t w e n t y - t w o

James Sicht

Als sie auflegte, wusste ich nicht was genau sich in mir abspielte, aber es war irgendwie ein Gefühl, dass ich kaum beschreiben konnte, weil noch nie zuvor mir jemand dieses Gefühl gegeben hatte. Dieses unglaubliche Gefühl von.. Leere? Jahrelang, fast mein halbes Leben, hatte ich damit verbracht Menschen zu verletzen und ihnen das zu nehmen, was ihnen am wichtigsten ist. Ich hatte sie ausgeraubt, sie umgebracht, ihnen wehgetan - ich hatte ihnen psychischen sowie physischen Schmerz hinzugefügt und ich hatte damit kein einziges Problem. Ich habe nicht einmal daran gedacht, was ich ihnen hinzugefügt hatte, sondern lebte froh und munter, trotz Straftaten, mein Leben weiter. Aber Mias Worte brachten mich enorm zum nachdenken und ich konnte meinen Blick nicht von meinem Handy entfernen, nachdem sie aufgelegt hatte und mich mit einem stechenden Herz zurückgelassen hatte. Momentmal, stechendes Herz? Hatte sie mich echt dazu gebracht zu.. fühlen? Ich biss mir auf die Unterlippe, sammelte meine Gedanken und wusste noch nicht einmal, was ich als nächstes machen sollte. Normalerweise hatte ich immer einen Plan, wusste immer wie es weitergehen sollte, doch jetzt stand ich planlos mitten in meinem Zimmer herum und überlegte, was in den letzten Wochen mit mir passiert war, dass diese Situation und Mia mich so sehr beschäftigten. Mochte ich Mia etwa mehr, als ich mir ausmalen konnte? Es war ungewöhnlich für meine Verhältnisse zu mögen, ich hielt das für Schwachsinn.

»Fuck, ich muss sie finden.« war das Einzige, was ich sagte, ehe ich den Raum verließ und die Treppen runterging. Endlich machte sich dieser Shawn mal nützlich, denn er wohnte genau über mir und war der Grund wieso ich mich, außerhalb der Death-Bar vor der Polizei verstecken konnte. Ich musste mich nicht wirklich verstecken, aber sie fuhren oft an der Bar vorbei, und sollte mich dort jemand sehen, wenn irgendetwas schlimmes passieren sollte, wäre ich der erste, den sie verdächtigen würden. So wie bei Alice auch.

»Shawn« rief ich durch den ganzen Raum und sofort kam er angenervt aus seinem Zimmer.

»Was?« brummte er verschlafen und ich zog mir währenddessen meine Lederjacke an. »Wo ist Mia, wenn sie traurig ist?« fragte ich hastig und wartete bis er es endlich ausspuckte. »Woher soll ich wissen- moment mal, wieso ist Mia traurig? James du bist gleich ein toter Mann« drohte er mir und kam schon auf mich zu. Lustig, dachte ich mir. Als hätte so ein kleines Kerlchen wie Shawn auch nur die kleinste Chance gegen mich.

»Komm runter, Sherlock. Ich will nur wissen wo sie hingeht, ich habe ihr nichts getan« gab ich wahrheitsgemäß zu und brachte ihn anscheinend mit meiner Aussage dazu, ironisch aufzulachen. »Du hast ja auch schon genug getan« erwiderte er und mit einem Augenverdrehen verdeutlichte ich ihm, mir endlich zu sagen, was genau er wusste.

»Im Wald, beim Felsen an dem alten Apfelbaum.« Kurz dachte ich nach und dann ging ein Licht in meinem Kopf auf. Ich wusste welcher alte Apfelbaum gemeint ist.

Schnell fuhr ich die Straßen entlang. Ich musste sie einfach sehen. Ich wusste immer noch nicht genau, was passiert war, wusste nur, dass ihre Mutter im Krankenhaus lag, aber so wie sie sich am Telefon anhörte, dachte ich, irgendwer wäre gestorben. Das war nicht Mia, ihre Stimme scheuchte mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Wieso dachte ich nur so einen.. süßen Scheiß? Niemals hatte ich, James, Gänsehaut. Ich musste wieder klaren Kopf fassen.

