Helena 07
Als ich umgezogen aus dem Zimmer trat, erwartete mich wie angekündigt Ms. Tung. Sie eilte mit Stöckelschuhen durch die Gänge, wobei ich echt aufpassen musste, von ihr nicht abgehängt zu werden.
Dann fuhren wir mit einem Aufzug einige Minuten mehrere Etagen aufwärts. Sobald wir die Flure betraten, tummelten sich die Menschen. Die Flure waren geräumig und einfach gehalten. Bunte Kinderbilder zierten die Wände und viele durchnummerierte Zimmer erstreckten sich vor mir.
Auf meiner rechten Seite konnte ich gerade so durch ein Fenster spähen und erkannte, wie einem zierlichem Jungen Blut abgenommen wurde. Weiter vorne saß eine lachende junge Frau im Rollstuhl und ich beobachtete die Kinder, die in Kittel ein geschlungen waren.
Ms. Tung blieb vor einer Tür mit eingravierter Zimmernummer stehen, schwang sie auf und trat ein. In der Mitte des Raumes stand ein einzelnes Bett, in dem sich ein Mädchen aufrichtete, die an unzähligen Schläuchen und Geräten angeschlossen war. Das restliche Zimmer war steril gehalten, wobei über dem Bett ein einzelnes schmales Foto hing, auf dem mich eine glückliche Familie anlachte.
Das Mädchen mit der glänzenden Glatze richtete sich auf. Sie war abgemagert, kreide weiß und schaute mich aus zugeschwollenen Augen an. Ihr Anblick tat mir unfassbar leid und ich merkte, wie mir Tränen in die Augen stiegen.
„Hi, ich bin Samira", sagte das Mädchen entschlossen und steckte mir ihre dürre Hand entgegen. Ein wenig hatte ich Angst sie zu verletzen, entschied aber trotzdem sie zu ergreifen, sagte aber nichts.
„Samira kämpft gegen eine lebensbedrohliche Krankheit und wir arbeiten hart an einer Methode, die ihr Leben retten könnte und du sollst ein Teil dieses Projektes werden", Ms. Tung hatte immer noch das gleiche Pokerface, doch zum ersten Mal konnte ich Hoffnung durch ihre Fassade erkennen.
Ein Moment der Stille nahm den keinen Raum ein, während mein Gehirn die Informationen verarbeitet. Erst jetzt realisierte ich, dass die mich also ernsthaft aus der Pampa bis in ein Krankenhaus verfrachtet hatten, damit ich angeblich kranken Menschen helfe.
Na, da haben die haben sich ja eine super Kandidatin für den Job gewählt - eine, die bei jedem Tropfen Blut fast kotzt.
„Ich muss einen wichtigen Anruf entgegennehmen, ich werden in meinem Büro sein falls etwas ist, bis dahin darfst du dich in dieser Etage frei bewegen", kommentierte Ms. Tung, während sie konzentriert auf ihr Handy starrte. Dann stöckelte sie aus dem Zimmer.
***
Samira starrte mich an und dann brabbelte sie los: „Es ist sooo schön, dich kennenzulernen, ich will mich einfach nur bei dir bedanken, weil ich weiß, dass ich dir das zu verdanken haben, dass ich bald wieder gesund bin und ich meine Mama endlich wieder sehen kann - sie kann mich wegen der Entfernung nicht besuchen kommen, aber hier habe ich einfach die besten Chancen, wieder gesund zu werden, und dass ich hier seinen darf, ist das Beste, was mir passieren konnte."
Ich brauchte einen Moment, bis all die Informationen, die Samira ohne Punkt und Komma von sich gegeben hatte, zu verarbeiten. „Äh ja, ich finde auch schön, dich kennenzulernen", war das Einzige, was ich abgehackt aus mir herauskam, wobei mein Kopf vor Fragen fast explodierte.
„Warum bin ich denn Teil von irgendeinem Projekt?", versuchte ich zaghaft Samira zu fragen, die anscheinend mehr wusste, als ich.
„Naja, Ms. Tung sagt immer, dass ihr dabei helft die Medikamente zu entwickeln, und eben auch bei der Cruorinfusion", sie legte zwei dünne Finger auf ihren Mund, „aber pssst, sie sagt immer es wäre irgendwie geheim, aber weißt du, diese neue Infusion, war die Sensation - ", kicherte sie fröhlich weiter, während mein Gehirn alle Teile zusammensetzte.
Natürlich hatte auch ich in letzter Zeit die Nachrichten geschaut und die Meldung des Jahrhunderts mitbekommen: Die Firma „Farmacia" hatte ein neues Produkt entwickelt. Nein, kein Produkt, ein Medikament, das angeblich gegen so viele Krankheiten, die bisher als unheilbar eingestuft wurden, helfen soll. Was für ein Quatsch, schon diese Werbung, die im Fernsehen rauf und runter lief, sah immer so gestellt aus.
Aber ich stand nun wie angewurzelt vor Samiras Bett. „Ah ja, Farmacia", war das einzige, was aus meinem Mund kam, aber eher als Verarbeitung der Informationen als an Samira gereichtet.
Denn ich stand nicht in irgendeinem Krankenhaus, sondern dass der Medikamentenhersteller, dessen Name gerade wie ein Fluch aus meinem Mund kam.
