Jaime
12
Jaime
Katniss
Ich schaute mich erstaunt auf dem Flughafen um. Nach einer Zwischenlandung und insgesamt etwa siebzehn Stunden Flugzeit waren wie tatsächlich auf Bali gelandet. Der Ngurah Rai International Airport war ein riesiges, gläsernes Gebäude, das auf Tourismus ausgelegt war. Obwohl wir streng genommen ja gar keine Touristen waren. Von dem Flughafen nach Jimbaran waren es nicht mal mehr sieben Kilometer und die Fahrzeit mit dem Auto betrug weniger als zwanzig Minuten. Mein Vater war gerade auf dem Weg zum Umzugsunternehmen, um unser Auto abzuholen und meine Mutter und ich versuchten meine Geschwister im Zaum zu halten, während wir warteten. Es war kurz nach zehn Uhr morgens und wir saßen noch im Flughafen auf einer Reihe von Stühlen. Zum Glück waren alle so erschöpft, dass sogar Josh zu müde zum Schreien war. Ich saß meinen Ellenbogen auf dem Knie und mein Kinn in meine Hand gestützt auf einem der Stühle und beobachtete die Anreisenden die, nachdem sie ihr Gepäck abgeholt hatten, eilig den Flughafen verließen. Zu meinen Füßen lag Marquise, die eben aus dem Lagerraum des Flugzeuges hergebracht worden war und schlief. Durch die Fensterscheiben der großen Eingangstüren entdeckte ich draußen einen Platz, der von einigen Palmen gesäumt wurde. Die Sonne, die noch hoch am Himmel stand, schien durch das Glas und wärmte mein Gesicht. Es herrschte bereits glühende Hitze, selbst in dem klimatisierten Flughafen und bei einunddreißig Grad hatte ich das Gefühl auch nur mit einem T-Shirt und einer kurzen Hose bekleidet, zu viel anzuhaben. Zum ich weiß nicht wievielten Mal betrachtete ich das Superhelden Bild von Maia und mir. Dann ließ ich meinen Blick über meine Geschwister schweifen. Maik schrieb immer noch mit der mysteriösen Person, die ich noch nicht identifizieren hatte können. Mom hatte Ruth auf dem Schoß und ihre Arme rechts und links um Maria und Isabella gelegt. Zu ihren Füßen lag Josh in seiner Liege. Zum ersten Mal, seit ich die Nachrichten von dem Umzug erhalten hatte fühlte ich nicht nur eine unbändige Trauer, sondern auch ein bisschen Erwartung. Vielleicht gefiel es mir ja super in Jimbaran. Aber wie ohne Maia? Wir hatten fast die ganzen beiden Flüge geschrieben, geschlafen hatte ich fast nicht. Ich war bestimmt sein fünfzehn Stunden wach und dementsprechend müde. Ich stellte mir vor wie Maia im Morgengrauen die Travemünder Promenade lang skatete und dabei Musik hörte. Fast wäre ich dabei eingeschlafen, als sich Marquise unter mir bewegte. „Was los?", fragte ich und streichelte ihren Kopf. Eigentlich sollte es mich nicht wundern. Marquise hatte die ganzen Flüge in ihrem Zwinger gelegen, natürlich wollte sie sich bewegen. Ich machte die Leine, die ich an einem der Stuhlbeine festgemacht hatte, los und stand auf. „Ich geh ein bisschen spazieren, kannst du auf den aufpassen?", flüsterte ich meiner Mom zu und legte meinen Rucksack neben Josh auf den Boden. Sie nickte nur und sah mir nach, wie ich durch die Eingangshalle lief und durch die Türen ins Freie trat. Ein Hitzeschwall schlug mir entgegen und ich überlegte direkt wieder kehrt zu machen, aber es war zu schön. Ich lief zwischen den vielen Touristen und weniger vielen Einheimischen hindurch und an den Sonnenbeschienenen Palmen entlang. Marquise bellte freudig und ich erweiterte die