10| Za'eočsian

Am nächsten Morgen waren alle vor dem Palast versammelt und bereit aufzubrechen. Ihre wenigen Sachen hatten sie bereits in der schwarzen prunkvollen Kutsche verstaut. Außer Waffen und Proviant nahmen sie nur wenige Kleidungsstücke mit. Vor der Kutsche waren vier schwarze Pferde gespannt. Ihre Körper wirkten abgemagert. Die Knochen zeichneten sich stark unter ihrer dünnen Haut ab. Sie schienen viel zu schwach zu sein um diese schwere Kutsche zu ziehen. Doch der Schein trog. Diese Pferde hatten enorme Kraft und Ausdauer. Ihre weißen Augen zeugten von ihrer Blindheit. Trotzdem konnte sie durch ihre besonderen Sinne alles wahrnehmen, was sich um sie herum befand. Außerdem besaßen sie durch das aschgraue Horn auf ihrem Kopf auch magische Fähigkeiten. 

Gusion nahm auf der Kutsche Platz und nahm die roten Zügel aus Drachenhaut in seine Hände. Die beiden Prinzen setzten sich mit Thelia und Dialen, Astaroth' Leibwächter, ins Innere. Die Bänke auf beiden Seiten waren weich gepolstert. Ein roter Samt Bezug zog sich über die Polster und die Rückenlehne. Luzifer wünschte ihnen noch viel Glück, ehe sich die Kutsche in Bewegung setzte. Thelia saß Sharon gegenüber und schaute ihn immer mal wieder verstohlen an. Niemand bemerkte ihre heimlichen Blicke. 

Mit Ausnahme von Astaroth. Er konnte sich nicht helfen, aber er war eifersüchtig auf seinen kleinen Bruder. Gleichzeitig freute er sich aber auch für ihn. Er konnte nicht glauben das Sharon die Verbindung zwischen ihm und Thelia nicht spürte. Doch die Lamia schien dem Gegenüber auch blind zu sein. 

Sie hatten das schwarze Tor hinter sich gelassen und befanden sich nun in der Düsterebene. Die Gegend war dunkel und kalt. Sie erstreckte sich beinahe über das gesamte Land. Kein Leben schien hier zu existieren. Die Pferde jagten im schnellen Tempo durch die Ebene. Aufgrund des trockenen Bodens zogen sie dabei eine Staubwolke hinter sich her. Von allen Ländern war dieses mit Abstand das gefährlichste. Nirgendwo sonst gab es so starke grausame Dämonen und Kreaturen wie hier. 

Viele Stunden fuhren sie durch die düstere Landschaft. Erst gegen Abend kamen sie in der Stadt Y'aena an. Es war eine von den zwei großen Städten in Za'eočsian und wurde vorwiegend von Blutdämonen bewohnt. Mehr Städte gab es nicht, da die hiesigen Dämonen zumeist Einzelgänger waren und Gesellschaft ihnen ein graus war. Daher gab es sonst, wenn überhaupt, nur kleine Dörfer, in denen sie mit ihren Familien lebten. Meistens bestanden sie nur aus vier bis fünf kleinen Häusern. 

Doch Y'aena war im Vergleich dazu fast schon riesig. Sie war bekannt für ihre vielen Tavernen und Turniere, die in der Stadt eigenen Arena ausgetragen wurden. Nicht selten ging es bei denen um Leben und Tod. Doch auch Händler jeglicher Art und Waffenschmiede fand man hier. 

Die Kutsche hielt vor einem vierstöckigem Gebäude. Im Erdgeschoss befand sich eine Taverne. Die übrigen Stockwerke hielten Zimmer für Reisende bereit. Schon von draußen war lautes Geplänkel zu hören. Doch als die beiden Prinzen den Schankraum betraten, war es plötzlich totenstill. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Die meisten nickten ihnen nur kurz zu und wandten sich ab. Andere murmelten etwas Unverständliches. Die Gespräche wurden wieder aufgenommen, jedoch um einiges leiser als zuvor. Die Prinzen störten sich an dem Verhalten nicht. In dieser Stadt wurde niemand gesondert behandelt, da sie als neutrale Zone galt. Jeder der hier herkam, war nur ein normaler Reisender, egal wie viel Macht oder welchen Rang dieser hatte. Aus diesem Grund mochte Astaroth sie. 

