1. Cassian
Die Dunkelheit lag wie ein schwerer Umhang über dem toten Land, weder Sonne noch Mond waren zu sehen und dass, obwohl es gerade Tag war. Die dünnen Regentropfen hinterließen kleine Abdrücke auf dem staubigen Boden und verwandelten ihn allmählich in eine graue schlammige Masse. Ich nahm einen tiefen Atemzug und bereute es sofort wieder. Die Luft war zum Schneiden dick und stank fürchterlich nach verbranntem Fleisch und Schwefel. Ich hustete und zog meine Kapuze tiefer in die Stirn. Langsam wurden meine Finger taub und ich griff fester um die Hand meiner kleinen Schwester Hiva. Schritt für Schritt zog ich sie durch das zerfallende Land. Unablässig huschten meine Augen umher, um eine mögliche Gefahr zu erfassen, während wir über Gesteinsbrocken und Leichen stolperten.
Wir befanden uns am Rande eines Handelsdorfes – oder besser gesagt dem, was davon übrig war. Die Häuser waren nur noch zu erahnen, verdreckt von Ruß und Blut erstreckten sich ihre Überreste wie grauenhafte Hände dem schwarzen Himmel entgegen. Verfaulende Früchte säumten die dreckigen Straßen und bildeten zusammen mit verrottendem Fleisch und Kleidern die grauenhaften Seiten einer Schneise der Zerstörung. Die Läden, welche einst so belebt gewesen waren, existierten nur noch als leere Hüllen. Die zersplitterten Schaufenster gaben den Blick auf ihr verwüstetes Inneres frei, auf die in völliger Hektik verlassenen Räume und Diejenigen, die es nicht mehr rechtzeitig geschafft hatten. Dieser Anblick versetzte mir einen Stich, er war einer der vielen unwiderruflichen Beweise dafür, wie erbarmungslos diese Welt war. Kaum ein Mensch in Antalla hatten je Böse Absichten verfolgt und dennoch hatten alle dafür bezahlt.
Plötzlich klirrte etwas unter meinem Stiefel, ich sah nach unten und ein bitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Auf dem Boden lag die Maske eines Schwarzmagiers. Sie ähnelte einem Maulkorb aus Leder, der mit filigranem Metall benetzt war. Hass durchströmte mich, als ich ihn anhob. Diese Menschen waren für all das Leid und Elend verantwortlich. Ihre Gier nach Macht kannte keine Grenzen, sie töteten hemmungslos und fielen wie eine Plage über das Land. Sie machten aus meiner Heimat ein Schlachtfeld.
Ein Ruck riss mich aus meinen Gedanken, ich drehte mich um, Hiva hob ihre bleiche, abgemagerte Hand und zeigte nach oben: "Sie sind da, Cassian", in ihrer Stimme schwang pures Entsetzen mit. Ich blickte ebenfalls hinauf, auf einer Häuserruine standen sie, vermummte Männer. Das Eisen auf ihren Masken funkelte und ihre schwarzen Mäntel hoben sich kaum vom Himmel ab. So sehr ich mich auch auf sie stürzen wollte, ich musste Hiva retten. Ich packte sie und drückte mich mit mir an die Wand eines Wohnhauses. Ich betete inständig das sie uns noch nicht gesehen hatten.
Eine schwarze Kugel rauschte an meinem Ohr vorbei. Sie wussten genau, wo wir waren. Langsam kroch Panik in mir hoch, ich drückte Hiva enger an mich. Ein weiterer Feuerball zischte an uns vorüber, diesmal streifte er meinen Unterarm, sofort wurde die Haut dunkel. Wir mussten hier weg. Hivas Gewicht zerrte an mir, als ich die Straße entlang sprintete, der Schlamm spritzte unter meinen Schuhen. Die schummrigen Laternen des Marktplatzes kamen in Sichtweite und ich wurde noch schneller. Ich hörte das kehlige Lachen der Magier und eiskalte Schauer fuhren meinen Rücken hinab.
Plötzlich prallte ich gegen etwas, ich riss den Kopf nach oben und starrte in die weit aufgerissenen Augen eines Mannes, der kaum älter sein konnte als ich. Er stürmte an mir vorbei. Ein Gruppe Menschen folgten ihm, Frauen, Kinder, allesamt in zerlumpter Kleidung, die hageren Gesichter zu angsterfüllten Grimassen verzogen. Schwarzmagier preschten auf riesigen Pferden hinter ihnen her. Ihre Mähnen glühten wie die Asche eines erlöschenden Feuers, ihre Hufe begruben im rasenden Galopp bereits die ersten Kinder unter sich.
