Verantwortung

Bereits als sich seine Tür öffnete, wusste er, dass etwas nicht stimmte. Es war mitten in der Nacht und im Wohnheim der Lehrer war es totenstill. Nur ab und an war das Schnarchen eines Kollegen durch die dünnen Wände zu hören, was den Schwarzhaarigen allerdings noch nie gestört hatte, da er für gewöhnlich einen durchaus festen Schlaf hatte, wenn er endlich einschlief. Doch das leise Öffnen seiner Zimmertüre veranlasste ihn dazu, seine Augen aufzuschlagen, und gab ihm das Gefühl, sofort hellwach sein zu müssen. Für einen Helden war es unbedingt von Nöten schnell aufzuwachen und voll funktionsfähig zu sein, schließlich waren manchmal schon Sekunden entscheidend, die man nicht vergeuden sollte. Vor allem wenn nächtliche Bedrohung nahte und man schutzlos im Bett lag.

Aufmerksam lauschte er, um herauszufinden, wer sich nachts in sein Zimmer wagte. Hizashi konnte es auf keinen Fall sein, da er sein lautes Schnarchen aus dem Raum neben ihm deutlich durch die Wand hören konnte. So eine Macke wie seine war wirklich sehr nervig. Was sollte der Blonde überhaupt um seine Uhrzeit von ihm wollen? Aus dem Alter fürs Streiche spielen waren die beiden auch deutlich raus. Außer er hatte es mal wieder mit dem Trinken übertrieben und sich an der Tür geirrt, was seit dem Einzug ins Wohnheim tatsächlich schon ein paar Mal passiert war. Aber gerade betrunken war der Voicehero noch lauter und ungeschickter als sonst unterwegs.

Langsam näherte sich jemand seinem Bett. Die Schritte klangen unsicher, und darauf bedacht möglichst leise zu sein. Nur zu dumm, dass er mit dem Rücken zur Tür lag. Ein Fehler, der ihm in brenzligen Situationen teuer zu stehen kommen könnte. Jede Faser seines Körpers spannten sich immer mehr an, bereit einen Angriff abzuwehren, und zuzuschlagen, sobald sich die Möglichkeit bieten mochte. Nichts war unheldenhafter als in seinem eigenen Bett wehrlos im Schlaf ermordet zu werden. Shota Aizawa war zwar dafür bekannt, an den unmöglichsten Orten in seinem Schlafsack schlafend angetroffen zu werden, allerdings wusste auch jeder, dass er sofort hellwach werden konnte, wenn es nötig war. Ein Angriff um diese Uhrzeit war also sehr unbedacht.

Überraschenderweise war es jedoch kein Angreifer, der sich ihm genähert hatte. Seine Decke wurde vorsichtig beiseitegeschoben und ein kleiner Körper kuschelte sich plötzlich an ihn. Augenblicklich entspannte er sich ein bisschen und wandte sich um. „Eri?", fragte er leise und ein bisschen verwundert über den nächtlichen Besuch des kleinen Mädchens. „Darf ich hierbleiben?", bat sie flüsternd und schniefte ein wenig. Ob sie einen Albtraum gehabt hatte? Eigentlich war Shota kein Fan davon, wenn ihm jemand so auf die Pelle rückte, aber für das Kind machte er eine Ausnahme. „Ausnahmsweise." Er konnte spüren, wie eine Anspannung von Eri abfiel. Das Mädchen hatte es bisher nicht leicht gehabt, und das obwohl sie noch sehr jung war, da musste er jetzt nicht auch noch abweisend auf ihre Bitte reagieren.

Bisher wusste Shota auch gar nicht, was ihn dazu bewogen hatte, sich um ein fremdes Kind zu kümmern. Vielleicht war es ihre tragische Geschichte, oder die Tatsache, dass er der einzige war, der bei einem erneuten Ausbruch ihrer Kräfte dafür sorgen konnte, dass nichts Schlimmes passierte. Tatsächlich fühlte er sich verantwortlich für das kleine Mädchen, mit den blaugrauen Haaren, und er konnte es sich einfach nicht erklären, weswegen. Gerade er, wo er vor all den Jahren nicht einmal eine Katze aufnehmen wollte, die im Regen saß. Es war ihm einfach ein Rätsel.

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Der Schlaf, der die beiden übermannte, war nicht von langer Dauer. Zum einen konnte Aizawa ohnehin kaum seine Gedanken abschalten und zur Ruhe kommen, und zum anderen begann Eri plötzlich zu zittern. Alarmiert, und bereit seine Macke einzusetzen, setzte er sich im Bett auf und machte die kleine Lampe neben seinem Bett an, um besser sehen zu können. Vielleicht löste ein Albtraum ja ihre Macke aus.

Das kleine Mädchen zitterte am gesamten Körper, was jedoch nicht an ihrer Macke lag, wie er feststellen musste. Ihr Gesicht war vollkommen bleich, und dennoch schienen die Wangen zu glühen. Die Stirn, die Shota vorsichtig berührte, schien ebenso viel zu viel Wärme abzugeben. Das war also der Grund, dass das Kind in sein Zimmer getrieben hatte: Sie hatte sich nicht wohl gefühlt und suchte vermutlich nach Geborgenheit und Hilfe.

„Eri", sagte er sanft, während er sachte an ihrer Schulter rüttelte, um sie zu wecken. Sie schien einen Fieberalbtraum zu haben, was an sich schon etwas sehr Unangenehmes war, aber er wollte nicht riskieren, dass es sie triggerte, und sie dadurch doch noch ihre Kräfte freisetzte. Schließlich wussten sie noch immer nicht, was ihre Kräfte aktivieren konnte und wie sie diese kontrollieren konnte. Seufzend stellte er fest, dass ihr Schlafanzug komplett durchgeschwitzt war. Wieso war ihm das nur entgangen, wo er doch direkt neben ihr gelegen hatte? Sogar das Laken war feucht.

Ein leises Wimmern, gefolgt von einem Schniefen, erklangen aus dem Mund des Mädchens, als sie flatternd die Augen aufschlug. „Mir geht es nicht so gut", murmelte sie leise und klammerte sich hilfesuchend an Shotas Schlafshirt. Tatsächlich wirkte sie plötzlich ziemlich grün um die Nase. Schnell hob er sie hoch und eilte mit ihr zu der Toilette am Flur. Gerade noch rechtzeitig. Es war ein unschöner Anblick, dennoch blieb er bei ihr und hielt ihre Haare am Hinterkopf zusammen, damit sie nicht schmutzig wurden und strich ihr sachte über den Rücken.

