5. Der Willkommensball I - 𝑴𝒂𝒈𝒈𝒊𝒆

Cheryl schob mich vor einen riesigen Spiegel. Er nahm eine der vier Wände des Raumes ein. Cheryl Davies war die Schneiderin des Schlosses. Sie arbeitete schnell und redete kaum. Auch wenn sie ihre Arbeit gut machte, kam ich mir dennoch manchmal komisch vor bei ihr. Ich fühlte mich wie ein Störenfried, wenn sie so vertieft in ihrer Welt mich ausmesste oder Stoffe an meinen Körper hielt. Was natürlich völlig lächerlich war, schliesslich war ich in diesen Moment ihr Model.

Sie machte eine Handbewegung, die mich dazu animieren sollte, mich zu drehen. Ich folgte ihrer Bitte und drehte mich einmal um mich selbst. Ich sah gerade noch im Spiegel, wie sich der Rock um meine Beine schlang und dann wieder locker nach unten fiel. Es war wirklich ein schönes Kleid, es schimmerte in einem silber-blauen Ton, und der Stoff lag angenehm auf der Haut. Der etwas aufgepluseterte Rock ging mir bis zu den Fussknöcheln. Von der Hüfte aufwärts lag der Stoff eng an mir und endete mit einem gut bedeckten Ausschnitt. Es war zudem Schulterfrei mit kurzen, aufgeplusterten Ärmeln.

Ein flüsterndes "Wow", entglitt mir. Bevor ich mich überhaupt von meinem Anblick losreissen konnte, wurde ich schon wieder weggezerrt und auf einen Stuhl gesetzt. Sie glettete meine Haare, frisierte sie zu einem Zopf und steckte ihn in einem Dutt hoch. Die kleinen Härrchen, welche rebellierten, kämmte sie mit Haarspray zurück. Make Up verpasste sie mir nicht wirklich, nur auf meine Wangen setzte sie ein leichtes Rosa und meine Augenlieder färbte sie etwas silber.

Ein weiterere Blick in den Spiegel verriet mir, dass ich mich - wie immer wenn ich von einer anderen Person gestylt werde, professionel oder nicht - nicht wohl in meiner Haut fühlte. Das Kleid, das bestand kein Zweifel, ich liebte es, doch was die Frisur anging. Sie war gut gemacht, keine Frage, doch ich wirkte damit so langweilig und stirr. Es war nicht ich. Was würde wohl Elle dazu sagen? Nein, Elle sollte ich mir wirklich aus den Gedanken streichen. Seit dieser Nacht, kriegte ich sie nicht mehr aus meinem Kopf. Sie nistete sich dort ein und das ich sie heute sehen würde, machte es nicht besser.

Heute war der Willkommensball. Der Anlass, mit dem die Selection offiziell begann. Eigentlich sollten nur die Ladies, Lords und wir - also die Königsfamilie - dabei sein. Die Angestellten würden auch da sein, aber nur um ihrer Arbeit als Kellner, Köchin, Zofe oder sonstigem nachzugehen. Doch auch Elle würde dabei sein, weil es meine Mutter seltsam gefunden hätte, wenn im selben Gebäude wo sie drin lebte eine "Party", wie sie es ausdrückte, stattfinden würde, ohne, dass sie eingeladen war. Ich gab ihr natürlich recht, aber ihre Anwesenheit würde mir den Abend definitiv nur noch mehr erschweren. Wie sollte ich den klar denken, wenn mein sogenanntes One-Night-Stand im selben Saal stand, mich sehen konnte, während ich mir einen Partner fürs Leben suchen musste?

Ich war nach wie vor frustriert und nicht sicher, wie ich diesen Abend überstehen sollte, als ich den Saal betrat. Er war schon reichlich geschmückt mit Girlanden, säuberlich genähte Stoffen, welche Aussahen wie Eiszapfen. Der Rand der tanzfläche wurde auf den Boden gezeichnet mit Linien aus silbernem Glitzer. Sie war ein riesiger Kreis in mitten des Raumes und nahm gut ein Drittel des ganzen Platzes ein. Das Thema war Schnee und Eis, passend zu dem Schneesturm der derweilen erneut da draussen wütete. Schon der zweite in diesem Winter. Durch die Fenster hin ducrh konnte man nur weiss erkennen, jetzt,wo es allmählich dunkel wurde, wurde das weiss eher grau. Die Decke schien endlos zu sein und erinnerte an einen Nachthimmel. Ein einfacher Trick mit Hilfe von Projektionen und opzischen Täuschungen, die den Himmel erstaunend echt aussehen liessen.

