92. „Agent D."
J A M I E
Nervös spielte ich mit meinen Händen rum und atmete stockend aus.
„Und?", fragte ich ungeduldig. Tryson schüttelte mit zusammen gepressten Lippen den Kopf und seufzte.
„Justin ist tot, Jamie. Entweder verarscht dich jemand oder es ist Jack oder James", sagte er und sah mich entschuldigend an. Ich wusste, dass er das sagen würde und mir war klar, dass Justin tot war, aber da war immer noch etwas in mir, dass sich wünschte, dass er noch lebte.
„Wir wissen doch gar nicht, ob Jack und James noch leben!", warf ich ein und verlor mich erneut in meiner Hoffnung. Ich hatte gesehen wie der Wagen die Klippe runter gestürzt war. Aber vielleicht war er ja vorher rausgesprungen.
„Können wir uns irgendwie das Video nochmal angucken, wo Justin... wo er..." Ich verstummte und sah Tryson bittend an. Er fuhr sich durch's Gesicht und sah ich seufzend an.
„Ja, bestimmt irgendwo im Internet", murmelte er und seufzte erneut. „Aber mach dir nicht zu große Hoffnung, Jamie."
Energisch schüttelte ich den Kopf.
„Nein, aber...", stotterte ich und wusste nicht, was ich sagen sollte. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, ihn nie wieder zu sehen."
Tryson schluckte schwer und sah mich traurig an.
„Wie geht es dir?", fragte er vorsichtig.
„Jeder stellt mir immer und immer wieder die gleiche, verdammte Frage", murmelte ich ohne aufzuschauen.
„Und was antwortest du?"
Ich seufzte und blickte starr nach unten.
„Ich hab das Gefühl, als könnte ich alles nicht mehr aushalten." Kurz machte ich eine Pause. „Es fühlt sich an, als würde ich eine Bahn tauchen und mir geht die Luft aus. Man hält es meistens noch aus, bis man am Ende ist." Erneut machte ich eine Pause und spürte die Tränen in meinen Augen brennen. „Doch jetzt fühlt es sich an, als würde ich ertrinken." Ich schluckte den Klos in meinem Hals herunter und blickte auf. „Jeden einzelnen Tag."
Tryson wand den Blick nicht ab und sah mich mitleidig an.
„Lass uns fahren", sagte er plötzlich. Verwirrt blickte ich ihn an und legte den Kopf ein wenig schräg.
„Wohin?"
„363 Nelson Street", erwidert er leicht grinsend und sprang auf. Strahlend blickte ich zu ihm auf und nahm seine Hand, die er mir hin hielt. Doch plötzlich stockte er.
„363 Nelson Street?", fragte er und sah mich nachdenklich an. Ich hob die Augenbrauen und nickte.
„Ganz richtig."
„Ich kenn das Gebäude", murmelte er und schüttete gleich darauf den Kopf.
„Ach ja?", fragte ich, doch er lief einfach los.
„Komm", sagte er.
Wir liefen aus der Lagerhalle, setzten uns ins Auto und fuhren los.
„Tryson?", fragte ich und wollte endlich wissen, was es mit dieser Adresse auf sich hatte.
„Ja?", erwiderte Tryson.
„Was ist mit 363 Nelson Street?", wollte ich leise wissen. Tryson seufzte und bog in eine Straße ein.
„Es war unsere alte Lagerhalle", erklärte er ohne den Blick von der Straße zu nehmen.
„Wieso habt ihr euch eine neue besorgt?", fragte ich verwirrt. Sie töteten die Vorbesitzer von unserer Lagerhalle, obwohl sie noch eine andere hatten?
„Sie ist quasi nur noch eine Ruine", erklärte er schlicht und bog erneut in eine andere Straße ein. Nelson Street... Wo hatte ich das schon mal gehört? Natürlich!
„War euer altes Haus nicht auch auf der Nelson Street?", fragte ich interessiert.
„Ja genau. 34 Nelson Street", bestätigte Tryson.
„Und wieso ist eure Lagerhalle nur noch eine Ruine?", fragte ich weiter.
„Es gab ein großes Feuer und es ist fast alles abgebrannt", erklärte er leise und schluckte.
„Ein großes Feuer?" Ich keuchte und sah ihn mit großen Augen an. „Wieso?"
„James", war das einzige, das er sagte. Ich schluckte schwer und blickte zur Seite.
Nach einer Weile ergriff Tryson wieder das Wort.
„Was hat James dir angetan?", fragte er leise und vorsichtig und drehte seinen Kopf in meine Richtung. Augenblicklich schloss ich die Augen und kralle mich in den Ledersitz, als die Erinnerungen zurück kamen.
„Bitte, hör auf", wimmerte ich und wollte ihm meine Hand entziehen, doch er ließ mich nicht los. Ein leiser Aufschrei entfuhr mir, als er mir erneut die Zigarette auf den Arm drückte.
