Part V - Where The Tale Ends
Written by Schocklat
Art by Schocklat
Co-Reading by julislifestyle
~☆~
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als er erneut die Lider aufschlug.
Er rieb sich über seine geröteten Augen und noch feuchten Wangen. Sein innerer Tumult der vergangenen Stunden musste ihn wohl so entkräftet haben, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass ihm die Augen zu gefallen und er abgedriftet war. Trotz des Schlafens fühlte er sich kein Stück erholter. Das war jedoch nicht wichtig. Wichtig war nur, zu verstehen, dass sein Vater in seiner Meinung falsch lag.
Und Keigo tat das.
Er lag mit allem falsch! Mit Rumi, mit den Leuten aus dem Dorf und mit Keigo selbst auch.
Er war kein Monster! Und er würde auch niemals eines sein. Er war genau so wie alle anderen! Es war ihm egal, ob sein Vater anders über ihn dachte. Alles, was für ihn zählte, waren die Menschen, die ihn zum ersten mal gezeigt hatten, wie es war, wirklich frei zu sein und wie es war Spaß zu haben.
Ihm wurde warm bei dem Gedanken sie bald wieder sehen zu können. Immerhin hatte Rumi gesagt, dass sie sich heute erneut treffen wollten.
Seine Mundwinkel zuckten nach oben, bevor sein Blick auf die eisernen Stäbe viel und sein Lächeln genau so schnell erlosch wie es aufgeflackert war.
Wenn er doch nur aus diesem Ding entkommen könnte...
Es musste doch einen Weg hier raus geben! Wie wäre er andernfalls in hier hinein gelangt? Er setzte sich auf, umfasste das Metal mit beiden Händen und zog und zerrte an ihm so stark er konnte. Es geschah nichts. Kein Nachgeben der Stäbe und kein brüchiges oder lockeres Stück, dass sich leicht aus dem Konstrukt reißen ließ. Er saß fest. Ein beklemmendes Gefühl packte ihn und er ließ sich zurück auf den harten Boden fallen. Wie sollte er hier je raus kommen, um wieder frei zu sein?
Fragend suchte sein Blick umher und wanderte zwischen den grauen Fängen seines Käfigs hindurch, raus auf den Dorfplatz, den er nie verlassen zu haben schien. Es war wie am ersten Tag, als er das erste mal hier gewesen war. Dieses Gefühl, welches ihn gepackt hatte, wurde leichter, als er das alltägliche Treiben beobachtete. Wie Menschen über die gepflasterten Wegen spazierten und in engen Seitengassen verschwanden. Wie Kutschen und Pferde über das Pflaster klapperten. Wie kleine Kinder zwischen den Ständen Fangen spielten und die Älteren hilflos versuchten, sie davon abzuhalten, was Keigo leise kichern ließ.
Es wirkte alles so fröhlich, schon fast herzlich. Das vertraute Spiel ließ Keigo die Ereignisse des Tages vergessen, jedenfalls für eine kurze Zeit. Denn auch, wenn alles so natürlich schien, hatte Keigo das Gefühl, dass irgendetwas nicht richtig war.
Das etwas da war. Etwas, das dort nicht hin gehörte. Er wusste, dass es da war, vermochte aber nicht zu sagen, was es war. Mit halb geschlossenen Augen versuchte er, seinen Blick zu schärfen und es erkennen zu können. Da war aber nur wieder dieses Gefühl. Es war nicht so, wie die Beklemmung und Einsamkeit, die er zuvor gespürt hatte. Diese ließen nicht seine Haare aufrecht auf seinem Nacken stehen und kalte Schauer über seinen Rücken entlang jagen.
Er fühlte sich beobachtet.
Und mit einem Mal sah er es.
Weit entfernt und doch viel zu nah.
Überall. Augen, welche sich direkt in seine Seele bohrten. Blicke, die von den Dorfbewohnern ausgingen und ihn erzittern ließen. Er hatte Freundlichkeit erwartet. So, wie man ihn angesehen hatte, als er zusammen mit Rumi die Stände nach Lebensmitteln abgeklappert hatte. Diese Blick waren nicht herzlich. Sie sahen ihn so an, wie sein Vater.
Ja, nun sah er es genau. In den Augen der Menschen, die dichter an seinem Käfig vorbei liefen. Verachtung. Ekel. Abscheu. ... Furcht.
"Wi-wieso sehen sie mich so an? Habe ich etwa irgendwas im Gesicht?"