Reichweite der Leine, damit sie etwas Auslauf hatte. Auch mir tat die Bewegung gut. Nachdem stundenlangen Sitzen war ich steif geworden. Ich schaute mir die typisch indonesischen Häuser mit ihren Spitzen Dächern an. Dann entdeckte ich das Auto meines Vaters, welches er gerade nicht weit weg auf einem Parkplatz parkte. Ich winkte ihm zu und er stieg aus und lief in meine Richtung. Auch Marquise freute sich ihn zu sehen und zerrte wie wild an der Leine. Als wir uns trafen kehrten wie beide in den Flughafen und zu den anderen zurück. Im Gegensatz zu Marquise, die wie wild herumsprang, sahen wir andere aus wie ein Haufen untoter. Wir alle, vor allem meine Eltern, hatten dunkle Ringe unter den Augen und konnten jene kaum aufhalten. Zehn Minuten später saßen wir alle angeschnallt im Auto und waren so bereit wie wir sein konnten. Mein Vater startete den Motor unseres BMVs 218i Grand Tourer. Meiner Meinung war das Auto nicht besonders schick, ein Cabrio würde mir besser gefallen, aber es hatte sieben Sitze und erfüllte somit seinen Zweck. Wir rollten aus der Parklücke und auf unser neues Haus zu.
***
Alexandra
Ich schlug meine Augen auf und starrte an die Decke. Über mir, in der Ecke des Raumes, war etwas Tapete abgegangen und man sah einen hässlichen grauen Fleck. Heute war der große Tag. Raphael und ich würden uns auf den Weg zum Hauptquartier der Jai-Organisation machen. Seit Raphael ihnen vor drei Wochen berichtet hatte, was wir herausgefunden hatten, hatte wir nichts vom Hauptquartier gehört. Da die Organisation nicht allzu groß war und vor allem jetzt viel zu tun hatte, hatte sie gesagt, wie sollten hierbleiben, bis sie das Sekten-Problem gelöst hatte, dann würden sie uns holen kommen. Aber natürlich konnten wir nicht bleiben. Ich hievte mich hoch und war erleichtert als ich bemerkte, dass es meiner Schulter schon viel besser ging. Ich streckte meinen Rücken durch. Als ein scharfer Schmerz meine Wirbelsäule hochsauste, zuckte ich zusammen. Ich musste einfach vorsichtig sein. Ich zog wieder die Klamotten vom Vortag an, da ich sie Gestern kaum angehabt hatte und ging ins Badezimmer, um Zähne zu putzen. Wenige Minuten später betrat ich das Wohnzimmer. Dort entdeckte ich Raphael, der am Tisch saß und eine noch miesepetrige Miene zog, als er es sonst schon immer tat und das sollte was heißen. Ein ungutes Gefühl beschlich mich und ich setzte mich ihm gegenüber auf einen Stuhl. In der Mitte des Tisches stand ein großer Teller mit frisch gemachten Käse-Schinken-Sandwiches. Bei dem Anblick knurrte mein Magen und ich griff hastig nach einem. Es war noch warm, Ri Shan war eine Göttin. Ich biss hinein und wandte mich Raphael zu. „Was ist los?", fragte ich besorgt. „Die Jais haben mich kontaktiert. Sie dachten, ich sollte es wissen." „Sie dachten, du solltest was wissen?" „Gestern Nacht hat die Sekte wieder zugeschlagen. Dieses Mal haben sie ein sehr seltenes und besonderes Gehirnoperations-Gerät aus dem Northern Beaches Hospital in Sydney, Australien gestohlen. Zwei junge Mitglieder sind etwa um 01:00 Uhr in das Krankenhaus eingedrungen. Einige der Polizisten, die wegen der Krankenhausdiebstähle bereits aufgestellt worden waren, haben sie beschrieben. Nach der Beschreibung waren es zwei junge Mädchen. Eine Beschreibung trifft auf das Mädchen zu, welches uns damals