8| Botschaft aus dem Himmel

Gegenwart

Thelia hatte gerade ihr Training beendet und war nun in ihrem Zimmer um ihre Waffen abzulegen. Wie sie befürchtet hatte, hatte Prinz Sharon tatsächlich mit seinem Vater gesprochen, um ihr ein anderes Zimmer zu geben. Als wäre ihr der Umzug nicht schon unangenehm genug gewesen, hatte sich Luzifer auch noch bei ihr entschuldigt, dass ihm das nicht selbst aufgefallen, beziehungsweise in den Sinn gekommen war.

Nachdem sie alles abgelegt hatte, begab sie sich zu einer Kammer, unweit ihres Zimmers und holte ein paar Lappen, einen Besen und einen Eimer, den sie in einem Waschraum mit Wasser füllte. Anschließend schlängelte sie sich in den Thronsaal, um dort alles sauberzumachen. Einmal mehr war Thelia froh darüber vier Arme zu haben. Doch als sie sah, wer dort bereits auf sie wartete, sank ihre Laune. Die Seele, deren momentane Aufgabe es war sie bei ihrer Strafe zu beaufsichtigen. Eigentlich wurden sämtliche Säuberungen von Seelen erledigt, die meist wegen harmloseren Vergehen in der Hölle gelandet waren. Diese Seele, die ihr nun gegenüberstand, war zu ihren Lebzeiten eine Dämonin gewesen. Luzifer hatte dafür gesorgt, dass ihre Seele hier im Palast eingesperrt war. Denn sie hatte versucht seine Gefährtin Ninurta zu töten.

Thelia verabscheute die ehemalige Dämonin. Denn ihr war es nie sauber genug. Jeder noch so kleine Fleck oder Staubkorn wurde von ihr gefunden. Die junge Lamia wusste, dass sie sie damit nur schikanieren wollte. Während sie zuerst den Thron fein säuberlich polierte, beobachtete Luzifer sie. Er hatte sich in einer dunklen Ecke versteckt und verschmolz förmlich mit den Schatten.

»Sie gefällt dir«, ertönte eine Stimme hinter ihm. »Warst du schon mit ihr im Bett?«

»Verschone mich mit deiner Eifersucht, Ninurta«, gab Luzifer brummend zurück. »Und nein, ich habe nicht mit ihr geschlafen.«

»Aber du würdest gern, nicht wahr?«, es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme traurig klang.

Aber Luzifer schien dies nicht zu bemerken. »Auch wenn es dich nichts angeht, aber ich habe nicht diese Art von Interesse an ihr«, meinte er barsch und zog sie dabei etwas tiefer in den Gang hinein.

»Und ob es mich etwas angeht, immerhin bin ich deine Frau«, erwiderte Ninurta erbost. »Außerdem sehe ich doch, wie du sie ansiehst. Davon abgesehen habe ich dich mit ihr am Tag nach ihrer Ankunft auf dem Trainingsplatz gesehen. Die Szene war mehr als eindeutig. Also lüg mich nicht an.« Die schöne Dämonin wusste, wie sehr ihr Liebster Eifersuchtsanfälle hasste und dennoch konnte sie einfach nicht anders. Die Angst, er könne irgendwann genug von ihr haben, saß immer noch tief in ihr. Daran haben auch die letzten gut zweitausend Jahre ihrer Beziehung nichts geändert.

Wie vom Blitz getroffen stand Luzifer einen Moment wie erstarrt da. Ja, es gab einen intimen Augenblick. Aber das war nicht annährend das gewesen, wofür seine Gefährtin es hielt. Er wusste, dass Ninurta davon nichts ahnen konnte, aber er konnte trotzdem nicht die aufsteigende Wut unterdrücken, die bei ihren letzten Worten in ihm hoch kroch. Ehe er sich versah, drückte er sie grob gegen die Wand. Seine Hand legte sich bedrohlich um ihren Hals. »Du weißt ganz genau, dass ich dich niemals anlügen würde. Über jedes meiner Verhältnisse hast du Bescheid gewusst und mir dafür sogar Verständnis entgegengebracht. Und du weißt ebenfalls, dass ich schon seit über tausend fünfhundert Jahren keine andere Frau mehr im Bett hatte.«

»Wer es glaubt.« Drei simple Wörter so leicht dahingesagt. Wörter die Luzifer in diesem Augenblick zutiefst verletzten. Ninurta konnte den Schmerz in seinen Augen sehen und bereute es. Doch es war zu spät, sie konnte es nicht mehr zurücknehmen.

