Katzencafé

Es war noch früh am Morgen, dennoch versuchte Eri ein Gähnen zu unterdrücken, was ihr allerdings sehr schwerfiel. Tatsächlich hatte sie Mühe damit, ihre Augen offen zu halten. Seit Aizawa ihr am Vortag erklärt hatte, wohin sie unterwegs waren, war sie zu aufgeregt gewesen, um nachts ein Auge zuzumachen. Dementsprechend war sie nun müde. Die Aussicht nach draußen, machte es auch nicht gerade einfacher, wach zu bleiben. Immer schien die gleiche Landschaft am Fenster des Autos vorbei zu ziehen, was sie noch mehr einlullte.

Ohne es zu merken, sank ihr Kopf gegen den Oberkörper des Dunkelhaarigen, der vorsichtig einen Arm um sie legte. „Schlaf ein wenig", flüsterte er ihr sanft zu. Langsam hob sich Eris Kopf, weil sie nicken wollte, doch ehe sie die Bewegung ausführen konnte, war sie längst eingeschlafen.

Lächelnd blickte Nemuri in den Rückspiegel, wo sie sehen konnte, dass Shota sanft auf das schlummernde Mädchen hinabblickte. „Du hast ihr gestern doch schon verraten, wo wir hinfahren?", fragte sie leise, um den Schlaf nicht zu stören. Eigentlich hatten sie gestern noch von einer Überraschung gesprochen, weil Eri in letzter Zeit wirklich fleißig gelernt hatte und auch das Training sehr gut verlaufen war. Und da Nemuri etwas für einen Fall in Tokyo recherchieren musste, hatten sie beschlossen, dass Aizawa Eri dort etwas zeigen wollte.

„Sie hätte ohnehin kein Auge zugetan. Egal was ich ihr gesagt hätte", erklärte er belustigt und strich sanft ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht des Mädchens. Mittlerweile kannte er Eri gut genug, um sie einschätzen zu können. Wenn er ihr nur gesagt hätte, dass sie wohin fuhren und sie mitkommen durfte, wäre sie bestimmt beunruhigt gewesen. Hätte er von einer Überraschung erzählt, dann wäre sie nicht ins Bett zu bekommen gewesen und so, da sie wusste, wohin sie unterwegs waren, hatte er es zumindest geschafft, dass sie sich schlafen gelegt hatte, auch wenn sie wohl kein Auge zugetan hatte. Aber dafür hatte sie ja nun ein paar Minuten, um sich auszuruhen.

Allzu lange dauerte Eris Schlaf nicht, ehe Shota sachte an ihren Schultern rüttelte. „Wir sind da", erklärte er ihr, nachdem Kayama den Wagen angehalten hatte, und ausgestiegen war. Sie würde ihr Auto hier auf dem Parkplatz lassen, während sie ebenso nach ihren alten Kontakten Ausschau hielt. Auch wenn Aizawa die Idee anfangs für ganz gut empfunden hatte, war er sich nun nicht mehr sicher, als er die Autotür öffnete und sich umsah. Es war Jahre her, dass er in Naruhata gewesen war. Dabei hatte er versprochen, ab und an mal vorbei zu sehen, doch irgendwie war dafür nie Zeit gewesen. Zumindest bis heute.

„Ist es das?", fragte Eri neugierig, rieb sich die Augen, während sie langsam aus dem Auto kroch und Shota folgte, der längst auf dem Bürgersteig stand. Vor ihnen erstreckte sich eine Seitengasse, aus der ein Schild hervorleuchtete, auf dem die Letter Café prangten.

„Ja genau. Bist du bereit?", wollte er wissen, und hielt ihr die Hand hin, die sie sofort ergriff und nickte. Natürlich war sie das! Sie freute sich schließlich bereits seit gestern darauf! „Na dann los!", verkündete Aizawa. Doch anstatt voraus zu gehen, blieben seine Beine stillstehen, was Eri verwundert zu ihm hochsehen ließ.

„Bist du denn bereit?", fragte sie vorsichtig nach und musterte ihn besorgt. Er wirkte wie erstarrt, als ob er mit den Gedanken weit, weit weg wäre.

Tatsächlich hing Shota kurzzeitig in seinen Erinnerungen fest. Er musste an die unzähligen Schurken denken, die er in dieser Seitengasse bekämpft hatte und an die Hilfe, die er manchmal dabei durch die Menschen der Nachbarschaft bekommen hatte. Irgendwie kam ihm das alles vor, als wäre es in einem anderen Leben passiert.