„Jaaa, genau und deswegen ist es ja meine Chance, jemals wieder aus diesem Bett aufstehen zu können. Es hat soo lange gedauert, bis ich hier einen Platz bekommen habe, weil gerade absolut ALLE bei Farmacia in Behandlung seinen wollen. Ich glaube nämlich fest daran, dass es funktioniert, nein, ich weiß es, denn mein Bruder hatte auch Krebs, dieselbe Form, so eine blöde Krankheit, die in der Familie weitergeben wird, ...
Naja, wo war ich? Ach stimmt, also er war auch hier und er ist jetzt wieder voll gesund und er hat mir immer erzählt, dass so ein Mann bei ihm war, Thomes, hieß er glaub ich. Er hat mir gesagt, dass Thomes dabei geholfen hat die Cruorfusion zu entwickeln und da dachte ich, dass du - hmm vielleicht dachte ich auch falsch, wenn du ja gar nichts weißt."
Ich glotzte dieses kleine zierliche Mädchen vor mir einfach nur an. Diese ganze Informationswelle wollte bei mir nicht so recht ankommen und gleichzeitig wollte ich das Ganze nicht wahrhaben.
Ein beengendes Gefühl zerdrückte meinen Körper. Diese plötzliche immer steigende blanke Panik, nahm mich und meine Gedanken ein, denn das einzige, was mir durch den Kopf schoss war: ich muss hier raus. Einfach nur raus!
Ich bewegte meinen Kopf so schnell es ging in alle Richtungen, um die schnellste Möglichkeit zu finden hier abzuhauen.
Ich rannte auf die einzige Tür des Zimmer zu, riss sie auf und der Lärm der Menschen auf dem Flur flutete auf mich ein. Ich stürzte mich in die Menschenmasse und bewegte mich so schnell in eine Richtung wie es mir möglich war.
Die ganzen Farben, Emotionen und Geräusche prallten an mir ab. Ich wusste nicht, wohin ich ging, aber ich bewegt mich einfach weiter durch den schmalen Flur, bis meine Luge nach Luft rang. Ich krallte mich an einer Lehne von einem Stuhl fest, der an einer Wand stand und ließ mich drauf fallen.
***
Ich saß einfach da und beobachtete die Menschen, die an mir vorbeizogen. Eilende Ärzte, schreiende Kinder, aufgebrachte Eltern. Eilende Ärzte, schreiende Kinder, aufgebrachte Eltern.
Ich habe völlig vergessen, wie lange ich einfach nur dasaß und nicht in mein Gehirn bekommen wollte, wo ich gelandet war.
Vor ein paar Tagen noch hatte ich ein ganz normales Leben: Ich hatte vor eine Ausbildung zu machen. Ich wollte schon immer Polizisten werden und meine Mama hatte stolz ein Bild von mir, als ich noch kleiner war, in einem Polizeikostüm an den Kühlschrank gepinnt.
Dafür habe ich mir in der Nähe der Ausbildungsstelle eine eigene Wohnung gesucht und hatte vor in einer Eisdiele zu jobben, um mich Überwasser zu halten.
Eigentlich wollte ich mir meinen großen Traum erfüllen und war stattdessen hier gelandet. Nichts, keine Ausbildung, kein Job, keine Polizistin.
Bisher war ich so verkrampft gewesen, dass ich darauf gewettet hätte, dass die Polizei längst nach mir sucht und mich rettet. Aber ich hatte mich schlicht und einfach nur noch nicht getraut ernsthaft darüber nachzudenken, denn jetzt donnerte es mir erst richtig ein.
Eine heiße Träne kullerte mir über die Wange und ich zuckte zusammen als mein Hals sich zuschnürte. Meine Mama war Anfang dieses Jahres gestorben und ich war am Boden zerstört gewesen. Sie war meine einzige Person in meinem Leben die immer bei mir war, aufgrund der vielen Umzüge.
Ich hatte keine Familie, keine Freunde und war mitten im Umzug in eine neue Stadt. Ich schlag mir eine Hand vor den Mund und wischte mir so hektisch die Tränen aus den Augen. Denn jetzt, wo ich es endlich zuließ, wurde mir immer bewusster: mich wird niemand retten! Es gibt niemanden der mich vermisst oder der mich sucht.
Ich sitze hier fest!
Mein Atem ging flach und ich krallte meine Nägel in das Holz des Stuhles. Es war wie ein Schleier vor meinen Augen, der sich erst jetzt legte und meine Augen wieder zu ließ, die Umgebung wahrzunehmen.
Plötzlich waren alle Tränen weg und mich ergriff eine Welle an Energie, sodass ich aufsprang und die nächste Person, die an mir vorbei lief am Arm packte.
„Eyy warten Sie, bitte bitte sie müssen für mich die Polizei anrufen, mein Name ist Helena, Helena Clark, und ich wurde hier hin entführt", stotterte ich die Frau verzweifelt an.
„Das soll doch ein Witz sein. Entführt? Kommen sie wieder in der Realität an", amüsierte sich die Frau, riss sich los und beachtete mich nicht weiter. Ich konnte ihr nur noch hinterher glotzten.
Bitte, irgendwer muss mir doch glauben! Aber wer wird schon einem Mädchen glauben, wenn es behauptet von einem Medikamentenkonzern gekippt zu sein - angewurzelt starrte ich der Frau einfach weiter hinterher.
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