Ich hielt am Waldrand an, ich konnte den Felsen schon fast sehen. Er war bekannt, denn neben ihm wuchs mal einer der besten Apfelbäume, aber der war auch schon veraltet und spuckte langsam aber sicher keine Äpfel mehr aus. Und ehe ich mich versah, erkannte ich schon einen Umriss, der mir beim genauen Hinsehen nur all zu bekannt war.

»Mia« rief ich und ihr Kopf schoss nach hinten. Sie war komplett verweint und schien so verloren, dass ich nicht anders konnte als näher an sie heranzutreten, doch sie wich mir schnell aus und war deswegen schon wieder weit von mir entfernt. Sie war gar nicht wieder zu erkennen, um ehrlich zu sein. Aber wieso sollte mich das interessieren? Und wieso überhaupt wollte ich sie sehen? Mitleid kam in mir auf, als ich sie näher beäugte aber mein Verstand hörte nicht auf mir einzureden, dass ich nicht für diesen Gefühlsscheiss gemacht war.

»Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?« fragte sie mich eindringlich, doch man bemerkte, wie sie sich keine Mühe dabei gab, stark zu klingen.

»Mia, ich bin hier um für dich.. ehm da zu sein. Mach dir das selbst doch nicht schwerer als es ist, sondern lass mich dir jetzt helfen, du brauchst das. Bitte.«flehte ich sie an, obwohl ich eigentlich niemanden anflehte, doch ich machte mir nicht die Mühe dies zu hinterfragen - Mia änderte meine Art, mein Dasein und alles andere was mich betraf. Es war so und vor Allem in diesem Moment konnte ich an dieser Tatsache nichts ändern. Egal, wie sehr ich doch wollte.

»Du denkst ich lasse mir von dir helfen? VERDAMMT VERSTEHST DU NICHT, DASS DAS ALLES DEINE SCHULD IST JAMES?« sie schrie und ich ließ es zu, denn es schien, als müsste sie das alles rauslassen. »HÖRT ALLE AUF DAMIT GOTT, WIESO VERSTEHT NIEMAND DAS ICH ALLEINE SEIN UND NIEMANDEN SEHEN WILL. GEH ENDLICH, GEH.« Mit ihrer rechten Hand zeigte sie in eine Richtung, um mir zu verdeutlichen, dass ich gehen sollte, doch erst da fiel mir auf, dass etwas rotes auf ihrer Rückhand aufblitzte.

»Mia, Mia was ist das an deiner Hand?« Sie schluckte, schien keine Worte mehr zu finden und starrte auf ihre Hand. Tränen liefen wie ein Wasserfall ihre zarten Wangen herunter und sie konnte nicht mehr sprechen. Als ich sie in meine Arme schloss, sagte sie nichts mehr, bewegte sich kein Stück, außer, als sie näher an mich heranrückte.

»Mia, ich verstehe was du am Telefon meintest. Du musst wissen, dass ich kein Junge bin, der nichts mehr als Schadenfreude empfunden hat, wenn er jemanden verletzt hat. Aber dich so zu sehen, macht mich noch trauriger als dich. Ich werde hier sein, für dich da sein und dir helfen. Wir müssen nicht reden, aber ich bin da okay?«

Ich streichelte langsam und behutsam ihren Kopf, so als wäre sie aus Glas, aber sie hörte nicht auf ihren ganzen Frust hinaus zu weinen und ich fühlte mich nur noch dreckiger und schuldiger, obwohl ich das noch nie fühlte. »Ich bin bei dir, Mia« hauchte ich.

Und in diesem Moment war es um mich geschehen und ich erkannte, dass ich etwas für Mia empfand.



Wie gefällt es euch? Hinterlasst einen Kommi, macht mich immer ganz ganz happy. ❤️

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