zur Flucht verholfen hat." „Asoka", erinnerte ich mich und dachte an das hübsche Mädchen mit den schwarzen, geflochtenen Haaren und den metallischen Beinen und einem metallischen Arm. Raphael nickte. „Und die andere?" „Keine Ahnung." „Bestimmt ist es das Mädchen, welches uns damals im Flugzeug angegriffen hat. Es hatte auch metallene Beine und einen metallenen Arm. Du weißt schon, das mit diesem Helm." „Das könnte sein, komisch ist nur, dass keine der beiden in der Beschreibung irgendwelche metallene Körperteile hatte", antwortete Raphael. „Das ist komisch." „Egal, sich darüber beschweren bringt uns auch nicht weiter. Wie geht es deiner Verletzung?" Hatte Raphael sich gerade tatsächlich nach meinem Wohlbefinden erkundigt? „Wir müssen so schnell wie möglich los. Die Sektenmitglieder werden uns sonst bald finden." Ja hatte er, um herauszufinden, wann wir uns auf den Weg machen konnten. War ja klar. „Ganz gut, ich glaube, wir können los." „Fantastisch, hier ist dein Rucksack. Ich habe etwas Verpflegung zwei Flaschen Wasser, eine Kapuzenjacke, Wechselklamotten und ein Messer eingepackt." „Ein Messer, warum?" „Falls wir uns Mal verteidigen müssen und um die Salami zu schneiden." „Ich werde ganz bestimmt niemanden mit einem Messer verletzten." „Glaub mir, dass sieht anders aus, wenn du in Lebensgefahr bist." Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte zu widersprechen, also kehrte ich in das Badezimmer zurück, um noch ein paar Hygieneartikel einzusammeln. Ohne Deo würde ich mich ganz bestimmt nicht auf eine Reise begeben. Schließlich kehrte ich ins Wohnzimmer zurück wo Raphael bereits mit seinem Rucksack auf dem Rücken wartete. Auch Ri Shan war da und hielt Honig auf dem Arm. Ich hatte beschlossen ihn hier zu lassen, Ri Shan hatte versprochen sich gut um ihn zu kümmern und ich glaubte ihr. Ich stopfte meine Kosmetiktasche in meinen Rucksack, der mich an den eines Jägers erinnerte, da er vorne dran noch ganz viele kleine Taschen hatte. Ri Shan hielt mir Honig hin und ich nahm ihn in meine Arme. Ich fühlte wie meine Augen feucht wurden, als ich ihm einen Kuss auf die Stirn drückte. „Ich komme wieder. Ich weiß nicht, wann, aber ich schwöre, dass ich wiederkomme." Ich drückte ihn noch einmal fest und setzte ihn dann auf den Boden. Dann umarmte ich Ri Shan. „Danke. Für alles. Wir stehen in deiner Schuld." „Ihr schuldet mir nichts. Ich habe mich sehr gefreut euch kennen zu lernen. Deine Oma wäre sehr stolz auf dich, Alexandra." Ich nickte schon wieder den Tränen nah, dann zog ich den Rucksack auf meinen Rücken und wandte mich Raphael zu. Dieser nickte Ri Shan dankbar zu und öffnete dann die Tür. Zusammen traten wir nach draußen. Obwohl es noch so früh am Morgen war, war es bereits warm und auch mein flatterndes, weißes T-Shirt half nicht besonders viel. Raphael zog die Karte, auf der wir die Wachposten der Sekte und deren Streifgegend markiert hatten, heraus und warf einen letzten Blick darauf. Wir hatten es geschafft eine Route zu finden, auf der wir fast keinem Sektenmitglied begegnen mussten, wenn wir uns an den Zeitplan hielten. Ich sah zu wie Raphael die Karte faltete und in seine Hosentasche steckte und schaute dann auf meine völlig zerkratzte Digital Uhr. Es war ein wunder, dass sie überhaupt noch funktionierte. Es war noch nicht ganz neun