12| Rote Augen in der Dunkelheit
Noch vor Tagesanbruch brachen sie erneut auf. Sie würden noch über einen Tag brauchen, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Die Stimmung in der Kutsche war derweil ziemlich angespannt. Astaroth zeterte die ganze Zeit herum und beschwerte sich am laufenden Band, wie unbequem doch die Kutsche sei. Sharon verdrehte dabei nur die Augen. Vor nicht mal einer Stunde hatte er seinem Bruder schon erklärt, dass die Kutsche gestern und vorgestern auch nicht bequemer war. Da dieser Hinweis nur zu einer lautstarken Diskussion geführt hatte, hielt er nun lieber den Mund.
»Ist es nicht seltsam, dass wir noch keinen Düsterdrachen gesehen haben?«, fragte Thelia nach einer Weile. Düsterdrachen waren majestätische Wesen. Sie besaßen schwarze Schuppen, die nahezu undurchdringbar waren. Sie waren die mächtigsten Kreaturen der Unterwelt und galten als die Könige der Drachen. Eine Legende besagte, dass sie das Wissen aller drei Welten in sich trugen. Allerdings hatten sie auch einen miesen und überheblichen Charakter.
»Sei froh«, erwiderte Astaroth. »Die befinden sich momentan in der Brutzeit. Wenn hier einer herum fliegt, dann nur um Nahrung für den Nachwuchs zu suchen. Und ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich möchte nicht in einem ihrer Nester landen.« Darauf hatte auch Thelia keine Lust.
Sie wandte sich wieder dem Fenster zu. Draußen war nichts als triste Dunkelheit. Schwärze wohin man nur blickte. Doch dann glaubte die junge Lamia etwas rotes in einiger Entfernung zu sehen. Allerdings fuhr die Kutsche so schnell voran, dass sie es nicht genau erkannte. Angestrengt schaute Thelia weiter hinaus. Und da war es wieder. Zwei rote Punkte im Nichts. Dieses mal war sie sich sicher, dass es sich dabei um Augen handelten. Sie wollte es gerade den Anderen mitteilen, als immer mehr von diesen Augen auftauchten.
»Wir werden beobachtet«, erklang Dialens Stimme neben ihr düster.
Nun sahen auch die Prinzen nach draußen. »Das sind Barghests! Ob die uns angreifen wollen?«, wollte Sharon besorgt wissen.
»Keine Sorge, wenn die das vorhätten, säßen wir längst nicht mehr hier drin«, meinte Astaroth und lehnte sich entspannt wieder zurück.
Thelia schüttelte indes innerlich den Kopf. Wie konnte man im Anbetracht dieser Wesen nur so gelassen sein? Barghests waren große schwarze Dämonenhunde, die sehr stark und schnell waren. Zudem waren sie gegen Magie immun. Aber je länger sie die Augen ansah, musste sie sich eingestehen, dass Astaroth recht hatte. Sie machten nicht den Anschein, als wollten sie näher kommen. Oder warteten sie nur auf etwas um angreifen zu können? Innerlich blieb Lia angespannt, bis sie keine roten Augen mehr sah. Sie hatte nicht einen Barghest wirklich zu Gesicht bekommen. Nicht einmal die Konturen hatte sie Ausmachen können. Doch ihr war es auch ganz recht so. Die Augen hatten schon bedrohlich genug gewirkt.
Die weitere Reise verlief ruhig. Ein Stück ihres Weges führte sie am Wald der Qualen vorbei, in dessen Nähe sich auch das Höllentor befand. Thelias Augen weiteten sich, als sie das riesige schwarze Tor erblickte. Man erkannte darauf viele bizarre und auch grausame Szenen. Eine Warnung war auf halber Höhe in Ucada* eingraviert;
Xisi oi iz zeoxis esiaseoec uoiziz coa 'e uea'za'aiocis ziauis iz roc o'air sibis bi'eo'sis
(Jene die es wagen, unerlaubt dieses Tor zu durchschreiten, werden es mit ihrem Leben bezahlen)
Lia wusste, dass sich dahinter das Reich der Todesdämonen befand. Ein sagenumwobenes Volk, wusste doch niemand wirklich etwas über sie.
Am Abend schlugen sie ein Lager auf. Astaroth entzündete ein magisches Feuer, das einige Zentimeter über dem Boden schwebte und eine wohlige Wärme ausstrahlte. Währenddessen errichtete sein jüngerer Bruder ein Schutzschild um sie herum, welches Gusion mit seinen Schatten einhüllte. Er wollte nicht, dass sie von irgendwem gesehen wurden. Thelia hingegen setzte sich ans Feuer und breitete eine Spezialität aus ihrer Heimat zu, welches sie aus Kaberfleisch, lilafarbenen Beeren und rotbraunen Zucanen kochte. Nachdem sie gegessen hatte, rollte sie sich zusammen und schlief relativ schnell ein. Die anderen Dämonen hingegen brauchten keinen schlaf. Dennoch legten sie sich hin, um sich auszuruhen.