Ich war die letzte meiner Familie die eintraf. Sogar Belle, die Beraterin meiner Eltern, war früher da. "Siebzehn Uhr siebenundfünzig meine Liebe, in drei Minuten strömen hier dreissig Ladies und Lords hinein, hättest du nicht früher da sein können?" Mein Blick glitt zu meiner Mutter, die nervös auf und ab trat. Sie war immer Feuer und Flamme bei ihren Planungen und flippte schirr aus, wenn etwas drohte schiff zu laufen. Sie hielt grob ihr Kleid nach oben, weil es so lange war, dass sie bei ihrem Stressmarsch sonst vermutlich noch darüber stolpern würde. Aber es war schön. Es glänzte im selben silber-blauen Ton wie meines. Nur erinnerte es weniger an ein Prinzessinnen Ballkleid, sondern eher an ein Kleid für den Ausgang. Glatt und hauteng schmiegte es sich an ihren Körper, erst ab ihrer Hüfte fiel es locker hinunter und verdeckte ihre silbernen High Heels. Ich sollte erst auch in solche gesteckt werden, bis Cheryl es aufgab. Ich war die Vorzeige Prinzessin, die ein Buch ohne Probleme auf ihrem Kopf balancieren konnte, selbst wenn ich über einen holprigen Weg laufen müsste, doch was Schuhe mit hohen, dünnen Absätzen anging, war ich unbrauchbar. Da mussten sie schon auf Viyana oder Lilith zurück greifen. Dafür bekam ich silebrene Stiefelchen, welche knapp mein Fussgeelenk bedeckten und einen dicken, tiefen Absatz besassen.

Hinter meiner Mutter stand mein Vater in einem silbernen Anzug gehüllt, welcher hinten etwas länger im Schnitt ausfiel. Neben ihm Belle in einem Cocktail Kleid, ein Klemmbaord in ihrem Arm. Es folgten noch Jace und Will die steif neben einander standen und den selben silber-blauen Anzug trugen, Nur Wills war zugeknöpft und der meines ältesten Bruders nicht. Liliths Kleid war im Grunde ähnlich wie meines, nur ging es ihr nur bis knapp über die Knie. Zudem trug sie die High Heels, in denen ich x mal umgekippt war. Vyiana, gesteckt in eine glänzende Mitte aus meinem und Mutters Kleid, beobachtete das Geschehen, welches sich vor ihr abspielte. Sie war die einzige von uns allen, die weder laut mit Worten noch stumm mit Blicken gegen die Selection rebellierte. Sogar ich konnte mein leichtes Entsetzen bei der Verkündung nicht unterdrücken.

"Tut mir leid, Mutter, es gab ein Problem mit meinen Schuhen", erklärte ich mich höflich und verschrenkte meine Hände vor mir miteinander. Ich machte mir keine Sorgen, dass sie sauer war, aber könnte mich den lieben langen Tag entschuldigen. Diese Worte fielen mir leichter auszuspreche als jede sonst.
"Schätzchen, ist schon gut. Lass dich ansehen. Du bist wunderschön. Cheryls Künste sind ein Traum", seufzte sie und strahlte mich an. Ich erwiderte ihr Lächeln, dann schob sie mich neben Lilith hin, so das ich ebenfalls in Richtung der riesigen Türen sah.

Ungefähr zehn Sekunden lag eine schweigende Ruhe in dem Saal, bis sich die Flügeltüren schwerfällig aufschoben und sich die, vorhin erwähnten, dreissig Ladies und Lords hinein drängten. Die ganze Scharr schimmerte weiss, ob Kleid oder Anzug. Einige erkannte ich sofort wieder, andere fielen mir beim Empfang zu wenig auf. Man erkannte einen deutlichen Unterschied zwischen dem Empfang, wo ihnen bloss ein bereits fertiges Kleidungsstück aufgedrengt wurde, im Gegensatz zu jetzt. Seit zwei Wochen arbeiteten mehrere Stylisten auf hoch Touren, überlegten sich für jede Lady und Lord ein ganz besonderes Outfit, eine Frisur und Make-Up und zugegeben, ihnen gelang ihre Arbeit sehr gut. Die Gäste glänzten in ihren Kostümen, wobei es für viele sichtlich das erste mal war.

Wie eine Schar Hühner, die sich darauf vorbereiten, die ersten Körner zu erwischen, blieben sie vor uns stehen und starrten uns an. Die Nervosität und Ungeduld lag in der Luft. Nur wenige schienen ruhig zu sein, mehr auf sich selbst konzentriert. Darunter war auch dieser Drake. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich bemerkte, wie er mich schon länger anstarrte. Sogar er trug ein weisser Anzug, in seinen schwarzen Haaren und auf seiner blassen Haut, war ein Hauch von silbernen Glitzer zu erkennen. Das alles passte nicht zu ihm, nicht zu seinem letzten Auftritt und auch nicht zu seinen leeren Augen.

Ein Räuspern meiner Mutter ertönte von der linken Seite. Ich sah zu ihr, wobei Belle gerade ein Mikrofon vor die Füsse der Königin stellte. Meine Mutter riss alles an sich, von der Planung, bis zu den Reden. Sie war der Meinung, mein Vater würde das Ganze nicht befriedigend bewältigen, was vermutlich auch stimmte. Nun war er zu der Rolle des stummen Königs neben ihr verdonnert worden der Lächeln sollte, doch nicht einmal das kriegte er hin. Ich sah ihn bisher kein einziges mal Lächeln. Nicht einmal ein Zucken seiner Mundwinkel erlaubte er sich.