Uhr. Wir machten uns auf den Weg. Das doofe war, dass uns nicht nur die Sekte jagte, sondern auch die Polizei wegen der kleinen Motorrad-Sache nach uns fahndete. Schon seit Raphael mir vom Hauptquartier der Jai-Organisation erzählt hatte, fragte ich mich wie es aussah. Es befand sich ein bisschen außerhalb eines touristischen Fischerdorfs namens Jimbaran. Ich war mir nicht so ganz sicher, wie wir da hinkommen sollten, da es, ich hatte mit Ri Shans altem Computer gegoogelt, mit dem Auto Dreiundfünfzig Stunden dauerte, wie sollten wir es dann zu Fuß schaffen? Inzwischen hatten wir beide Handys. Am Anfang war ich damit ein hoffnungsloser Fall gewesen, aber Raphael hatte mir den Umgang damit beigebracht und inzwischen hatte ich keine Probleme mehr. Es war wahrscheinlich das teuerste was mir je irgendwer gekauft hatte und deshalb hütete ich mein Samsung wie einen Schatz. Mithilfe der Karte schafften wir es tatsächlich erstmal keiner Wache zu begegnen. Wir hatten etwa die Hälfte des Weges, der durch die Stadt führte, geschafft, als die erste einer Reihe gefährlicher Stellen kam. Wir mussten eine große Kreuzung überqueren, auf der viele Sektenmitglieder Wache schoben. Zwar gab es eine Zeitspanne, wo sie alle so weit weg waren, dass keiner uns sehen durfte, aber man wusste ja nie. Raphael und ich lugten um eine Ecke und schauten auf die Kreuzung, deren abzweigende Straßen durch Hochhäuser hindurchführten. Es musste schrecklich sein in einem der kleinen Hochhäuserapartments zu wohnen und jeden Tag den Verkehr zu hören. Auf der anderen Seite der Kreuzung entdeckte ich zwei Wachen, die auf unserer Karte markiert waren. Wenn wir richtig lagen würde sie in zwei Minuten die Straße herunterlaufen. Fast alle anderen, die auf der Kreuzung verteilt waren, waren bereits los gelaufen, um die größere Umgebung der Kreuzung abzuchecken. Nur an einem Mitglied, eine Frau mittleren Alters, mussten wir wohl oder übel vorbei. Wir verfolgten, wie sich die zwei auf den Weg machten und als sie außer Sichtweite waren, liefen wir los. Wir mischten uns unter eine Reisegruppe in der sich vor allem viele Asiaten mit Sonnenbrillen und Handys an Selfiestäben, befanden und überquerten die erste Straße. Der Reiseleiter, ein untersetzter, älterer Mann mit einer Glatze, die durch die Sonne schon ganz rot geworden war, erklärte gerade etwas in einer fremden Sprache, vermutlich Englisch. „Er redet von der Veränderung dieser Stadt durch die Technologie", übersetzte Raphael." „Du sprichst Englisch?", fragte ich ihn überrascht, als wir an einer Ampel stehen blieben. Nervös schaute ich zu dem Sektenmitglied, das immerwährend auf und ab schritt. „Ja und Indonesisch, Spanisch, Deutsch und Französisch." Angeber. Ich rollte mit den Augen, konnte mich jedoch nicht davon abhalten auch ein bisschen beeindruckt zu sein. „Habe ich Italienisch vergessen?", fragte er und grinste mich schelmisch an. Ich hätte ihm ab liebsten meinen Ellenbogen in die Seite gerammt, doch ich ließ es bleiben. Auf der anderen Seite der Kreuzung angekommen, hielten wie uns auf der abgewandten Seite der Reisegruppe und entgingen so den Blicken des Sektenmitglieds. Erst als ich mich eine Straße weiter entspannte, bemerkte ich, wie angespannt ich gewesen war. Aber es war noch nicht vorbei. Die Stadt war groß und wir noch längst nicht