Vor allem Gusion freute sich über die Entspannung. Den ganzen Tag auf dem ungepolsterten Bock zu sitzen, war auch für einen Dämon kein Zuckerschlecken. Seine Glieder fühlten sich wie jedes mal an wie Blei und er glaubte jeden seiner Muskel zu spüren. Und davon hatte er nicht wenige.
Sie alle lagen seelenruhig da und ahnten nicht, was außerhalb der Schutzbarriere vor sich ging.
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Schwarze Pranken mit scharfen Krallen liefen lautlos durch die Düsterebene. Sie folgten der königlichen Kutsche. Immer darauf bedacht im Verborgenem zu bleiben. Weder die Prinzen, noch ihre drei Begleiter durften ihn bemerken. Was haben die vor?, fragte sich die Kreatur. Er hatte schnell erkannt, zu welchem Ziel die Kutsche unterwegs war und das war gefährlich. Nicht für ihn und sein Rudel, aber doch für die Reisenden. Fieberhaft überlegte der Barghest, was er tun sollte. Er konnte Luzifers Söhne nicht einfach ins Verderben rennen lassen. Aber um sie zu unterstützen, müsste er sich ihnen zeigen und das wollte er eigentlich vermeiden. Es reichte ihm schon, dass er sich einst dem König offenbart hatte. Doch wenn es nicht anders ging, war das halt so. Er konnte dann nur hoffen, dass sie sein Geheimnis für sich behielten. Diabolo war der älteste Barghest und konnte mit Dämonen über Gedanken kommunizieren. Das tat er jedoch für gewöhnlich nie. Wozu auch? Waren ihm Dämonen im Grunde genommen völlig egal. Abgesehen vom König wussten nur Belphegor, Baal und Gusion über sein Geheimnis bescheid.
Diabolo bemerkte, wie die Pferde langsamer wurden. Er zog sich zurück und verschwand in den Schatten. Der Barghest beobachtete, wie die fünf ein Lager aufschlugen. Er wunderte sich, als sich plötzlich Dunkelheit unter dem Schutzschild ausbreitete. Vorsichtig schlich er sich näher an die Gruppe heran, in der Hoffnung etwas über ihre Absichten zu erfahren. Aber trotz seiner guten Ohren war kein einziger Laut von ihnen zu hören. Also ging Diabolo wieder in Deckung.
Während er wartete, zog ein Drache am Himmel vorbei. Er war so dunkel, dass er mit den schwarzen Wolken über ihm verschmolz. Nur anhand der feinen silbernen Linien an den Flügeln und den Schuppen konnte Diabolo ihn erkennen. Denn trotz seiner guten Augen, konnte er die Umrisse des Düsterdrachen nicht sehen. Er machte sich auf einen eventuellen Angriff bereit.
Und dann geschah es. Mit einem Mal stürzte sich der Drache ihn Hoher Geschwindigkeit herab, direkt auf das Schutzschild der Reisenden zu. Diabolo sprintete sofort los. Ihm war klar, dass er gegen diesen mächtigen Drachen keine Chance hatte. Allerdings musste er ihn auch nicht besiegen, sondern lediglich dessen Aufmerksamkeit auf sich lenken. Was leichter gesagt war, als getan. Diese Wesen galten nämlich als sehr intelligent. Dazu kam, dass sie alles in sich vereinten wofür diese Welt stand. Sie waren grausam und eiskalt. Das Feuer, das sie spukten, war nicht rot und heiß wie bei den meisten anderen Drachen, sondern schwarz. Es töte seine Opfer binnen weniger Sekunden qualvoll. Selbst die Folter der Hölle sollten nichts im Vergleich zu diesen Qualen sein. Man nannte das Feuer dieser Drachen daher auch den Atem des Todes.
Nur noch wenige Meter von dem Drachen entfernt, stieß Diabolo sich mit seinen kräftigen Hinterläufen ab und sprang seinem vermeidlichen Gegner in die Seite. Zwar verletzte er den Drachen damit nicht, konnte damit aber bewirken, dass dieser gut zwei Meter neben seinem eigentlichen Ziel landete. Nicht viel, doch wenn man bedachte, dass das geflügelte Ungetüm um einiges größer als Diabolo war, war dies dennoch erstaunlich. Der Barghest landete auf seinen Pranken und ging sofort wieder in Angriffsstellung.
