11| Aufgewühlte Emotionen
Seit Stunden waren sie nun schon unterwegs, als man in der Ferne eine kleine Erhebung erkannte. Darauf befand sich ein schwarzer Palast. Dieser war ihr Ziel. Sie hofften dort mehr über das Land der Vergessenen zu erfahren. Es war bereits Abend, als die Pferde langsamer wurden und schlussendlich vor dem Haupttor hielten. Die Dämonen stiegen aus. Sie gingen die wenigen Stufen hinauf und passierten das Tor, welches von zwei Wachen bewacht wurde. Sie waren die einzigen Bediensteten im Palast. Sie gingen einen dunklen Gang entlang, an dessen Ende sich ein weiteres Tor befand. Dahinter verbarg sich der Thronsaal. Auf dem Thron saß ein großer Dämon mit schwarzer glatter Haut, die schimmerte, als würden tausend Sterne auf ihr tanzen. Das Gesicht war eine glatte ovale Scheibe. Nur zwei glühende Augen starrten auf die ungebetenen Gäste hinab. Asmodeus' Erscheinung jagte vielen Dämonen Angst ein. Besonders hier, wo seine Konturen mit der hiesigen Dunkelheit zu verschmelzen schienen.
»Welch hoher Besuch«, erklang die dunkle Stimme des Erzdämons ein wenig sarkastisch. »Was kann ich für euch tun?«
Die fünf verneigten sich ehrfurchtsvoll. »Wir sind hier, weil wir hoffen, Ihr könntet uns etwas über das Land der Vergessenen sagen«, sprach Astaroth.
Asmodeus wusste was sie dort zu finden hofften. Allerdings überraschte ihn die Tatsache, dass Luzifer seine Söhne dahin schickte, anstatt selbst zu gehen. »Tut mir Leid, aber ich kann euch nichts darüber sagen.«
Fassungslos starrten Astaroth und seine Begleiter den Erzdämon an. Sharon fasste sich als erster wieder und schrie Asmodeus aufgebracht an. »Was soll das heißen?! Ihr habt Za'eočsian selbst erschaffen also müsst Ihr... «
»Ich muss gar nichts!«, unterbrach der Erzdämon ihn erzürnt. Seine Augen glühten vor Zorn noch heller als zuvor. Doch so schnell sein Zorn gekommen war, verschwand er auch wieder. »Man sollte meinen, dein Vater habe dir so etwas wie Respekt beigebracht, aber da habe ich mich wohl getäuscht. Und nur um das Klar zu stellen, das Land der Vergessenen, wie ihr es nennt, hat meine Mutter Sartana erschaffen«, sprach er wieder ruhiger. Sharon entschuldigte sich resigniert, doch niemand schien sich dafür zu interessieren.
Stattdessen nahm Astaroth das Gespräch wieder auf. »Ihr sagtet, wie wir es nennen. Heißt das, es hat noch einen anderen Namen?«
»Allerdings«, bestätigte Asmodeus. »Es ist das Land der Prüfungen. Aber so wird es schon seit Jahrtausenden nicht mehr genannt. Es birgt viele Geheimnisse, die kein Dämon, nicht einmal wir, vollkommen kennt. Wenn jemand alle Prüfungen schafft, erlangt dieser unendliche Weisheit und ist in der Lage die Zusammenhänge des Universums zu verstehen. Da dieses Wissen jedoch in den falschen Händen gefährlich sein kann, hat Sartana bestimmt, dass sich jeder erst als würdig erweisen muss. Wer dies nicht tut und nur bei einer einzigen Prüfung versagt, verliert sein Leben. Bisher hat es nur ein einziger geschafft lebend zurückzukehren.«
»Wer?«, fragten alle fünf fast gleichzeitig.
»Der Höllenfürst Baal.« Schweigen erfüllte mit einem Mal den Raum. Jeder hing seinen Gedanken nach. Die Reise könnte für sie alle den Tod bedeuten, dass war ihnen nun mehr bewusst denn je.
»Gibt es eine bestimmte Voraussetzung um die Prüfungen zu schaffen?«, erhob Thelia erstmals ihre Stimme.
Asmodeus antwortete nicht sofort. Er betrachtete die junge Lamia eingehend. »Ja, die gibt es.« Alle sahen erwartungsvoll zu ihm auf. »Man muss ein reines Herz haben.« Fassungslosigkeit breitete sich unter seinen Gästen aus.
»Das soll wohl ein Witz sein. Kein Wunder, dass es so gut wie kein Dämon es geschafft hat«, sprach nun auch Gusion entmutigt.
