Kapitel 1

Philipps POV

Die Zeit vergeht, aber der Schmerz nicht.

Als ich Lisa das erste mal verloren habe hat mich dieser Schmerz fast zerstört, aber ich habe die Hoffnung nie aufgegeben. Und nun? Nun weiß ich, dass er mich zerstören wird, denn die letzte Hoffnung habe ich mir selbst genommen.

Mein Tag besteht aus Vorlesungen, wenn ich denn hingehe.

Aus Training, wenn ich nicht wieder über die Strenge geschlagen habe und auf der Bank sitze.

Aus wenig Essen und noch weniger Schlaf, weil mein Körper beides verweigert.

Aus Sex mit den falschen Frauen, weil das alles ist, was meine Gedanken stoppt.

Das ich mich jemals zu so einem Menschen entwickeln würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Aber es ist wie es ist. Nicht nur Lisa hasst mich, ich hasse mich selbst noch viel mehr.

Mit Hunter habe ich seit dem Abend nicht mehr gesprochen. Seine Faust in meinem Magen hat mir gezeigt, was er von dieser Aktion gehalten hat. In der Wohnung gehe ich ihm aus dem Weg und er mir genauso. Ich habe auch keine Ahnung, wo er sich die ganze Zeit herumtreibt, aber vermutlich bei seinem Bruder und Lisa. Heute habe ich die Bestätigung bekommen, dass ich mit einem anderen Studenten die Zimmer tauschen kann. Dann bin ich am anderen Ende des Campus, weit weg von ihr und Hunter hat wieder seine Ruhe. Ich muss Hunter und Taylor nur klarmachen, dass sie ab dem Wochenende einen anderen Mitbewohner haben. Deswegen habe ich die beiden auch vorhin angeschrieben und um ein Treffen heute Nachmittag gebeten.

Lisas POV

Vielleicht hatte Philipp recht und wir sind nicht für eine Freundschaft gemacht. Ich habe jetzt drei Wochen darüber nachgedacht und so langsam fühle ich mich besser. Es bringt nichts, wenn ich mich wieder in meinem Loch vergrabe, deswegen bin ich zum Essen auch endlich mal wieder in der Mensa. Die Mensa habe ich die ganze Zeit nicht betreten, aus Angst Philipp zu begegnen. Heute starte ich meine selbstauferlegte Konfrontationstherapie. Ich gehe wieder überall hin und schalte die Gedanken an Philipp aus. Das klappt überraschend gut, ich habe die letzten Tage geübt.

Drei Wochen reichen, es wird Zeit für meine Auferstehung. Und wie das oft so ist mit Auferstehungen, der Auferstandene ist stärker als zuvor. Ok, ob das stimmt, weiß ich nicht. Ryder hat es mir zumindest erfolgreich eingeredet. Ryder, mein bester Freund, er hat mit mir geweint und geflucht. Hat mich mit Taschentücher, Schokolade und Schnaps versorgt. Ich durfte mich jeden Tag bis zu einem gewissen Grad hängen lassen, bevor er mich aus meiner Trauer wieder herausgeholt hat. Jeden gottverdammten Tag der letzten drei Wochen hat er mich angetrieben, meinen Verpflichtungen nachzukommen. Und jeden Tag hat er darauf geachtet, dass ich weder Philipp noch Linda begegnen kann.

Ja, Linda ist zu meiner speziellen Freundin geworden. Ich habe keinen blassen Schimmer, wieso sie mich auf dem Kieker hat. Wir haben uns nie zuvor gesehen und bis dato auch kein Wort miteinander gewechselt. Ich weiß nur, dass Hunter Lisa aus Philipps Zimmer geschmissen hat, nachdem ich weggelaufen bin. Keiner erzählt mir, was danach passiert ist.

Philipps Brief ist mittlerweile regelrecht zerlesen und ich falte ihn schon gar nicht mehr. Er liegt jetzt in einer Klarsichthülle in meiner Nachttischschublade. Dieser Brief hat mir ironischerweise geholfen. Er hat mir geholfen, meinen Traum von einer Beziehung mit Philipp zu begraben. Wir sind kein Paar und schon lange keine Freunde mehr. Und das werden wir sehr wahrscheinlich auch nie mehr. Mir ist klar, dass ich das meiste davon selbst verbockt habe. Ich kann von niemandem erwarten, dass er auf mich wartet und mich mit offenen Armen empfängt, wenn ich drei Jahre verschwunden war.

Ich habe in den letzten zwei Tagen das Insta Profil von Philipp gestalkt und versucht, mich darauf vorzubereiten, was bei der ersten Begegnung passieren könnte. Wer hätte gedacht, dass es echt kein einziges Bild gibt, auf dem er zu sehen ist. Hat mich also nicht wirklich weitergebracht und deswegen bin ich auch so nervös. Beim Betreten der Mensa hat Hunter seinen Arm um meine Schulter gelegt und mich an seine Seite gezogen. Nun stehen wir also in der Schlange an der Essensausgabe und ich habe keine Ahnung, ob ich auch nur einen Bissen herunter bekommen werde.

