4. Zugfahrt - 𝑬𝒍𝒍𝒆
Zusammen mit meiner Clique, sass ich in einer Ecke, wo ein Sofa und zwei Sessel standen. Die Luft war verpesstet. Alles stank nach Alkohol und Drogen. Der einzige der fehlte war Jace. Meine Güte, ohne ihn konnten wir nicht in die V.I.P. Lounge, er hatte seine Karte nicht, und das hier draussen, war keine Party. Ich sagte ihm doch, wann er hier sein sollte. Punkt acht Uhr. Ich sollte ihm das nächste mal wohl lieber eine Uhr und keine V.I.P. Karte schenken, denn mittlerweile war es schon halb neun. Die anderen schien das nicht zu kümmern. Nova und Harper teilten sich einen sessel und die Couch besetzten Lilith, Ace und Lola mit einem wild fremden Typen. Ich gab Lola meine zusätzliche Karte, da sie sonst genauso alleine wäre wie ich es nun war. Ausserdem, wen hätte ich schon mitnehmen können? Ausserhalb der Clique kannte ich nur Maggie und sie durfte nicht auf die Party. Bestimmt wollte sie auch nicht.
Ungeduldig tippte ich auf die Lehne meines Sessels. "Kannst du bitte damit aufhören?", schnauzte mich Lola mir gegenüber an. Genervt verdrehte ich meine Augen, hörte jedoch auf. Stattdessen stützte ich mein Kinn auf meiner Hand ab. Ich beobachtete die anderen, wobei ich besonders bei Lilith und Ace hängen blieb. Die weisshaarige sass auf seinem Schoss und hatte sich zu ihm gedreht. Sie flüsterten miteinander. Offenbar musste das besprochene lustig sein, denn die Prinzessin kicherte leise. Als Ace mich jedoch bemerkte, sah ich schnell weg.
"Spannst du gerne andere Leute aus?" Ich konnte Lilith nicht ausstehen, auch wenn ich mir sicher war, dass mehr hinter dieser arroganten, manipulierenden Fassade steckte. Sie benahm sich falsch, nutzte Männer aus, wie wenn sie ihre Spielzeuge wären, und sie schaffte es tatsächlich, dass alle nach ihrer Nase tanzten. Gut, zugegeben, die Männer, welche sich auf sie einliessen, waren eigentlich auch etwas selbst Schuld. Ace war da das beste Beispiel für. Ich meine, hatte er tatsächlich das Gefühl, dass er von einer Prinzessin geliebt wird, der er ständig nachrennen musste? Sie tat nie etwas für hin.
"Nein, Lil", seufzte ich und sah sie an. Dann, endlich, tauchte Jace auf und das tatsächlich mit Chris.
"Hey Leute, wieso sitzt ihr denn hier so rum?" Genervt sah ich zu ihm auf. Heute war wirklich nicht mein Tag. Ich war gestresst weil ich morgen auf dem Wilkommensball sicherlich Maggie begegnen würde und zusätzlich bekam ich gestern meine Tage. Wieso musste das auch so weh tun. Dann war ich noch angepisst, weil Jace zu spät kam und gleichzeitig Frauen wie Chris so verarschte.
Mürrisch erhob ich mich und drückte ihm die Karten in die Hand. "Warum wohl? Wir warten schon über einer halben Stunde auf den Herr Prinzen, der meint zu spät kommen zu können. Sei froh, dass wir dich und deine Freundin nicht einfach hier stehn gelassen haben. Viel Spass in der V.I.P. Lounge, ich verpiss mich." Ich hatte kein bock mehr. Normalerweise war ich die lockere, gut gelaunte der Clique, doch heute hatte ich absolut keine Lust diese Rolle zu spielen.
"Hey Elle, warte mal." Ich hatte genauso wenig Lust jetzt mit Jace zu reden, ich hatte unheimliche Bauchschmerzen und aufregung half da nicht weiter.