»Du denkst bei reines Herz wohl als erstes an Unschuld, doch das ist in diesem Fall nicht gemeint. Viel mehr geht es darum nicht immer nur auf sein eigenes Wohl bedacht zu sein, sondern auch auf andere zu achten. Jeder der Rücksichtslos, ignorant und egozentrisch ist, kann sich im Grunde also gleich selbst hinrichten.«
Und sowas vom Erzdämon der Finsternis, dachte Astaroth. Wobei er zuversichtlich war, die Prüfungen zu schaffen. Auch um Sharon und Thelia machte er sich keine Sorgen. Thelia hingegen hatte mehr Zweifel daran, ob sie das alle überleben würden. Sie war nach dieser Offenbarung so sehr in Gedanken versunken, dass sie das weitere Gespräch nicht mehr mitbekam. Auch als die Prinzen Asmodeus' Angebot die Nacht hier zu verbringen annahmen, nahm sie nur unbewusst war. Wie von selbst schlängelte sie sich voran und folgte Sharon. Gemeinsam gingen sie durch die langen kalten Flure hin zu einem der unzähligen Gemächer. Der junge Prinz öffnete die Tür und ließ Thelia eintreten. Erst nach ihr ging er ebenfalls hinein und schloss die Tür.
Sharon betrachtete die Lamia besorgt. Sie saß vor dem Fenster und schaute teilnahmslos hinaus. Er spürte ihre Angst und Zweifel. Allmählich glaubte er, dass es vielleicht doch keine gute Idee gewesen war, sie mitzunehmen. Anderseits war er jedoch auch froh Thelia an seiner Seite zu haben.
»Glaubt Ihr, wir schaffen es den Tempel zu finden?«, fragte Thelia aus dem Nichts heraus.
Kurz dachte der junge Prinz nach. Er wusste, dass er die folgenden Worte mit bedacht wählen musste. »Ich denke, wenn wir alle zusammenhalten, dann dürften wir das durchaus schaffen.«
»Ich hoffe es«, erwiderte sie seufzend.
Sharon ging zu ihr und zog sie behutsam zu sich hoch. Seine Arme schlangen sich um ihren Körper. »Hab keine Angst Lia«, hauchte er ihr ins Ohr, wobei sein warmer Atem ihre Haut streifte. »Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert.«
Ihm so nah zu sein ließ ihre Knie weich werden. Sein Dufte benebelte ihre Sinne. Zu allem Überfluss ließen seine Worte ihr Herz schneller schlagen. So sehr, dass sie befürchtete, er könnte es hören. Sie lehnte ihren Kopf an seine Brust, damit er wenigstens ihre geröteten Wangen nicht sehen konnte. Doch sie ahnte nicht, welchen Kampf Sharon in seinem Inneren führte.
Er hatte sehr wohl bemerkt, was seine Worte in ihr ausgelöst hatten. Der Drang sie zu küssen und sich einfach seinem Verlangen hinzugeben, war so stark, dass er nicht wusste ob er dem widerstehen konnte. Doch der junge Prinz musste sich beherrschen. Er nahm dafür all seine Kraft zusammen. Sanft aber bestimmend schob er sie von sich. »Du solltest dich nun ausruhen. Morgen werden wir sicherlich wieder einen anstrengenden Tag haben«, sprach er zu ihr. Lia nickte darauf nur. Anschließend verließ Sharon eilig das Zimmer.
Thelia konnte sich nicht helfen, aber sie fühlte sich irgendwie zurückgewiesen. Sein schneller Abgang hatte sie verletzt. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Außerdem wollte sie jetzt nicht allein sein. Die junge Lamia hoffte inständig, dass er bald zurück kehren würde.
So leid es dem jungen Prinzen auch tat, aber er musste sie so unverhofft zurücklassen. Er traute sich in ihrer Nähe selbst nicht. Wenn er noch länger bei ihr geblieben wäre, wäre er sicher noch über sie hergefallen. Ein Gedanke der ihm absolut nicht gefiel. Denn er wollte nicht, dass sie sich von ihm bedrängt fühlte. Er irrte ziellos durch die düsteren Gänge und fragte sich, wo er nun hingehen sollte. Zurück in das Gemach konnte er jedenfalls nicht. Nach langem überlegen nahm er sich vor, nun endlich das ohnehin längst überfällige Gespräch zu führen.
Zwar hatte er es sich nie anmerken lassen, doch er hatte durchaus gemerkt, dass Astaroth sich in den letzten Monaten immer weiter von ihm zurückgezogen hatte. Aber auf das warum, fand er keine Antwort. Diese Tatsache machte ihm sehr zu schaffen. Vorher hatten sie sich immer sehr nah gestanden. Sharon konzentrierte sich auf die Aura seines Bruders und Teleportierte sich zu ihm.