Es wurde schlimmer. Das Gefühl, von allen Seiten beobachtet, schon regelrecht mit Pfeilen, statt Blicken, durchbohrt zu werden. Er fühlte sich, als würde er nackt dort sitzen, jedes noch so kleine Detail seines Daseins im Freien und allein der Gedanke ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Keigo begann zu zittern und schreckte von den Stäben zurück.
"Das ist sicher nur Einbildung, o-oder?"
War es nicht.
Nun, da er es bemerkt hatte, bemerkte er auch den Rest, der immer deutlicher wurde, je länger er hinsah. Die Mutter, welche ihr Kind, das neugierig auf ihn zukommen wollte, zurück hielt und schnellen Schrittes davon lief. Wie einige der Händler ihn ansahen, als wollte sie ihn als Trophäe an den höchst Bietenden verkaufen. Als wäre er ein Objekt und kein Lebewesen. Das Schlucken fiel ihm schwer, als er sah, wie einer von ihnen mit einem Tuch eine Axt polierte und ihm dabei direkt in die Augen sah. Und dann waren da noch die Kinder, die sich bei seinem Anblick hinter ihren Eltern versteckten.
Er wollte es nicht. Er wollte das alles nicht!
>>Hört doch bitte auf.<<, flehte er leise. So leise, dass ihn niemand hörte, außer der Wind, der ihn übertönte. Niemand hörte sein leises Schniefen, als ihm erneut an diesem Tage Tränen in die Augen stiegen und ihm die Sicht verschwamm. Sein Verlangen, sich zu verstecken so groß, es drohte ihn zu zerreißen. Der Wusch, unter ihm möge sich plötzlich ein Loch auf tun, welches ihn verschluckte, nur damit dieses Elend ein Ende fand. Die Stimmen in seinem Kopf, die ihm zuflüsterten, dass er an allem Schuld war. Dass er diese Blicke und noch so viel mehr verdient hatte, so präsent wie noch nie zuvor. Von Sekunde zu Sekunde wurden sie lauter, bis er das Gefühl bekam, sein Schädel wäre kurz davor zu zerplatzen wie ein Ballon.
Er wusste, dass seine Knie dichter an seinen Körper zu drücken und seine Flügel um sich zu legen, das Einzige war, dass er tun konnte. So, wie er es bei sich Zuhause getan hatte. Ein Stück der Sicherheit.
Es war das Einzige, das ihm in diesem Moment Trost bot, als die Menschen weiter an ihm vorbei zogen, wie Geier um ihre Beute.
+
Tage vergingen, in denen er im Käfig saß.
Tage, in denen er sich mehr und mehr wie etwas vorkam, von dem er immer bestritten hatte, es zu sein. Ein wildes Tier, das in einen Käfig gehörte. Weg gesperrt von allem was atmete, um Niemandem zu schaden. Anscheinend war er es nur wert, mit verschrumpelten Früchten und hartem Brot gefüttert zu werden. Jedenfalls sahen die Lebensmittel, die jemand ihm vor dem Aufwachen durch die Gitterstäbe gestopft hatte genau so aus.
Er wusste jedoch, dass er kein Tier war, weshalb er auch immer weiter versuchte, sich selbst davon zu überzeugen.
Zeit verging, jedoch langsamer als ihm lieb war.
Zusammen gekauert saß er da, umringt von Metall. Draußen, da wo er immer hin wollte. Hinaus in die ihm fremde und so frohe Welt, mit all ihren Düften und Farben von denen er vorher nur geträumt hatte. Sein Magen knurrte, ihm war noch nie so kalt gewesen, wie in dieser Stunde. Es war nicht ansatzweise, wie die Kälte, die er in seinem Zimmer verspürte. Nein, diese Kälte war schlimmer. Härter, als wollte sie seinen ganzen Körper zu Eis erstarren lassen. Doch die Kälte und die Steine, die von den doch vorher so nett wirkenden Bewohnern des Dorfes durch die Gitterstäbe seines Käfigs geworfen wurden und die kleinen Schnitte auf seiner Haut, die sie hinterließen, waren nicht das Schlimmste für ihn.
Es waren ihre Blicke, die ihn immer wieder und wieder durchstachen. Ihn förmlich verschlangen. Hass, Abscheu und Ekel in jedem Augenpaar zu erkennen. Dies war es, was sein Herz in kleine Splitter zerfallen ließ. Jeder Blick und jeder Satz, der ihn so mühelos und achtlos an den Kopf geworfen wurde, als wäre es nichts, verwandelten sein junges Herz in eine leere Höhle seiner selbst.