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So verbrachten die beiden die restliche Nacht zwischen Bett und Toilette. Zweimal half er ihr in einen neuen Schlafanzug und wiegte sie in den Schlaf, der nicht lange andauerte, bis das ganze Spiel wieder von vorne losging. Als die Sonne durch das schmale Fenster fiel, seufzte der Schwarzhaarige und griff nach seinem Smartphone. Schon die ganze Nacht hatte er darüber nachgedacht, Chiyo anzurufen, doch er hatte sich immer dagegen entschieden, weil er sie nicht aus dem Schlaf reißen wollte. Nun sollte es allerdings endlich eine annehmbare Zeit sein, um die alte Frau zu kontaktieren. Also verließ er kurzerhand sein Zimmer, da Eri endlich eingeschlafen schien, und er sie nicht wieder wecken wollte.

„Shota, schon wach? Du siehst allerdings nicht so aus, als ob du geschlafen hättest." Als Aizawa aufsah, blickte er in Hizashis viel zu gut gelaunte Miene, die er so früh morgens schon ausgeschlafen nur schwer ertragen konnte. „Wobei du ja immer irgendwie so aussiehst, als wärst du verdammt müde und als ob dich jemand ausgekotzt hätte", fügte der Voicehero noch an und zwinkerte grinsend. Natürlich wusste Yamada, dass solche Bemerkungen um so eine Uhrzeit einem Todesurteil gleich kommen konnten, vor allem wenn er keinen Kaffee zur Versöhnung parat hatte. „Halt doch die Klappe", murrte Shota gewohnt mürrisch, „Eri ist krank. Sie kam mitten in der Nacht in mein Zimmer, und seither bin ich ständig beschäftigt, weil sie sich übergeben muss und alles durchschwitzt."

Natürlich klappte der Mund des blonden Helden auf und erreichte fast den Boden, so erstaunt war er. „You're kidding, right?" Nicht einmal der tödlichste aller Blicke, den Aizawa parat hatte, konnte Hizashi davon abhalten breit zu grinsen. „Kannst du bitte einfach meine Unterrichtsstunden heute übernehmen, damit ich mich um die Kleine kümmern kann?", bat der Dunkelhaarige, ohne auf die dummen Sticheleien einzugehen. „Natürlich Kumpel! No Problemo." Shota wusste jetzt schon, dass den Schülern der zusätzliche Englischunterricht gehörig gegen den Strich gehen würde, aber er wollte und konnte Eri in diesem Zustand einfach nicht alleine lassen.

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Glücklicherweise nahm die alte Frau gleich ab, nachdem er ihre Nummer gewählt hatte, und war kurz darauf auch schon im Lehrerwohnheim um nach Eri zu sehen. „Sie hat eine Grippe. Wir müssen nur das Fieber senken, dann ist das Schlimmste überstanden", erklärte Recovery Girl und strich sachte über den Haarschopf des Mädchens, während sie Shota noch weitere Anweisungen gab, was neben der Medizin noch helfen könnte. Irgendwie fühlte er sich bereits mehr wie ein Krankenpfleger, als ein Pro Hero, doch es gehörte wohl auch zum Job eines Lehrers, sich um kranke Kinder zu kümmern, auch wenn ihm im ersten Moment alles ein bisschen überforderte.

Nachdem die Alte gegangen war, und Eri nach der Untersuchung wieder eingedöst war, machte sich Aizawa auf in die Küche, um sich selbst endlich Kaffee zu kochen und für das kranke Kind Tee aufzusetzen. Außerdem hatte Chiyo noch von anderen Dingen gesprochen, die helfen würden. Eigentlich schade, dass man die Grippe nicht mit einem ihrer berühmten Küsschen kurieren konnte, dann musste Eri nicht weiter leiden. Irgendwie tat ihm das Kind fürchterlich leid. Eine Grippe war wirklich das Letzte, was sie nach all ihren Strapazen verdient hatte.

Seine erste Tasse Kaffee leerte er in einem Zug, doch es vertrieb die Müdigkeit nicht wirklich. Für gewöhnlich brauchte er auch an normalen Tagen mindestens drei Tassen, um überhaupt ansprechbar zu werden und unterrichten zu können, also goss er sich gleich die nächste Tasse ein, ließ sie jedoch in der Küche stehen, während er mit dem Tee und einer Schüssel mit kaltem Wasser in sein Zimmer zurückkehrte. Vorsichtig begann er die schweißbedeckte Stirn des Mädchens mit einem Lappen abzutupfen, und unterdrückten ein Seufzen.

Seit Eri auf dem Schulgelände lebte, hatte sie sich ziemlich gewandelt. Aus dem scheuen und verschreckten Mädchen war ein aufgewecktes und durchaus sehr fröhlich gestimmtes Kind geworden. Natürlich kam es immer noch vor, dass sie schüchtern auf jemanden oder etwas Neues reagierte, und dass sie durchaus gewissen Dingen noch skeptisch gegenüberstand, aber für den Anfang war es schon ein sehr positiver Wandel. Darüber freute Aizawa sich wirklich sehr, schließlich hatte ein Kind es nicht verdient, gequält zu werden und ständig in Angst leben zu müssen. So jung schon ständig mit dem Tod konfrontiert zu werden, war einfach grausam und das hatte sie nicht verdient. Wie sollte sie nur jemals damit fertig werden können? Selbst Shota war nie wirklich über den Tod eines geliebten Menschen hinweggekommen, und dabei war er gut zehn Jahre älter gewesen als Eri jetzt. Im Grunde genommen verfolgte ihn die Sache heute noch.

Als er drohte in den Gedanken abzudriften, begann das Mädchen zu wimmern und zittern. Sofort war der Dunkelhaarige bei ihr, um sie in den Arm zu nehmen. „Es ist nur ein Traum. Alles wird gut. Ich bin ja da", flüsterte er beruhigend auf sie ein und war im nächsten Augenblick auch ziemlich froh darüber, dass momentan kaum ein anderer Lehrer im Wohnheim war. Am Ende würde sich noch rumsprechen, dass er nicht nur ziemlich gut mit Kindern konnte, sondern auch noch, dass er All Mights Spruch zweckentfremdete. Obwohl ihm erst jetzt so richtig die Bedeutung dieser Worte bewusst wurden.

Die gewünschte Wirkung hatten sie auf jeden Fall. Das Zittern hörte auf, während Eri sich fest an Shotas Oberkörper schmiegte. Sie suchte seine Nähe, und Geborgenheit, was Shota eindeutig auf die Grippe schob. Wieso sonst sollte sich jemand so an ihn klammern? Für gewöhnlich machten Kinder einen Bogen um ihn, weil er immer so grimmig aussah. Nur Eri schien bisher immer mehr Bezug zu ihm aufzubauen, als zu den anderen Erwachsenen im Wohnheim. Sogar wen Mirio und Izuku sie abholen wollten, fragte sie zuerst artig Aizawa um Erlaubnis. Sachte drückte er sie an sich, um sie weiter zu beruhigen, auch wenn er für gewöhnlich kein Mensch war, der Nähe zu anderen suchte oder Umarmungen mochte.

