9| Neuigkeiten
Ungefähr ein Jahr später
Es war kalt und roch modrig. Die Wände waren aus grauem Stein. Genau wie der Boden und die Decke. Kein einziges Fenster befand sich in diesem Raum. Nur ein paar Kerzen und Fackeln an den Wänden spendeten etwas Licht. Das flackernde Licht warf unheimliche Schatten auf die dunkle Gestalt, die in der Mitte des Raumes an einem massiven Schreibtisch saß. Vor ihm lagen Bücher und Schriften in einem Wirrwarr verstreut. Doch die Unordnung hatte System, welches wohl nur der König selbst durchschaute.
Der Raum war Teil des riesigen Kellergewölbes, welches sich beinahe unter seinem gesamten Palast erstreckte. Den Großteil davon nahm das Gefängnis und die Folterkammern ein. Doch der Teil, in dem Luzifer sich befand, lag ganz versteckt und war in insgesamt vier Zimmern unterteilt. Sein geheimer Rückzugsort. Hier machte er Experimente und Pläne, von denen sonst niemand wissen durfte. Abgesehen von Gusion, Belphegor und dem Höllenfürst Baal kannte niemand diesen Ort. Nicht einmal seine Gefährtin und seine Söhne.
Während Luzifer in seine Grübelei vertieft war, materialisierte sich der Höllenfürst im Thronsaal. Seine graublauen Augen, welche er nur in seiner menschlichen Tarngestalt besaß, legten sich als Erstes auf den Thron. Wie er erwartet hatte, war dieser leer. Baal brauchte nicht lange darüber nachzudenken, vor sich der König befand. Denn schon seit Monaten hielt er sich in seinem Rückzugsort auf, weswegen Prinz Astaroth sich momentan hauptsächlich mit den Problemen der Untertanen rumschlagen musste. Manchmal fragte sich der Höllenfürst, ob Luzifer überhaupt noch den Keller verließ.
Eilig schritt er durch die Gänge, die entgegenkommenden Diener ignorierend. Nach wenigen Minuten hatte er endlich die schwere hölzerne Tür erreicht. Er öffnete sie und stieg die lange Treppe hinab. Obwohl Baal nun nur in einer Art Vorraum stand, in dem sich links und rechts jeweils eine Tür befand, konnte er den typisch metallenen Geruch von Blut wahrnehmen. Doch auch das Leid der Armen Opfer konnte er mit seinen empfindlichen Sinnen spüren. Ein wohltat für ihn. Kurz war er versucht seine wahre Gestalt anzunehmen, um dieses Gefühl besser in sich aufzunehmen, aber er besann sich eines besseren. Außerhalb der Hölle war es keine gute Idee seine Tarnung fallen zu lassen. Also setzte er seinen Weg fort. Er ignorierte die Türen zu beiden Seiten und ging stattdessen auf eine Barriere zu und verschwand darin. Für jeden Anderen sah diese wie eine gewöhnliche Mauer aus.
Dahinter war es stockdunkel. Gespenstisch lief er zu dem geheimen Arbeitszimmer, in welchem Luzifer saß. Noch immer wusste Baal nicht, was der König vorhatte. Allmählich platzte er fast vor Neugier. Er würde sich jedoch hüten Luzifer danach zu fragen.
»Wieder eine Sackgasse«, murmelte Luzifer frustriert. »Mein Vorhaben erweist sich als schwieriger als gedacht.«
Baal sah seine Chance gekommen endlich mehr zu erfahren. »Was habt Ihr denn eigentlich vor? Vielleicht kann ich Euch helfen«, bot er unschuldig an.
Der König warf seinem treuen Berater einen misstrauischen Blick zu. Er hatte durchaus bemerkt, was der Höllenfürst damit bezweckte. Andererseits könnte er ihm vielleicht wirklich helfen. »Ich versuche ein Wesen zu erschaffen. Eines das den Menschen schaden soll.«
»Wenn es nur darum geht, warum schickt Ihr dann nicht einfach ein paar Dämonen zu ihnen?«
»Weil sie in ihrer Zerstörungswut nichts mehr übrig lassen würden. Außerdem will ich die Menschheit nicht auslöschen, sondern verändern«, sprach er ungehalten. Dämonen auf die Welt loszulassen würde sicher deren Untergang bedeuten. Auch wenn Luzifer zugeben musste, dass dieser Gedanke ziemlich verlockend war, würde dies über das Ziel hinausschießen. Zwar waren ihm die Menschen vollkommen gleichgültig und nur ein willkommenes Mittel sich an seinem Vater zu rächen, aber gegen die Welt an sich hatte er nichts.