Es war eine Sache, von der er so überzeugt gewesen war und von der er geglaubt hatte, dass sein Vater in ihr so falsch lag. Jetzt, wo er daran zurück dachte, hätte er es ahnen müssen.
So waren die Anzeichen ihm doch schon einmal so deutlich vorgehalten wurden. So direkt und er hatte sie ignoriert oder bewusst nicht wahrgenommen, um sich selber wahr zu machen, dass sie niemals existiert hätten.
Es war die Zeit, zu der die Sonne mal wieder halb vom Horizont verschlungen war. Als die Händler vereinzelt dabei waren, ihre Stände für den Tag zu schließen und Kinder zum Abendessen nach Haus eilten.
Wie viele Tage er schon festsaß, war ihm entfallen. Er wusste nur, dass er nach dem vierten Tag aufgegeben hatte, einen Weg heraus aus diesem grässlichen Käfig zu finden, gemeinsam mit dem zählen. Es würde ihm sowieso nichts bringen, außer das Wissen, dass er einen weiteren Tag seines Lebens eingesperrt war, ohne einen Ausweg gefunden zu haben.
Aber das wusste er auch so, ohne zählen zu müssen.
Unruhig rollte er sich von der einen auf die andere Seite, so war der harte Untergrund doch etwas, an das er sich wohl nie gewöhnen würde. Frustriert murrend setzte er sich wieder auf. Es machte keinen Sinn, zu versuchen zu schlafen, wenn er es doch schon vor Stunden ebenfalls vergeblich versucht hatte.
"Ob es Susi und Aurora wohl gut geht?"
Er legte sein Gesicht auf seine Knie und Blickte hinauf zu den Sternen, als er zu den beiden zurückdachte, die sich ohne ihn bestimmt schon einsam fühlen mussten, so ganz allein bei ihm im kargen Zimmer.
"Hoffentlich hat Vater ihnen nichts angetan."
Er begann die Sterne zu zählen, die das einzige waren, das ihm Gesellschaft bot und mit ihrem schönen Funkeln aufmunterten. Eins, zwei, drei ... Und immer weiter, zählte er die Himmelskörper, die schöner strahlten, als der teuerste Diamant.
Doch was war das?
Ein heller Funke blitzte auf und zog eine lange leuchtende Bahn über das dunkle Orange des dämmernden Himmels. Keigos Auge wurden groß.
In Windeseile sprang er auf und presste sein Gesicht gegen kalte Metallstäbe, um dieses ihm neun Phänomen länger betrachten zu dürfen. Das erste mal seit langer Zeit machte sich ein Lächeln in seinem Gesicht breit, als er weiter hinauf sah.
"Eine Sternschnuppe! Ich darf mir was wünschen, aber was nur?"
Er braucht nicht lange zu überlegen. Die Antwort darauf kannte er schon seit er klein war. Etwas nachdem sein so junges Herz sich schon immer gesehnt hatte. Etwas, das für ihn, nie in Reichweite gewesen war.
>>Ich wünsche mir Jemanden, der genau so ist wie ich. Jemanden, der mich auch ohne Worte versteht. Jemanden, der mich so liebt wie ich bin.<<
Bei seinen Worten stieg Wärme in seine Wangen, hatte er doch nie zuvor auch nur daran gedacht, dass sowas je in seiner Reichweite wäre. Aber jetzt war schließlich alles anders, also warum sollte er es sich selbst verwehren, sich mehr zu wünschen? Mit einem Lächeln, welches fast so schien wie die Sonne selbst, lehnte er sich wieder mit dicht angezogen Beinen auf den Boden.
In seinem Bauch ein Gefühl, wie tausend bunte Farben, die um die Wette strahlten.
Und so dauerte es nicht lange, bis er in einen ruhigen Schlaf viel. Geprägt von einem Wunsch, auf den er nicht mehr länger warten sollte.
+
Geweckt wurde Keigo durch menschliche Geräusch am nächsten Tag.
Das natürliche Treiben des Alltags. Was nichts Ungewöhnliches war, da es auch sonst der Grund war, wodurch er am Tage erwachte. Doch es war anders, als an den bereits vergangenen Tagen. Es waren mehr Geräusche auf dem Marktplatz als gewohnt. Dementsprechend waren die stechenden Blicke noch präsenter als an den bereits vergangenen Tagen. Sie stachen wie Insektenbisse in seine Haut. Keigo bekam einen Juckreiz, überall wo sie in trafen. Doch auch, wenn sein Körper auch noch so viele rote Striemen wie möglich aufzuweisen vermochte, schien dieses Gefühl nicht gehen zu wollen.