Ich war froh, als ich endlich die kühle Nachtluft einatmete. Sie umgab mich und hinterliess ein kribelndes Gefühl auf meiner blassen Haut. Ich hatte nichts an ausser einen kurzen Rock mit Netzstrumpfhosen darunter, Turnschuhe, welche dennoch schön aussahen, und ein weites, bauchfreies Shirt mit langen Ärmln. Das Outfit war etwas zu kalt für Februar. Aber ich fand die Kälte gerade doch ziemlich angenehm.
Meine Gedanken schweiften zu Maggie, während ich die Strasse überquerte und in Richtung Zug lief. Abgesehen von ein paar Begegnungen auf den Gängen, wo wir uns einzig mit einem stummen Nicken begrüssten, sah ich sie nun schon eine ganze Woche nicht mehr. Morgen würde ich sie jedoch wieder sehen. Mein Herz hüpfte leicht bei diesem Gedanken. Sie machte etwas mit mir, was ich noch nicht ganz so verstand. Sie faszinierte mich.
Ich stieg die Treppen empor, die zum Gleis führten und wartete auf dem Banhsteig. Es gab nur eine Zugverbindung auf der mehrer Züge fuhren und überall in der Stadt hielten. Ein kurzer Abstecher machte die Linie noch in das Dorf nebenan. Eine einzige Haltestelle lag darin. Das Dorf gehörte immer noch zu Crown, doch niemand scherrte sich darum. Leute starben an den leichtesten Krankheiten, weil sie sich nicht versorgen konnten. Ein Handy oder ähnliches, besassen nur die wenigsten. Es war schrecklich. Eine Ansammlung von Hunger, Verzweiflung und Armut. Die vereinzelten die es schafften in die Stadt zu kommen, blieben stumm, weil sie nicht mehr zurück geschickt werden wollten und der König fokusierte sich auf andere Dinge. Manchmal fühlte ich mich schlecht, weil ich selbst den grössten Teil der Kindheit dort gelebt hatte und ich nun sogar im Schloss mein Zuhause fand, doch viel Einfluss auf das Leben dort hatte ich nicht. Und um ehrlich zu sein musste ich schon so viel Scheisse durch machen in meinen jungen Jahren, ich brauchte Pause, auch wenn das nicht unbedingt eine gute Entschuldigung war.
Mit einem erschaudernen Quitschen hielt der Zug vor mir. Die Schiene, auf dem er fuhr, bestand aus einer Stange, die sich ihren Weg über die Stadt hinweg bahnte. Wer höhen Angst hatte, sollte sich lieber davon fernhalten. Innen waren die Sitze mit rotem Samt überzogen. In den vierer Abteilungen stand jeweils ein Tisch. ich blickte mich um. Es sassen noch ein alter Herr mit seiner einem kleinen Mädchen, vermutlich seine Enkelin, darin und eine Geschäftsfrau, die wie wild auf ihrem Telefon herum tippte. Ihre Fingernägel waren aufgekleppt und so lange, dass ich mich fragte, wie zum Teufel sie die Tasten traf. Seufzend liess ich mich in der Nähe der Tür auf einem der weichen Sitze fallen, als der Zug losfuhr. Er bewegte sich viel ruhiger als früher. Ich begann dem Gespräch zwischen dem kleinen Mädchen und dem älteren Mann zu lauschen, welche im Abteil neben mir sassen.
"Opi, wo sind wir jetzt? Wie lange dauert es noch?" Diese Ungeduld kleiner Kinder. Ich lächelte leicht, lehnte mich zurück und schloss meine Augen.