Mit einem leichten Kopfschütteln riss er sich davon los und sah zu dem Mädchen hinab, das ihm ein Lächeln schenkte. Vorsichtig erwiderte er es, was sie nur noch mehr zum Grinsen brachte. Sein gestelltes Lächeln wirkten immer sehr wie eine witzige Grimasse, was Eri oft zum Lachen brachte. „Klar", antwortete er ihr, drückte kurz ihre Hand und schaffte es endlich, einen Fuß vor den anderen zu setzen, um auf das Café zuzugehen.

Shota konnte spüren, wie aufgeregt das Mädchen wurde, je näher sie der Tür kamen. „Du musst keine Angst haben", versicherte er ihr, was allerdings nur dazu führte, dass sie sich an seinem Hosenbein anklammerte, weil ihr Blick kurz in das Café gehuscht war, das ziemlich gut besucht wirkte. Zu viele fremde Menschen beunruhigten sie immer noch sehr. Vorsichtig hob er sie hoch und nahm sie auf seinen Arm. „Hier oben kann dir keiner was anhaben." Hoffentlich würde sich ihre Angst geben, wenn sie älter war. Irgendwann würde sie zu alt und zu schwer werden, damit er sie so hochheben konnte.

Seine eigene Unsicherheit überspielend, trat er ein und sah sich mit Eri um. „Da siehst du?", entfuhr es ihr sofort erfreut, „und da hinten!" Überall in diesem Café verteilt, tapsten Katzen herum und ließen sich von den Kunden streicheln und spielten mit ihnen. „Die sind echt süß!" Ihre Augen glänzten.

„Tut mir leid, bitte bleiben Sie nicht einfach dastehen, Sie behindern den Eingang", erklang es plötzlich neben ihnen. Sofort wandten sich Eris und Shotas Kopf zur Seite, um den Kellner zu mustern, der sie dazu aufforderte, den Eingangsbereich frei zu machen. Dieser bekam ganz große Augen. „Meine Fresse, Eraser!", entfuhr es ihm plötzlich.

„Pass auf deine Wortwahl auf, Hotta!", murrte Aizawa und deutete mit dem Kopf zu Eri, ehe er jedoch ein etwas weniger strenges Gesicht aufsetzte, „habt ihr noch einen Platz für uns beide?" Er erinnerte sich wage daran, dass sie vorgehabt hatten, ihm einen Stammplatz weiter hinten einzurichten, damit er nicht vorne sichtbar rumsaß und das Geschäft ruinierte. Aber es war nie dazu gekommen, dass er das Katzencafé besuchen konnte, nachdem es fertig war.

„Klar, Mann! Komm mit. Wir haben dir ja damals ein Plätzchen eingerichtet, aber du bist ja nie wieder aufgetaucht", erklärte der Glatzkopf und führte die beiden zu einem abgelegenen Platz weiter hinten.

„Ist das etwa ein Vorwurf?", stellte Shota verwundert fest, „dachte, ihr wolltet mich hier ohnehin nie haben."

„Maaaaann, das war doch, als wir nochn Recycle Shop war'n und du uns als Café missbraucht hast!", protestierte der Mann, ehe er sich daran erinnerte, dass er nicht fluchen durfte und zu dem Mädchen sah, dass ihn stumm und mit großen Augen begutachtete. „Warst, fleißig, hm?", scherzte er und reichte dem Kind dann eine Hand, „ich bin Ichiro!"

Vorsichtig nahm das grauhaarige Mädchen die Hand und schüttelte sie kurz. „Ich bin Eri", stellte sie sich schüchtern vor und vergrub ihr Gesicht dann in Shotas Schlüsselbein. Obwohl der Mann nett wirkte und mit ihrem Begleiter sehr vertraut war, hatte er doch etwas sehr einschüchterndes an sich.

„Freut mich, Fräulein Eri!", versuchte Ichiro die Situation zu lockern, „was darf ich dir bringen? Ich nehme an, dass dein Daddy seinen Kaffee noch immer schwarz trinkt?"

„Einen Kakao bitte ...", murmelte das Mädchen leise, aber gerade noch hörbar für Hotta.

„Kommt sofort", verkündete er, nachdem auch Shota genickt hatte.

Nachdem Ichiro weg war, setzte sich Aizawa auf die kleine Couch, und sah zu Eri, die sich langsam von ihm löste und sich umsah. Als eine der Katzen auf die beiden zukam, war ihre Angst wie verflogen. Sofort kletterte sie von Shota runter und kniete auf dem Boden, um mit dem Kätzchen zu spielen. Erleichtert atmete der Dunkelhaarige aus und lehnte sich zurück.