Nicht weit entfernt von seinem Gefängnis stand sein Vater. Wo sollte er denn auch sonst sein, als in Keigos Nähe, um sich an seinem Leid zu ergötzen? Was ihn aber verwunderte, war, dass sein Vater nicht allein war.
Er stand hinter der Menge. Neben ihm ein groß gewachsener Mann, in eben so feinen Klamotten, wie sie sein Vater trug. Aber das war nicht das auffälligste an ihm. Sein Haar wirkte wie Feuer. Lodernd und leuchtend im hellen Schein der Sonne.
Es überraschte ihn, dass die zwei Männer sich gut zu verstehen schienen.
Sie wirkten ausgelassen und lachten, jedenfalls machte es von Keigos Position aus den Anschein danach. Beide wirkten wie alte Freunde, die sich lange nicht mehr gesehen hatten. Er konnte nicht verstehen, was sie sagten und er war sich auch nicht sicher, ob er es wollte. Es waren nicht nur die Blicke der Vorbeiziehenden, die er auf sich spürte.
Es verwundert ihn, dass sein Vater in Gesellschaft eines anderen Lebewesens in der Lage war, glücklich zu sein. Nicht, dass sein Vater jemals jemanden zu ihnen ins Haus eingeladen hatte. So, wie er war, verhielt sich sein Vater wie Ebenezer Scrooge. Eine Gestalt, die er aus einem der Bücher kannte, welche immer noch bei ihm im Zimmer lagen und verstaubten. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass sein Vater nicht Weihnachten, sondern alles und jeden hasste, wohl abgesehen von dem Herren neben ihm.
Keigo war abgelenkt, weshalb er erst bemerkte, dass die Menge sich verdichtet hatte, als bereits kein freier Fleck mehr übrig war. Selbst der letzte Dorfbewohner oder Schaulustige stand jezt in einem Radius von wenigen Metern von ihm entfernt. Wie ein kaputtes Uhrwerk drehte sich der Kopf des Blonden, als er mit aller Kraft versuchte, ein Schaudern zu unterdrücken. Er war wahrlich eingekesselt. Nun sowohl von Menschen, als auch von seinem Käfig.
Er konnte nur allzu gut erkennen, wie sich das hinterlistige Lächeln auf das Gesicht seines Vaters schlich, gefolgt von etwas Dunklerem. Etwas, das ihm ein Schlucken entlockte und ein Gefühl, dass einem Schlecht zumute werden ließ. Ein Tuscheln machte sich in der Menge breit. War es den Tag über immer da gewesen, aber nie laut genug, um es auch wirklich wahrzunehmen.
Die Stimmen wurden lauter, als wüssten sie wie unruhig sie ihn damit machten, während sein Verstand ihn anschrie, sich ein Versteck zu suchen, wie ein ängstliches Kaninchen.
Ein Spalt teilte die Masse an Menschen. Eine Person nach der nächsten wich in dem Gedränge zurück. Sie ebneten den Weg für das Wesen, oder wohl gesagt die Person, die sich ohne zu zögern auf Keigo zu bewegte. Erst, als sie direkt vor ihm stand, realisierte der Blonde, dass es sich um den wohlgekleideten Herren handelte, mit dem sein Vater noch vor wenigen Momenten gesprochen hatte. Von Nahem, sah dieser noch furchteinflößender aus, als es schon von der Ferne aus den Anschein gemacht hatte.
So groß, dass er so Manchen mit einem oder zwei Köpfen überragte, breite Schultern und einen derart ernsten Ausdruck in seinem Gesicht, dass man meinen könnte, er hätte in seinem Leben noch nie gelacht. Als wäre Freude für ihn ein Fremdwort. Kein Wunder, dass sein Vater solche Menschen zu seinen engen Gesprächspartnern zählte, dachte Keigo in sich hinein und drückte sich mit dem Rücken gegen eine weit entfernte Ecke des Käfigs. Selbst, als sich ein stechender Schmerz in seinen Flügeln breitmachte, wich er nicht von seiner Position zurück. Er vertraute der Szene kein Stück und hielt gebannt seinen Blick auf dem fremden Mann.
Eben dieser besah ihn mit einem kurzen, aber scharfen Blick und rümpfte die Nase, bevor etwas aus seiner Brusttasche zog. Keigo konnte nicht erkennen, was es war, doch das brauchte er auch nicht, denn im nächsten Moment öffnete sich mit einem lauten Quietschen der Käfig.