Abrupt blieb ich stehen, erst jetzt erkannte ich den Plan, die raffinierte Präzision, welche hinter dem Angriff steckte. Sie hatten uns alle auf den Marktplatz getrieben, der einzige Ort in Antalla, der von Geschäften umrahmt wurde. Es gab praktisch keine Fluchtmöglichkeit, einzig und allein die beiden breiten Hauptstraßen die vollständig von Schwarzmagiern ausgefüllt waren. Ich drehte mich um meine eigene Achse, selbst die dünnen Gässchen zwischen den Gebäuden wurden besetzt. Wie Spinnen die auf eine Fliege zu krabbelten, kamen sie auf uns zu. Die ängstliche Menge drückte sich immer näher zusammen und auch ich folgte ihnen.
Die Magier schienen sich ein Zeichen gegeben haben, denn sie rissen die Arme in die Höhe und schrien Worte, die ich nicht verstand. Plötzlich begannen die Augen der Leichen auf dem Boden, zu schimmern. Als sie sich schleifend aufrichteten und ihre gebrochenen Knochen zurechtrückten, erfüllten Schreie die Luft. Begleitet von einem Hagel aus Flüchen stürzten sich die Untoten auf die Menschen. Angst kroch meine Kehle hinauf, ich musste Hiva in Sicherheit bringen. Ein Mann aus dessen Bauchraum, Eingeweide hingen stürmte auf mich zu, ich sprang zur Seite und er taumelte an mir vorbei. Mit einer schnellen Bewegung riss ich mein Messer aus meinem Holster, der Untote bremste taumelnd und drehte sich zu mir zurück, doch das Überraschungsmoment war auf meiner Seite. Noch bevor wieder angreifen konnte trennte ich ihm den Kopf ab.
Hektisch suchte ich nach einem Versteck für Hiva, ich fand einen umgekippten Gemüsekarren. Er war klein, könnte jedoch groß genug sein, um sie darin zu verstecken. Ich wollte wieder losrennen, als mir etwas auf den Rücken sprang! Finger schlossen sich um meinen Hals und ich stolperte rückwärts. Reflexartig ließ ich Hivas Hand los und versuchte mich zu befreien.
Erfolglos.
„Lauf", krächzte ich zu meiner Schwester, "Versteck dich hinter dem Karren".
Ich sah noch, wie sie herumwirbelte und davonlief, dann zog mich das Gewicht meines Angreifers nach hinten.
Hart schlug ich auf dem Boden auf, sofort schlangen sich Beine um meinen Oberkörper und pressten zusätzlich die Luft aus meinen Lungen. Das Messer rutschte außerhalb meiner Reichweite. Die Hände drückten immer fester zu, je stärker ich versuchte mich zu befreien, immer hektischer zog ich an ihnen. Scharfe Fingernägel bohrten sich wie Nadeln in meine Haut. Ich riss an den Fingern, doch sie waren wie eine Schlinge, die sich immer weiter zu zog. Dunkle Flecken tanzten vor meinen Augen und eine Taubheit breitete sich in meinen Gliedern aus.
Ich spürte, wie die Angst weit in die Ferne rückte, alles schien so unglaublich unwichtig. Die Schreie um mich herum wurden leiser. Ich drehte den Kopf zur Seite und blickte auf den Gemüsekarren. Mein Blick schien Hivas zu treffen. Ihr braunes Haar war zerzaust, die ebenfalls braunen Augen panisch aufgerissen. Langsam wurde alles um mich herum dunkler, verzweifelt versuchte ich mich dagegen zu wehren, an Hiva zu denken, daran das ich sie retten musste.
Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, als würden Ameisen meine Haut entlang rennen, es war eine Art Kribbeln das sich in meinem Körper ausbreitete und die Taubheit verscheuchte. Als es in meinen Fingerspitzen ankam, sah ich plötzlich ein violettes Leuchten, zu meiner Überraschung ging es von ihnen aus. Es wurde stärker, heller. Bis eine Flamme in meinem Sichtfeld erschien.
Die Person auf meinem Rücken gab ein schmerzerfülltes Kreischen von sich und ließ schlagartig von mir ab. Hustend rollte ich mich zur Seite und rang keuchend nach Atem. Ich wollte liegen bleiben, doch ein angriffslustiges Fauchen ließ mich hochfahren. Es kam von meinem Angreifer, einer jungen Frau. Ihr Körper war zur Hälfte verkohlt, sodass ich ihre Knochen sehen konnte. An ihren fleischigen Überresten klebten die letzten Fetzen eines zinnoberroten Mantels und ihr strähniges gräuliches Haar musste einmal blond gewesen sein. Aus ihren tintenschwarzen Augen starrte sie mich wütend an und hetzte wieder in meine Richtung. Ich riss die Arme nach oben und erwischte mit den Fingern ihre Schultern. Das Feuer meiner immer noch brennenden Hände schien auf ihren Körper über zu gehen. Es kroch ihren Hals hinauf, nahm ihren Körper in Besitz und ich konnte zusehen wie ihr Fleisch verbrannt. Es wurde so schwarz wie die Haut an meinem Arm, an dem mich der Fluch des Magiers getroffen hatte. Nun ließ sie gänzlich von mir ab und rannte wie eine menschliche violette Fackel kreischend umher und zerfiel langsam zu Asche.