Die Brüder schritten zum Tresen. Der Wirt polierte gerade ein paar Krüge. Er war ein ziemlich muskulöser Dämon. Zwar war das bei Dämonen, zumindest bei den männlichen, keine Seltenheit, doch bei dem Wirt könnte man fast die Sorge haben, dass die Haut jederzeit durch die enormen Muskeln aufplatzte. Ebenfalls ungewöhnlich waren die unzähligen Narben, die seinen Kopf und die Arme zierten. Sharon war sich sicher, dass der Dämon am ganzen Körper so aussah. Keiner der Prinzen konnte sagen, zu welchem Volk der Wirt gehörte. Denn sie hatten noch nie einen Dämon mit dunkeloranger Haut gesehen. Die sechs Hörner auf seinem Haupt waren hingegen in einem seltsam schmutzigen Rotton. Die Brüder vermuteten, dass er ein Mischling war. Von denen gab es nicht wenige. Oftmals entstanden daraus sogar neue Völker. 

»Was kann ich für euch tun?«, wollte der Wirt mit rauer Stimme wissen 

»Wir hätten gerne ein kleines Zimmer für zwei und eines für drei«, antwortete Sharon. 

»Ihr habt Glück, gerade sind Zimmer frei geworden.« Der Hüne winkte eine zierliche Dämonin zu sich und wies sie an, den Prinzen den Weg zu den Räumlichkeiten zu zeigen. 

Nachdem sie sich die Zimmer angesehen hatten, kehrten sie zu ihren Begleitern zurück und luden ihre Sachen von der Kutsche ab. Sharon nahm mit Thelia wie vereinbart das kleinere Zimmer. Im Gegensatz zu ihr brauchte der junge Prinz keinen Schlaf. 

Nachdem Thelia eingeschlafen war, saß Sharon unschlüssig herum und dachte nach. Er hatte sich eigentlich vorgenommen mit seinem Bruder über etwas zu sprechen, aber das wäre hier kein guter Ort dafür. Dafür wollte er mit ihm lieber allein sein. Nach einer Weile beschloss er runter in den Schankraum zu gehen. Dort wurde noch immer gut gebechert. An einem der Tische entdeckte er Astaroth, der von drei Dämoninnen belagert wurde. Scheinbar hatte er alle drei für die Nacht auserkoren. Sharon schüttelte darauf nur den Kopf. Sein Bruder würde sich wohl nie ändern. Er konnte sich denken, dass sich die Dämoninnen etwas davon erhofften, doch würde Astaroth sie sicher enttäuscht zurücklassen. So wie er es immer tat. 

Sharons Blick schweifte weiter umher. Er erkannte Gusion, der in ein Brettspiel namens Ošezos vertieft war, in dem es um Strategie und Illusion ging. Das Brett erinnerte ein wenig an ein Schachbrett. Allerdings hatte es eine achteckige Form. Die Spielfiguren bestanden aus einem unzerbrechlichem Glas und zeigten die Gestalt verschiedener Wesen. Eine geringe menge Magie haftete an ihnen. Die stärkste Figur in dem Spiel war der Drache, der auch Feuer oder vielmehr ein winziges Flämmchen spucken konnte. Sharon beobachtete das Schauspiel eine Weile. Gusion schien ziemlich gut darin zu sein. Er hatte bereits dreimal in Folge gewonnen, was den Prinzen sehr verwunderte. Er hatte den Schattendämon immer mehr für einen Krieger als einen Strategen gehalten. Doch wie es schien, war er in beidem sehr gut. 

»He, Sharon!«, ertönte eine Stimme hinter ihm. Als er sich umdrehte erkannte er Raym auf sich zukommen. Sie waren schon lange gute Freunde und begrüßten sich mit einem freundlichen Handschlag. Nachdem Sharon seinem neugierigen Freund den Grund seines Aufenthaltes hier erläutert hatte, wobei er einige Details ausließ, zog ihn Raym zu einem Tisch. 

»Wo ist deine Schwester?«, wollte Sharon wissen. Raym und seine Schwester waren Zwillinge und gehörten zu den Blutdämonen. Wie fast alle Dämonen dieser Art hatte auch Raym feuerrotes Haar, welches er kurz trug. Zwei lange nach hinten gebogene Hörner thronten auf seinem Haupt. 

»Die ist heute zu Hause geblieben. Nicht allein, wenn du verstehst«, zwinkerte Raym ihm zu. »Willst du auch ein Za'seop?«, fragte er nun. 