Nach Tagen tat sich endlich eine Fluchtmöglichkeit auf. Er konnte fliehen! Er konnte endlich frei sein! Er konnte seine Freunde wiedersehen!
Ehe er jedoch weiter über seine Flucht nachdenken konnte, wurde er bereits fest am Kragen gepackt. Er war unaufmerksam gewesen, was der Fremde genutzt hatte, um zu ihm in den Käfig zu steigen.
>>Hey, lassen Sie mich los!<<
Wild strampelnd, wehrte er sich gegen den Mann, der ihn mühelos packte und aus dem Käfig zerrte, als würde er nichts wiegen. Was er für einen Schrank von einem Mann wie diesen auch sicher tat. Zischend verfestigte dieser seinen Griff, bis Keigos Atem ins Stocken geriet. Bitte nicht schon wieder!
>>Halt still, Dämon! Ich hab heute noch Wichtigeres zu tun, als mich um dich zu kümmern. Du kannst von Glück reden, dass dein Vater und ich so gute Geschäftspartner sind, sonst hätte ich mich nie bereitwillig dazu erklärt, dass meine Männer dir helfen sollen.<<
>>W-was meinen Sie damit?<<, entfloh es Keigo, als er wiederwillig tat, was man von ihm verlangte. Der Herr antwortete diesmal nicht, sondern lächelte nur einmal kurz, bevor er wieder an der Menge vorbei schritt. Es war gruselig. Das einzige Gefühl, welches der Blonde in diesem Moment verspürte, war Furcht.
Der Mann, welcher ihn ins Ungewisse brachte und die Menschenmasse, welche gespannt zusah, als wüssten sie schon längst, was Keigo erwarten würde ... Es konnte nichts gutes heißen. Nicht bei den Emotionen, die diese Menschen ihm in den letzten Tagen gezeigt hatten. Nun wirkten sie wie ausgewechselt.
Weiter und weiter gingen sie voran. Es kam dem Jüngeren wie eine Ewigkeit vor, auch wenn es nicht mehr als einige zähe Minuten gewesen sein mussten. Sie befanden sich noch immer auf dem Dorfplatz, jedoch an einem abgelegeneren Teil davon. Entfernt von den bunten Ständen.
Über Keigos Kopf taten sich Fragezeichen auf, als er sah, worauf sie sich zu bewegten. Nicht weit vor ihnen, auf einem kleinen Fleckchen Gras, stand eine Art Holztisch, mit breiten Beinen und aus dunklem Holz. Er wirkte mehr als nur fehl am Platz. Als hätte man ihn erst heute morgen dort platziert. Diesen Eindruck machte es zumindest auf den ersten Blick. Als er sich genauer umsah, begannen sich die Lücken jedoch allmählich mit Sorgen und Zweifeln zu füllen.
Das Gefühl von Furcht wurde schlimmer, als er erneut in die breite Masse sah und strahlende Gesichter erblickte. Was war nur mit ihnen los?
Egal, wo oder zu wem er sah, alle besaßen sie das selbe begierige Funkeln in den Augen, das Keigos Blut gefrieren ließ. Sein Blick suchte weiter. Nach was konnte er selbst nicht sagen. Eine Fluchtmöglichkeit? Ein heimlicher Retter in letzter Stunde? Dann, nicht weit von ihm entfernt, sah er es. Einen weißen Haarschopf. Es gab nur eine einzige Person, die er bisher mit solch einer Haarfarbe erblickt hatte.
>>Rumi!<<
>>Bitte, hilf mir!<<
Er rief nach ihr, so laut wie er nur konnte. Hoffte, dass sie ihn hörte. Das Zucken, welches durch ihren Körper fuhr und die überraschten roten Augen welche ihn anblickten, verrieten ihm mehr als genug, dass sie es tat. Er streckte seine Hände nach ihr aus und begann sich erneut mit aller Kraft gegen den Griff an seinem Hals zu wehren. Mit seinen Füßen strampelte und trat er und kratzte mit seinen Nägel über die Hand, die ihn festhielt. Egal was, er wollte einfach nur wieder zu seiner Freundin.
>>Ich habe doch gesagt, dass du aufhören sollst, Dämon!<<
Ehe er sich versah, wurde er so hart auf den Holztisch geknallt, dass vor seinen Augen Sterne tanzten. Holzsplitter bohrten sich in seinen nackten Rücken und seine Flügel brannten, als wären sie vom Blitz getroffen wurden. Benommen nahm er war, wie man seine Fuß und Handgelenke durchstreckte und unsanft etwas an ihnen befestigte. Es war kalt und hart, wie der Boden seines Käfigs es war.