draußen. Wir kamen auf einem Schrottplatz an, auf dem wir bereits einmal gewesen waren. Damals hatten wir dort zwei Motorräder und eine Reihe Autos entdeckt. Außerdem hatten wir es geschafft, dem Inhaber des Schrottplatzes die Schlüssel der Motorräder zu abzuluchsen. Die Motorräder waren eigentlich sogar ziemlich schick, es waren zwei ziemlich schlanke Maschinen ohne den ganzen Kram. Etwas verrostet waren sie, aber das war auch schon alles. Wir schauten uns um, es war niemand da. Schnell kletterten wir das metallene Tor hoch und sprangen auf die andere Seite. Leise schlichen wir uns zwischen den Autos hindurch bis zu dem kleinen Haus des Inhabers. Außen dran befand sich unter einer kleinen Abdeckung ein Regal, welches mit haufenweise Kram vollgestopft war, darunter auch Motorradausstattung. Wir schnappten uns je eine Jacke und einen Helm in der passenden Größe und begaben uns dann zu den Motorrädern. Raphael schob die Maschinen so leise wie möglich über den Platz, während ich mich daran machte, das Tor aufzuschieben. Schnell zogen wir uns die Jacken und Helme über, schwangen uns auf die Maschinen und starteten die Motorräder. Erst als das Dröhnen der Maschinen ertönte hörten wie hinter uns das Laute rufen eines Mannes. Doch da waren wir schon durch das Tor und auf die Straße gefahren. Wir gliederten uns in den Verkehr ein und schienen durch die Helme nicht erkannt zu werden. Motorrad fahren war für mich kein Problem, aber der alltägliche Straßenverkehr? In Mariana hatte es abgesehen von den sechs Motorrädern kein einziges Verkehrsmittel gegeben. Keine Autos, Busse, nicht mal Fahrräder-Nichts. Als wir geflohen waren, war ich so von dem Adrenalin getrieben worden, dass ich den Verkehr, die Ampeln und all die Menschen kaum wahrgenommen hatte. Jetzt prasselten all die Empfindungen auf mich ein und ich hatte große Schwierigkeiten, mich auf das Fahren zu konzentrieren. Was durfte man, was nicht? Fielen wir auf oder nicht? Ich versuchte ruhig zu bleiben und mich einfach an Raphael zu halten. Mein ganzer Körper spannte sich an, als ich drei Erwachsenen Männer, die ich als Sektenmitglieder identifizierte, den Fußweg langlaufen sah. Ich zwang mich auf die Straße zu schauen, selbst als der Verkehr durch eine Ampel aufgehalten wurde und Raphael und ich nur wenige Meter von ihnen entfernt stehen bleiben mussten. Ich sah wie einer von ihnen, ein fast zwei Meter großes Muskelpaket, seinen Blick über die Straße schweifen ließ. Ich spürte wie sich eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper ausbreitete, als er uns anschaute. Die Ampel wurde grün und die Autos vor uns bewegten sich. Ich startete meinen Motor und der Mann wandte sich ab. Ich atmete erleichtert aus und fuhr weiter. Ein weiteres Mal wurde es brenzlich, als und ein Polizeiauto entgegenkam. Zum Glück beachtete es uns nicht einmal und am Stadtrand angekommen entspannte ich mich. Hier war es ruhiger, es waren viel weniger Menschen mit und ohne Verkehrsmittel unterwegs. Aus dreißiger Zonen wurden sechziger und Läden wurden durch Familienhäuser ersetzt. Wir bogen ab und fuhren durch eine Palmenallee. Plötzlich tauchte hinter uns ein großer, schwarzer Range Rover aus einer Seitenstraße auf. Durch den Spiegel entdeckte ich eine goldene Hyäne auf der Autotür. Sie versuchten erst gar nicht, nicht auf