11| Wiedersehen

Seit Stunden suchte Luzifer einen Weg, um den Zauber, der seine Geschwister daran hinderte zu ihm zu kommen, zu lösen. Bislang jedoch ohne Erfolg. Wütend schmetterte er die Keramikschüssel, welche vor ihm auf den Tisch stand, gegen die Wand. Sie zersplitterte in viele kleine Einzelteile und der Inhalt hinterließ eine feuchte Spur an der Wand und einen Fleck dem Boden. 

»Mit Ungeduld kommst du auch nicht weiter«, meinte Astaroth, der lässig hinter ihm an der Wand lehnte. 

 »Das sagt der richtige«, erwiderte Luzifer gereizt. »Wie läuft es zwischen dir und Amora?« 

 »Ich weiß nicht was du meinst«, gab sein Sohn sich unwissend. 

 »Verkauf mich bloß nicht für dumm Astaroth. Ich habe doch gesehen, wie du sie ansiehst. Sie ist deine Gefährtin und eigentlich wundert es mich, dass du nicht bei ihr bist.«

»Sie geht mir aus dem Weg«, meinte Astaroth dann resigniert. »Sie scheint mir irgendwie zu Misstrauen. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«

Luzifer bedachte seinen Sohn mit einem nachdenklichen Blick. Er konnte sich gut vorstellen, was in Amora vor sich ging. Immerhin hatte er sich bei seiner ersten Begegnung mit Ninurta auch mit seinen Gefühlen überfordert gefühlt. Für einen Engel sind solche Empfindungen einfach Fremd. Damals hatte Luzifer geglaubt, dass er das nur empfinden konnte, weil er verbannt wurde und im Begriff war sein Engelsdasein zu verlieren. Doch Amoras Blick nach zu Urteilen hatte sie etwas bei Astaroth' Berührung empfunden. Das wiederum würde bedeuten, dass ein Engel solche Gefühle entwickelte, sobald dieser auf seinen oder ihren Seelenverwandten traf. »Wenn du willst, rede ich mit ihr. Ich weiß besser als jeder andere, was gerade in ihr vorgeht.«

»Ich will aber, dass sie selbst den Seelenbund erkennt«, erklärte Astaroth nach langem überlegen. Nachdem Luzifer seinem Sohn versprochen hatte, dass Band nicht zu erwähnen, war er schließlich einverstanden. 

Zuvor wollte Luzifer aber unbedingt den Zauber von Gott brechen. Astaroth schlug vor ihm dabei zu helfen, da sie mit vereinten Kräften vielleicht bessere Chancen hatten. Der König war der Ansicht, dass es ein Versuch wert wäre. Und so machten sich gemeinsam dran einen geeigneten Gegenzauber zu finden. Auch wenn sie schon nach kurzer Zeit erste Erfolge erzielten, dauerte es doch lange, bis sie es endlich schafften ihn gänzlich zu brechen. Kurz darauf spürte Luzifer auch schon die Anwesenheit seiner Geschwister im großen Saal. Ohne lang zu überlegen, ging er schnellen Schrittes zu ihnen. Astaroth folgte ihm. 

Im Saal angekommen, stand er ihnen nach langer Zeit wieder Gegenüber. Sie standen mit dem Rücken zu ihm, drehten sich aber sofort zu ihm um, also sie ihn bemerkten. Doch Luzifers Blick haftete einzig und allein an Michael. Dieser wollte auf ihn zugehen, hielt jedoch nach zwei Schritten inne. Das Lächeln, welches zuvor noch Michaels Gesicht erhellte, erstarb und er wirkte nun irgendwie unsicher. Der Erzengel wusste einfach nicht, wie er sich Luzifer gegenüber verhalten sollte. Immerhin verlief ihre letzte Begegnung alles andere als gut, hatte er ihn doch höchst selbst in die Unterwelt hinab geworfen. Auch wenn in Luzifers Brief stand, dass er ihm für nichts die Schuld gab, so konnte er sich doch nicht vorstellen, dass diese Erinnerung nichts Negatives bei seinem Bruder hinterlassen hatte. Dennoch wünschte Michael sich nichts sehnlicher, als das zwischen ihnen immer noch alles genauso wäre wie früher. Er fühlte sich hin- und hergerissen zwischen seiner Freude Luzifer endlich wiederzusehen und seiner Schuld, die ihn noch immer innerlich zerfraß. 

Luzifer beobachtete derweil jede noch so kleine Bewegung, jede Mimik seines Bruders. Er spürte Michaels innere Zerrissenheit und es schmerzte ihn, den Erzengel so zu sehen. Sein Bruder war sonst immer fröhlich gewesen, manchmal fast schon kindlich, doch davon war nichts mehr zu sehen. Dem ehemaligen Engel war klar, dass er daran eine Mitschuld trug. Ohne ihn hätte es keinen Krieg gegeben und Michael wäre nicht dazu gezwungen gewesen ihn zu verbannen. Noch bevor er sich bewusst war, was er tat, setzte er sich langsam in Bewegung. Er ging auf Michael zu, der ihm nun direkt in die Augen sah, so als wollte er darin erkennen, was Luzifer vorhatte. Das ganze dauerte nur ein paar Sekunden, schien aber, als würde es in Zeitlupe geschehen. Als der König direkt vor dem Erzengel stand, legte er ihm erst freundschaftlich die Hand auf die Schulter, ehe er ihn in seine Arme zog und feste an sich drückte. 

Die übrigen Erzengel starrten Luzifer mit offenem Mund an und auch die Dämonen waren überrascht. Der ehemalige Engel vermied für gewöhnlichen jeglichen Körperkontakt, mit Ausnahme seiner Gefährtin. Diese Geste war ansonsten keiner von ihnen von Luzifer gewohnt. Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten sich die beiden wieder voneinander. »Ich bin froh dich wiederzusehen«, lächelte er Michael an. Dieser schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter, ehe er antwortete. 

 »Ich bin auch sehr froh darüber Luz.« Michael schaffte es sogar sich zu einem erneuten Lächeln durchzuringen. Ein schwerer Stein fiel von seinem Herzen ab, hatte ihm die Umarmung doch gezeigt, dass sich an ihrem Verhältnis wahrlich nichts geändert hatte. Ganz im Gegenteil. Das Band der beiden Brüder war noch immer so stark wie einst. 

Luzifer begrüßte auch seine übrigen Geschwister. Bis auf Raphael, auf den Luzifer ohnehin liebend gern verzichtete, und Azrael waren alle gekommen. Anschließend stellte er ihnen auch Ninurta und Astaroth vor. Den ganzen Tag und die darauffolgende Nacht saßen sie zusammen und unterhielten sich über alles Mögliche. Es war eine ausgelassene Runde und es wurde viel gelacht. Ninurta begab sich allerdings schon kurz nach Mitternacht müde zu Bett. 

Astaroth Blick, der meistens auf Amora lag, glitt hin und wieder zu seinem Vater. So entspannt und glücklich hatte er ihn selten erlebt. Aber er wusste auch, wie sehr Luzifer sich in den Jahrtausenden gewünscht hatte, seine Geschwister wiederzusehen. Doch lange würden die Erzengel nicht bei ihm verbleiben können. Denn schon bei Sonnenaufgang würden sie in den Himmel zurückkehren. Noch verschwendeten sie jedoch keinen Gedanken auf den bevorstehenden Abschied. Sie genossen es einfach zusammen zu sein. Nach so langer Zeit der Trennung. 

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