Augenblicklich war er wieder ganz bei sich. Mit Erschrecken musste er feststellen, dass er sich nicht mehr bewegen konnte. Man hatte ihn mit eisernen Fesseln an den Tisch gekettet.
Sein Atem wurde schneller, als er sich zur Seite drehte. Mit dem Blick suchte er wieder nach seiner Freundin. Jemanden, der ihm helfen würde. Seine Sicht wurde durch den Herren verdeckt, der ihn in diese Lage gebracht hatte. Als er aufsah, erblickte er zwei blaue Augen, die ihn so desinteressiert und unbeteiligt musterten, wie er es nur von einer Person kannte. Ein Knurren verließ seine Kehle.
>>Was soll das?! Lassen Sie mich gehen! Sofort!<<
>>Wenn du denkst, dass wir dich in deinem jetzigen Zustand einfach laufen lassen, bist du wirklich noch kindischer als ich dachte.<<
Eine Person trat hinter dem Herren mit feuerroten Haaren hervor und ein weiteres Knurren entfloh ihm. Wer hätte es denn sonst sein sollen, wenn nicht sein Vater? Giftig grinsend, hockte sich dieser vor ihm hin, sodass sie auf Augenhöhe waren.
>>Hast du in all den Tagen in dem Käfig denn wahrlich nichts gelernt? Ha, und ich dachte es würde reichen, um dir die Augen zu öffnen.<<
>>Ich habe euch nichts getan, also lasst mich f-frei!<<
Vergeblich versuchte er, sich zu befreien, was ihm jedoch nur zwei belustigte Blicke bescherte. Was war er denn auch für ein naives Dummerchen, dass er es überhaupt versuchte?
>>Tja, Keigo, das können wir nicht. Jedenfalls noch nicht. Nicht, so lange du noch so bist.<<, sprach sein Vater, mit einer gespielten Freundlichkeit, die Keigo erschaudern ließ, während er gegen eines seiner Hörner tippte. Der Jüngere wich der Hand aus und versuchte weiter, sich zu befreien.
>>Wie meinst du das? Ich bin so wie ich immer war. Es ist nichts falsch mit mir. Ich bin kein Dämon oder Monster und werde auch nie eines sein!<<, murrte er und sah beide Männer mit funkelnden Augen an.
Seufzend richtete sich sein Vater wieder auf und schüttelte den Kopf.
>>Ach ja, und eben das ist das Problem. Dass du so bist, wie du bist und selbst zu naiv, um zu erkennen, dass dies dein Problem ist.<<
Ein Lächeln schlich sich wieder auf sein Gesicht. Ein kleines Detail, an das sich der Jüngere noch immer nicht gewöhnt hatte, sodass es ihm eine Gänsehaut bescherte.
>>Aber keine Sorge. Enji und ich haben uns lange über dein kleines Problem unterhalten. Es war schwierig, doch zu deinem Glück haben wir eine Lösung gefunden. Einen Weg, damit du endlich normal leben kannst. So wie wir.<<
>>W-Was meinst du mit "normal leben"? Ich bin normal.<<
Die beiden Erwachsenen warfen sich einen undurchschaubaren Blick zu. Der Blonde hatte genug von dieser Heimlichtuerei. Er wollte wissen, was hier los war und warum sich alle so seltsam verhielten! Er selbst war der Einzige, der außenvor gelassen wurde. Es war nicht fair und absolut beunruhigend.
>>Es ist an der Zeit Enji.<<, sprach sein Vater.
Wieder ein Rätsel, zu dem der Jüngere die Antwort nicht kannte. Aber wieso noch nach der Lösung fragen, wenn ihm doch sowieso Niemand zuhörte?
Ein Nicken war Enjis Antwort, wobei er er im selbem Moment seine Hand hob.
Zwei weitere Männer traten aus der dichten Masse, als hätten sie nur auf sein Zeichen gewartet. Einer von beiden hielt ein Werkzeug in der Hand, welches Keigo noch nie zuvor gesehen hatte. Er kannte sich mit den benötigten Hilfsmitteln zur Anfertigung von Hüten aus, aber etwas dergleichen hatte er noch nie gesehen. Ein langes, metallisches Blatt mit vielen kleinen Reißzähnen und einem Griff an dessen oberer Seite. Die Männer traten einmal um den Tisch herum und verschwanden aus seinem Sichtfeld, doch sie waren immer noch da. Keigo konnte sie als bösen Schatten hinter seinem Rücken spüren.