zu fallen. Mir rutschte das Herz in die Hose. Wir fuhren schneller, nichts passierte. Ich fragte mich, worauf sie warteten. Am Ende der Straße wartete eine Kreuzung auf uns. Zum Glück hatten wir gerade grün und wir fuhren geradeaus weiter. Von allen Seiten, sogar von vorne kamen weitere schwarze Autos und sogar Motorradfahrer. Die Fahrer der Motorräder trugen jeweils Gewehre auf dem Rücken und hielten Pistolen in den Händen. Ich kriegte richtig Angst und versuchte meine zitternden Hände ruhig zu halten. Eingekesselt mussten wir mitten auf der Kreuzung stehen bleiben. Aus dem Range Rover direkt vor uns stiegen drei bekannte Personen aus. Aaron, die schöne Frau und der Typ, dem ich vor Omas Haus einen Kinnhaken verpasst hatte. „Alexandra so sieht man sich wieder", rief Aaron. „Nesrin und Tekhtmar kennst du ja bereits", er deutete auf die beiden neben sich. „Ich habe jedoch auch noch ein paar neue Freunde mitgebracht." Er machte eine Handbewegung in Richtung der anderen. „Wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, war der General nicht besonders gut auf mich zu sprechen, als er erfuhr, dass ihr gelflohen seid. Vier Wochen lang, habe ich es nicht geschafft euch gefangen zu nehmen. Erst habt ihr euch versteckt gehalten und ich war mir nicht einmal sicher, ob ihr noch in der Stadt seid. Dann kam das Fiasko auf dem Markt, wo meine Leute es doch tatsächlich geschafft haben euch gehen zu lassen. Immerhin wusste ich, dass ihr noch in der Stadt wart und als einer meiner Männer mir von einem Einbruch auf einer Müllkippe erzählte, wusste ich, dass ihr eine Flucht plantet. Ich ließ die Müllkippe bewachen und nachdem ich von dem Diebstahl der Motorräder erfuhr, war es so gut wie erledigt." Ich sah, wie an Raphaels Kinn ein Muskel zuckte und hatte das Gefühl, dass er gleich losgehen würde wie eine Bombe. „Nun denn." Nesrin und Tekhtmar hoben beide ihre Gewehre. „Ich darf euch vielleicht nicht töten, da der General euch befragen will, aber wenn ihr nicht ohne Gezeter in unser Auto steigt, wird es euch nicht gut ergehen. Ich schaute mich um. Inzwischen waren aus all den Autos mehrere Soldaten ausgestiegen und hatten sich hingekniet, ihre Gewehre auf uns gerichtet. Was blieb uns anderes übrig, als in das Auto zu steigen? Raphael und ich stiegen von den Motorrädern und liefen auf Aaron zu. In diesem Moment hörten wir ein lautes Dröhnen. Alle, sogar Aaron schauten nach oben. Über die Stadt kamen sechs große Hubschrauber angeflogen, die aussahen wie riesige Vögel. Sie waren fast komplett schwarz, auf den Klappen an ihren Seiten stand in einem knallroten Schriftzug: Justice and independend Organisazion. Rechts und links vom Cockpit hingen große Waffen, die sich auf die Autos ausrichteten. Schließlich blieben die Hubschrauber über uns in der Luft hängen. Die Klappen an den Seiten gingen auf und zum Vorschein kamen ebenfalls kniende Soldaten mit Gewehren in der Hand, die auf die Wachen zielten. Aus einem Hubschrauber, der direkt über uns hing, wurde ein Seil heruntergelassen und an ihm rutschte eine einzelne Person runter. Als ich sie mir genauer anschaute klappte mir der Mund auf und auch wenn ich es nicht sah, war ich mir sicher, dass alle anderen genauso baff waren wie ich. Vor uns gelandet war ein Junge, der nicht älter als dreizehn sein konnte. Er hatte