3. Cassian

Stundenlang trottete ich durch die trübe Dunkelheit. Seit Einbruch der Nacht war der Himmel noch schwarzer geworden. Kein einziger Stern erleuchtete meinen Weg und ich stolperte alle paar Schritte. Ich wusste nicht, wohin ich lief, Hivas Stimme spukte durch meine Gedanken, wie das Echo eines vergangenen Rufs.

So viele Erinnerungen flossen durch meinen Kopf, ihr Lächeln, als unsere Eltern noch gelebt hatten, ihre Begeisterung für Tiere und den Spaß, den sie trotz den schlimmen Verhältnissen gehabt hatte. Doch am meisten im Gedächtnis geblieben, war mir ihr unerschütterlicher Wille. Denn auch als ich ihr erzählt hatte, dass unsere Eltern umgekommen waren, hatte sie nicht aufgegeben.

Schon wieder liefen Tränen über meine Wangen, schon wieder war ich versucht einfach aufzugeben. Mich einfach fallen zu lassen und nicht mehr aufzustehen. Immer noch quälten mich die Schuldgefühle und sorgten dafür, dass sich meine Brust zusammenzog.

Ich rief mir meinen Schwur ins Gedächtnis, versuchte mir einzureden das Aufgeben keine Option war. Ich griff wieder in meine Tasche und schloss die Finger um die Maske, ich hatte sie nicht liegen lassen können. Das scharfe Metall schnitt mir in die Finger, aber ich ließ nicht los. Ich zwang mich hochzusehen, als ein orangenes Leuchten am Horizont erschien.

Ich kniff die Augen zusammen, es war ein Parastima, eine Zeltstadt die schnell auf und abgebaut werden konnte. Sie diente als Hilfslager, für alle die mit nichts, als dem was sie am Körper trugen, aus dem Süden flüchteten. Ihre grauen Zeltplanen flatterten im Wind und das orangene Licht der kleinen Laternen, erinnerten mich unwillkürlich an Glühwürmchen.

Ich wurde schneller, der Hunger und die Erschöpfung trieben mich an.

Das behelfsmäßige Portal des Lagers war ebenfalls ein Zelt, vor ihm standen zwei Wachen, sie trugen warme Mäntel und hatten die Finger tief in den Taschen vergraben. Sie nickten mir zu.

Als ich die Plane nach oben geklappt hatte, schlug mir sofort der Geruch nach heißer Suppe entgegen, sofort meldete sich mein knurrender Magen.

Ich passierte den Tunnelartigen Eingang und gelangte schließlich in ein großes Rund Zelt. Es war so gut wie leer – was kein Wunder war, niemand der noch halbwegs bei Verstand war lief freiwillig mitten in der Nacht, vollkommen schutzlos vor den Schwarzmagiern umher. Nur eine alte Frau in schmutzigen Kleidern stand hinter einer hölzernen Theke, die sich gegenüber von mir befand, hinter ihr stapelten sich Kleidung und Decken an der beigen Zeltwand. Ich hielt zielstrebig auf sie zu, die Frau, welche die Ellenbogen auf den Tresen gestützt hatte, sah auf als ich bei ihr ankam. Ihr gräuliches Haar war so lang, dass es hinter der Theke verschwand und von weißen Strähnen durchzogen, sie schenke mir ein zahnloses Lächeln: "Was kann ich für dich tun mein Junge?", ihre Stimme war kratzig, aber freundlich.

"Trockene Kleidung und eine Decke wären toll"

Sie nickte und drehte sich zu den Stapeln um, während sie fragte: " Von wo verschlägt es dich so spät noch hierher?"

"Antalla, es gab einen Hinterhalt"
Ich konnte förmlich hören, wie sich eine Falte auf ihrer Stirn bildete: " Schon wieder? Von dem Ort ist doch schon nichts mehr übrig", Mitleid und Sorge schwangen in ihren Worten mit und Hoffnungslosigkeit

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, der Unterton in ihrer Stimme versetzte mir einen Stich. Ich hatte mir so oft geschworen etwas gegen genau diese Hoffnungslosigkeit zu unternehmen:" Von zu vielen Orten ist nichts mehr übrig, ich möchte das ändern"

Die alte Frau legte einen Stapel vor mir ab und sah mir in die Augen:" Ich bewundere deinen Mut Junge, aber du bist nicht der ersten mit diesem Ziel und du wärst auch nicht der letzte der daran zugrunde geht", eine seltsame Ehrlichkeit lag in ihrem Tonfall, für einige Sekunden starrten wir uns bloß an.