>>Sag mir endlich, was ihr mit mir vorhabt!<<, versuchte Keigo es ein letztes Mal.
Er versuchte, es so gut er konnte zu verstecken, aber seine Stimme zitterte, so wie sein gesamter Körper. Er hatte Angst. Vor dem Ungewissen. Vor dem, was ihn erwarten würde. Die Antwort seines Vaters machte dabei alles nur noch schlimmer, als er sich wieder zu seinem Sohn wand und ihm einmal auf die angespannte Schulter klopfte. Sollte es ein Zeichen der Aufmunterung sein, so war es ein sehr schlechtes.
>>Versuch einfach, an etwas Schönes zu denken.<<
Mit einem letzten Lächeln wand sich sein Vater ab. Dicht gefolgt von seinem Geschäftspartner, schritten beide auf die anderen Menschen zu. Keigo wollte ihm hinterherrufen. Ihn anschreien, dass er ihn freilassen solle. All diese Gedanken verstummten, als sich eine fremde Hand auf seine Schulter legte, welche ihn davon abhielt, sich wieder auf den Rücken zu legen. Zwei weitere griffen nach seinen Flügeln, streckten sie und hielten sie fest. Entkommen war aussichtslos.
Es war, als hätte er vergessen zu atmen, als etwas spitzes an den Ansatz seiner Flügel gelegt wurde, das schlimmer stach, als das Holz, welches sich in seine Seite bohrte. Der Mann, der ihn auf der Seite hielt, kam dichter, bis der Blonde seinen Atem auf der Haut spüren konnte. Eine tiefe Stimme sprach zu ihm. Worte, die ihn auf ewig verfolgen würden.
>>Halt jetzt ganz still und ich würde mich nicht umdrehen, wenn ich du wäre. Schließ einfach die Augen und denk an etwas Schönes.<<
>>Wa - <<
Ein lautes Knacken durchbrach die Stille, die sich gebildet hatte, gefolgt von einem Schrei. Keigo konnte nicht identifizieren, wo er herkam. Es war, als wäre ihm jegliche Farbe aus der Sicht gewichen. Übrig blieb nur ein stechendes weiß, gefolgt von einem lauten Piepen. Im Hintergrund vernahm er ein stetiges Ritchen und Ratschen, vergleichbar mit dem Geräusch, wenn eine weitere Maus in einer der vielen Fallen in ihrem Keller tappte. Das Geräusch, nach dem Zuschnappen der Falle, wenn das Tier sich sein kleines Genick brach und danach keinen Ton mehr von sich gab.
Er war aber nicht wie die Maus, die tot war, nachdem sie in die Falle tappte. Nein, er lebte noch. Obwohl, er es sich wünschte, so wie eine der leblosen Mäuse zu sein, in dem Moment, als der Schock nachließ und die Sinne langsam zu ihm zurückkehrten.
Schmerz.
Das war das Einzige, das er fühlen konnte, als sich das seltsame Werkzeug seinen Weg voran bahnte. Sein Körper hörte nicht auf zu zittern. Tränen liefen sein Gesicht hinunter, als er aufschrie und ein weiterer Schmerz durch seinen ganzen Körper jagte. Verschwommen blickte er in die Menge. Sie standen immer noch da und sahen zu. Sahen zu, wie er so unglaublich große Schmerzen erlitt.
>>HILFE!<<
Sein Hals schmerzte, aber es hörte nicht auf. Er schrie weiter um Hilfe, um Gnade, um ein Ende dieser Qualen, doch niemand erhört sein Flehen. Sein Atem kam nur noch stockend, zwischen verzweifelten Schluchzern und den schwarzen Punkten, die ihm die Sicht nehmen wollten.
Sein Atem hörte ganz auf, als die fremden Hände begannen, am oberen Ende seiner Flügel zu ziehen, wo die Quelle des Schmerzes lag. Mit einem lauten Schnappen wurde Keigos Sicht weiß und das sonst so angenehme Gewicht auf seinem Rücken leichter, als er hörte wie hinter ihnen etwas ins Gras fiel. Es stoppte nicht. Auch, wenn er gedacht hatte, dass diese Brutalität nun endlich vorüber wäre, nach allem, was diese Menschen ihm angetan hatten, so war sie es nicht. Als das Werkzeug erneut ansetzte, verlor Keigo alles, was er sich je erhofft hatte. All seine Träume und Hoffnungen verschwanden. Lösten sich in Staub auf. Zerbrochen, wie der Knochen, der ihn einst mit seinem größten Schatz verband.