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„Hey, Shota, ich hab Suppe für Eri gekocht und du solltest auch was essen. Shota, hörst du mich?" Ungeduldig piekte ihn jemand immer wieder in die Rippen, bis er schließlich leise grummelte, genervt die Augen aufschlug und in das Gesicht von Nemuri blickte, die ihm eine Schüssel entgegenstreckte. Scheinbar waren sowohl Aizawa, als auch Eri eingeschlafen und hatten die Zeit vergessen. Zumindest hatte er das Gefühl, dass der Schultag schon vorbei war. „Ich hab keinen Hunger", murrte er seine Kollegin an und weckte sachte das Mädchen, das sich fest an ihn gekuschelt hatte, damit sie etwas zu sich nehmen konnte. Anscheinend hatte Hizashi überall herumerzählt, dass sich Shota um das Kind kümmerte.

„Oh, ihr beiden seht so süß aus! Ich habe ein paar Bilder geschossen! Die schick ich dir nachher", versicherte Midnight zwinkernd und hielt dem Mädchen sanft lächelnd die Suppe hin, „hier, damit du wieder zu Kräften kommst. Wie geht es dir denn?"

Schüchtern sah Eri auf, und rieb sich die Augen. Sie schien einen kurzen Augenblick nachzudenken, ehe sie vorsichtig nach der Schüssel griff und ein paar Löffel davon zu sich nahm. „Es geht mir besser", antwortete sie nach ein paar weiteren Löffel. Man konnte ihr deutlich ansehen, dass der Schlaf und die Medizin sehr gut gewirkt hatten und das Fieber etwas gesenkt hatten. Aizawa war erleichtert, das war ein gutes Zeichen und er fühlte sich nicht mehr ganz so hilflos wie heute Nacht, als er das Gefühl hatte, dass er ihr keine große Hilfe war.

Langsam rutschte er zur Bettkante und wollte aufstehen, um seine Kaffeetasse zu holen, die hoffentlich noch in der Küche herumstand, doch Eri griff schnell nach dem Zipfel seines T-Shirts und hielt ihn fest. „Aber noch nicht wieder ganz gut. Bitte ..." Shota hielt überrascht inne und sah zu ihr hinab. Dachte sie denn, er würde nun verschwinden, nur weil sie wieder fast gesund war? „Keine Sorge, ich hole nur etwas aus der Küche, und komme dann wieder. Tante Nemuri passt auf dich auf", versicherte er ihr und strich ihr sachte über den Haaransatz. Ohne groß darüber nachzudenken, setzte er einen leichten Kuss auf ihre Stirn, ehe er den Raum verließ. Dass breite Grinsen von Midnight und ihr leises quietschen, bekam er zum Glück gar nicht mit.

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„Du siehst immer noch beschissen aus. Ich dachte Eri wäre krank?", begrüßte Hizashi den Dunkelhaarigen in der Küche. Glücklicherweise befand sich sein Kaffee noch genau da, wo er ihn vor Stunden vergessen hatte. Als ob es ein notwendiges Lebenselixier wäre, umklammerte Shota die Tasse und nahm einen großen Schluck, obwohl der Inhalt eiskalt war. „Übrigens: Nemuri hat die Bilder an alle im Lehrerkollegium geschickt. Ein Kind steht dir", fuhr Yamada zu seinem Leidwesen fort und bereute seine Worte schon bald, als sein Kumpel ihm den Kaffee ins Gesicht spuckte. Das hatte Nemuri nicht allen Ernstes wirklich getan?

„Aye, uncool!", motzte der Blonde und wischte sich die braune Brühe aus dem Gesicht, „ist ja nichts dabei, wenn die Kleine dich mag. Du bist doch sowieso schon irgendwie ihr Erziehungsberechtigter oder? No need mir ins Gesicht zu spucken!" Natürlich hatte man ihm die Aufgabe übertragen, was aber nicht hieß, dass er sich deswegen gleich zum Vater machen ließ. Ein Kind war eine große Verantwortung. Viel zu groß. Und somit definitiv nichts für ihn.

Seine Gedanken schweiften ab, und er musste an das Kätzchen denken, dass er damals nicht hatte retten können. Natürlich waren Katzen und Kinder nicht zu vergleichen, aber beides bedeutete eine Menge Verantwortung. Man musste sich ständig darum kümmern und es erziehen und großziehen. Wenn er bisher nicht einmal bereit gewesen war, sich um eine Katze zu kümmern, wie sollte er es dann bei einem Kind schaffen? Er hatte sich eigentlich nur dafür gemeldet, sich um Eri zu kümmern, weil er aufgrund seiner Macke am geeignetsten dafür war und war davon ausgegangen, dass diese Übereinkunft nur auf Zeit war, solange sie ihre Kräfte nicht kontrollieren konnte.

Eigentlich wollte er gar nicht wirklich über solche Dinge nachdenken. Stattdessen vergrub er sein Gesicht hinter der Tasse und nahm erneut einen Schluck, Yamada warnend ansehend, damit dieser ja seine laute Klappe hielt, wenn er nicht noch einmal gebadet werden wollte. „Ich mein ja nur. Eri ist hier gut aufgehoben und braucht Halt. Du kümmerst dich gut um sie." Hizashi konnte es einfach nicht lassen. Doch er erkannte, dass es keinen Sinn hatte, weiter auf seinen Freund einzureden, weswegen er es dabei beließ und ihm einen Teller entgegen schob. „Apropos ... Kaffee ist kein Essen, und du solltest endlich etwas Vernünftiges zu dir nehmen. Sofort!" Shota seufzte und griff nach einer Gabel. Er kannte Yamada lange genug um zu wissen, dass er ihn, wenn er nicht zumindest ein paar Bissen aß, mit dem Teller durchs gesamte Wohnheim jagen würde. Aus diesem Grund hatte er auch immer abgesagt, wenn der Blonde vorgeschlagen hatte, eine WG zu gründen. Mit dem Wohnheim waren nun endlich Hizashis Träume und Aizawas Albträume wahr geworden. Leider.

Lustlos stocherte er in dem Essen herum und schob sich ab und an ein paar Bissen in den Mund, aber Appetit hatte er nicht wirklich, obwohl er den ganzen Tag nicht mehr als eine Tasse Kaffee zu sich genommen hatte. „Du könntest die Kleine adoptieren", redete Hizashi weiter auf ihn ein und wurde von der plötzlich um die Ecke kommende Nemuri bestärkt. „Oh, das wäre eine gute Idee! Und solange wir alle hier im Wohnheim leben, können wir dir auch helfen. Wie eine kleine Familie!", frohlockte die junge Frau und legte den beiden jeweils einen Arm um die Schulter, um sie an sich heranzuziehen, „kommt schon, das wird lustig! Sie ist ja ohnehin richtig begeistert von dir!"