Astaroth stand vor einem großen Bücherregal und schien in ein Buch vertieft zu sein. Als er jedoch die Aura seines kleinen Bruders spürte, klappte er es zu und drehte sich zu ihm um. »Was kann ich für dich tun?«
»Nun, ich hatte gehofft, du könntest mir endlich sagen, was in letzter Zeit mit dir los ist«, kam Sharon gleich zur Sache.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, erwiderte Astaroth und kehrte seinem Bruder wieder den Rücken zu.
»Du gehst mir seit Monaten aus dem Weg und ich will wissen wieso?!«
»Nimm es nicht persönlich, ich gehe nämlich jedem aus dem Weg. Außerdem haben wir doch die letzten zwei Tage zusammen verbracht.«
»Da hattest du auch kaum eine Wahl!«, schimpfte Sharon. »Und mich hast du noch nie so gemieden, also gib mir endlich eine vernünftige Antwort!« Der junge Prinz hatte eigentlich gehofft das in Ruhe zu klären, aber sein Bruder machte ihn langsam wütend.
»Du wirst nicht eher gehen, bis du eine Antwort hast, hab ich recht?« Da Sharon keine Anstalten machte zu verschwinden, seufzte Astaroth resigniert. »Also schön. Mir geht es allmählich auf die Hörner, dass ich trotz meiner Anstrengungen meine Gefährtin immer noch nicht gefunden habe und Vater mich nicht in die Welt der Menschen lässt. Und obwohl du gut zweitausend Jahre jünger bist, hast du sie schon nach nur 17 Jahren gefunden, ohne sie überhaupt gesucht zu haben!« Während er sprach, wurde seine Stimme immer lauter. Man hörte seine Wut und Trauer heraus.
Sharon blieb wie angewurzelt stehen. Es dauerte eine Weile, bis diese Worte gänzlich in sein Bewusstsein drangen. Ich habe sie gefunden? Wenn das wahr wäre, müsste er das doch wissen, oder? Ohne darüber nachzudenken, fragte er seinen Bruder, wie er dies meinte.
Die Frage machte Astaroth allerdings richtig wütend. Seine sonst dunklen Augen färbten sich rot. »Tu nicht so als wüsstest du es nicht. Selbst du müsstest langsam mal gemerkt haben, dass zwischen dir und Thelia etwas ist!«
Sharon dachte darüber nach. Thelia war für ihn tatsächlich etwas besonderes. Sie bedeutete ihm viel. Jedoch wusste er nicht, ob es ihr genauso ging. Oder wollte er es einfach nur nicht wahr haben? Denn wenn er so darüber nach dachte, sind ihre Reaktionen in seiner Nähe doch ein Anzeichen dafür, dass sie sich zu ihm genauso hingezogen fühlte, wie er sich zu ihr. Aber noch etwas anderes kam ihn in den Sinn. »Bist du deswegen etwa eifersüchtig auf mich?«
»Nein. Ja. Vielleicht ein bisschen. Versteh mich nicht falsch, ich freu mich für dich. Andererseits würde ich dir am liebsten den Kopf abreißen, wenn ich sehe, dass du dieses Glück nachdem ich mich so sehr sehne direkt vor deinen Augen hast und trotzdem nichts daraus machst.«
Nachdenklich blickte Sharon zu Boden. Er hatte seinen Bruder noch nie so erlebt. Natürlich wusste er, wie wichtig es Astaroth war, seine Gefährtin zu finden. Immerhin hatte er oft genug die Streitereien zwischen seinem Bruder und seinem Vater mitbekommen. Aber ihn so zu sehen, schmerzte Sharon. Sonst war sein großer Bruder immer der Starke, der sich von nichts erschüttern ließ und nie aufgab. Doch nun kam ihm Astaroth irgendwie verloren vor. »Vielleicht solltest du aufhören nach ihr zu suchen und es einfach auf dich zukommen lassen. Und vergiss nicht, dass unser Vater einige Millionen Jahre und eine Verbannung gebraucht hat, um unsere Mutter zu finden.«
Zu seiner Überraschung lachte Astaroth darauf. »Ich hoffe doch sehr, dass mir das nicht auch erst passieren muss.« Sharon stimmte in sein lachen ein. Astaroth nahm sich vor, den Rat seines Bruders zu befolgen. Vielleicht war es wirklich ein Fehler krampfhaft nach ihr zu suchen. Er sollte versuchen etwas lockerer zu werden. Schaden konnte es nicht.
Vorerst schien der Zwist zwischen den Brüdern beendet zu sein. Doch wer wusste, wie lange das so bleiben würde.
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