»Wie soll dieses Wesen denn die Menschen verändern?«, riss Baal ihn aus seinen Gedanken.
»Es sollte die Menschen in das verwandeln, was es selbst ist.«
Nachdenklich trat Baal neben seinen Herrscher und ließ seinen Blick über die Papiere und offenen Bücher schweifen. Er fragte sich, mit welchem Mittel man andere genetisch verändern könnte und dann kam ihm eine Idee. Blut kann ein durchaus machtvolles Mittel sein. Nicht umsonst galt die Blutmagie in der Unterwelt als eine der mächtigsten Magien überhaupt. Wenn sie also ein Wesen erschaffen würden, welches sich vom Blut der Menschen ernährt und sie mit seinem Blut verwandeln könnte, wäre damit sicherlich das Ziel erreicht. Diese Überlegung teilte er auch Luzifer mit.
Der König musste zugeben, dass es ein guter Einfall war. Allerdings müsste das Wesen besonderes Blut haben, wenn das gelingen sollte. Luzifer fragte sich, ob man menschliches Blut mit einer gewissen Menge dämonischen Blutes mischen und so dessen Eigenschaften verändern könnte. Er beschloss es zu versuchen.
Mit Baals Hilfe begann er ohne langes zögern mit den ersten Versuchen. Stundenlang saßen sie zusammen und experimentierten. Ohne sichtbaren Erfolg. Doch auch die Fehlschläge waren für den König ein Triumph. Denn jedes brachte ihn näher ans Ziel.
Unverhofft stürmte Belphegor in den Raum. Es war mittlerweile bereits später Abend geworden. Völlig aus der Puste blieb der dürre Dämon stehen und atmete einige Male ein und aus. »Verzeiht meine Störung, aber die Kundschafter sind zurückgekehrt. Sie warten im Thronsaal auf Euch.«
Damit hatte Luzifer nicht gerechnet. Er hoffte, dass sie gute Neuigkeiten hatten. Belphegor und Baal folgten ihm, als er den geheimen Ort verließ. Sie schritten durch die Barriere und anschließend die Treppe rauf. Im Thronsaal angekommen stand ihm eine Gruppe von sieben Dämonen gegenüber. Diese gingen sofort auf die Knie und senkten ihr Haupt, als sie Luzifer erblickten. Erst als der König ihnen befahl sich zu erheben, standen sie auf. Erwartungsvoll blickte er die Todesdämonen an. »Was habt ihr mir zu berichten?«, wollte er wissen, während er sich auf seinen Thron setzte.
»Ich bedaure, mein Gebieter, aber ich fürchte, wir können Euch nur schlechte Nachrichten bringen«, sprach Labartu, der Anführer der Gruppe.
»Ihr habt den Tempel also nicht gefunden«, es war mehr ein Resümee als eine Frage.
»Wir haben die gesamte Unterwelt abgesucht. Jeden Winkel, jede Höhle, selbst unterirdische Tunnel, ohne Erfolg. Es gibt nur einen einzigen Ort, an dem wir nicht waren. Das Land der Vergessenen. Niemand traut sich dorthin.«
Das wusste Luzifer nur zu gut. Er hatte schon viele Mythen über diesen Ort gehört. Niemand der sich dorthin gewagt hatte, soll jemals zurückgekehrt sein. Das Einzige, was man wirklich über dieses Land wusste, war, das es sich im entferntesten Winkel von Za'eočsian lag. Es würde sich niemand finden lassen, der sich dorthin wagt.
»Ihr könnt gehen«, befahl der König den sieben Todesdämonen. »Ich werde mir schon was einfallen lassen.« Die Dämonen verneigten sich knapp und verließen den Palast. Luzifer drehte sich indes zu Belphegor. »Such meine Söhne und schick sie in mein Arbeitszimmer.« Schnellen Schrittes verschwand der dürre Dämon. Währenddessen gingen der König und Baal schon mal vor.
Thelia, die inzwischen Sharons Leibwächterin geworden war, stand vor dem Gemach des Prinzen. Sie hörte, wie sich schnelle Schritte näherten und sah kurz darauf wie Belphegor auf den Gang gelaufen kam. Die junge Lamia ließ ihn wortlos passieren. Sie verstand nichts, von dem was dort drin besprochen wurde. Kurze Zeit später traten beide aus dem Zimmer heraus und liefen den Weg entlang, den Belphegor gekommen war. Thelia brauchte keinen Hinweis um zu wissen, dass sie folgen sollte. Immerhin war dies als Wächterin ihre Aufgabe. Sie strebten auf Luzifers Arbeitszimmer zu. Dort angekommen war Astaroth bereits dort.