„Ich glaube du unterschätzt die Verantwortung, die ein Kind mit sich bringt. Darum muss man sich mehr kümmern, als um eine Katze, Nemuri. Tiere können sich wenigstens selbst beschäftigen, aber Kinder brauchen ständig Aufmerksamkeit und gerade Eris Macke braucht auch viel Training", murrte Shota und versuchte sich aus ihrem Griff zu befreien. „Damals hast du noch erklärt, wie schwierig es wäre, ein Haustier zu versorgen und trotzdem hat Sushi ein grandioses Leben bei mir. Trau dir das doch selbst auch zu!", versuchte sie ihm gut zu zureden. Es war ärgerlich, dass er sich nach all den Jahren und nach allem, was er bisher erreicht hatte, immer noch nichts zutraute. Aber sie war guter Dinge. Schließlich hatte es auch etwas länger gedauert, ihn für den Lehrberuf zu begeistern, gewiss würde es auch mit der Adoption klappen. Immerhin hatte Shota sich auch damals nie geeignet für den Lehrberuf gesehen, und war nun – mehr oder weniger – grandios darin.

Aizawa wollte nichts davon hören und schüttelte die Gleichaltrigen schließlich ab. Ihm war einfach nicht danach, über solche Dinge jetzt nachzudenken. Er war müde, bekam langsam Kopfschmerzen und er hatte im Moment andre Sorgen, also griff er nach seiner Tasse, ließ das Essen links liegen und schlurfte in sein Zimmer zurück, wo er jemand anderen neben Eri vorfand. Tatsächlich hatte er sich schon gefragt, ob Midnight das Kind alleine gelassen hatte.

All Might saß auf der Bettkante und hatte ein Buch in der Hand. Beide schienen richtig vertieft in die Seiten zu sein, während der großgewachsene Blonde laut daraus vorlas. Shota zog es vor, sich an die Wand neben der Tür zu lehnen und die beiden zu beobachten, während er nachdachte. Toshinori schien es leichtzufallen zu Kindern sofort einen guten Draht aufzubauen, generell schien er nie Probleme zu haben, mit anderen Menschen klar zu kommen und immer zu wissen, wie er mit Situationen umgehen sollte, weil er kaum die Fassung verlor. So stellte sich der Dunkelhaarige die ideale Vaterfigur für Eri vor, und davon war er meilenweit entfernt. Gerade in ihrer Lage brauchte sie jemanden, der ihr sehr viel Zuneigung zeigen konnte, wozu Aizawa einfach nicht fähig war.

„Uns so lebten sie glücklich, bis ans Ende ihrer Tage." Mit diesen Worten schloss der Großgewachsene das Buch und legte es zur Seite. „Märchen sind doch etwas Schönes oder?", fragte er das Mädchen, das nachdenklich die Stirn runzelte und leicht skeptisch wirkte, „findest du etwa nicht? Alles endet im Guten und jeder in Not wird gerettet." „Passiert das immer?", hakte sie nach. „Natürlich! Es gibt immer einen Helden, oder eine Heldin, die am Ende den Tag rettet", erklärte Toshinori und lächelte sanft. Shota konnte sich vorstellen, dass es für Eri noch immer ein wenig schwer sein dürfte, an so viel Gutes in der Welt zu glauben, wo sie doch so lange gequält worden war. „So wie Deku und Lemillion?", fragte sie vorsichtig, woraufhin All Might lächelnd nickte. Für die Kleine waren die beiden die aller größten Helden. „Genau! Und jetzt solltest du dich wieder hinlegen und wir messen noch einmal Fieber, ja?", schlug Yagi vor, als er Aizawa an der Tür entdeckte. Er hatte zuvor Nemuri versprochen ein Auge auf Eri zu haben, weil sie kurz mit Shota in der Küche sprechen wollte. Nun, da eben jener wieder zurück war, wurde er wohl nicht mehr gebraucht und er wollte keinesfalls stören. Er wusste nur zu gut, dass sein jüngerer Kollege ihn nicht sonderlich gut leiden konnte, also war es wohl besser, nicht lange in seiner Gegenwart zu sein.

Widerwillig ließ sich Eri von Toshinori noch kurz das Fieberthermometer in den Mund schieben. „Deine Temperatur ist immer noch etwas hoch, du solltest dich weiter ausruhen", kommentierte der Blonde, während er langsam aufstand und Platz machte, damit das Mädchen sich wieder hinlegen konnte. Doch anstatt artig wieder unter die Decke zu krabbeln, nahm sie das Thermometer aus dem Mund, wischte es ab und schob es kurzer Hand dem großen Mann zwischen die Lippen. Der hielt überrascht inne und ließ sich wieder zurück auf die Matratze sinken, was Eri dazu veranlasste ihm an die Stirn zu fassen. Anscheinend ging es ihr nun schon soweit gut, dass sie lieber etwas spielen wollte.

Aizawa blieb an der Wand gelehnt und nippte an seinem Kaffee, der ihm aber nicht wirklich schmeckte. Vielleicht lag es auch nur daran, weil der Kaffee seit Stunden kalt war, aber im Grunde genommen machte er sich nicht wirklich Gedanken darüber. Viel lieber beobachtete er, wie Eri nun versuchte Arzt zu spielen und All Might das Thermometer aus dem Mund zog. „Alles gut", meinte das Kind, und wandte sich kurzerhand dem Dunkelhaarigen zu. Eigentlich hatte er nicht wirklich Lust darauf, jetzt irgendwelche Spiele zu spielen, aber er fügte sich artig, und bückte sich, damit auch bei ihm Fieber gemessen werden konnte. Solange es Eri glücklich stimmte, machte er nur zu gerne mit. Da er ohnehin nicht länger stehen wollte, ließ er sich die Wand hinab gleiten und setzte sich auf den Boden, während er darauf wartete, dass das Thermometer piepste und auch seine Diagnose verkündet werden konnte. Hoffentlich war das Spiel dann beendet und er konnte Eri wieder ins Bett verfrachten, damit auch er wieder ein wenig Schlaf bekommen konnte.