Der Drache lachte jedoch nur. Es war ein schauriges Lachen. 'Dachte ich es mir doch, dass ich dich so aus deinem Versteck locke', sprach der Drache ohne wirklich zu sprechen. Es waren nur seine Gedanken, die er hörbar nach außen trug. Der Barghest erkannte ihn als Azor. 'Keine Sorge, die können mich nicht hören', erzählte er weiter, als er Diabolos besorgten Blick Richtung Schutzschild bemerkte.
'Wieso? Was willst du von mir?', wollte der Barghest misstrauisch wissen.
'Im Gegensatz zu dir weiß ich, was diese Dämonen vorhaben. Aber ich mache dir aus deiner Unwissenheit keinen Vorwurf. Du bist nun mal weitaus minderwertiger als meines Gleichen..'
'Komm endlich zur Sache', unterbrach Diabolo ihn knurrend. Er hasste diese arrogante Art.
'Nun gut. Ich weiß, das Folgende wird dir nicht gefallen, aber ich erwarte, dass du diese Gehörnten begleitest und sie von unserem Brutplatz fernhälst', erklärte der Düsterdrache.
Diabolo gab missmutig sein Einverständnis. Dann teilte ihm der Drache noch etwas mit, dass Diabolo staunen ließ.
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Als Thelia erwachte, sah sie direkt in die tiefblauen Augen Sharons. Er hatte sich in der letzten Nacht zu ihr gelegt. Die Worte seines Bruders gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. War sie wirklich seine Gefährtin? Wenn er ihr, wie auch jetzt, in ihre smaragdgrünen Augen sah, überkam ihn der Wunsch sie in seine Arme zu ziehen und zu küssen. Es fiel ihm wahrlich schwer sich zu beherrschen. Vor allem, wenn ihm zum Überfluss auch noch ihr betörender Duft in die Nase stieg. Unbewusst leckte er sich über die Lippen. Doch Thelia hatte es gesehen. Eine seltsame Hitze stieg in ihr auf. Sie richtete sich auf, während er sich auf den Rücken rollte, um sie besser betrachten zu können. Ihre braunen Haare fielen ihr über die Schultern.
»Du bist wunderschön«, hauchte er ihr zu, was sie erröten ließ. Seine Hand legte sich sanft um ihren Nacken und zog sie zu sich herunter. Gleichzeitig kam Sharon mit seinen Lippen ihren näher.
Doch bevor er sie küssen konnte, wurden sie von Gusion unterbrochen. »Wir können weiter, wenn wir uns beeilen, sind wir in ungefähr vier Stunden da. «
Sharon fluchte innerlich. Am liebsten hätte er dem Schattendämon den Kopf abgerissen. Auch Thelia war wenig begeistert von der Unterbrechung. Wobei sie sich fragte, ob der Prinz sich nur mit ihr vergnügen wollte oder er sich in sie verliebt hatte. Letzteres konnte sie sich jedoch nicht vorstellen. Ersteres gefiel ihr aber auch nicht, wobei sie sich mit allem zufrieden geben würde, was er bereit war ihr zu geben.
Die Kutsche war nun wieder unterwegs. Gefolgt von zwei roten Augen, die niemand bemerkte. Gegen Mittag erreichten sie endlich ihr Ziel. Sie hielten vor einem silbernen Tor, dem Eingang zum Land der Prüfungen.
Ohne ihr zutun öffnete es sich. Eine Stimme, die weiblich und männlich zu gleich zu sein schien, hallte von jenseits des Tores zu ihnen;
»Tretet ein, nur keine Scheu.
Tretet ein und ebnet euch euren Weg.
Doch seid gewarnt, jeder Pfad birgt Gefahren,
Überwindet sie und empfangt Erkenntnis,
Verliert und ihr findet den Tod.«
Auf Thelias Haut breitete sich eine Gänsehaut aus. Die Gruppe durchschritt das Tor zu einer silbernen Plattform. Als sie darauf standen, tauchten vor ihnen drei extrem schmale Wege aus dem Nichts auf. Darunter befand sich ein tiefer Abgrund, an dessen Ende schmale Gesteinsgebilde befanden, die an spitze Speere erinnerten. Man brauchte nicht viel Fantasie um sich vorstellen zu können, dass man von diesen Gebilden aufgespießt wurde, sollte man abstürzen. Auf der anderen Seite sah man, dass hohe Seitenwände die jeweiligen Wege voneinander trennten.
