1| Vergebliche Mühe

Vor ca. 6.000 Jahren

Einst herrschte unter den Dämonen Frieden. Doch vor einigen Jahren verschwand die Göttin spurlos. Und mit ihrem verschwinden kam der Krieg. Der Herrscher versuchte seit diesem Tag alle Völker zu unterdrücken. Seine Vorgehensweise wurde dabei immer grausamer. In allen Reichen herrschten Angst und Verzweiflung. Einige Dämonen, die nur über geringe bis gar keine magischen Fähigkeiten verfügten, wurden versklavt und an mächtigere verkauft.

Einer dieser Sklaven war ein kleiner dürrer Dämon namens Belphegor. Er war zusammen mit drei anderen in einem Käfig eingesperrt, der auf einem Karren stand. Sieben Sklavenhändler begleiteten sie. Die letzten Wochen ihrer Reise durch die Knochenschlucht waren beschwerlich gewesen. Immer wieder blieben sie mit ihrem Karren an irgendwelchen Knochen hängen. Als wäre dies nicht schon schlimm genug, wurden sie immer wieder von Kreischvögeln angegriffen.

Das waren große Vögel, mit einer Flügelspannweite von ca. 16 Metern. Sie hatten graue Federn, spitze Schnäbel und lange Hälse. Zwar waren sie nicht besonders intelligent, aber ihr schreckliches Kreischen, welches sie vor einem jeden Angriff ausstießen, ließ ihre Opfer bewegungsunfähig werden. Es sei denn, das potenzielle Opfer beherrschte starke Schutzzauber, mit denen es sich vor solchen Attacken schützen konnten.

Jeder der Sklavenhändler besaß solche Fähigkeiten, weswegen sie die meisten Angriffe ohne größere Blessuren überstanden hatten. Nun standen sie endlich vor dem riesigen weißen Tor, hinter dem sich Iscaeria, oder auch Herrschersitz genannt, befand. Das Tor öffnete sich wie von Geisterhand, ohne auch nur das kleinste Geräusch von sich zu geben. Sie traten hindurch. Dahinter war eine Brücke, die über einen bodenlosen Abgrund zu einer freischwebenden Insel führte, die sich in der Mitte dieses riesigen Felsgewölbes befand. Darauf stand der Königspalast, eine Kampfarena und ein großer Marktplatz. Einst hatte sich hier auch der schwarze Tempel befunden, doch dieser verschwand, genau wie die Dämonengöttin, vor langer Zeit spurlos.

Die Reisenden steuerten den Markt an. An einer freien Stelle bauten sie ein Podest auf, luden die Sklaven ab und präsentierten sie darauf. Dafür wurden sie unbekleidet mit den Armen nach oben an Pfähle gekettet. Auch andere hatten ihre Stände schon aufgebaut. Obwohl es noch früh am Morgen war, war der Markt schon gut besucht. Neben Sklaven wurden hier auch Amulette, Kräuter, Lebensmittel und viele andere Sachen verkauft. Überall wurde lautstark verhandelt und an manchen Ständen kam es sogar zu Handgreiflichkeiten.

Doch plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Knall, der in der gesamten Welt zu hören war. Eine starke Erschütterung ließ die Erde beben. Unruhe entstand. Viele Dämonen gingen zu Boden, unfähig sich auf den Beinen zu halten. Niemand wusste was genau geschehen war, doch alle waren sich sicher, dass etwas Schreckliches passiert sein musste.

Nachdem das Beben nachließ, liefen alle wild durcheinander. Ein paar Sklaven konnten sich während der Erschütterung befreien und standen nun unschlüssig herum. Nur Belphegor nutzte die Situation sofort zur Flucht. Er lief über eine der fünf Brücken auf ein rotes Tor zu. Schnell lief er hindurch und sah sich um. Der Boden bestand aus rostrotem Gestein und auch die dicken Wolken am Himmel waren in einem ähnlichen Rotton.