Es fühlte sich an, als würde ich ihren Schmerz fühlen, eine unbeschreibliche Angst überflutete mich, gefolgt von trauriger Gleichgültigkeit. Eine bleierne Schwere machte sich in mir breit, als würde mich ein Anker auf den Meeresgrund ziehen. Ich versuchte dagegen anzukämpfen, doch ich war machtlos. Wieder überkam mich diese panische Angst. ALs würde ich vor etwas flüchten, aber nicht wissen wovor.

Die Frau wandte den Blick ab, ich keuchte auf. Ihre Stimme wechselte nun wieder in eine normale Tonlage: "Dennoch wünsche ich dir viel Glück"

Ich konnte nicht anders als sie anzustarren, ich war mir vollkommen sicher das es ihre Gefühle gewesen waren, die mich da überflutet hatten. Es musste eine Art Magie gewesen sein. Nur unter größter Anstrengung, gelang es mir meinen Blick von ihr loszureißen und ich nahm die frische Kleidung und die Decke.

"Danke", murmelte ich.
Die alte Frau deutete noch auf einen weiteren Zeltausgang:" Wenn du da raus gehst, kannst du dir ein wenig Suppe nehmen. Dann gerade aus weiter im nächsten Zelt sind Betten"

Ich schluckte die Gefühle verfolgten mich:" Auf Wiedersehen", ich wandte mich zum Gehen.

"Eins noch, du bist verletzt, lass das untersuchen Junge"

Ich stockte, wie hatte sie das bemerken können? Ich sah auf meinen Arm, der Ärmel verdeckte alle Anzeichen einer Wunde. Ich drehte mich noch einmal um, während sie lächelte, wurden kleine Grübchen um ihren Mund sichtbar. Ich verließ kopfschüttelnd den Raum und folgte ihren Anweisungen.

Das Zweite Zelt sah genauso aus wie das erste, mit dem Unterschied das der Boden mit Feldbetten bestellt war. Fast alle waren belegt, nur in den hinteren Ecken waren noch freie Plätze. In der einen Hand meine Suppe balancierend, in der anderen Decke und Kleidung, lief ich zwischen ihnen hindurch und bahnte mir einen Weg zu dem freien Bett, welches ich ausgemacht hatte.
Vorsichtig stellte ich meine Sachen ab und setzte mich dann auf den grünen Stoff, es war das vorletzte Bett in der Reihe.

Auf dem Letzten, lag ein Mädchen mit scharlachroten Locken, allen Anscheins nach schlief sie. Rasch entledigte ich mich Mantel und Oberteil und zog mir das frische Leinenhemd über, ich krempelte die Ärmel hoch. Dann begann ich schweigend meine Suppe zu löffeln, sie war noch heiß und ich musste mich bemühen sie nicht sofort herunterzuschlingen. Es war die erste warme Mahlzeit, die ich seit Wochen aß und ich bereute es sie nicht mit Hiva teilen zu können.

"Schmeckts?"

Ich hätte beinahe den Löffel fallen lassen, das Mädchen hatte wohl doch nicht geschlafen. Sie lächelte amüsiert, aufgrund meiner Reaktion.

"Erschreck mich nicht so", entgegnete ich.

"Entschuldigung", es war halbherzig und nicht ernst gemeint, aber sie setzte sich auf," Mein Name ist Seraphina"

Ich legte den Löffel weg: "Cassian", ich betrachtete sie genauer.
Das lange rote Haar reichte ihr bist zum Ellenbogen und ihre blasse Haut war voller Sommersprossen, sie sah mich mit ihren klaren grünen Augen an, ich folgte ihrem Blick, er viel auf meinen Unterarm.

"Ich weiß das ich mich darum kümmern sollte", kam ich jeglichen Bemerkungen ihrer Seitz zuvor.

"Ich könnte mich darum kümmern", konterte Seraphina scharf.

Überrascht hob ich eine Augenbraue: " Das heißt du bist Heilerin?"

"So etwas in der Art"
Ich streckte ihr meinen Arm entgegen, die schwarze Verfärbung schien sich auszuweiten. Sie reichte vom Handgelenk fast bis zum Ellenbogen. Die Ränder hatten einen dunklen Lilaton. Seraphina positionierte ihre Hände darum und kniff angestrengt die Augen zusammen. Ich glaubte ein elektrisches Summen zu hören, als wäre die Luft aufgeladen. Ein Kribbeln durchfuhr meinen Unterarm, als es zischte und die Rothaarige zurückzuckte, ihre Fingerspitzen qualmten.

