Noch ein Mal (nicht) schlafen (2)
Edres war schon wach. Schon seit Stunden. So kurz vor der Klassenfahrt war an Schlaf nicht zu denken. Natürlich hatte sie den Brief nicht gelesen, das tat niemand, aber sie war dennoch unheimlich nervös. Fräulein Alevtina, die ambitionierte Klassenlehrerin der 8b, machte, seit die Reise angekündigt worden war, Anmerkungen darüber, wo es wohl hingehen könnte.
Edres, stehts bestrebt auf alle Gefahren vorbereitet zu sein, hatte emsig versucht herauszufinden wo das war. Leider waren die Kommentare, die Edres Mutter, die den Brief gelesen hatte, machte und die der Lehrerin grundverschieden bis widersprüchlich.
Alevtina propagierte einen unglaublichen Ort, voller Wunder und Spaß, während Edres Mutter sie ganze 17 mal daran erinnert hatte ihren Regenmantel und saubere Bettwäsche mitzunehmen. Ein gamz wundervoller Ort würde ja wohl Bettwäsche haben!
Zwar produzierte Edres paranoides Gehirn auf Grund dieses Wiederspruchs regelmäßig Bilder von grässlichen, blutigen, feuchten Kerkern unter schicken Palästen und Schlössern, aber selbst das konnte ihrer Vorfreude keinen Einhalt gebieten. Die junge Dämonin liebte die Klassenfahrten aogar noch mehr, als sie sie fürchtete.
Edres hatte den großen Gardenrucksack ihres Vaters und einen Koffer gepackt. Die Erddämonin war sich recht sicher, dass sie alles wichtige dabei hatte.
Glücklicherweise hatte sie die alten Feld-sofort-Kits gefunden, die ihr Vater bekommen hatte, falls er im Einsatz für die Schattengarde verletzt worden wäre. Und die würde Edres sehr wohl mitnehmen. Wer mit Marianne befreundet war, der musste immer mit Verletzungen rechnen.
Und ws war ja nicht so, als würde ihr Vater die Kits im Grab noch brauchen...
Edres schob den Gedanken bei Seite und öffnete ihren Rucksack, um noch einmal ihr Gepäck zu prüfen. Nicht, dass sie doch noch etwas vergessen hatte. Das wäre eine Katastrophe. Eine gewaltige! Es sah zum Glück aber nicht danach aus.
Nervös peitschte ihr Schwanz hin und her. Edres sah auf ihr Aulaeum. Noch drei Stunden bis sie los musste, um rechtzeitig in der Schule zu sein. Vielleicht sollte sie sich schon einmal anziehen. Sie wollte ja nicht zu spät kommen. Das wäre ja schrecklich. Zu spät zur Klassenfahrt! Die würden sie zurück lassen!
Eilig griff sich Edres ein Tank-top und eine Weste, falls es kalt werden sollte. Sie streifte sich ihre Hose mit den meisten Taschen über und faltete den Schlafanzug fein säuberlich auf dem gemachten Bett.
"Du musst dein Zimmer immer so hinterlassen, dass du dich nicht schämen musst, falls du nicht lebend wieder kommst und deine trauernden Freunde es während der Leichenschau sehen, meine Beere.", hatte ihr Paps einmal gesagt. Damals, vor dem Krieg, vor der Häscherin. Damals, als er noch gelebt hatte. Es war mittlerweile über ein Jahr her.
Edres schniefte und griff sich den Helm ihres Vaters vom Nachttisch. Sie vermisste ihn. Und wie sie ihn vermisste. Es war nicht fair, dass die Häscherin ihr ihren Paps genommen hatte. Es war nicht fair, dass sie die Leiche nicht hatte sehen dürfen, weil sie so übel zugerichtet worden war.
Es war nicht fair, dass Edres sich dennoch in das Zimmer geschlichen hatte, in dem ihre Mutter ihn zur Leichenschau aufgebahrt hatte und immer noch Alpträume davon hatte ihn so zu sehen.