„Nicht", murmelte ich und schüttelte den Kopf. Tryson seufzte und blickte wieder auf die Straße.
„Okay", hauchte er und parkte den Wagen. „Wir sind da."
Ich nickte und griff an den Türgriff, um ihn zu öffnen. Langsam stieg ich aus und sah mich um. Wow. Hier war es nicht wie bei Justins altem Haus. Dort sah alles so reich aus und hier war alles herunter gekommen.
„Sprich am Besten mit niemandem", murmelte Tryson und lief auf ein Gebäude zu. Nervös lief ich ihm hinter her und versuchte mich nicht umzublicken. Im Augenwinkel jedoch sah ich wie mich eine schwarze dünne Frau mit einem Bandana auf dem Kopf mürrisch anblickte, als könnte sie riechen, dass ich mal reich gewesen war.
Ich schluckte und betrat mit klopfendem Herzen das Gebäude.
„Ach du scheiße", hauchte ich und legte mir eine Hand auf den Mund. Die Lagerhallte schien riesig gewesen zu sein, doch jetzt war nur eine riesige schwarze Fläche übrig geblieben, die von teilweise eingestürzten Wänden umgeben wurde. Hier und da konnte man verbrannte Möbel erkennen. Es musste schlimm gewesen sein, als es hier gebrannt hat. Das Feuer musste riesig gewesen sein. Tryson jedenfalls ließ sich nichts anmerken.
„Waren hier Leute drin, während es gebrannt hat?", fragte ich leise. Lange blieb es still, bis Tryson sich zu mir umdrehte und mich emotionslos ansah.
„Ich sehe hier kein Justin", rief er und drehte sich wieder um, um sich weiter umzusehen. Ich seufzte und akzeptierte es, dass er jetzt nicht darüber reden wollte.
„Vielleicht ja irgendetwas Anderes", murmelte ich und lief ihm hinterher, als plötzlich lautes Poltern erklang. Tryson und ich erstarrten, während ich ihn mit großen Augen anstarrte. Er zog aus seiner Hosentasche etwas Schwarzes aus Stoff und warf es mir zu. Verwirrt blickte ich die Sturmhaube an und sah wieder zu Tryson, welcher sich gerade auch eine anzog. Ah, ich sollte sie anziehen. Sofort zog ich sie über und zupfte sie zu recht.
Stumm winkte er mich zu sich und drückte mir eine Waffe in die Hand. Ich schluckte und sah ihn vollkommen verwirrt an. Was zur Hölle war hier los?
„Polizei! Hände dahin, wo ich sie sehen kann!", brüllte jemand hinter uns mit energischer männlicher Stimme, was uns erschrocken herum fahren ließ. Wir beide hielten unsere Hände hoch, doch Tryson sah mich vielsagend an, was mir zeigte, dass er irgendetwas vor hatte. Natürlich würde er sich nicht zur Kenntnis geben.
„Lassen sie die Waffen fallen und schieben sie sie mit dem Fuß zu uns!", kam es vom Polizisten. Blitzschnell schoss Tryson auf die Brust der italienischen Polizisten, doch dieser schreckte nur kurz zurück. Scheiße. Kugelsicher Weste.
Tryson griff nach meiner Hand und rannte mit mir aus dem Gebäude. Durch den Schreck von dem Schuss, den Tryson abgefeuert hatte, hatten wir ein wenig Vorsprung, sodass wir unbeschädigt in den Wagen stiegen konnten. Doch sobald wir losfuhren, waren nur noch Schüsse zu hören.
„Nimm die Maske ja nicht ab!", rief Tryson aufgeregt und gab Vollgas.
„Was haben die Bullen bei eurer alten Lagerhalle gemacht?", fragte ich verwirrt und hielt mich am Sitz des Wagens fest. Plötzlich zersprang das Fenster der Fahrerseite und Tryson wurde fast getroffen.
„Scheiße!", schrie er und blickte aus dem Fenster. Direkt neben uns fuhr der Latino und schoss ununterbrochen auf uns. Völlig aufgelöst bewegte sich Tryson nicht mehr und war komplett von der Rolle.
„Tryson!", brüllte ich. „Was ist los? Sag nicht, das ist das erste Mal, dass die Bullen dich verfolgen!"
Stumm schüttelte er den Kopf und sah mich mit großen Augen an.
„Nein.. das ist es nicht. Ich sehe den Mann da nicht zum ersten Mal. Der ist kein Bulle", erklärte er leise und presste seinen Kopf gegen den Sitz, um nicht getroffen zu werden.
„Wer ist er dann?", fragte ich verwirrt.
„FBI", kam es atemlos zurück. Ich keuchte entsetzt und schüttelte den Kopf.
„Scheiße", hauchte ich.