Der König forderte Sharon auf, die Tür hinter sich zu schließen, was dieser auch sofort tat. Erst danach erzählte Luzifer ihnen von den Neuigkeiten. Nur wo der Palast sich scheinbar befindet, behielt er vorerst für sich. »Da es ein sehr gefährlicher Ort ist, habe ich beschlossen selbst zu gehen. Astaroth wird mich während dieser Zeit hier vertreten«, schloss er seine Erzählung und sah die Anwesenden abwartend an.
»Von welchem Ort sprichst du?«, fragte Astaroth lauernd.
»Vom Land der Vergessenen.« Alle schienen daraufhin zischend die Luft einzuatmen.
»Wenn das so ist, solltest du Sharon und mich schicken«, erwiderte Astaroth scheinbar gelassen.
»Auf gar keinen Fall!«, schrie Luzifer aufgebracht. »Das ist unerforschtes Gebiet. Ich werde es nicht riskieren euch in Lebensgefahr zu bringen!«
»Ich sehe das wie mein Bruder«, mischte sich Sharon erstmals ein. »Du solltest uns schicken. Wir können gut auf uns aufpassen. Außerdem wirst du hier gebraucht, du hast dich ohnehin schon zu lange zurückgezogen.«
Luzifer betrachtete seine Söhne. Er schmiss als bis auf die Beiden aus dem Raum. »Ich weiß, dass ihr auf euch aufpassen könnt. Aber ich will euch nicht verlieren.«
Astaroth schaute seinen Vater fast schon belustigt an. Luzifer wusste, dass die Macht seiner Söhne seiner eigenen fast schon ebenbürtig war. Genauso wie er wusste, dass sie nicht so leicht zu töten waren. Außerdem war Astaroth der Meinung, dass, wenn sein Vater sich diese Mission zutraute, er diese auch ihnen anvertrauen konnte.
Der König sah das jedoch anders. Seiner Ansicht nach war es egal wenn er starb, immerhin wären seine Söhne dann noch da, um seine Position zu übernehmen. Abgesehen davon wollte er seine Söhne nicht überleben.
»Astaroth und ich gehen«, sprach Sharon bestimmt. Du hast selbst mal zu mir gesagt, dass ich Erfahrungen sammeln soll und das wäre eine gute Gelegenheit. Und außerdem können wir doch jederzeit mit dir Kontakt aufnehmen.«
Die beiden Brüder lächelten triumphierend. Sie sahen ihrem Vater an, dass ihm die Argumente ausgingen.
»Meinetwegen«, seufzte Luzifer resigniert. »Aber ihr werdet nicht allein gehen. Ihr werdet eure Leibwächter mitnehmen und ich werde Gusion ebenfalls mit euch gehen lassen. Und in diesem Punkt lasse ich nicht mit mir verhandeln«, warf er noch hinterher, als er sah das seine Söhne protestieren wollten. Sie blieben stumm. Er schickte seine Söhne fort, damit sie sich auf ihre Reise vorbereiten konnten.
Thelia, die draußen gewartet hatte, folgte Sharon zu seinem Gemach, nachdem er das Arbeitszimmer seines Vaters verlassen hatte. Dort angekommen wandte der Prinz sich ihr zu. »Du solltest ein paar Sachen einpacken Lia. Du wirst mich auf meiner Reise begleiten.«
»Ja, Herr«, lächelte die junge Lamia glücklich. Ihr ging jedes mal das Herz auf, wenn er sie bei ihrem Spitznamen nannte. Sie verneigte sich knapp und schlängelte sich zu ihrem Zimmer. Thelia freute sich schon darauf. In den vergangenen Monaten hatte sie sich immer mehr eingestehen müssen, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Jedoch machte sie sich keine Illusionen davon, das er ihre Gefühle erwidern könnte. Immerhin war er ein Prinz. Er konnte jede haben, die er wollte. Dennoch machte sich in ihr immer Eifersucht breit, wenn sie sah, wie irgendeine Dämonin sich ihm um den Hals warf. Aber sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Es war für Thelia schön, ihn eine Zeitlang mal nur für sich allein zu haben. Auch wenn sie ihn nur im geheimen anhimmeln konnte.
Doch mit der Vorfreude schwang auch ein unwohles Gefühl mit. Immerhin würde diese Reise auch gefährlich werden. Sie konnten sich nicht mal auf alle Bedrohungen einstellen, da keiner wusste, was sie erwarten würde. Das war wohl das gefährlichste daran. Es war eine Reise ins Ungewisse.
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