Tatsächlich schlug das kleine Gerät schnell an. „Hm, ist das gut?", fragte Eri laut, nachdem sie das kleine Ding in die Hände genommen hatte, und zeigte es Yagi. „Nicht ganz, es ist leicht erhöhte Temperatur", stellte er fest und sah musternd zu seinem Kollegen hinüber. Sofort klatschte Eris kleine Hand auf Shotas Stirn. „Fühlt sich auch warm an", merkte sie an. „Achwas, mir geht's prima. Das ist nur der Schlafmangel, deswegen jetzt ab ins Bett mit dir, Eri!", sagte der Schwarzhaarige und erhob sich vom Boden. Dass er dabei kurz schwankte, konnte er zum Glück mit einem Schritt nach vorne kaschieren.

Der Klassenlehrer der 1-A konnte nicht leugnen, dass er sich seit dem Morgen nicht sonderlich wohl fühlte, hatte es aber bisher auf den Schlafmangel und die Sorge um Eri geschoben. Wieso sollte er auch krank werden? Er wurde schließlich fast nie krank, als Held musste man immerhin auch auf seine eigene Gesundheit achten um immer fit zu sein.

„Du solltest dich auch hinlegen. Möchtest du Tee?" Nachdem All Might sich nun endlich erhoben hatte, und Eri ins Bett gekrabbelt war, versuchte er auch seinen Kollegen ins Bett zu stecken, der sofort abwinkte. „Mir geht es gut", fuhr er den Blonden schroff an. Er konnte es nicht leiden, wenn er bemuttert wurde. „Wenn ihr etwas braucht, meldet euch", bot Toshinori weiter an, verließ dann den Raum und nahm sich vor, die anderen Lehrer zu informieren, dass Shota morgen wohl ebenso nicht arbeiten würde.

Glücklicherweise ließ Eri ihn in Ruhe, nachdem sie bemerkt hatte, wie unangenehm es ihm war. Also legte sie sich kommentarlos ins Bett und kuschelte sich an ihn, sobald er ebenfalls unter die Decke geschlüpft war. Sofort griff sie nach seinem Arm, damit er ihn um sie legte, was das Letzte war, was er mitbekam, bevor er rasch einschlief.

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Sehr lange dauerte der Schlaf jedoch nicht. Sein gesamter Körper bebte. Zitternd rollte er sich ein und versuchte das flaue Gefühl in seinem Magen zu ignorieren. Vermutlich hätte er den Kaffee nicht trinken sollen. „Mr. Aizawa ...?", hörte er eine leise Stimme, ehe jemand an seiner Schulter rüttelte und kurz überlegte, „...Daddy?" Er stöhnte leise und überhörte, was sie eben gesagt hatte. „Ist alles in Ordnung?" Eri klang besorgt und sah auf das blasse Gesicht des Lehrers hinab.

„Alles bestens", presste Shota zwischen seinen Lippen hervor, auch wenn er sich nicht so sicher war. Sein Magen begann zu rebellieren, was ihn dazu zwang aufzuspringen und aus dem Raum zu stürzen. Das Mädchen sah ihm besorgt nach und dachte kurz nach, ehe sie ihm folgte. Ohne zu zögern betrat sie die Männertoilette und trat neben ihn, um ihm ebenso die Haare zu halten, während er sich übergab, so wie er es letzte Nacht für sie gemacht hatte.

Da er nicht wirklich etwas zu sich genommen hatte, kam auch nicht viel wieder hoch, dennoch war es einfach unangenehm, weil das schreckliche Gefühl, dass sein Magen sich zusammenzog, einfach nicht nachlassen wollte. Immer wieder musste er würgen, weswegen er sich nicht von der Toilette weg wagte. Wie er es hasste, wenn er etwas nicht im Griff hatte. Er fühlte sich elend.

Eri hatte ihm mittlerweile seine Haare mit einem Zopfband zusammengebunden und war aus dem beengten Raum verschwunden. Da aus der Küche noch Lärm drang, zog es sie dahin, um Hilfe zu suchen. Onkel Toshinori hatte es schließlich angeboten, und nun musste sie ihn nur finden. In der Küche fand sie jedoch nur Nemuri und Hizashi vor, die am Tisch saßen und gemeinsam den Abend bei einer Flasche Wein ausklingen ließen. Immerhin hatten sie heute ein Gesprächsthema, doch sie verstummten, als sie das Mädchen sahen, über das sie gerade noch gesprochen hatten. „Geht es dir besser? Brauchst du etwas?", fragte die dunkelhaarige Frau freundlich.

„Mir geht es schon besser, aber ...", begann Eri aufgeregt zu sprechen, und deutete in die Richtung, aus der sie gekommen war. „Lass mich raten, deinem Daddy geht's jetzt nicht so gut?", unterbrach Nemuri das Kind und stellte das Glas ab. Eri nickte heftig und sah beide flehend an.

„Du hast ihr wirklich gesagt, dass sie ihn Daddy nennen soll? Ich dachte bis eben, es wäre ein Scherz gewesen! Shota wird dich vierteilen!", merkte Hizashi leise flüsternd in Richtung Midnight an und verkniff sich ein Lachen.

„Bitte ...", flehte Eri die beiden mit großen Augen an, „er ist auf dem Klo und muss sich übergeben. Onkel Toshinori hat gesagt, wir sollen was sagen, wenn wir was brauchen, aber ich weiß nicht wo er ist!"

„Keine Sorge, wir helfen auch gern!", versuchte Nemuri die Kleine zu beruhigen und nahm sie bei der Hand, um sich zur Toilette führen zu lassen. Yamada folgte ihnen, immer noch das Glas Wein in der Hand.

Shota bot einen armseligen Anblick, wie er vor der Toilette kauerte und immer wieder Würgelaute von sich gab. Seine Freunde wusste nur zu gut, dass es ihm mehr als unangenehm war, so einen schwachen Moment zu haben. Zwar waren sie sich sonst nie für einen Scherz zu schade, aber in solchen Momenten war es besser, wenn sie ernst blieben. Daher wechselten sie kurz einen Blick untereinander, ehe sie sich dafür entschieden, dem Kranken unter die Arme zu greifen, damit er sicher zurück ins Bett kam. Die Tatsache, dass Aizawa dies so einfach mit sich machen ließ, sprach schließlich Bände.

Das Häufchen Elend ließ sich einfach ins Bett bugsieren. „Das sieht wirklich nicht gut aus", kommentierte Yamada, „außer das pinke Zopfband, das steht ihm sehr gut. Voll cute." Nemuri warf ihm einen strafenden Blick zu, während er einen Schluck Wein nahm. „Ich setze mal etwas Tee auf", fügte er schnell an. „Gute Idee ... und lass die Finger vom Wein", rief sie ihm noch nach. Schließlich wäre es besser, wenn sie nicht allzu angetrunken waren, falls sich Shotas Zustand verschlimmern sollte. Sie konnten ja kaum verlangen, dass Eri sich um den Mann kümmerte.