Der dürre Dämon wusste sofort, wo er sich befand, und zwar in Tseořien, dem Feuerreich. In der Ferne konnte er die Konturen der Flammenberge erkennen. Es war eine der gefährlichsten Gegenden der Unterwelt. Fast jeder dieser Berge war ein aktiver Vulkan, von denen fast täglich einer Ausbrach. Dennoch lief Belphegor auf diese zu. Er musste sich beeilen, da die Sklavenhändler sicherlich seine Spur aufnehmen, sobald sie sein Verschwinden bemerkten. Seine Art besaß kaum magische Fähigkeiten, dafür konnten sie sich sehr schnell bewegen, was allerdings sehr viel Kraft kostete. In seiner erbärmlichen Verfassung konnte er diese Begabung zurzeit jedoch nicht einsetzen.

Je näher Belphegor den Flammenbergen kam, umso stärker wurde der Gestank nach Schwefel. Auch die Hitze nahm immer mehr zu. Er erreichte einen Fluss, der nur aus flüssigem Feuer zu bestehen schien, und folgte diesem zum Gebirge. Dort angekommen, musste er sich kletternd fortbewegen, da es kaum befestigte Wege gab. Die Felswände der Vulkane waren pechschwarz. An manchen Stellen wurde es jedoch von gelben Ablagerungen verdeckt, die vom Schwefel herrührten.

Langsam kletterte er die steilen Wände hinauf. Der dürre Dämon musste sich vorsichtig vorantasten, um nicht in den Feuerfluss zu fallen, der sich nun direkt unter ihm befand. Das schwarze Gestein war brütend heiß. Einem Menschen hätte es das Fleisch von den Knochen gebrannt, doch einem Wesen wie ihm machte das nichts aus.

Gut drei Stunden hangelte Belphegor sich nun schon an den Bergen hinauf. Er entdeckte einen schmalen Vorsprung und ruhte sich darauf aus. Zwar hatte er wie alle Dämonen enorme Kraft und Ausdauer, doch das stundenlange Klettern machte ihm doch zu schaffen.

Während er da saß, dachte er über die Zukunft nach. Er machte sich wie viele andere Sorgen. Obwohl der König so grausam war, traute niemand sich gegen ihn zu kämpfen, da er der mächtigste Dämon war. Nur die Erzdämonen hätten die Macht ihn zu besiegen, doch sie haben vor langer Zeit mit einem unbrechbaren Eid geschworen jedem Herrscher treu zu sein.

Nachdem sich der dürre Dämon etwas erholt hatte, schaute er sich vorsichtig um. Einige Meter über sich entdeckte er ein großes Loch, das ein Eingang zu einer Höhle sein könnte. Belphegor kletterte hinauf und stellte fest, dass es tatsächlich eine war. Er dehnte seine Aura aus um zu überprüfen, ob dies ein Vulkan oder, wie er hoffte, einer der wenigen normalen Berge war. Belphegor hatte Glück. Jetzt musste diese Höhle nur noch einen Ausgang haben. Voller Zuversicht lief er hinein.

Eine gefühlte Ewigkeit irrte der dürre Dämon durch die dunklen schmalen Gänge. Dank seiner guten Augen, die jedem Dämon eigen waren, konnte er auch in der Dunkelheit alles sehen.

Mit einem Mal blieb er stehen. Er glaubte einen warmen Luftzug zu spüren. Irgendwo vor ihm in der Finsternis musste sich also der Ausgang befinden. Enthusiastisch lief er weiter. Er bog um eine Ecke und sah endlich Licht am Ende des Tunnels. Nun rannte er förmlich hinaus, wobei er einmal kurz stolperte und freute sich, die Flucht geschafft zu haben.

Doch als er hinaustrat, standen zwei der Händler schon wartend da. Belphegor stand wie versteinert vor ihnen. Wie konnte das sein? Wieso hatte er ihre Verfolgung nicht bemerkt? Er hatte sich schon in Sicherheit geglaubt. Nun war er seiner Illusion beraubt. All die Strapazen der letzten Stunden waren vollkommen umsonst gewesen. Der dürre Dämon war am Ende seiner Kräfte. Sein Widerstand brach. Er wusste, dass er eine solche Gelegenheit nie wieder bekommen würde. Man würde ihn nun als Strafe bis zum Tod foltern, das wusste er.

Dies würde sein Ende sein, denn niemand würde kommen, um ihn zu retten.

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