schwarze, lockige Haare, die sein Gesicht einrahmten und vor Lebendigkeit trotzende Augen. Sein herzförmiges Gesicht zierte ein verschmitztes Lächeln, als er ganz gechillt auf uns zu schlenderte. Er trug eine schwarze Lederjacke, die bei jedem anderen in seinem Alter lächerlich ausgesehen hätte, ein mattblaues T-Shirt auf dem „On your left" stand. Es schien irgendein, mir jedoch unbekanntes Zitat zu sein. Dazu trug er eine so durchlöcherte Hose, dass sie einem Stofffetzen glich. Sein Outfit wurde durch die fettesten Nikes gekrönt, die ich je gesehen hatte. Als ich beim Lesen des Zitats automatisch nach links schaute, grinste er mich kurz belustigt an und setzte seinen Weg dann kaugummikauend in Richtung Aaron, der vollkommen sprachlos dastand, fort. Als er etwa einen Meter von ihm entfernt war, blieb er stehen und spuckte Aaron sein Kaugummi vor die Füße. Niemand rührte sich oder sagte auch nur ein Wort, sodass seine Worte unnatürlich laut erschienen, als er anfing zu sprechen: „Ich kann ja verstehen, dass Sie die beiden da mitnehmen wollen, aber ich muss Ihnen zu Ihrem bedauern mitteilen, dass ich sie mitnehmen muss. Deshalb wäre es an ihrer Stelle schlau, ihren Männern zu befehlen, ihre Waffen auf den Boden zu legen, weil meine Freunde da oben", er machte eine lässige Bewegung in Richtung der Hubschrauber, „sonst nämlich losschießen." Aaron, der noch immer sehr überrumpelt aussah, hob zögernd seine Hand und tatsächlich legten alle seine Soldaten ihre Waffen auf dem Boden ab. Der Junge drehte sich wieder um und schlenderte zu uns. „Äh, Alexandra, das ist mein kleiner Bruder Jaime", knirschte Raphael. „Jaime, was zum Teufel machst du hier?" „Deinen Hintern retten, wie üblich. Kommt ihr jetzt?", offenbar Jaime drehte sich um und kletterte das Seil so flink wie ein Affe hoch. Raphael starrte ihm verärgert hinterher. Ich war nicht gerade unsportlich, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich kein Seil so hochklettern konnte. „Äh....", begann ich. „Keine Sorge, dich ziehen sie hoch", sagte Raphael, als hätte er meine Gedanken gelesen, und kletterte seinem Bruder nicht weniger flink hinterher. Da ich mich hier unten allein und umgeben von lauter Soldaten sehr unwohl fühlte, hielt ich mich schnell an dem Seil fest, welches dann eingeholt wurde. Ich gab mir Mühe nicht nach unten zu schauen und kletterte oben angekommen etwas gehetzt in den Hubschrauber. Jaime lehnte an der offenen Klappe und kaute schon wieder ein Kaugummi. Wer wusste, wo er das schon wieder herhatte. „Fertig?", fragte er ging dann vom Abgrund weg, sodass die Klappe zugehen konnte. Die Soldaten, die sich bereits aufgerichtet hatten, hielten sich jetzt an Schlaufen fest, die von der Decke baumelten. Ich folgte ihrem Beispiel und starrte Jaime an, der ganz gechillt an der Wand lehnte. Er hatte tatsächlich große Ähnlichkeiten mit Raphael. Nicht nur seine Haare hatten dieselbe Farbe, sondern auch sein Gesicht hatte sehr ähnliche Züge. Ich fragte mich, warum Raphael mir nie von ihm erzählt hatte. „Mit dir rede ich nachher noch ein Wörtchen", sagte Raphael an Jaime gewandt. Er schien wütend zu sein. Plötzlich setzte sich der Hubschrauber in Bewegung und flog über die noch immer völlig verdatterten Sektenmitglieder hinweg und davon.
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