Doch auch wenn sie es nicht von dem Kind verlangten, und sie selbst noch nicht ganz gesund war, lief sie hinter dem Englischlehrer her, um den Tee für Aizawa zu holen, und tupfte danach die schweißbedeckte Stirn ihres Erziehungsberechtigten ab. Sie versuchte sich für seine Pflege zu revanchieren, natürlich mit der Hilfe der beiden Erwachsenen. Zumindest so lange bis Midnight und Present Mic entschieden, dass sie selbst auch wieder ins Bett sollte.

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Shota war nicht oft krank, aber wenn, dann erwischte es ihn meist ziemlich hart. Nicht, weil er ein schwaches Immunsystem hatte, sondern weil er es so lange ignorierte, bis es einfach unmöglich wurde, es zu verbergen und zu kaschieren. Anstatt sich gleich auszukurieren, forderte er seine Gesundheit heraus, in der Hoffnung, dass es von allein besser werden würde. Dabei war es diesmal wirklich keine Absicht gewesen, er hatte immerhin angenommen, dass es ihm nur so mies ging, weil er eine sehr unruhige Nacht hatte. Tatsächlich war es ihm aber die letzten Tage schon nicht sonderlich blendend ergangen. Die Grippe war bereits unter den Schülern hier und da ausgebrochen, da war es wohl nur eine Frage der Zeit gewesen, bis es auch auf die Lehrer übersprang. Aber dass es gerade ihn als erstes erwischen musste, war wirklich Pech.

Zu seinem Glück blieb es bei dem einen Mal, dass er sich übergeben musste, sodass er nicht mehr Hals über Kopf aus dem Bett stürmen musste. Stattdessen hatte ihn jedoch das Fieber ziemlich fest im Griff, was den Dunkelhaarigen ziemlich beutelte. Da jedoch sowohl Eri, als auch Shota eingeschlafen waren, hatten die beiden Lehrer das Zimmer verlassen, die Tür hatten sie jedoch offen gelassen und Eri zuvor erklärt, wo sie die beiden finden konnte, falls sie etwas brauchen sollte. Daher war das Mädchen alleine, als Aizawa plötzlich leise zu wimmern begann und immer wieder etwas vor sich hinmurmelte.

Vorsichtig strich Eri dem Mann über den Arm, in der Hoffnung, dass es ihn etwas beruhigen würde. Es half zumindest soweit, dass das Wimmern etwas zurück ging. Er schien einen bösen Traum zu haben, so wie sie selbst letzte Nacht. Ob sie versuchen sollte, ihn zu wecken? Sie war sich ein wenig unsicher, nachdem sie mit Tante Nemuri kurz allein gesprochen hatte und diese ihr vorschlug, Mr. Aizawa als Dad zu bezeichnen, schließlich wusste sie nicht, ob es ihm wirklich recht war. Sie hatte schließlich zugehört, als sie die beiden Erwachsenen zuvor aus der Küche geholt hatte.

„Nein ... bitte ... Oboro ...", keuchte der Dunkelhaarige und verzog schmerzverzerrt seine Miene, „wieso ...?" Sein ganzer Körper bebte und seine Kleidung war schweißdurchtränkt. Eri war sich nicht sicher, ob sie einen der beiden Lehrer holen sollte, doch als sie versuchte sich von ihm weg zu bewegen, griff er nach ihrer Hand. Der Griff war nicht fest, allerdings signalisierte er ihr, dass er nicht allein sein wollte. Also versuchte sie an seiner Schulter zu rütteln, um ihn aufzuwecken. Nur kurz öffnete er die Augen und schnappte nach Luft. „Alles wird gut", versicherte sie ihm und schmiegte sich an ihn, legte ihren Kopf auf seinen Brustkorb. Tatsächlich schien es zu helfen, da er kurz darauf ruhiger weiterschlief. Sein gleichmäßiger Atem ließ auch sie kurz darauf eindösen.

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Immer wieder murmelte er etwas vor sich hin, doch die Albträume waren nicht mehr so schlimm, außerdem schien es Aizawa zu beruhigen, wenn er spürte, dass jemand da war. Beide lagen eng angeschmiegt beieinander, als Nemuri am nächsten Morgen in das Zimmer kam, um vor der Arbeit nach den beiden zu sehen. Ohne zu zögern schnappte sie sich das Thermometer und schob es dem Schlafenden in den Mund. Sein Fieber schien seit gestern unverändert hoch. Er sah wirklich elend aus.

Leise gähnend schlug Eri ihre Augen auf und erhob ihren Kopf vom Brustkorb des Mannes. Ihre Haare klebten nass an ihren Wangen, so sehr hatte Shota geschwitzt. „Guten Morgen", murmelte sie leise und streckte sich vorsichtig, um den anderen nicht zu wecken. Besorgt sah sie zu ihm hinunter und legte ihre kleine Hand auf seine glühend rote Wange. Irgendwie hatte sie gehofft, dass es bei ihm auch schnell wieder vorbei war mit dem hohen Fieber, so wie bei ihr. „Es geht ihm nicht gut", stellte sie fest und sah zu der Dunkelhaarigen auf.

„Leider. Dir geht es wieder besser? Lass uns mal deine Temperatur prüfen." Gesagt, getan. Eris Temperatur war schon wieder fast auf einem normalen Level, was zumindest bedeutete, dass das Kind bald wieder gesund war. „Wir sollten Recovery Girl anrufen! Vielleicht kann sie ihm auch Medizin bringen, die so toll hilft. Damit sein Fieber schnell weg geht und er in Ruhe schlafen kann, und nicht immer an Oboro denken muss", schlug Eri aufgeregt vor und sah zur Tür, in der ein ziemlich verschlafener Present Mic stand und sich die Augen rieb.

Erstaunt wechselten die beiden Helden Blicke. „Oboro?", wiederholte Nemuri verwundert. „Ja! Er hat ständig etwas von einem Oboro gemurmelt und einmal hat er sogar geweint", erzählte das Mädchen und sah dabei selbst traurig aus, „wer ist das?" Diese Frage beschäftigte sie, seit sie das erste Mal den Namen gehört hatte und bemerkte, wie nahe es ihrem neuen Ziehvater ging. Natürlich wusste sie auch, dass es sie im Grunde nichts anging, da sie ja noch nicht lange hier lebte. Früher war sie für ihre Neugierde immer bestraft worden, was ihr auch nun wieder bewusst wurde und sie den Blick senken ließ. „Tut mir leid ... ich wollte nicht so neugierig sein."