Sharon bejahte. Er hatte nichts gegen einen Drink einzuwenden. Za'seop wurde aus einer giftigen Frucht gewonnen. Das Gift war für Dämonen nicht tödlich, wirkte auf sie aber wie eine Droge und verursachte einen benebelten Zustand. Fast die ganze Nacht saßen sie zusammen. Sie redeten über alles mögliche. Dabei tranken sie immer mehr von dem giftigen Zeug. Dadurch bekam der junge Prinz nicht mit, wie sich ein paar Dämonen an ihm vorbeischlichen und die Treppe hinauf stiegen. 

Währenddessen schlief Thelia tief und fest. Jedoch wachte sie abrupt auf, als sie Gefahr spürte. Seelenruhig blieb sie liegen und lauschte. Schritte nährten sich ihrem Bett. Kurz darauf spürte sie, wie ihr die Decke weggezogen wurde. Die Lamia war heilfroh, dass sie eines ihrer Schwerter unter ihrem Kopfkissen versteckt hatte. Sie wartete nur noch auf den richtigen Moment, um zuzuschlagen. 

Hände strichen grob über ihren Körper. »Eine unberührte Lamia ist wirklich selten«, hörte sie eine Stimme sagen. 

»Sollen wir das wirklich riskieren? Immerhin ist sie mit den Prinzen unterwegs«, meinte ein anderer warnend. 

»Und wenn schon. Astaroth ist anderweitig beschäftigt und Sharon lässt sich voll laufen. Keiner wird uns stören und wenn sie etwas bemerken, sind wir längst weg«, sprach die erste Stimme wieder. 

Thelia schüttelte sich innerlich. Es brauchte nicht viel Fantasie um zu wissen, was sie mit ihr vorhatten. Doch da hatten diese Eindringlinge die Rechnung ohne sie gemacht. Blitzschnell ließ sie ihren Schlangenleib wie eine Peitsche über die Bettkante am Fußende sausen und brachte zwei Gegner zu Fall. Gleichzeitig holte sie ihr Kurzschwert hervor und fügte dem Feind neben sich ein Schnittwunde am Bauch zu. Kurz darauf stand sie angriffsbereit neben dem Bett. Das alles ging so schnell, dass ihre Gegner keine Zeit zum Reagieren hatten. Einen kurzen Moment starrten sie Thelia verblüfft an. Doch im nächsten Moment verwandelten sich ihre Gesichter in wutverzerrte Fratzen. 

Alle drei griffen sie gleichzeitig an. Sie hatte mühe die Angriffe zu parieren. Nicht nur, weil sie in der Unterzahl war und im Gegensatz zu ihren Gegnern keine Magie beherrschte, sondern auch, weil dieses kleine Zimmer nicht wirklich viel Platz für einen Kampf bot. Dennoch schaffte sie es irgendwie dem verletzten Dämon die Klinge in den Hals zu stoßen. Röchelnd ging er zu Boden. Thelia wartete gar nicht erst, bis seine Wunde anfing zu heilen, sondern setzte sofort nach und rammte ihm das Schwert ins Herz. 

Die anderen beiden nutzten die Chance und brachten die Lamia zu Fall. Sie wurde auf den Rücken gedreht und festgehalten. Erst jetzt bemerkte Thelia den vierten Dämon, der sich gerade aus den Schatten schälte. Schatten um schwebten seine Klauenhand und formten sich zu einem langen Schwert, welches er Thelia nun gänzlich in ihren Schlangenleib rammte. 

Thelia schrie vor Schmerz. Sie konnte nicht glauben, dass einfache Schatten so stahlhart werden konnte. Sowas konnten nur die Schattendämonen fertigbringen. Genüsslich drehte ihr Peiniger die schwarze Klinge in der Wunde und fügte ihr noch mehr Schmerzen zu. Er beugte sich zu ihr herab und streichelte gierig über ihren Körper. »Du wirst jetzt ganz brav zu uns sein. Es sei denn natürlich du willst noch mehr Schmerzen erleiden«, flüsterte er und zog zur Warnung leicht an der Klinge, was sie wimmern ließ. 

