s i x t y - f i v e
Ich hatte gerade meine Deutscharbeit auf den Pult des Lehrers gelegt und verließ schnell den noch einigermaßen vollen Klassenraum. Draußen wartete schon Alvia, welche ungefähr fünf Minuten vor mir etwas verzweifelt abgegeben hatte. Ich hatte ebenfalls kein sehr gutes Gefühl und auch Alvia schien diese Arbeit nicht begeistert zu haben, aber wir hatten die letzten zwei Tage gelernt und unser Bestes gegeben. Mehr konnten wir wirklich nicht tun.
Nachdem ich den Brief gelesen hatte, beschloss ich mich sofort auf den Weg zu machen um ihn in der Bar aufzusuchen. Aber ich hatte kein gutes Gefühl. Ich wollte ihn wirklich wiedersehen, aber beschloss auf den richtigen Moment zu warten. Ich hatte niemandem sonst von dem Brief erzählt, weil ich mich von niemandem sonst beeinflussen lassen wollte. Ich war stark genug, um meine eigene Entscheidung zu treffen, was James betraf. Ich wusste, dass nicht jeder nachvollziehen konnte oder würde, wie ich mich entschied. Deswegen wollte ich mir selbst in Ruhe Gedanken machen und mich nicht von Außenstehenden beeinflussen lassen. Zumal Dad oder Lucas nichts von meinem Besuch erfahren durften. Ich hatte nicht vor, Geheimnisse zu haben und wieder die alten Fehler zu wiederholen, aus welchen ich eigentlich gelernt haben sollte. Aber sie ließen mir einfach keine Wahl, als ihnen so etwas zu verheimlichen. Mein Vater würde wieder an die Decke gehen und ich wollte keinen zusätzlichen Stress erzeugen. Sie hatten genug mit mir mitmachen müssen und hassten James sowieso schon wie die Pest, also brauchte ich nicht zu versuchen, meinen Vater oder Lucas von ihm zu überzeugen. Es würde rein gar nichts bringen, den sie würden ihre Meinung über ihn niemals ändern.
"Ich habe jetzt noch eine Stunde Physik. Ugh." gab die entnervte Alvia von sich und spazierte geradewegs auf ihren Spind zu. Sie wusste, dass ich jetzt frei hatte, weil ich sie den ganzen Morgen damit aufgezogen hatte. Ich hatte Physik schon lange abgewählt. Es ist das erste gewesen, was ich tat als ich die Möglichkeit dazu hatte. "Ich bin dann mal zuhause." rief ich ihr schmunzelnd hinterher und erntete nur wütend eine Mittelfinger.
Ich wusste, dass jetzt der Moment gekommen war. Ich musste mit ihm reden und ihn sehen. Ich musste ihm zuhören und wollte wissen, was er mir alles zu sagen hatte. Ich wollte ihm eine Chance geben und vor Allem die Möglichkeit, sein Leben zu verbessern. Mich freute es, dass er versuchen wollte sich von diesen kriminellen Dingen fern zu halten. Ich war stolz auf seine Entscheidung und wollte sehen, ob aus uns vielleicht, ganz vielleicht etwas vernünftiges werden konnte. Meine Hoffnung war durch den Brief gestiegen und ich wollte mir einfach nur sichergehen, dass er das auch ernst meinte.
Ich war schon fast an der Bar angekommen. Es war noch mittags und ich wusste nicht genau, ob sie schon geöffnet gewesen ist, doch das open Schild, welches an der Glastür hing verriet mir, dass ich hineinkonnte. Es fühlte sich wie ein Dejavu an, als ich sie zum ersten mal nach fast drei Monaten betrat. Viele Erinnerungen an James und mir waren zwischen diesen vier Wänden gefangen und ich wusste nicht recht ob ich sie wirklich wiederbeleben sollte. Augenblicklich verdoppelte sich mein Herzschlag und ich hatte Angst ihn wirklich anzutreffen. Hatte er sich verändert? Liebte er mich vielleicht doch nicht mehr? Meinte er das doch nicht ernst?
Ich spazierte zu der Bar, hinter welche eine etwas ältere, ungefähr vierzig jährige, blondhaarige mollige Frau stand. Sie polierte mit einem Handtuch gerade ein Glas und beäugte mich etwas misstrauisch. Natürlich tat sie das. Ich sah aus wie ein kleines, unschuldiges Mädchen und sie fragte sich wahrscheinlich was ich in so einer Bar zu suchen hatte. Bestimmt fragte sie sich, wie ich mich hier rein verlaufen konnte. Ein paar ältere Männer saßen an der Bar und tranken ein Bier. Solche Menschen wie Michael verstand ich noch nie. Wie konnte man den inmitten des Tages schon so viel Alkohol zu sich nehmen? Wieso machten so viele alte Männer das?
"Hallo uhm, ich wollte nur kurz fragen ob James zufälligerweise hier ist." In meinem Kopf hatte ich mir das hier viel einfacher vorgestellt und dachte ich würde in die Bar spazierzen und ganz plötzlich in seine Arme fallen. Aber ich sah ihn nicht. Ich blickte in mehrere Gesichter aber keines davon war seins. "James wer?" fragte sie mir erhobener Augenbraue und fragte sich innerlich bestimmt, woher ich James kannte. Sie schien irgendwie so fassungslos zu sein. "James Lockwood." gab ich von mir und sie lachte auf. "Kleine, er ist nicht hier." sagte sie und zapfte eine neues Bier an. "Aber ich habe gehört-" fing ich an zu reden doch sie hatte mich schon längst wieder unterbrochen. Diese Frau war wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden. "Ich weiß nicht was du dir einbildest, aber James war das letzte Mal vor drei Monaten hier drin, nämlich als er mir den Schuppen verkauft hat. Er ist und war nicht hier." mit diesen Worten beendete sie ihren Satz und schon wieder tappte ich im Dunkeln. Keine Nummer und keinen Standort. Wie sollte ich dich finden, James?
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Goooood night ihr lieben ❤️
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