Traummeer

Ich habe dieses Jahr am Ocean Award teilgenommen. Eine Platzierung habe ich nicht erhalten, aber ich wollte die Geschichte trotzdem hier veröffentlichten :)
Viel Spaß beim lesen

Traummeer

Entnervt schalte ich den Fernseher aus. Mein Kopf pocht und schmerzt. Ich hasse diese Kopfschmerzen, nicht nur, weil die Schmerzen beinahe unerträglich sind, sondern auch, weil ich weiß, was danach folgt. Hat es nicht gereicht, dass ich erst letztens eine Wurzelbehandlung hatte? Warum habe ich das jetzt nur so oft?

Ich überlege, ob es vielleicht am Zustand meiner Wohnung liegt. Hier ist es viel zu feucht und es müsste dringend renoviert werden. Ich muss nur nach oben sehen und schon grinst mich ein Schimmelfleck an. Aber eigentlich weiß ich, dass es damit nichts zu tun hat.

Seufzend erhebe ich mich vom Sessel und gehe, obwohl es noch helllichter Tag ist, in mein Schlafzimmer und lege mich ins Bett. Es kümmert so oder so niemanden, wenn ich jetzt schlafe. Schließlich lebe ich schon immer allein, seit ich bei meinen Eltern ausgezogen bin. Aber manchmal… Manchmal, da bin ich einsam.  

Ich schließe die Augen und als ich sie wieder aufschlage, bin ich an einem wunderschönen endlos weiten Strand. Ich stehe vorsichtig auf. Der Sand unter mir ist nass und körnig. Die Luft feucht und schwer. Mein Herz pocht laut in meinen Ohren. Vor mir sehe ich das Meer, das sich wie ein flüssiger Spiegel vor mir ergießt. Und ich weiß, dass ich träume, als das Wasser durch meine Berührung in fluoreszierenden Farben erstrahlt. Wellen lecken zart an meinen Füßen und kleine silberne Fische schwimmen im Wasser. Sie sehen aus wie Heringe und sind es doch nicht. Jedesmal, wenn ich diesen Traum hatte, habe ich das Netz durchforstet nach diesen Tieren und nie einen Treffer finden können.

Warum ich so oft hiervon träume, ist mir unklar. Nein, das ist falsch, nur… Was ich tief in meinem Inneren zu wissen glaube, kann nicht wahr sein. Es kann einfach nicht.

Gedankenverloren setze ich mich wieder in den Sand und lasse meine Finger durch das Salzwasser gleiten. Die kleinen Fische weichen ihnen aus und schwimmen im dunklen Wasser davon. Der Mond spendet sein kaltes Licht, das von der Wasseroberfläche reflektiert wird. Die Meeresstille lässt mich schaudern, auch wenn ich weiß, dass es damit gleich vorbei sein wird. Wie immer.

»Hey, wie geht es dir?«, erklingt eine warme raue Stimme hinter mir.

»Du kennst die Antwort auf diese Frage.« Meine Antwort ist ein wenig zu scharf. Aber er ist schließlich nur ein Traum. Ein Hirngespinst. Nichts weiter.

Ich höre Lesays gedämpfte Schritte im Sand, bevor er sich neben mir niederlässt. Sein graues T-Shirt und die dunkle Jeans würden ihn fast mit der Dunkelheit verschmelzen lassen, wäre da nicht sein Haar, das wie flüssiges Gold anmutet.

»Ich habe auf dich gewartet.«, sagt er und sieht auf die ruhigen Wellen hinaus. Sein Blick wirkt verloren.

Das sagt er immer, aber er kann nicht gewartet haben. Er existiert schließlich nur in meinen Träumen.

»Ich weiß.«, erwidere ich dennoch. Es ist nicht normal, was Lesay mit mir macht. Wenn ich mit ihm rede, fühle ich mich… glücklich. Frei. Vollkommen. Aber gleichzeitig fühlt es sich an, als würden Splitter in meine Seele gebohrt werden und sie bluten und bluten und bluten lassen… Denn er ist nicht real und wird es auch nie sein, genauso wie dieses Meer mit dem leuchtenden Wasser und den silbernen Fischen.

»Ich habe das hier gefunden, als ich gewartet habe.«, redet Lesay weiter. »Ich dachte, es gefällt dir vielleicht.«

Er wendet mir nun sein Gesicht zu. Erst jetzt bemerke ich die Glasflasche, die neben ihm im Sand liegt. Er hebt sie an und hält sie mir hin. Im Inneren der Flasche befindet sich ein Stück Papier.

»Du hast eine Flaschenpost gefunden?«, frage ich. Das ist tatsächlich interessant, obwohl mein Gehirn längst wissen muss, was auf dem Papier geschrieben steht.

Lesay lässt sich nur ein kleines Lächeln entlocken, dann sagt er: »Sollen wir sie öffnen?«

»Natürlich!«, sage ich und bin ehrlich gespannt.

Lesay zieht den Korken von der Flasche, dann schüttelt er sie, während er mit den Fingern nach dem Inhalt fischt. Nach ein paar Fehlversuchen hält er das Papier in der Hand und reicht es mir.

»Du sollst es zuerst lesen.«, sagt er auf meinen, wahrscheinlich sehr verwirrten, Blick hin.

