unruhiger. Schon mehrmals ist sie in Luzifers Gemach geschlichen um zu sehen, ob sie sein Kommen nicht vielleicht überhört hatte. Aber dem war nicht so. Jetzt saß sie vor dem Fenster und schaute hinaus. Ninurta wusste nicht wieso, aber sie fühlte sich zu ihm hingezogen. Sie hoffte, dass sie bis in alle Ewigkeit bei ihm bleiben durfte. Doch sie wusste, dass es vermutlich nur Wunschdenken war. 

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als es an der Tür klopfte. »Ja?«, rief sie laut, aber es antwortete niemand. Langsam ging Ninurta zur Tür und öffnete sie. Auf dem Flur begegnete sie Belphegor, der ebenfalls gerade aus seinem Zimmer trat. Die Tür zu Luzifers Gemach stand offen und sie traten beide ein. 

»Schließt die Tür und setzt euch«, wieß Luzifer sie an. Er selbst saß bereits auf einem der drei schwarzen Sessel, in dessen Mitte ein kleiner runder Tisch stand. Rechts neben Luzifer befand sich ein Kamin, in dem ein Feuer brannte und unheimliche Schatten auf sein Gesicht warfen. Er wirkte angespannt. Seine beiden Begleiter folgten seiner Anweisung. Als sie saßen, weihte Luzifer sie in seine weiteren Pläne ein. 

Er erzählte ihnen, dass sie einige Tage in Hölle bleiben würden, da er sich von den kämpferischen Fähigkeiten der Soldaten selbst ein Bild machen wolle. Währenddessen würde er auch in das Nachtgebirge reisen, um sich anzusehen, welche Ausmaße der Krieg nahm. Außerdem habe er mit den Echsendämonen gesprochen, die er morgen früh ebenfalls in die Hölle holen würde. Nachdem hier alles geklärt wäre, würden sie weiter nach Iauian reisen, um die Stierdämonen zu finden. Da keiner der beiden Einwände hatte, wies Luzifer sie an ihn nun alleine zu lassen, was sie auch Taten. 

Lange saß er noch auf dem Sessel, den Blick auf die Flammen im Kamin gerichtet, die langsam kleiner wurden. In den letzten Wochen hatte er nicht viel Zeit gehabt über seine Situation nachzudenken. Doch jetzt, wo Luzifer das erste Mal wieder wirklich allein war, stürzten die Gedanken auf ihn ein. Der Himmel fehlte ihm nicht, im Gegenteil. Er fühlte sich hier, im Reich der Dämonen, mittlerweile sogar wohler. 

Nur um seinen Bruder Michael machte er sich nach wie vor sorgen. Der Engel kannte Michael zu gut, um sich Illusionen zu machen, dass es ihm gut gehen würde. Vermutlich machte sich sein Bruder eher noch Vorwürfe gegen ihn gekämpft und ihn sogar verbannt zu haben. Wenn Luzifer ihm wenigstens sagen könnte, dass er ihm nicht die Schuld gab und sie trotz allem immer Brüder sein würden, doch das konnte er nicht. Zu gern wäre er für ihn da. Er wusste, dass sein Bruder nie wieder der selbe sein würde. Und er war Schuld daran. Seinetwegen hatte es diesen Krieg überhaupt erst gegeben. Luzifer hoffte nur, dass Michael nicht an den Ereignissen zerbrechen würde. 

Auch um Azrael, der ebenfalls aus dem Himmel verbannt wurde, weil er an Luzifers Seite gekämpft hatte, machte er sich Sorgen. Im Gegensatz zu ihm wurde Azrael lediglich auf die Erde, zu den Menschen, verbannt. Der Zutritt zum Himmel würde ihnen beiden für alle Zeit verwehrt bleiben, sofern Gott die Strafe nicht aufhob. Und das, so wusste Luzifer, würde dieser niemals tun. Dafür war sein Vater einfach zu stur. Etwas, das wir wohl gemeinsam haben, schmunzelte er. Aber wenn er ehrlich war, wollte Luzifer auch gar nicht mehr zurück. 

Nicht nur, weil er hier von seinen Fesseln befreit war, sondern auch, weil ihm diese Welt ans Herz gewachsen ist. Vor allem Belphegor und Ninurta im Besonderen bedeuteten ihm sehr viel. Auch wenn er es ihnen nie zeigen würde. Selbst Michael hatte er nie gezeigt, wie wichtig er ihm wirklich war. Das war schon immer seine größte Schwäche oder auch Stärke. Je nachdem, wie man es sehen mochte.

Nach einer Weile stand Luzifer auf, entledigte sich seiner Kleidung und legte sich in das aus dunklem Holz geschnitzte Himmelbett. Er schloss seine Augen und versuchte die Sorgen von sich zu schieben. Was ihn mehr schlecht als recht gelang.

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