Das Gesicht verzerrt vor Schmerz und Schock, der Brustkorb, unter dem Leichenhemd, aufgerissen und leer, dort wo die Häscherin mit Kaltschlächter, dem Schwertgewehr, zugeschlagen hatte.
Edres drückte den Helm enger an sich und strich über das kalte Metall. Sie war nicht so ängstlich gewesen, als er noch gelebt hatte.
Sie wusste das.
Marianne wusste das.
Aber sie taten so, als wäre es anders. Marianne machte Witze über Edres Angst, als wäre sie schon immer so gewesen. Edres war ihr dankbar dafür. Lachen, Abenteuer und wahnsinnige Ideen halfen an etwas anderes zu denken als den toten, zerfetzten Körper ihres Vaters, dessen milchige Augen an ihr vorbei gestarrt hatten.
Mit klammen Fingern packte Edres den Helm in ihren Rucksack, neben ihre Hanteln. Trainiert hatte sie tatsächlich schon immer. Früher mit ihrem Paps zusammen, jetzt alleine. Sie schniefte erneut und wischte sich die Augen.
"Edres, Kleines, du bist doch nicht etwa schon wach?"
Edres zuckte zusammen. Ihre Mutter war wach.
Verdammt.
"Bin nur schon ein bisschen aufgeregt!", rief Edres und versuchte das Beben aus ihrer Stimme zu verbannen. Ihre Mutter bemerkte es trotzdem.
Verdammt.
Die grüne Türe, vor Edres Zimmer schwang zur Seite und Dansr, ihre Mutter, schlüpfte hinein.
"Geht es dir gut, mein Steinchen?", fragte sie und setzte sich neben Edres aufs Bett.
Die junge Dämonin biss sich auf die innenseite der Wange. Sie musste ihre Mama ja nicht auch noch traurig machen. Dansr war selbst genug vom Tod ihres Partners betroffen. "Ja, alles super. Ich bin sicher das wird lustig", antwortete Edres und schenkte ihrer Mutter ein überhaupt nicht überzeugendes Lächeln.
Dansr konnte das offenbar nicht täuschen. Mit einem müden Lächeln strich sie Edres über eines der glänzenden Hörner.
"Es ist das erste Mal Klassenfahrt ohne... bei der es nur wir zwei sind, hm?", murmelte sie. Edres nickte, bemüht die Tränen zurück zu kämpfen.
"Dein Paps wäre bestimmt begeistert gewesen, von dem tollen Abenteuer das jetzt vor dir liegt. Er wird sich sehr freuen, wenn du die nächste Woche Spaß mit deinen Freunden hast", flüsterte Dansr und drückte ihre Tochter fest an sich, "Und wenn du nachts aus dem Fenster schaust, dann kannst du die Monde sehen, hinter denen Ugdapaz liegt, und da schaut er zu dir runter und freut sich jedes mal, wenn du lachst." Edres nickte, ihre Augen brannten. "Ich weiß", flüsterte sie.
"Haben du und Marianne schon Pläne?", fragte die große Dämonin und wuschelte ihrer Tochter aufmunternd durch das Gras auf ihrem Kopf. Ein müdes Lächeln lag auf ihren Lippen. "Naja. Offiziell nicht.", murmelte Edres und fummelte am Träger des Rucksacks herum. Dansr zog die moosigen Augenbrauen nach oben. "Und inoffiziell? Da ist doch bestimmt wieder irgendein Schabernack im Busch", haakte sie neckend nach.
Edres zuckte mit den muskelbepackten Schultern."Naja, Ellelib hat uns an diesen Beamten von Nebel verpfiffen. Ich habe das Gefühl das Marianne ihm diese Klassenfahrt gehörig ruinieren wird."