Keigo wusste nicht, wann seine Schreie verstummt waren und er endlich das Bewusstsein verloren hatte. Die schwarze Leere war ein Segen, denn in ihr gab es keine Schmerzen, keine stechenden Blicke. Nur Leere.
Ein bekannter Duft stieg ihm in die Nase, bevor er endlich in seine Welt aus schwarz abdriftete. Das zweite Schnappen, hörte er nicht mehr. Genau so wenig, wie die Gestalt in schwarzem Hut und Anzug, die hinter den Männern an Keigos Rücken auftauchte und einmal mit den Fingern schnipste. Lautlos fielen die zwei Männer zu Boden. Mühelos schritt der Fremde über sie hinweg. Geradewegs auf die kleine Gestalt auf dem Tisch zu. Die runden Wangen feucht, als noch immer neue Tränen sein kindliches Gesicht herunter liefen. Sanft strich die Gestalt durch das zerzauste und schwitzige Haar des Jungens. Dieses Jungens, welcher all das nicht verdient hatte. Der Blick des Mannes wurde finster, als er von dessen Rücken hinunter in das dichte Gras sah.
Rot war alles, das er sah.
Rote Federn und zwei kleine rote Flügel.
Ein Tumult zog die Aufmerksamkeit der Gestalt von dem roten Schlachtfeld auf die Menschen vor sich. Wut machte sich in ihm breit, als er mit einem Schnippen die Fesseln des Jungen durchbrach und ihn vorsichtig in seine schützenden Arme nahm. Gefolgt von einem betörenden Duft, schritt er weiter auf diese herzlosen Wesen zu, von denen die Meisten bereits bei seinem Anblick die Flucht ergriffen.
Es war ihm egal. Er brauchte nur ein bestimmtes Exemplar von ihnen.
Er musste nicht weiter gehen. Das Monster, nach dem er suchte, war einer der Wenigen, die nicht geflüchtet waren. Egal ob es Heldenmut oder einfach Dummheit sein mochte, er beschwerte sich nicht. Es machte das, was er vorhatte zu tun, um Unmengen leichter.
>>Enji Todoroki.<<
Bei seinem Namen zuckte der Andere kaum merklich zusammen, doch die Gestalt sah es trotzdem. Und es schlich sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Es war zu schön, diese wilde Kreatur zum Erschaudern zu bringen.
>>Ich hätte wissen müssen, dass ein Monster wie du niemals sein Herz für ein anderes Lebewesen öffnen könnte. Wie nennt ihr es noch gleich? Ja, Nächstenliebe.<<
Die Gestalt trat dichter. Enji versuchte, sich zu bewegen oder auch nur ein Wort zu sagen, aber seine Glieder waren wie eingefroren.
>>Nun, sag mir, Enji Todoroki. Du, als angehender Vater. Sieht das hier für dich wie Nächstenliebe aus?<<
Er konnte nicht weg sehen, als die Gestalt ihm Keigo zeigte, der in seinen Armen zitterte und sich auf der Suche nach Schutz zusammen kauerte.
>>Alles, was sich dieser Junge je gewünscht hat, ist es frei sein zu dürfen. Mit den Vögeln zu fliegen und Jemanden an seiner Seite zu haben, der ihn versteht.<<
Knurrend war die Gestalt nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, als sie wieder begann zu lächeln. Breiter, als noch Momente zuvor. Es wirkte unmenschlich und falsch in einer Weise, die Enji nicht zu beschreiben vermochte.
>>Und ich werde ihm geben, was er sich so sehnlichst wünscht. Das ist diese Welt ihm schuldig.<<
Die Gestalt entfernte sich und endlich fand er die Kraft in sich, sich zu bewegen. Er sackte auf seine Knie und sah ein letztes Mal zu dem Fremden.
>>Ich bestrafe dich, Enji Todoroki. Du wirst diesem Jungen geben, was er sich immer gewünscht hat. Das ist dein Fluch.<<
Mit diesem Worten verschwand die Gestalt. Zusammen mit dem kleinen, blonden Jungen.
Zurück blieb nur ein starker Duft nach Rosen, der langsam im Wind verwehte.
-------------------------------------
Ein offenes Ende.
Was für Arschlöcher wir wohl sein müssen ... xD
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top