Kayama legte der Kleinen einen Arm auf die Schulter. „Keine Sorge, das macht nichts", versicherte sie ihr und lächelte sachte. „Oboro war ein Freund von uns, der bei einem Heldenjob getötet wurde. Shota war damals bei ihm und gibt sich die Schuld daran", erzählte Hizashi traurig und musterte seinen schlafenden Freund, „es beschäftigt ihn wohl immer noch."

„Oh ... das ist traurig", stellte das Mädchen fest und strich ein paar feuchte Strähnen aus dem Gesicht des Mannes neben ihr, „können wir ihn irgendwie aufmuntern?" Sie wollte ihm unbedingt helfen, schließlich half er ja auch ihr. Nemuri lächelte sanft. „Das beste ist, wenn du einfach für ihn da bist und ihm zeigst, dass du ihn magst. Ihn direkt darauf anzusprechen bringt nichts." „Nope, wir versuchen seit Jahren mit ihm darüber zu reden, aber er schaltet ständig ab, also belassen wir es einfach dabei", merkte Yamada an und zuckte mit den Schultern.

Damit war das Thema für die beiden auch erledigt, weswegen Midnight sich erhob und nach ihrem Handy griff. „Ich werde Recovery Girl anrufen, und kannst du Shota bitte in trockene Kleidung stecken?", bat sie den Blonden, ehe sie an ihm vorbei zur Tür hinausging. Seine grünen Augen rollten sich kurz in der Augenhöhle. Wieso bekam er die schwierigste aller Aufgaben zugeteilt? Doch da ein Kind anwesend war, durfte er sich nicht beschweren, zumindest nicht mit den Worten, die ihm auf der Zunge lagen. Außerdem konnte sein Kumpel ja nichts dafür, dass er halbtot im Bett lag. Es hätte ja genauso gut ihn treffen können, und dann wäre nun Shota an seiner Stelle.

Einen erwachsenen Mann, der halb bewusstlos und halb schlafend im Bett lag, umzukleiden, war wirklich schwieriger als man erwarten konnte, auch wenn er sich nicht wehrte. Daran erkannte man wirklich, wie mies es Aizawa wirklich ging, wenn er so etwas einfach ohne Widerworte über sich ergehen ließ, obwohl er manchmal die Augen aufschlug und Hizashi zu mustern schien. „Komm schon Kumpel, hilf ein bisschen mit. Heb deine Arme, damit ich das T-Shirt leichter drüber krieg", bat er ihn, doch das einzige, was sich bewegte, war Shotas Kopf, der auf seine Brust rutschte. Glücklicherweise war Eri zur Stelle und hob die Arme des Dunkelhaarigen hoch, damit sie ihm etwas Trockenes überziehen konnten. Er hatte sie schließlich auch umgezogen, als sie klatschnass gewesen war.

Recovery Girl ließ zum Glück auch nicht lange auf sich warten und brachte ein paar Tabletten vorbei, die das Fieber rasch senken sollten. „Ich hoffe nur, dass die Grippe jetzt nicht durchs gesamte Lehrerwohnheim geht, nachdem die Schüler soweit fast alle durch sind. Sobald einer von den anderen auch nur kleinste Anzeichen zeigt, nehmt bitte sofort etwas hiervon, das sollte den Ausbruch eindämmen!", erklärte die Krankenpflegerin den beiden und drückte ihnen ein paar Packungen in die Hände, „sagt das bitte weiter. Vor allem All Might sollte sich keinesfalls anstecken, sonst endet das böse. Hörst du, Mic?" Der Blonde nickte nur und schlurfte zum Gemeinschaftsraum, in der Hoffnung noch ein paar Kollegen anzutreffen, um seine Aufgabe erfüllen zu können, bevor er darauf vergaß. Er wollte sich keinesfalls mit der alten Dame anlegen.

„Außerdem sollte vielleicht jemand hier bleiben, falls es nicht besser wird, damit man schnell reagieren kann", wandte sich Chiyo nun an Midnight, die nickte. Damit hatten sie und Mic schon gerechnet. Da sie die ersten beiden Stunden frei hatte, würde sie die erste Schicht übernehmen. „Ich bin hier und passe auf!", mischte Eri sich tapfer ein, „ich kümmere mich um Dad!" Da von Nemuri ein leises Glucksen zu vernehmen war, warf die Alte der jüngeren Frau einen kurzen Blick zu, der ihr verriet, dass jene wohl dafür verantwortlich war, dass das Kind das D-Wort benutzte. Sie sagte jedoch nichts dazu, sondern fuhr Eri nur durch die Haare. „Dann wird er bestimmt bald wieder gesund." Tatsächlich hatte sie wirklich große Hoffnungen in das kleine Mädchen, dass gewiss in Zukunft, sobald sie ihre Kräfte kontrollieren konnte, zu einer wichtigen heilenden Heldin werden würde. Da war es nur gut, wenn sie schon früh damit begann, sich um andere zu sorgen.

~*~*~*~

Mit Hilfe von Nemuri und Hizashi war es weitaus einfacher für die Kleine, sich um Aizawa zu kümmern. Vor allem da er noch zweimal trockene Kleidung brauchte und es für sie nicht gerade einfach war, alleine Tee zu kochen. Außerdem war es nett, zuerst mit der Ab-18-Heldin etwas zu plaudern, die ihr immer ganz witzige Sachen erzählte, und dann etwas über Present Mic zu erfahren, den sie bisher immer nur im Doppelpack mit der Dunkelhaarigen oder mit Shota erlebt hatte. Doch auch mit ihm war es ziemlich amüsant, auch wenn sie zunächst ein bisschen skeptisch war, nachdem ihr Eraserhead einmal erzählt hatte, dass Yamada ein ziemlicher Chaot war und nur Unsinn und Arbeit im Kopf hatte. So schlimm fand sie ihn jedoch gar nicht.

Der Abend dämmerte langsam und die Lehrer waren in der Küche zugange, als Eri erneut das Thermometer in Shotas Mund schob und sich auf ihre Ellenbogen lehnte, während sie auf das Piepsen wartete. „Na, wie geht es ihm?", fragte All Might, der in der Tür auftauchte, weil er nach den beiden Kranken sehen wollte, bevor er zum Essen ging.

„Das Fieber hat sich zum Glück etwas gelegt, aber er schläft den ganzen Tag schon. Ich weiß nicht, ob das so gut ist", erzählte das Mädchen und sah zu dem blonden Helden, von dem Deku und Lemillion so schwärmten. „Naja es muss nichts Schlechtes sein, manchmal braucht der Körper einfach Schlaf, um wieder zu Kräften zu kommen. Wenn das Fieber schon runter ist, ist es doch ein gutes Zeichen", versicherte ihr der dürre Mann, „möchtest du mitkommen zum Abendessen?"