Mit einer Mischung aus Angst und Verwunderung starrte ich selbst meine Hände an. Sie waren in violettes Feuer gehüllt, welches sich ebenso um meine Unterarme schlängelte. Ich sah zu wie es schwächer wurde und langsam erlosch. Welche Art Magie war das? Ein Fluch? Eine Gabe? Ich schob die Gedanken bei Seite. Darum konnte ich mich später Kümmern, jetzt hatte Hiva Vorrang.
Die Schlacht um mich herum war bereits erschreckend geschrumpft. Viele Menschen lagen bereits tot auf dem Boden, auch der Mann, mit dem ich zusammengestoßen war, lag mit gebrochenem Genick auf der Erde. Die letzten Überlebenden versuchten sich verzweifelt zu retten und die restlichen Untoten zu besiegen. Die Schwarzmagier waren mitsamt ihren Pferden verschwunden. Ich wollte ihnen helfen - ich sollte ihnen helfen, doch die grauenhaften Vorstellungen, davon, das Hiva etwas passiert sein könnte, hielten mich davon ab. Suchend sah ich mich nach dem Gemüsekarren um und lief auf ihn zu.
Er war leer.
Ich hielt den Atem an, als ich die Blutspur entdeckte, welche den Boden zierte. Ich folgte ihr mit den Augen und blickte in eine schmale Seitengasse. Vorsichtig, mit gezücktem Messer schlich ich hinein. Auf halbem Weg sah ich einen Schatten, sofort blieb ich stehen. Der Schatten gehörte zu einem Schwarzmagier, welcher sich hektisch zu mir umdrehte. Ich sah in zwei aquamarinblaue Augen, die einen geradezu unnatürlichen Kontrast zu seiner schwarzen Uniform darstellten. Einige Herzschläge lang starrte ich ihn einfach nur an. Dann viel mein Blick auf das Messer in seiner Hand, es war Blut getränkt. Er bemerkte es und ließ es schnell unter seinem Mantel verschwinden, bevor er mit der verrußten Wand verschmolz. Nun sah ich was hinter ihm war und sprintete die letzten Meter.
Hiva lag zusammengesunken an auf der Erde. Ihr Haar klebte an ihrem Kopf, ihre Haut war noch bleicher als sonst. Blut, welches aus etlichen Stichwunden lief, vermischte sich mit dem schwarzen Sand. Ich ließ mich neben sie sinken, sie drehte den Kopf zu mir.
„Cassian"
Es war nur ein Flüstern und dennoch verstand ich es deutlich.
„Ja?"
„Verlass mich nicht...", sie wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. Schuldgefühle überrannten mich und Tränen stiegen mir in die Augen. Sachte nahm ich ihren Kopf und legte ihn in meinen Schoß. Meine Stimme zitterte als ich sprach:" Ich verlasse dich nicht"
Hiva griff nach meiner Hand und ich legte sie auf ihre Brust. Ihre kalten Finger schlossen sich um meine. Ich wollte irgendetwas sagen, doch ich wusste nicht was.
Sie hauchte etwas, aber diesmal so leise, dass ich es nicht verstand. Ich beugte mich zu ihr herunter und hielt mein Ohr an ihre Lippen: „Was hast du gesagt?"
Hiva gab mir keine Antwort, ich sah in ihr Gesicht. Ihre Augen starrten ins Leere.
Stumm saß ich da und sah zu wie meine Tränen auf ihr Gesicht tropften. Sie war erst zehn Jahre alt gewesen. Sie hätte noch ein ganzes Leben gehabt. Ich dachte daran, wie sie mir von ihren Träumen erzählt hatte. Davon wie sehr sie sich es wünschte, den Krieg zu beenden. Das sie Nolan heiraten würde - einen der Jungen, die eine Weile mit uns umhergezogen waren und das alle wieder glücklich sein könnten. Vorsichtig kippte ich ihren Kopf nach hinten, sie trug ein silbernes Amulett, sie hatte es vor einiger Zeit gefunden und trug es seitdem. Jetzt nahm ich es ihr ab und legte es mir um, ich wollte etwas von ihr bei mir tragen. Dann zog ich ihr die Kapuze ihres tannengrünen Mantels auf und faltete ihre Hände. Schließlich kniete ich mich hin und betete.
Irgendwann stand ich auf, der Regen hatte aufgehört. Imme noch benommen von der Trauer vergrub ich die Hände in den Taschen meines Mantels, als ich mit den Fingern etwas streifte. Verwirrt packte ich es und nahm es heraus. Die Schwarzmagier Maske kam zum Vorschein, ich hatte sie im Eifer des Gefechts eingesteckt. Mein anfänglicher Hass kam mit jäher Kraft zurück. Ich dachte an den Magier in der Gasse und drückte meine Hand um die Maske, bis die Fingerknöchel weiß wurden. Eine stählerne Entschlossenheit ergriff von mir Besitz.
"Ich werde die rächen Hiva", flüsterte ich, " Das schwöre ich bei meinem Leben"
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