"Es dauert nicht mehr lange, versprochen." Dieser Satz erinnerte mich an einen der schlimmsten Tage in meinem Leben. Ich sass auf dem Schoss meiner Mutter, meine zwei Schwestern gegenüber. Wir waren schon lange unterwegs und der Zug war vollgestopft. Das Holpern des Zuges machte mich wahnsinnig, genauso wie der Fakt, dass ich nicht wusste, wo es hin ging. Ich wusste nicht wie lange wir noch in diesem unbekannten Gefährt sitzen würden, das über die Stadt fuhr, welche ich zuvor nur von weitem gesehen hatte. Die hohen Häuser oder die bunten Lichter, die an Silvester bis zu den Wolken hoch schienen.
Ich spürte das meine Mutter Angst hatte und das meine älteren Schwester ihre Nervosität teilten. Sie waren damals erst zehn und elf und mussten dennoch ständig unserer Mutter unter die Arme greifen. Vater war nie zuhause, ich wusste selbst nicht, wo er sich immer herumtrieb, doch an diesem Tag dürfte ich es erfahren.
Im Zentrum der Stadt hielt der Zug und wir stiegen endlich aus. Wir wurden hin und her geschupst und beinahe getrennt. Frauen und Männern in geschnigelten Anzügen und einer Aktentasche rempelten uns an. Sie liefen alle samt in die gleiche Richtung. In Richtung eines grauen Gebäudes aus Glas. Drinnen wurden meine Mutter und Schwestern mitgenommen, ich wurde in einem einzelnen Zimmer auf einen Sessel gesetzt und alleine gelassen. Alles in dem Zimmer war grau oder in einem so stechenden Rot gefärbt, dass es beinahe weh in den Augen tat. Ich fühlte mich klein auf dem riesigen Samt Sessel, doch ich war ohne hin eher damit beschäftigt, alles anzustarren. Sogar die zwei Gläser, welche verkehrt auf dem Tablet auf dem kleinen, runden Tisch vor mir standen, waren mit feinen Mustern und Gravuren versehen. Es kam mir vor wie in einem meiner lebhaften Träume.
Ich war so fasziniert von allem, dass ich nicht bemerkte, wie schnell die Zeit vorüber strich. Ich sass ungefähr dreissig Minuten in dem Raum, bis mich eine Frau im schwarzen Blaser, schwarzem Rock und einem stechend rotem Hemd abholte und unsanft mitzerrte. Ich fühlte mich fast schon etwas fehl am Platz in meinem grauen Kleid, das aussah wie ein Lappen, den ich mir übergehängt hatte. Doch es war das schönste was ich besass.
Ich wurde in einen riesigen, dunklen Saal geführt, wo meine Erinnerungen schummrig wurden. Ich erinnerte mich an Vater, der in der Mitte des Saales angekecktet auf einem Stuhl sass. Rund um ihn herum waren Tribünen, vor ihm ein noch höheres Podest. Darauf sass ein Mann. Alles war dunkel und in ein aggressives Rot getaucht. Dieses Rot würde ich nie wieder vergessen. Der Hammer fiel. Ich hielt mir die Ohren zu, weil es so laut war. Und dann...
Eine laute Frauen Stimme liess mich aufschrecken. Ich sah hektisch umher, doch es war nur die Frau mit den langen Fingernägeln, die telefonierte. Aufgebracht reklammierte sie über irgedendwas, vermutlich über die Arbeit, doch ich blendete es aus und schloss wieder meine Augen. Jedoch behielt ich sie nicht lange auf, denn das kleine Mädchen sprach mich an.
"Sind die echt?" Sie kroch auf den sitz neben mich, deutete auf meine Haare und starrte mich mit grossen Augen an. Ich musste einfach Lächeln, bei ihren süssen Wangen und ihren wilden, lockigen Haaren, die mich etwas an Maggie erinnerten. Bloss die Farbe war anders, sie hatte ganz dunkles Haar, beinahe schwarz. Ich schätzte sie auf sechs, so wie ich es damals war.
"Ja die sind echt, wieso fragst du?", schmunzelte ich und nickte leicht.
"Sie sind so hell."