Kurz sah Eri nachdenklich drein, nickte dann aber. „Ja gerne." Ehe sie vom Bett rutschte, küsste sie kurz Shotas Stirn und lief dann zu Toshinori, um nach dessen Hand zu greifen, die er ihr anbot. „Wir sollten ihm dann etwas mitbringen!" Vorsichtig zogen sie die Tür etwas zu, sodass nur ein Spalt offen blieb.

Genau in diesem Moment stöhnte Aizawa leise und fasste sich an die Stirn, an der ihr zuvor etwas gespürt hatte. Ob er sich das gerade im Halbschlaf eingebildet hatte? So ganz sicher war er sich nicht, immerhin fühlte er sich noch immer recht elend, und erwachte gerade erst aus einem langem Schlaf. Sein Körper schmerzte, aber es ging ihm weit weniger mies als in den letzten Stunden und der vergangenen Nacht. Grummelnd fuhr er sich durch die Haare und setzte sich langsam auf. Der Uhrzeit nach zu urteilen, mussten wohl alle beim Abendessen sein. Tatsächlich verspürte auch er so etwas, wie Hunger, weswegen er sich langsam aus dem Bett quälte.

Er schwankte kurz, nachdem er sich erhoben hatte, aber er schaffte es, auf den Beinen zu bleiben und auf die Tür zu zu gehen. Während er auf die Küche und den Gemeinschaftsraum der Lehrer zuging, behielt er immer eine Hand an der Wand, um sich notfalls schnell abstützen zu können, während der andere Arm um seinen Oberköper geschlungen war. Die hellere Umgebung trübte seinen Blick ein wenig und verursachte Kopfschmerzen.

„Ah, seht mal an, wer von den Toten auferstanden ist!", stellte Hizashi lautstark fest und jubelte laut, was Shota zusammenzucken und nach seinen Schläfen greifen ließ. „Halt bitte die Klappe!", zischte er seinen Freund an. „Mehr oder weniger lebendig", kommentierte Nemuri, „aber immerhin auf den Beinen. Wir hätten dir nachher etwas aufs Zimmer gebracht, aber setzt dich doch zu uns!" Sie deutete auf den freien Stuhl neben Eri, ehe sie aufsprang, um einen Teller Suppe zu holen.

Shota ließ sich auf den Stuhl fallen und schloss kurz die Augen um sich zu sammeln. Als er sie wieder aufschlug, blickte er in die großen Augen von Eri, die ihn von oben bis unten zu mustern schien. „Geht es dir besser?", fragte sie neugierig nach und legte ihre Hand auf seine Stirn. Hätten Hizashi oder Nemuri es gewagt, ihn so anzufassen, hätte er die Hand zweifelsohne barsch beiseite geschlagen, aber von Eri ließ er es über sich ergehen. Tatsächlich machte es ihm sogar recht wenig aus. „Ja, tut es", antwortete er ihr und versuchte sich an einem Lächeln.

Glücklich strahlte die Miene des Mädchens und sie umarmte ihn freudig. „Ich bin so froh, Daddy! Du hast so lange geschlafen, dass ich schon Sorge hatte, aber Onkel Toshi hat gesagt, es wäre normal!", murmelte sie ihn den Stoff seines T-Shirts. Auch wenn sie schnell und aufgeregt sprach, fielen Aizawa doch zwei Dinge auf, die ihn erstarren ließen. Seit wann nannte sie All Might Onkel Toshi und was hatte sie da vorhin bitteschön gesagt?

„Shota, alles in Ordnung?" All Might, der auf der anderen Seite von Eri saß, war nicht entgangen, wie sein jüngerer Kollege sich versteift hatte, nachdem das kleine Mädchen gesprochen hatte. Vorsichtig streckte er den Arm aus, um ihn auf die Schulter des Mannes zu legen, doch der warf ihm im nächsten Augenblick einen scharfen Blick zu. Sofort zuckte Toshinori zurück und hob abwehrend die Hände. „Sieh mich nicht so an, Nemuri war das!"

Eben genannte stellte den Teller Suppe vor Shota ab und zwinkerte ihm lächelnd zu. „Du kannst mir später danken!" Ob das wirklich der Fall war, wusste er nicht. Er war doch nur der Aufpasser für die Kleine, solange sie ihre Macke nicht unter Kontrolle hatte. Wenn sie sich nun zu sehr an ihn band, würde es nur schwer werden, wenn man sie woanders unterbringen würde. Irgendwie schaffte er es jedoch nicht, einen Kommentar über seine Lippen zu bringen, während sich Eri noch an ihn klammerte und ihn umarmte.

Also gab er sich geschlagen und aß etwas, während das Kind ihm munter davon erzählte, wie es den Tag verbracht hatte. Aufmerksam hörte er ihr zu und legte seinen freuen Arm um sie herum. Sie schien wirklich den ganzen Tag damit verbracht zu haben, sich um ihn zu kümmern, um zurück zu geben, was er für sie getan hatte, obwohl sie das gar nicht musste. Dennoch fühlte er, wie ihm warm ums Herz wurde, während er ihren Worten lauschte. Es hatte etwas Beruhigendes, wenn man wusste, dass es jemanden gab, der sich um einen sorgte. Man fühlte sich geborgen. Nicht, dass Nemuri und Hizashi ihm nicht ebenso dieses Gefühl vermittelten, aber bei Eri war es irgendwie etwas anderes, was er allerdings nicht benennen konnte. Vielleicht fühlte er sich ja wirklich schon so sehr für sie verantwortlich, dass er so einfach darüber hinwegsehen konnte, dass Midnight ihr eingetrichtert hatte, ihn Daddy zu nennen. Vermutlich wäre es ohnehin irgendwann dazu gekommen, ansonsten wäre sie gewiss nicht zu ihm gekommen, als es ihr nicht gut ging. Eri vertraute ihm, und fühlte sich bei ihm am Wohlsten, was man ihr auch deutlich ansah. Immer wieder sah sie strahlend zu ihm auf, während sie von ihrem Tag erzählte. Dass sie ihn nachts ein paar Mal wegen Albträumen wecken musste, sparte sie allerdings etwas aus, da man ihr erklärt hatte, dass es keine gute Sache wäre, Shota über Oboro auszufragen.

Tatsächlich fühlte sich Aizawa nach dem Essen schon viel besser als zuvor. Sogar der Lärm der anderen Lehrer machte ihm etwas weniger aus, solange er sich auf Eri konzentrierte, die ihm mit ihrem Lächeln ein bisschen ansteckte. Natürlich blieb das nicht umgekehrt, was Nemuri und Hizashi dazu veranlasste, die Köpfe zusammen zu stecken und leise zu tuscheln. Shota ignorierte das allerdings. Stattdessen genoss er es zum ersten Mal seit langem, in Gesellschaft zu sein.

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