Ich nehme es entgegen und rolle mit den Augen, während ich es auf rolle. Das Papier wirkt nicht alt oder vergilbt, sondern sieht aus wie neu gekauft. Mit Tinte steht darauf geschrieben:

Liebe Lara,
Ich habe lange überlegt, wie ich das hier schreiben oder ob ich es überhaupt schreiben soll. Vielleicht ist es am besten, einfach nicht lange darüber nachzudenken. Ich weiß, dass du nicht an Übernatürliches glaubst, doch ich hoffe, dass zumindest ein Teil von dir weiß, dass es mich gibt. Und egal, wie ich es drehe oder wende, du bist mir wichtig geworden. Ich bin feige, es dir nicht ins Gesicht zu sagen und das macht mich gerade fertig, aber ich hoffe, du verstehst warum. Ich habe mich in dich verliebt, Lara.

Dein Lesay

Ein paar Tränen tropfen auf den Brief in meiner Hand und lassen die Tinte verschmieren. Langsam sehe ich auf, doch Lesay ist fort. Weg. Einfach verschwunden. Der Brief in meiner Hand beginnt sich aufzulösen. Ich bemühe mich, ihn festzuhalten, aber er vergeht wie alles andere in meinen Träumen. Das Meer zieht sich zurück, die Fische sind nicht mehr zu sehen. Alles wird unscharf vor meinen Augen, den Sand unter mir fühle ich immer weniger, als würde alles an mir taub.

Und dann bin ich wach. Mit Tränen in den Augen und zitternden Händen setze ich mich auf und lasse meinen Blick ins Leere gleiten.

Verdammt! Es ist nur ein beschissener Traum Lara! Der Kerl existiert nicht.

Voller Frust grabe ich die Fingernägel in meine Decke. Es ist noch mitten in der Nacht und ich Idiot lasse jemanden mein Herz erobern, der gar nicht real ist.

Klasse!

Ich versuche wieder zu schlafen, aber meine Gedanken wollen mich nicht in Ruhe lassen. Immer wieder denke ich an Lesay und an das, was er mir geschrieben hat. Es fühlt sich falsch an, etwas für ihn zu empfinden. Er ist wie das Meer, nur ein Traum, der nie in Erfüllung gehen wird.

Am Morgen bin ich weder ausgeschlafen noch sonderlich gut gelaunt. Missmutig verlasse ich meine Wohnung, um noch einmal einen Brief an meinen Vermieter zu senden. Es geht doch nicht, dass ich dort mit Schimmel an allen Wänden leben muss!

Angestaut mit Frustration stapfe ich durch die Stadt, bis ich plötzlich in jemanden hinein laufe und stolpere.

»Alles gut bei Ihnen?«, fragt mich derjenige, während ich den Brief, den ich habe fallen lassen, wieder einsammle. Bei der Stimme setzt mein Herz einen Schlag aus.

»Lesay…«, murmle ich vor mich hin, während ich dem Mann ins Gesicht sehe, der genauso aussieht wie Lesay.

»Das ist mein Name.«, bestätigt er. Die Verblüffung, die sich in meinen Augen spiegeln muss, steht nun auch in seinen. »Kennen wir uns?«

»Nein, ich… Ich hab den Namen nur irgendwo mal aufgeschnappt… Ich bin Lara.« Meine Antwort klingt mehr als unglaubwürdig. Hoffentlich denkt er nicht, ich wäre irgendein Stalker…

»Freut mich dich kennenzulernen Lara. Meinen Namen kennst du ja bereits.« Sein Lächeln wirkt so echt und warm, seine blauen Augen schimmern wie die glitzernde Meeresoberfläche in der Sonne. »Ich weiß, das kommt jetzt vielleicht seltsam rüber, aber irgendwie habe ich das Gefühl dich schon zu kennen… Ich weiß nur nicht woher.«

»Nein, tut es nicht. Das Gefühl habe ich auch.« Meine Stimme wird angespannt.

Wüsstest du nur, wie sehr ich dieses Gefühl habe…

»Hättest du Lust mit mir einen Kaffee trinken zu gehen?«, fragt er mich.

»Klar. Ich muss nur noch diesen Brief versenden, aber dann würde ich das sehr gerne.«, erwidere ich, doch irgendwas sagt mir, dass er mir noch etwas zu erzählen hat.

»Du magst das Meer, oder?«, fragt er und weist auf das kleine Wellen-Tattoo auf meinem Arm.

»Ja, wer mag das denn nicht?«, antworte ich und bin etwas skeptisch, was er mir damit sagen will.

»Weißt du, Menschen sind manchmal wie das Meer.«, sagt Lesay melancholisch.

»Und was heißt das?«, hake ich nach, als er nicht fortfährt.

»Das heißt, dass sie manchmal wunderschön und taktvoll sind wie das Meer an der Küste, jedoch manchmal so bedrohlich und unergründlich wie die Tiefsee. Und manchmal gibt es dort Dinge, die wir nicht verstehen, genauso wenig wie manche Menschen. Trotz alledem finden Menschen, die sich finden sollen, zusammen. Deshalb glaube ich an Wunder, Lara.« Sein Blick schweift völlig ab, während er redet und ich erkenne… »Und ich glaube es hat einen Grund, warum wir uns begegnet sind.«

…Er ist ein Träumer, genau wie ich.

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