Gerade als er ihre Brüste berühren wollte, schrien die anderen beiden warnend auf. Doch es war zu spät. Der Schattendämon hatte nur noch Zeit seinen neuen Gegner kurz zu betrachten, ehe ihm eine Axt den Schädel spaltete. Nicht schlecht, dachte Dialen. Nie zuvor hatte er eine Axt als Waffe genutzt. Als er Thelia schreien hörte, hatte er allerdings nicht allzu viel Zeit gehabt seine eigentliche Waffe zu suchen. Also hatte er sich das erstbeste genommen, was da war. Jedoch befürchtete er nun, dass Gusion ihm den Kopf abreißen würde, wenn er davon erfuhr. Immerhin war dies seine Lieblingswaffe. Doch darüber konnte sich Dialen auch später Gedanken machen. Mit einem Windstoß donnerte er die übriggebliebenen Gegner gegen die Wand. Zum Glück waren diese magisch verstärkt, sonst wären die Dämonen wohl durch die Wand gekracht. 

Bevor seine Gegner aufstehen konnten, war er schon über ihnen und hackte ihnen ihre Köpfe ab. Einer seiner Vorteile das er den Wind beherrschte, er konnte sich schneller bewegen als manch andere. Anschließend hob er Thelia vorsichtig hoch und setzte sie aufs Bett. Dialen begutachtete die Wunde an ihrem Schlangenleib. Die Klinge hat sich tatsächlich komplett durchgeschnitten. »Am besten, sage ich Sharon bescheid, die Wunde sieht übel aus«, meinte er besorgt. Warten bis sich die Wunde von selbst geheilt hatte, wollte er nicht. Immerhin verlor sie sehr viel Blut und das konnte auch die Selbstheilung nicht wieder aufwiegen. Zumindest nicht so schnell. Dialen versuchte provisorisch die Wunde zu behandeln, danach wollte er sich sofort auf die Suche nach dem Prinzen machen. 

Indessen kehrte Sharon gerade in sein Zimmer zurück. Irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl, welches ihn nervös und zugleich besorgt werden ließ. Er wusste jedoch nicht woran es lag. Als er sein Zimmer betrat, stockte er. Sein Blick fiel sofort auf Thelia, die mit dem Rücken zu ihm saß. Doch sie war nicht allein. Dialen kniete vor ihr und schien sie anzufassen. Dazu schien dieser Obenrum auch noch unbekleidet zu sein. Sofort kochte Eifersucht in dem Prinzen hoch. Der Blutgestank wurde von ihm gar nicht erst wahrgenommen. »Was tust du hier?«, knurrte Sharon und starrte Dialen mit glühend roten Augen an. Überrumpelt stand der Angesprochene einfach nur stumm da. 

»Ich wurde angegriffen«, erklärte Thelia betrübt. »Dialen kam mir gerade noch rechtzeitig zur Hilfe.« Erst jetzt bemerkte Sharon die vier Toten die in den dunklen Schatten lagen. Auch der metallene Geruch von Blut drang nun endlich zu ihm durch. Die Eifersucht verschwand wie auf Knopfdruck und machte seiner aufkeimenden Besorgnis platz. Seine Augen nahmen wieder ihre normale tiefblaue Farbe an. 

Mit großen Schritten ging er auf die Lamia zu und erhellte gleichzeitig auf magische Weise den Raum. Sein Blick fiel auf ihre Wunde. Ohne zu zögern heilte er sie. »Verschwinde!«, forderte er Dialen barsch auf. Anschließend ließ er die Leichen in Flammen aufgehen, die jedoch nicht auf das Zimmer übergingen. Der Prinz wandte sich Thelia zu. »Was ist genau passiert?« 

Sie schilderte ihm die Ereignisse. Je länger er zuhörte, umso mehr staute sich Wut in ihm auf. In der gesamten Unterwelt war es verboten jemanden zu Sex zu zwingen. Selbst sein Bruder, der eigentlich ein nein nicht akzeptierte, würde niemals so weit gehen und sich an einer Frau vergehen, wenn diese es nicht wollte. Wenn diese Bastarde nicht schon tot wären, würde er sie eigenhändig in Stücke reißen. 

»Lass uns zusammenpacken und verschwinden«, sprach Sharon. Nach nicht einmal zehn Minuten waren sie bereits fertig. Lia hatte sich in der Zwischenzeit das Blut vom Körper gewischt. Als sie draußen waren, luden sie ihre Sachen auf die Kutsche und spannten die Pferde, die die Nacht in einem Stall verbracht hatten, an. Währenddessen trafen auch die übrigen ein. Astaroth' undefinierbarer Blick streifte Sharon, ehe er in der Kutsche verschwand. 

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