"Was zur Hölle", stieß sie hervor, "So etwas ist noch nie vorgekommen"

Ich seufzte, an meinem Arm hatte sich nichts verändert, "Einen Versuch war es wert", ich krempelte den Ärmel wieder hinab.

Seraphina ließ nicht locker:" Woher hast du die Verletzung?"

"Von einem Schwarzmagierangriff", antwortete ich kurz angebunden und aß meine Suppe weiter.

Seraphina zog eine Augenbraue in die Höhe und machte eine drängende Handbewegung, sie wollte mehr Informationen.

"Ein Fluch hat mich erwischt, ich hatte mich in einer Gasse versteckt, aber sie haben mich trotzdem getroffen", gab ich schließlich nach.

"Ein Fluch also...", murmelte sie vor sich hin, "Die Wunde ist noch frisch, der Kampf ist noch nicht so lange her, oder?"

Ich nickte, eine kurze Stille entstand.
Seraphina musterte mich, dann sah sie mir in die Augen: " Schließ dich mir an"

Jetzt war ich es, der die Augenbraue hob:" Wobei?", Unverständnis und Verwirrtheit schwangen in meiner Stimme mit.

"Ich möchte diese Kämpfe beenden", sie ließ ihren Blick über die Betten schweifen," Den Menschen helfen, ich kann dieses Elend nicht mehr sehen"

Es fühlte sich an, als würde sie meine Gedanken aussprechen, ihr Tonfall war vollkommen Ernst. Am liebsten hätte ich sofort zugesagt, doch ich konnte die Zweifel in meinem Kopf nicht ganz ersticken. Unwillkürlich erinnerte ich mich an die Worte der alten Frau am Tresen, was war, wenn sie Recht hatte? Wenn es einfach keinen Weg mehr gab, das unaufhaltsame aufzuhalten.

"Warum ich?"

"Du kommst offensichtlich aus einem Kampf, den du überlebt hast, also kannst du kämpfen. Du kamst mitten in der Nacht und allein, daraus schließe ich das du niemanden mehr zu verlieren hast"

Sie hatte recht, da war nichts mehr, dass ich verlieren könnte.

"Wie willst du das Anstellen?", fragte ich weiter.

"In dem ich den Unsterblichen finde und den Anführer der Schwarzmagier zur Strecke bringe"

"Den was willst du finden?"

" Un - sterb- lich – en, einen Menschen der..."

"Ich weiß was unsterblich heißt", unterbrach ich sie, " Die Frage ist was für einen Unsterblichen"

"Haben dir deine Eltern die Geschichte nie erzählt?", fragte Seraphina ungläubig.

"Nein"

"Also" setzte sie an, " Vor etwa einem Jahrhundert, zehn Jahre nach Beginn der Magieraufstände, gab es einen jungen Mann, der von allen Menschen als Retter verehrt wurde, als Messias. Seine Magie schien grenzenlos und er drängte die Schwarzmagier immer weiter zurück. Schließlich machte er sich auf die Suche nach ihrem Anführer und trat gegen ihn an. Sie kämpften tagelang, fast besiegte der Mann den Schwarzmagier, als dieser ihn verfluchte. Er bestrafte ihn mit Unsterblichkeit und nicht nur das, er sorgte dafür das die Magie des Mannes langsam schwand und sperrte ihn in ein schwarzes Schloss. Verdammte ihn, dabei zu zusehen wie alle, die er je geliebt hatte, vernichtet wurden."

Ich schluckte: "Wie soll er uns helfen? Wenn die Geschichte war, ist schwindet seine Magie und er ist an ein Schloss gebunden, außerdem hast du irgendeinen Beweis das er existiert?"

Seraphina sah zu Boden: "Nein, aber das ist alles, was ich habe, aber wenn es ihn gibt, kann er uns sagen, warum die Apokalypse ausgebrochen ist und wie wir die Schwarzmagier besiegen"

"Damit hast du mehr als ich", dachte ich. Alles, was sie sagte, klang plausibel. Ich dachte an den Schwur, welchen ich geleistet hatte und was war noch zu verlieren?
Ich stellte meine nun leere Schüssel weg: "Wo wollen wir anfangen?"

Ein Grinsen breitete sich in ihrem Gesicht aus: " Wir brauchen noch etwas, morgen früh geht es in die Hafenstadt Kota"

Ich erwiderte das Grinsen.

Wörter: 1776

Insgesamt: 4782

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