Seine dunklen Augen bohrten sich in ihre. Wieder einmal hatte sie das Gefühl sich darin zu verlieren. Doch seine dunkle Stimme holte sie in die Wirklichkeit zurück. »Verdammt Ninurta, du weißt genau, wie viel du mir bedeutest. Niemanden würde ich jemals so nah an mich heranlassen wie dich. Außerdem gibt es keine, bei der ich mich so vollkommen und ganz fühle wie bei dir.«

»Das meinst du ernst?«, fragte sie ihn mit großen Augen. Die Frage war jedoch überflüssig, denn sie sah die Aufrichtigkeit in seinen Augen.

»Wenn du mehr auf unseren Seelenbund vertrauen würdest, wüsstest du das.«

»Du hast also noch nicht genug von mir?« Die Art wie Ninurta dabei ihren Kopf leicht zur Seite legte, zauberte ihm ein kleines Lächeln auf die Lippen.

»Ich könnte nie genug von dir haben«, erklärte Luzifer ernst. »Aber wenn du weiter so eifersüchtig bist, überlege ich mir das vielleicht noch anders«, meinte er nun in einem strengen Tonfall und lächelte süffisant.

Sie boxte ihn nur leicht gegen die Schulter und schaute ihn gespielt böse an. Luzifer lachte darauf nur und nahm sie fest in den Arm. »Das ich vorhin so wütend geworden bin, tut mir leid«, flüsterte er ihr ins Ohr.

»Schon gut, ich weiß doch, wie impulsiv du bist. Aber ich weiß auch, dass du mich niemals verletzen würde.« Sie lächelte ihn an, ehe sie ihn zu sich herunter zog und ihre Lippen auf seine legte. Leidenschaftlich erwiderte er ihren Kuss. Zärtlich strichen seine Hände über ihren grazilen Körper. Seine Hand fand den Weg unter den Saum ihres kurzen dünnen Kleidchens. Erst als hinter ihnen ein Räuspern erklang, lösten sie sich widerwillig voneinander. Man hat hier auch nie seine Ruhe, dachte der König genervt.

Als er sich umdrehte, stand sein Erstgeborener vor ihm. »Können wir kurz reden?«, fragte Astaroth ihn.

Luzifer nickte und sie zogen sich gemeinsam zurück. Währenddessen schaute Ninurta zurück zu der jungen Lamia. Sie entdeckte Sharon bei ihr. Über was die Beiden redeten, konnte sie über die Entfernung nicht verstehen. Dafür fiel ihr das Verhalten von ihnen auf. Deswegen hat er also solches Interesse an ihr, dachte sie. Ein kleines Lächeln zauberte sich auf ihre Lippen.

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Einige Stunden später

Wütend stampfte Astaroth zur nächsten Seele. Wieso ist Vater nur so verdammt Stur?, fragte er sich. Seit Jahren schon bat der Prinz ihn immer wieder um Erlaubnis in die Welt der Menschen zu dürfen. Jedes Mal verbot er es ihm. Langsam aber sicher verlor Astaroth seine Geduld. Vor allem jetzt, da er wusste, dass sein jüngerer Bruder seine Gefährtin offenbar bereits gefunden hatte. Und Sharon schien dies nicht mal zu wissen, was ihn nur umso wütender machte.

Astaroth dagegen hatte sie noch nicht gefunden. Auch wenn er immer wieder behauptete, dass er seine Freiheit liebte, wünschte er sich nichts mehr, als sie zu finden. Zugeben würde er dies jedoch nie. Er hasste es, Schwäche zu zeigen. Nicht umsonst galt er als unnahbar und auch als grausam.

Die gesamte Unterwelt hatte er immer wieder bereist auf der Suche nach ihr. Manchmal fragte er sich, was wohl wäre, wenn seine Seelenverwandte keine Dämonin, sondern ein Engel oder ein schwacher Mensch wäre. Aber um das herauszufinden müsste er die Unterwelt verlassen. Doch leider tat sein Vater alles, um genau das zu verhindern. So wie es aussah, wird er es nie erfahren. Es war einfach nur frustrierend.