"Entschuldigen Sie. Aira, komm zurück." Er breitete seine Arme aus, woraufhin das kleine Mädchen auf seinen Schoss zurück kletterte. Ich sah sein Misstrauen, mir gegenüber.
"Kein Problem, wirklich. Sie können sich auch gerne zu mir setzen." Etwas Gesellschaft konnte sicherlich nicht schaden, doch der Mann winkte ab.
"Wir müssen ohne hin gleich raus." Er wollte nicht, das die kleine bei mir war, jedoch nahm ich es ihm nicht übel. Meine Mutter hätte damals sicher genau so gehandelt. Sie waren offensichtlich vom Dorf, was man an ihren abgetragenen Klamotten erkannte. Aira zum Beipspiel trug einzig ein dünner Stoff an den Füssen.
Ich zog meine Schuhe aus, erhob mich und stand vor die beiden hin. "Sir, wenn Sie gestatten, ich würde Aira gerne diese Schuhe schenken. Sie sind etwas zu gross, aber ich kann sie ganz eng schnüren, dann sollten sie halten." Perplex sah er mich an, nickte dann jedoch zögerlich. Ich forderte die Kleine auf, sich auf einen einzelnen Sitz zu setzen und kniete mich vor sie. Die Schuhe waren tatsächlich viel zu gross, aber ich konnte sie so binden, dass sie einiegermassen hielten. Sie waren zum Glück sehr leicht und würden ihr nicht zur Last fallen.
"Danke fremde Frau", flüsterte Aira und bestaunte die Schuhe. Schmunzelnd streckte ihr die Hand entgegen und schüttelte sanft die ihre. Dabei hinterliess ich ihr fünfzig Crowns.
"Nenn mich Elle und kauf dir was schönes." Ungläubig starrte sie die Note in ihrer Hand an.
"Danke Elle." Lächelnd zwinkerte ich ihr zu und setzte mich zurück auf meinen Platz.
"Das wäre nicht nötig gewesen", kam es von der Seite. Ich sah zu dem alten Herr hinüber, welcher offensichtlich sehr Dankbar war.
"Ich helfe gerne wo ich kann." Ich half gerne, weil es sich gut anfühlte, obwohl ich dieses Gefühl schon beinahe vergessen hatte. Es erfüllte mich und dann war es mir egal, ob ich Barfuss durch die Gassen nach hasue laufen musste oder um eine fünfziger Note leichter war.
Ich streckte auch ihm die Hand entgegen, welche er annahm. "Elle."
"Benett", stellte auch er sich vor.
"Wenn Sie gestaten, nenne ich Sie gerne Ben. Ich mag lange Namen nicht besonders." Damit brachte ich ihn tatsächlich zum Schmunzeln und er willigte mit einem Nicken ein.
Dann ertönte das bekannte Glöckchen und eine Frauenstimme ertönte durch die Lautsprecher. "Zentrum."
"Hier müssen wir raus. Danke für alles, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Heimweg." Ben winkte mir zu, gefolgt von Aira.
"Tschüss ihr Beiden und viel Glück", winkte ich zurück.
Die Geschäftsfrau, die sich immer noch lauthals am Telefon beschwerte, huschte an mir vorbei. Den zwei warf sie einen verächtlichen Blick zu, ich hätte sie umbringen können, doch sie war schon verschwunden.
Kaum schlossen sich die Türen, war es still in dem Zug. Nur noch das leise brummen des Gefährts war zu hören. Nach dem Geschrei der Frau, war dies doch ein extremer Kontrast, aber ich genoss es. Es war angenehm und holte mich herunter. In mir selbst, war es heute viel zu laut und viel zu hektisch, ich brauchte das um mich herum nun wirklich nicht auch noch. Ich schloss meine Augen, lehnte mich zurück und dachte an morgen. Morgen würde ich Maggie wieder sehen. Auch wenn ich nicht mit ihr sprechen würde, ich würde sie wieder richtig sehen, endlich.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top