Doch er hatte nicht besonders lange Ruhe. Plötzlich war er umringt von altbekannten Gesichtern, die von Ichiro erfahren hatten, dass er endlich zu Besuch gekommen war. Vermutlich hatte er genau aus diesem Grund so lange gezögert, einen Fuß hierher zu setzen. Schließlich hatte er diesen Lebensabschnitt damals abgeschlossen, nachdem er Nedzus Angebot angenommen hatte.

„Maaaaann, Eraser! Wir dachten schon, du wärst tot, Kumpel!", begrüßte Jiro ihn, ließ sich neben ihm nieder und legte einen Arm um ihn, um ihn kurz zu drücken. „Vor allem nachdem ganzen Scheiß, der da in der Zeitung stand! Da hattest es hier als Held in der Nachbarschaft einfacher, was?", erklärte ein Typ, der aussah wie ein Gottesanbeter.

„Kamachi, achte bitte auf deine Wortwahl!", murrte Shota erneut und deutete auf das Kind, das immer noch mit der Katze beschäftigt war, „sie soll keinen Blödsinn lernen."

„Is nicht wahr ... Eraser hat'n Kind? Bist du deswegen damals einfach weg? Aber ehrlich mal: Du hättest uns auch sagen können, dass du Lehrer wirst, anstatt einfach zu verschwinden", motzte Jiro drauf los und schüttelte den Kopf, „is ziemlich viel Mist abgelaufen, nachdem du weg warst." Aber das wollte er dem Mann lieber nicht erzählen, solange viel zu junge Ohren zuhören konnten.

„Eri ist eine Schutzbefohlene der UA, um die ich mich kümmere", erklärte Shota trocken. Mittlerweile hatte er sich tatsächlich schon daran gewöhnt, dass die Leute immer wieder annahmen, dass er ihr Vater war. Dennoch stellte er es immer wieder richtig, immerhin wollte er Eri nicht antun, dass sie ihn als Vater überhaupt anerkennen musste. Vielleicht war es ihr auch gar nicht recht.

Auch wenn das Mädchen nicht zugehört hatte, hob sie in diesem Moment den Kopf, und kam mit der Katze auf dem Arm auf Shota zu. „Sieh mal! Sie sieht so aus wie Tante Nemuris Katze!", stellte sie fest und setzte das Tier auf Aizawas Schoss. Sofort wurden die Augen der anderen groß, weil sie sich noch sehr gut daran erinnerten, dass Eraserhead damals nicht einmal das kleine Kätzchen anfassen wollte, dass Crawler ihnen gebracht hatte. Umso erstaunter waren sie nun, als der Dunkelhaarige tatsächlich die Hand hob, um den Kopf der Samtpfote tätschelte.

„Stimmt, sieht aus wie Sushi", meinte Aizawa leicht lächelnd und wandte sich dann seine alten Bekannten zu, „Jungs, das ist Eri. Eri, das sind Jiro, der Bruder von Ichiro, Kirihito, Ikajiro und Teruo. Alte Bekannte von mir, die mir manchmal bei Fällen geholfen haben." Der Reihe nach stellte er die Männer vor, die vor ihrem Tisch standen.

Artig reichte das Mädchen jedem einzelnen die Hand, und sah schließlich mit großen Augen zu den Männern auf, die vor ihr standen, ehe sie sich wieder hilfesuchend an Shota presste. „Krass", stellte Jiro fest, „hätte nie gedacht, dass Eraser sich mal um ein Kind kümmert."

„Achja? Und ich hätte nie gedacht, dass ihr das mit dem Katzencafé wirklich durchdrückt und es zum Laufen bringt", gab er schnippisch zurück. Kurzzeitig funkelten sich die beiden ziemlich finster an, was Eri leicht nervös machte. Doch zu Unrecht, denn ein paar Sekunden später brachen die beiden Männer in Gelächter aus.

Nachdem auch ihr Kaffee und Kakao endlich auf dem Tisch standen, setzten sich die Hotta Brüder zu Aizawa, und begannen sich mit ihm, über die guten alten Zeiten zu unterhalten und erzählten ich auch einiges, was Shota verpasst hatte, nachdem er einfach verschwunden war. Am meisten freute es Eraserhead jedoch davon zu hören, dass sie mit dem Café einigen jungen Menschen aus der Nachbarschaft, die auf die schiefe Bahn geraten waren, geholfen hatten, wieder straffrei zu werden. Auch Shota erzählte einiges von dem, was er bisher erlebt hatte, während er ab und an seinem Kaffee nippte und Eri immer wieder einen Blick zuwarf, wie sie mit den Katzen spielte. Erst als Nemuri sie abholte merkten sie, wie lange sie eigentlich in dem Café gesessen hatten und versprachen, wieder zu kommen. Endlich hatte der Stammplatz, der ständig leer geblieben war, einen Sinn erhalten.

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