"Meine Damen, meine Herren. Endlich ist es soweit. Mit diesem Abend startet offiziell die Selection. Zuerst will ich euch danken, für eure hervorragenden, beeindruckenden, kreativen oder liebenswürdigen Anmeldungen, dank deren ihr nun hier steht und euch vergnügen könnt. Der Anlass heute ist ein einfacher Ball, gewürzt mit vereinzelten Ideen meinerseits, die mit in den Kochtopf geworfen werden, sobald sie benötigt sind." Meine Mutter liebte es, sich solche Bezeichnungen auszudenken wie das mit dem Gewürz un dem Kochtopf. Allgemein war sie ein sehr kreativer Mensch. Die kreative Ader kam also von ihr. Von meinem Vater wusste ich nicht wirklich, was ich geerbt hatte. Vermutlich einzig seine Augen. Er hatte die selben grauen Augen wie ich, nur etwas heller und kälter.

"Aber genug geredet und Geheimnisse offenbart, ich lasse euch jetzt springen. Geniesst den Abend und versucht meine Töchter und Söhne nicht zu sehr zu belagern, euch bleibt sicherlich genug Zeit um sie kennenzulernen." Mit einem frechen Zwinkern, beendete sie ihre Rede und Belle trug das Mikrofon wieder weg. Gleichzeitig begannen die Musikanten, welche sich auf einer kleinen Bühne eingerichtet hatten, zu spielen. Geigen, Celos, Gittarren, ein Pianist und noch mehr. Die Musik war heiter und aufgestellt.

Die Gäste verteilten sich im Saal. Versteckten sich in Ecken, suchten sich einen Partner oder Partnerin zum tanzen. Begannen unter einander Gespräche zu führen. Bevor ich mir ebenfalls einen Ort suchen konnte, wo ich blöd herum stehen und warten würde, bis ich angesprochen wurde, geschah dies bereits. Der Lord stellte sich als Lan Allen vor, wobei er das A in Lan seltsam lang betonte. Er machte mir ohne hin etwas Angst, zumal er nicht gerade nüchtern wirkte und seine Pupillen grösser waren als sie normal sein sollten. Er war sehr schlacksig, hatte lange Arme und Beine. Abgesehen seines seltsamen Auftretens wirkte er jedoch ganz nett.

Es dauerte keine Viertelstunde, bis wir unterbrochen wurden durch einen jungen der direkt in mich hinein stolperte. Er hatte rote, verzauste Haare und als er sich aufrappelte lief er rot an. Der weisse Anzug mit acht Knöpfen verteilt in zwei Reihen, dessen Jacket hinten etwas länger geschnitten war, passte nicht wirklich zu ihm. Es dauerte ein paar Sekunden bis er erkannte wer ich war und erötete nur noch mehr. Mit einer kaum verständlichen Entschuldigung, huschte er aus meinem Sichtfeld. Ich versuchte mich an ihn bei dem Empfang zu erinnern. Hiess er nicht, irgendwas mit r, Ron, Roy oder sowas? Auf jedenfall schien er mir ziemlich verwirrt.

Gerade wollte ich mich wieder zu Lan drehen und auf seine Frage, ob ich Lust auf einen Drink hätte, mit einem nein zu antworten, da war er schon verschwunden. Ich hatte definitiv vieles erwartet, aber nicht direkt von den ersten beiden Lords so verwirrt zu werden. Hastig stellte ich mich an den Rand des Geschehens um kurz Luft zu holen, bevor ich von dem nächsten Kandidaten angesprochen werden würde.

Mein Blick glitt durch den Saal. Er war riesig und trotzdem gab es kaum einen grossen freien Fleck. Die Leute verteilten sich überall, unterhielten sich und tanzten. Meine Geschwister waren genau so verstreut. Viyana war relativ mitten drin, verteilte Lächeln und unterhielt sich freundlich mit jedem Lord der ihr über den Weg lief. Lilith entdeckte ich ganz in der Nähe von mir, wie sie an der Wand lehnte. Ein Mann mit harten Gesichtszügen stützte sich mit einer Hand neben ihr an der Wand ab, während sie sichtlich mit ihm flirtete. Will fand ich überhaupt nicht mehr, während ich Jace gerade noch aus dem Raum verschwinden sah, dicht gefolgt einer Lady mit blondem Haar. Ich verdrehte meine Augen und schnaubte. War ja klar, dass er gleich mit der erst Besten das Bett aufsuche würde.

Mit den Gedanken ganz woanders, drehte ich mich um und lief beinahe in jemanden hinein. Nun war ich die Tollpatschige und nicht mehr der rothaarige Junge von vorhin.

"Huch, nicht so hastig Cookie."

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