Wie durch Zauberhand gingen alle, außer Thelia, zu Boden. Verdutzt sah sie die Dämonen der Reihe nach an. Sie verstand nicht, was hier vor sich ging. Ihr Blick fiel auf Sharon, der die Augen entsetzt aufgerissen hatte. Sofort lief sie zu ihm und kniete sich vor ihm hin. »Was habt Ihr Herr?«
Doch Sharon antwortete nicht. Er war wie betäubt. Den anderen schien es nicht besser zu gehen. Dialen fasste sich als Erster wieder. »Der Ort hier scheint uns unserer magischen Fähigkeiten beraubt zu haben.«
Zu Thelias Erleichterung stand nun auch Sharon wieder auf. »So schwach habe ich mich noch nie gefühlt.«
»Ein widerliches Gefühl«, pflichtete Astaroth ihm bei, woraufhin Gusion zustimmend nickte.
Auch wenn keiner es Aussprach, so wusste doch jeder, dass es nun umso schwieriger werden würde die Prüfungen zu schaffen. Wobei sie eigentlich noch immer nicht wussten, worin diese bestanden. Doch einfacher würde es ohne Magie sicher nicht. Wenigstens hatten sie im Vorfeld daran gedacht, Waffen mitzunehmen.
»Welchen Weg sollen wir nehmen?«, wollte Sharon nach einer Weile wissen.
Astaroth überlegte. »Am besten teilen wir uns auf. Ich würde sagen, dass du mit Thelia gehst, Gusion mit Dialen und ich geh allein.«
Sharon wollte dagegen auf gebären, doch Dialen kam ihm zuvor. »Auf keinen fall, ich lasse Euch nicht alleine gehen Herr.«
»Du hast zu tun was ich dir sage!«, herrschte Astaroth ihn an. Es entbrannte eine lautstarke Diskussion. Sharon war dafür Kontakt zu seinem Vater aufzunehmen, damit dieser ihnen noch einen Dämon hinterherschickt. Aber Astaroth war strikt dagegen. Während sie in ein Streitgespräch verfielen, erklang plötzlich eine Stimme in den Köpfen der beiden Prinzen.
Diabolo hatte sich unauffällig in ihre Nähe geschlichen. Aufmerksam lauschte er dem lauten Gespräch. Der Barghest erfuhr dadurch nun endlich den Grund, warum diese Dämonen hier war. Der schwarze Tempel also. Lange haderte er mit sich, aber schlussendlich entschied er sich, sich den Prinzen mitzuteilen. Zumal er es Azor ohnehin versprochen hatte. 'Ich kann euch helfen', sprach Diabolo in deren Gedanken.
Verdutzt sahen sich die Brüder um. Sie entdeckten den Schatten, in dem man nur die Augen sah. Auch die anderen drei bemerkten ihn und machten sich zum Angriff bereit. Astaroth bedeutete ihnen ruhig zu bleiben. Der Schatten löste sich auf und machte den Blick auf das pechschwarze Untier frei. Der Rücken des Barghest war so hoch wie Astaroth groß war. In seinem Maul zeigten sich lange spitze Zähne. Das Wesen konnte jeden Dämon mit einem Biss zerteilen, so kräftig waren die Kiefer. Auch die langen Krallen waren gefährliche Waffen. Wer ihnen zu nahe kam, wurde mit einem Ruck zerfetzt.
»Wer bist du?«, wollte Astaroth wissen.
Der Dämonenhund antwortete erneut über Gedanken. 'Diabolo, es freut mich, dass euer Vater auch vor euch mein Geheimnis bewahrt hat.'
Sharon meinte zu sehen, wie sich das Maul zu einem Lächeln verzog. Den Namen Diabolo hatten sie schon mal gehört. Doch ihr Vater hatte ihnen nur erzählt, dass er der Rudelführer der Barghests war und ihm im damaligen Krieg eine große Hilfe gewesen sein soll. Das dieses Ungetüm offensichtlich in die Gedanken anderer eindringen konnte, davon hatten sie bisher tatsächlich nichts gewusst. Diabolo bot sich Astaroth als Begleiter an. Doch der Prinz beschloss, dass Diabolo mit Gusion gehen solle und er nun doch mit Dialen gehen würde. Da niemand dagegen Einwände hatte, war es beschlossene Sache.
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*Wer den ersten Teil gelesen hat, wird es vielleicht noch wissen. Aber trotzdem erkläre ich es an dieser Stelle noch mal kurz;
Ucada ist die Sprache, die jeder Dämon sprechen kann, da sie die Sprache der Göttin Sartana ist ;)
(Ich weiß, ist wahrscheinlich ein bisschen schwierig in der Aussprache xD)
Zum Abschluss noch eine kleine Bemerkung zu den Folgenden Kapiteln. Es wird von nun an etwas dramatischer und auch blutiger, was man sich vielleicht schon denken kann.
Ich wünsche euch trotzdem noch viel Spaß beim weiterlesen. Wenn ihr irgendwelche Fragen haben solltet, könnt ihr mir die gern stellen :)
Lg, eure Denise S. Winter
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