„Babe, du wirst etwas essen, keine Widerrede. Die Rigatoni al forno sind immer sehr gut, nimm die" kommt es von Hunter, der hinter mir steht und sich zu mir herunter gebeugt hat, damit er mir ins Ohr flüstern kann. Keine Ahnung, was das von ihm soll. Seine Essensberatung ist ja eigentlich kein Geheimnis. Und er nennt mich nicht mehr Sweetie, jetzt bin ich zu Babe geworden. Gut, dass er das deutsche TV Programm nicht kennt... Ein Schweinchen namens Babe wäre das gefundene Fressen für die Jungs und ich hätte schon wieder einen neuen Spitznamen.

„Hmpf, ok. Aber du isst meinen Rest, damit das klar ist" erwidere ich.

„Kein Problem. Ich muss schließlich eine Grundlage schaffen für heute Abend" kommt es von Hunter.

„Oh nein, ich hab es verdrängt. Müssen wir dahin?" frage ich verzweifelt. Es findet wieder eine Party bei Hunter im Haus statt, an einem Donnerstag und ich hab morgen früh um 8 Uhr meine erste Vorlesung. Aber so etwas scheint die wenigsten der Studenten hier zu interessieren.

„Natürlich müssen wir dahin. Erstens wohne ich in dem Haus, zweitens kommst du definitiv mit und drittens ist Huntisa zum Karaoke angemeldet. Ach ja und viertens, ich hab uns Shirts mit unserem Team Namen bestellt, die wollen heute ausgeführt werden" freut sich Hunter diebisch.

Ich kann nur die Augen verdrehen und gebe lieber meine Bestellung auf, bevor ich etwas falsches sage. Mit meinem Essen und meinem Getränk auf dem Tablett mache ich mich auf den Weg an den einzigen freien Tisch am Fenster. Ich liebe den Ausblick, von der Fensterfront der Mensa sieht man direkt auf den kleinen Park in der Mitte des Campus.

Hunter ist nur ein paar Meter hinter mir und ich setze mich mit dem Rücken zur Tür an die lange Seite des Tisches und mit Blickrichtung Fenster, während er sich neben mich an die kurze Seite setzt. Sein Blick gleitet über die anderen Studenten. Mit einem Mal sehe ich, wie sich seine Hand um das Messer verkrampft und ich bin geneigt, seinem Blick zu folgen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, senkt er seinen Blick und schaut mir in die Augen. Seine Hand legt sich auf meine und er lächelt mich an. Während ich noch darüber nachdenke ob ich mich umdrehen soll, hebt er die andere Hand und legt sie leicht an meinen Hinterkopf und küsst mich vorsichtig.

Verdammt, Hunter küsst mich!

Sein Lippen liegen ganz sanft auf meinem und mein Körper entspannt sich. Mein Körper entspannt sich so sehr, dass meine Augen wie von selbst zufallen und ich mich ein wenig zu Hunter lehne. Ich kann nicht anders, ich muss lächeln. Lächeln, weil es sich so verdammt gut anfühlt. Lächeln, weil auch Hunter lächelt, dass kann ich spüren. Langsam öffne ich meine Augen und sehe gerade noch, wie Hunter die seinen öffnet.

„Hey" kommt es leise von mir.

„Hey" antwortet Hunter immer noch lächelnd.

Neben uns räuspert sich jemand und wir drehen beide erschrocken den Kopf. Ryder, wer sonst?

„Ich nehme an, dass war weil Philipp gerade in die Mensa gekommen ist" will er wissen. Wie? Philipp ist hier? Hat Hunter mich deswegen geküsst? Beschämt drehe ich mich wieder zu meinem Teller und starre darauf.

Deswegen war er kurz vor unserem Kuss also so angespannt. Er hat Philipp gesehen. Wollte er mich mit dem Kuss beschützen? Philipp eins auswischen? Warum bin ich so verwirrt? So, ja, verletzt.

„Natürlich, warum denn sonst?" breche ich das Schweigen, dass zwischen uns liegt. Hunter sieht mich an, mehr nicht. Er hat noch kein Wort gesagt. Damit ich nichts Falsche von mir gebe, beginne ich zu essen. Vielleicht kann ich dabei meine Gedanken sortieren. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass auch Hunter zu essen beginnt. Ryder hat sich mir gegenüber gesetzt und blickt abwechselnd von Hunter zu mir und umgekehrt.

Philipps POV

Ich will mir in der Mensa gerade ein Tablett nehmen, als ich meinen Blick schweifen lassen und sehe, wie Hunter Lisa küsst. Und es sieht aus, als würden sie es nicht das erste mal machen.

Mein Mitbewohner küsst mein Mädchen!

Ruhig, Brauner, ermahne ich mich selbst. Hunter ist nur noch wenige Tage dein Mitbewohner und Lisa ist schon lange nicht mehr dein Mädchen. Du hast es nicht anders gewollt. Auch wenn ich mir durchaus bewusst bin, dass es mich nicht interessieren sollte, ich möchte ausflippen und auf irgendwas einschlagen. Vorzugsweise Hunters Gesicht.

Ich stelle mein Tablett wieder zurück und gehe Richtung Ausgang, während ich mein Handy hervorhole.

„Linda? In fünf Minuten hinter der Sporthalle" ist alles was ich sage, bevor ich mein Handy zurück in meine Hosentasche schiebe.

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