Plötzlich rammte der Wagen unseren, sodass wir beide zur Seite fielen. Keuchend fuhr Tryson noch schneller und fuhr auf die entgegengesetzte Fahrbahn.
„Scheiße, was tust du?", brüllte ich und schrie auf, als uns ein LKW entgegen kam.
„Vertrau mir", wisperte er und fuhr dem LKW entgegen. Mein Herz klopfte bis zum Hals, während ich mir meine Hand vor's Gesicht hielt und auf den Aufprall wartete. Auf einmal wurde ich zur Seite geschleudert und riss meine Augen auf. Tryson war auf irgendeine Straße abgebogen und fuhr so schnell, dass wir beide in den Sitz gepresst wurden. Als die FBI Autos nicht mehr zu sehen waren drosselte er das Tempo, bis wir zum Stillstand kamen.
„Was machst du?", fragte ich panisch, als er aussteigen wollte.
„Sie haben das Nummernschild gesehen. Wir können das Auto nicht behalten", erklärte er und stieg aus. Fluchend stieg ich aus und blickte mich um. Wir waren immer noch in dieser Gegend. Alles war herunter gekommen und dreckig. Fast jeden Menschen, den man sah, sah man mit einem Joint in der Hand.
„Zieh die Maske ab", flüsterte mir Tryson zu und steckte sich seine eigene gerade wieder in die Hosentasche. Schnell befolgte ich seine Anordnungen und stellte mich neben ihn.
„Und jetzt?", fragte ich leise.
„Jetzt brauchen wir Mitch", erwiderte er und lief los.
„Mitch?", fragte ich verwirrt und beobachtete ihn dabei wie er auf seinem Handy rumtippte.
„Wen rufst du an?", fragte ich, als er es sich an's Ohr hielt.
„Mitch", sagte er schlicht. Ich seufzte und versuchte mit ihm Schritt zuhalten, während ich mich umsah.
„Hey, Mitch", sprach er ins Telefon. „Ich brauch deine Hilfe. Ich bin mit einer Freundin in der Nähe. Wir kommen vorbei und müssen kurz bei dir untertauchen... Danke, Mann. Wir sind gleich da." Damit war das Telefonat auch schon beendet.
„Wer zur Hölle ist Mitch?", fragte ich nun verärgert und blieb stehen. Seufzend drehte sich Tryson zu mir um und sah ziemlich genervt aus.
„Mitch ist ein Kumpel von mir, der hier in der Gegend wohnt", erklärte er und sah mich auffordernd an. Stöhnend lief ich mit ihm an meiner Seite weiter und versuchte mich nicht umzusehen.
„Ich will zu niemandem, der hier wohnt!", zischte ich und sah ihn bittend an.
„Wir haben keine andere Möglichkeit, Jamie. Wir brauchen erstens ein Auto und zweitens einen Ort zum untertauchen. Agent D sucht uns mit Sicherheit schon hier in der Gegend", erklärte er ernst und wirkte immer noch total aufgekratzt.
„Agent D? Woher kennst du ihn?", wollte ich vorsichtig wissen, doch Tryson lief einfach still weiter.
„Wie lange brauchen wir bis zu Mitch?", fragte ich nach einer Weile und spielte nervös mit meinen Händen. Eigentlich bräuchte ich keine Angst vor den ganzen Menschen hier haben, da Tryson bei mir war, doch ich fühlte mich hier einfach nur verdammt unwohl, da ich von allen Seiten böse angestarrt wurde. Ich fühlte mich wie in den Bronx.
„Da vorne wohnt er", erklärte Tryson und zeigte auf ein Haus, das noch schlimmer als alle anderen aussah. Ich schluckte und konnte nicht glauben, dass der Typ ein Auto für uns haben sollte.
Doch noch bevor wir ankamen, lief auf einmal eine große Gruppe von unfreundlich aussehenden Menschen auf uns zu. Sie alle sahen so ungefähr aus wie 20-25 und hatten zerrissene und verdreckte Sachen an. Sie schienen jedoch nicht obdachlos zu sein. Der eine hatte ein Messer in der Hand, mit welchem er rumspielte, obwohl er das eigentlich gar nicht brauchen würde, wenn man seine Oberarme betrachtete. Die meisten von den Typen, und es waren nur Typen, waren voll tätowiert, sogar im Gesicht.
„Tryson", flüsterte ich und zupfte an seinem Oberteil herum. Er sah mich stirnrunzelnd an und erblickte dann die Gruppe, die auf uns zu kam.
„Bitte sag mir, du kennst sie und sie wollen dich nur zur Begrüßung knuddeln", murmelte ich ängstlich und versteckte mich leicht hinter Tryson.
„Bleib hinter mir", flüsterte er nur und stellte sich vor mich. Die große Gruppe kam immer näher und blieb dann zirka einen Meter vor uns stehen.
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