Während er seine Wut an der nächsten Seele ausließ, indem er ihr immer weiter Schmerzen zufügte, trat eine düstere Gestalt hinter ihm. »Wieder Streit mit deinem Vater gehabt?«, wollte er ohne Begrüßung mit seiner rauen Stimme wissen. Astaroth brummte darauf nur. »Dachte ich mir. Vermutlich wieder wegen deinem gewünschten Ausflug, nicht wahr?«

»Was willst du Azrael?«, fragte der Prinz genervt, ohne sich auch nur einmal umzudrehen.

»Kein, wie geht es dir Onkel? Oder wenigstens eine Umarmung zur Begrüßung?«, sprach der Erzengel des Todes mit einem Hauch Sarkasmus und schüttelte dabei den Kopf, ehe er seufzte. »Ich habe hier einen Brief für deinen Vater. Eigentlich wollte ich ihn Baal geben, aber da du gerade hier bist, kannst du ihn Luzifer sofort bringen.«

Nun drehte Astaroth sich doch zu seinem Onkel. Wie immer war er in schwarz gekleidet, weswegen er ihn trotz seiner guten Augen nur schemenhaft in dem dunklen Raum erkennen konnte. Doch die weiße Rolle, die der Engel in der Hand hielt, konnte er dafür umso besser sehen. Der Prinz nahm sie verwundert entgegen. »Das Material fühlt sich ganz anders an, als bei deinen anderen Botschaften.« Auch das goldene seidige Bändchen sah er zum ersten Mal.

»Das liegt daran, dass der Brief nicht von mir ist«, lachte Azrael. »Gabriel hat ihn geschrieben.«

»Gabriel?«, fragte der Prinz fassungslos nach. Das Nicken seines Onkels war die einzige Antwort. Kurz darauf war er auch schon wieder allein. Azrael war noch nie ein Mann der großen Worte gewesen.

Gedankenverloren verließ er die Zelle. Seine Wut war mit einem Mal verraucht. Soweit Astaroth wusste, hatte sein Vater seit seiner Verbannung nichts mehr von seinen Brüdern gehört. Von Neugier gepackt, teleportierte er sich auf direktem in den Palast seinen Vaters. Dort angekommen, suchte er nach ihm, bis er ihn schließlich in seinem Gemach fand.

»Hast du dich wieder beruhigt mein Sohn?«, fragte Luzifer ihn sofort, als er seine Präsenz spürte.

»Ein wenig, aber das ist nicht der Grund, warum ich hier bin.« Er überreichte seinem Vater die Schriftrolle.

Luzifers Augen weiteten sich. Er hatte das Papier sofort erkannt und strich fast schon zärtlich über das samtweiche Material. »Woher hast du das?«

Astaroth erklärte ihm, was in der Hölle vorgegangen war. Auch wer der Absender war, verschwieg er nicht. Gabriel also, grübelte Luzifer gedankenverloren. Sein Blick war fast schon enttäuscht. Er hatte gehofft, dass die Nachricht von Michael wäre. Dennoch war er gespannt darauf, was Gabriel von ihm wollte.

Der König setzte sich auf die Kante seines Bettes. Er entfernte das Seidenbändchen und rollte das Papier behutsam aus. Wie einen Schatz hielt er das Schriftstück in den Händen.

»Was sind das für komische Symbole?«, fragte Astaroth, nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte.

»Das ist die Schrift der Engel«, lächelte er seinen Sohn an. Niemals hätte Luzifer geglaubt diese noch einmal zu sehen. Interessiert fing er an zu lesen.

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Liebster Bruder,

verzeih mir bitte meinen viel zu späten Brief. Ich wusste nicht, ob du überhaupt noch etwas mit uns zu tun haben möchtest. Immerhin haben wir dich im entscheidenden Moment im Stich gelassen. Außerdem setzt unser Vater alles daran uns in jeglicher Hinsicht von dir fernzuhalten. Aber wie du siehst kann er nicht alles verhindern.