"Oje. Das ist doch Generalleutnant Lohe-Kärbes Sohn, oder? Wollt ihr euch wirklich mit dem anlegen?", fragte Dansr besorgt. Edres schnaubte verächtlich und ließ ihre beeindruckenden Bizepse tanzen. "Ellelib ist ein Waschlappen. Mit dem ist Marianne auf der Erde fertig geworden, nachdem sie in eine Wand gekracht ist. Der trainiert nicht mit seiner Mutter, garantiert nicht", erklärte sie.
Dansr sah überrascht drein. "Selztsam. Als ich mit ihr gesprochen habe, wirkte sie sehr diszipliniert", murmelte die Erddämonin.
Edres Vater war Major gewesen und hatte die Generalleutnant gut gekannt. "Diszipliniert ist der Ellelib schon, aber Körperkraft hat er kein bisschen. Der schwitzt schon, wenn er seinen Schulrucksack zu lange trägt.", versuchte sich Edres an einem Scherz. Ihre Mutter hatte schließlich recht: sie würde ihren Vater nicht glücklich machen, wenn sie sich von seinem Tod den Spaß verderben ließ.
Major Umshmu hatte es geliebt seine Familie lachen und herumalbern zu sehen. Anders als seine Vorgesetzte war er, sobald er von der Garde heim kam, überhaupt nicht mehr streng und diszipliniert gewesen.
"Na dann wird er wohl keine Chance haben", pflichtete Dansr ihrer Tochter bei, "Und dieser Copper? Seid ihr such noch hinter dem her?"
Edres schüttelte den Kopf. "Nein, Copper hat den Preis für seinen hinterhältigen Diebstahl des Handys gezahlt", erklärte sie mit dem Anflug eines Grinsens auf dem Gesicht. Vermutlich hatten Edres und Marianne den Metalldämon sogar etwas mehr gegeiselt, als er sie. Da hatte die Tatsache, dass Copper übermäßig in Edres verschossen war, und fast genauso viel Angst vor ihr hatte, sicher bei geholfen, dass er sich nicht gewehrt hatte.
"Mams, kann ich Schluff wirklich nicht mitnehmen?", fragte Edres plötzlich und sah ihre Mutter mit großen, grün leuchtenden Augen an. Die schüttelte energisch den Kopf. "Kommt gar nicht in Frage! Schluff würde sich auf..."
Eilig hielt sich die junge Dämonin die Ohren zu. "Nicht verraten!", quiekte sie entsetzt. Mit einem überdramatischen Augenrollen nickte Dansr. Vorsichtig, fast schon misstrauisch nahm Edres ihre Klauen wieder runter.
"Schluff kommt nicht mit auf die Klassenfahrt. Das wäre nicht gut für ihn. Aber ich schwöre dir hoch und heilig, bei dem Wasser in den Sümpfen und der Ehre der Monde, dass ich mich gut um ihn kümmern werde", stellte die Erwachsene Dämonin klar und verschrenkte ihre erdigen Arme vor der Brust.
Schluff war Edres Haustier. Er war ein Huio, ein schlammiges, kleines Geschöpf, das in den Mooren von Muds heimisch war und sich von modrigen Pflanzen ernährte. Er hatte ungefähr die Größe einea Tellers, was etwas groß für einen Huio war und darauf zurückgeführt werden konnte, dass Edres ihn fleißig fütterte.
"Aber er wird mich schrecklich vermissen!", jaulte Edres und klammerte sich an den Arm ihrer Mutter. "Er wird sich dafür umso mehr freuen, wenn du zurück kommst. Und wenn wir schon über Schluff reden: Da du sowieso nicht schläfst kannst du vor deiner Klassenfahrt noch schnell sein Gehege ausmisten, oder? Das wolltest du schon seit zwei Tagen machen.
Edres Schwanz wickelte sich entsetzt um ihr Bein. "Aber..."
"Komm schon, Edres, noch drei Stunden! Das schaffst du!"
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