Vor kurzem habe ich dann von dem Dämon erfahren, den du in die Welt der Menschen geschickt hast, in der Hoffnung etwas über Michael zu erfahren. Daher schreibe ich dir diese Zeilen. Auch wenn ich weiß, dass dich das Folgende wütend oder gar traurig machen wird.

Michael hat sich sehr verändert. Er lässt niemanden mehr an sich heran und macht sich große Vorwürfe, weil er dich verbannt hat. Wir haben ihm gesagt, dass es nicht so ist, aber er wollte es nicht hören. Außerdem versucht er seit diesem Tag einen Weg zu dir zu finden, was, wie wir beide wissen, unmöglich ist. Ich vermute, im Grunde seines Herzens weiß Michael, das es vergebens ist. Vermutlich sucht er dennoch, da ihn die Schuldgefühle sonst verschlingen würden.

An keinem von uns sind die Ereignisse spurlos vorbei gegangen. Auch wenn du uns mit deiner Sturheit immer den letzten Nerv gekostet hast, fehlst du uns allen sehr. Mit Ausnahme von Raphael, der sich sehr über deinen Fall gefreut hat. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich ihn verabscheue.

Wir hätten gerne an deiner Seite gekämpft. Wenn wir wenigstens versucht hätten, Vater von seinem Vorhaben abzubringen, wäre die Last auf unseren Schultern vielleicht ganz so schwer. Ich würde gerne die Zeit zurückdrehen, aber weiß, welche Folgen das nach sich ziehen würde. Auch wenn ich das lieber persönlich tun würde, möchte ich dich an dieser Stelle vielmals um Verzeihung bitten.

Das du wenigstens Azrael ab und zu um dich hast, ist uns ein Trost, wenn auch nur ein kleiner. Er hat mir übrigens von deiner Heirat und deinen Söhnen erzählt. Dazu möchte ich dir gern gratulieren. Allerdings frage ich mich, warum du nun Herrscher über die Unterwelt bist. Du hast noch nie etwas ohne triftigen Grund getan, daher bin ich sehr neugierig darauf die Hintergründe zu erfahren. Ich hoffe sehr, bald von dir zu hören.

In Liebe, dein Bruder Gabriel

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Schmerz, Wut und ab und zu auch ein kleines Lächeln zeigte sich in Luzifers Gesicht, während er las. Wie in Trance saß er da und starrte nur den Brief an.
Immer und immer wieder las er ihn. Ein Kloß hatte sich in seinem Hals gebildet. Er hatte sich schon gedacht, dass es Michael schlecht gehen würde. Aber es schwarz auf weiß zu lesen, die Gewissheit zu haben, war etwas ganz anderes. Es schmerzte ihn tief in seiner Seele. Bilder der Vergangenheit strömten unaufhaltsam in seinen Verstand. Nur langsam fand er wieder in die Wirklichkeit zurück.

Sein Sohn hockte vor ihm und rüttelte an ihn. Allmählich sah Astaroth, dass die Augen seines Vaters wieder an Glanz gewannen. Erleichtert atmete er auf. »Du hast mir echt einen Schreck verpasst«, schimpfte er vorwurfsvoll mit Luzifer, als dieser ihn wieder direkt ansah.

»Entschuldige, ich war woanders«, murmelte der König.

»Ja Vater, das hab ich auch gemerkt. Was steht denn da?« Luzifer las den Inhalt vor. Während er sprach spürte er Wut auf Gott in sich aufsteigen. Auch wenn nichts von alledem passiert wäre, wenn er keinen Krieg angezettelt hätte, wusste er, dass das allein nicht an Michaels Zustand schuld war. Der König hatte keinen Zweifel daran, das die Verbannung die Gott beauftragt hatte, seinem Bruder den Rest gegeben hatte. Nie würde er verstehen, warum sein Vater gewollt hatte, dass Michael diese Aufgabe übernahm.

Wie schon so oft wünschte sich Luzifer für seinen Bruder da sein zu können. Er überlegte, ob er Gabriel wirklich antworten solle. Doch auch etwas anderes schwirrte ihm im Kopf herum. Eine Idee, die seinen Vater sicherlich erzürnen würde und er sich somit an ihm rächen könnte. Luzifer musste sich nur noch überlegen, wie er den Gedanken am Besten in die Tat umsetzte. Ein boshaftes Lächeln zeigte sich in seinen Zügen.

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