82. „Ist das euer Ernst?"
J A M I E
Sprachlos starrte ich auf den schwarzen Bildschirm. Ich hatte nur einmal mit ihnen zu tun gehabt, war gerade mal höchstens eine Stunde bei ihnen und Jack tötete sie?
„Er will uns heraus fordern", sagte ich und nahm meine Augen vom Fernseher.
„Er sollte wissen, dass er keine Chance gegen uns hat. Wir haben noch nie verloren", grinste Tryson und stand auf. „Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Etwas großes. Etwas, das ihm weh tut."
„Wir könnten die Polizei auf sein Bordell stoßen", warf Sean ein, doch Tryson schüttelte nur den Kopf.
„Wir brauchen was größeres", murmelte er.
„Wir könnten sein Bordell auch direkt in die Luft jagen", schlug Justin vor. Da blitzten Trysons Augen auf und ein fieses Lächeln legte sich auf seine Lippen. Entsetzt schnaubte ich.
„Mit allen Leuten, die da drin sind?", fragte ich entgeistert.
„Warum nicht", grinste Justin, doch sobald er mich sah, zogen sich seine Mundwinkel wieder runter. Er räusperte sich und sah weg.
„Ist das euer ernst?", lachte ich spottend, doch die Jungs zuckten nur die Schultern.
„Stellt euch mal vor, jemand würde Bruce' Schuppen in die Luft sprengen", knurrte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Jungs blieben ruhig und tauschten nur stille Blicke miteinander aus.
„Okay, dann überlegen wir uns eben was anderes", sagte Tryson, doch ich glaubte ihm nicht so wirklich.
„Sollen wir schlafen gehen?", flüsterte mir Justin zu. Es war klar, dass er mich nur loswerden wollte, damit die Jungs weiter darüber reden konnten, wie sie Menschen, die nichts mit dem ganzen Scheiß zu tun hatten, umbringen wollten. Aber sie würden sowieso weiter darüber reden. Egal, ob jetzt oder später.
„Ja", murrte ich, stand auf und lief los. Seufzend lief mir Justin hinter her. Im Zimmer angekommen, zog ich mich sofort aus und lief zu meiner Tasche.
„Du kannst auch einfach so schlafen", grinste Justin spielerisch, nachdem er die Tür geschlossen hatte, doch ich stieg nicht drauf an. Schnell nahm ich irgendein Top und eine Jogginghose aus der Tasche und zog sie mir über.
„Bist du jetzt ernsthaft wegen so einem Scheiß sauer?", fragte er ungläubig. Wütend drehte ich mich um und fixierte ihn mit meinem Blick.
„Wegen so einem Scheiß?", spottete ich. „Ihr wollt Menschen, die nichts mit eurem Krieg zu tun haben, einfach töten!"
Genervt verdrehte Justin die Augen und presste seine Zähne aufeinander.
„Hatte Cara etwas damit zu tun? Oder die Freundin von Trysons Bruder?", zischte Justin. „Hatte Amber etwas damit zu tun?"
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
„Und deswegen müsst ihr das Gleiche tun?", wisperte ich fassungslos.
„So läuft das bei uns eben! Wenn wir jetzt nicht zurück schlagen, verlieren wir unseren Respekt!", rief er.
„Das ist doch das einzige worum es geht! Macht!", warf ich ihm vor und warf meine Arme in die Luft.
„Und wenn schon", zischte er.
„Und wenn schon", äffte ich ihn nach.
„Sag mir Bescheid, wenn du dich wieder beruhigt hast", zischte Justin und lief aus dem Zimmer. Hinter sich ließ er die Tür so laut zu fallen, so dass ich aufschreckte.
Wütend raufte ich mir die Haare und setzte mich auf's Bett. Manchmal war er so ein verdammtes Arschloch. Ich hasste es, dass wir uns so oft stritten. Mit keiner Person hatte ich mich jemals so oft gestritten, wie mit Justin. Es verging kaum ein Tag, an dem wir uns nicht stritten. Ich vermisste es, einfach mal Zustimmung zu bekommen. Wir hatten bei den meisten Sachen einfach so unterschiedliche Meinungen. Aber morgen würden wir wegfahren. Sollte ich wieder einfach so tun, als wäre nichts passiert? Darauf hatte ich nämlich echt keinen Bock mehr. Aber ich wollte mich auch nicht die ganze Zeit streiten.
Seufzend legte ich mich unter die Decke, doch einschlafen konnte ich trotzdem nicht. Justin war ja auch nicht hier. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass er neben mir schlafen würde. Irgendwann schaffte ich es dann doch einzuschlafen.
Doch als ich aufwachte, war Justin ebenfalls nicht da. Ich brauchte mindestens eine Stunde, um mich aufzuraffen, aufzustehen und mich umzuziehen. Anschließend lief ich in die Küche, doch hier war niemand. Wie viel Uhr war es? Ich hatte kein Handy und Uhren hingen hier sowieso nicht. Naja, wenigstens gab es hier was zu essen. Aber Ryan war ja im Krankenhaus. Na super. Das hieß, mit dem Essen würde es bald auch nichts mehr werden. Aber wo waren die anderen?
Müde setzte ich mich an den Tisch und stützte meinen Kopf in die Hände.
„Jamie?", hörte ich gedämpft. Genervt hob ich den Kopf und sah Justin vor mir stehen. Oh, es hatte sich so angehört, als wäre er weiter weg.
„Was ist los?", fragte er unsicher.
„Nichts, was soll denn sein?", fragte ich verwirrt.
„Naja, du hast geschlafen... Mit dem Kopf auf dem Tisch", erklärte er und betrachtete mich schmunzelnd. Irritiert blickte ich mich um.
„Oh." Ich stand auf und richtete meine Haare ein wenig.
„Daher habe ich meine Kopfschmerzen", murmelte ich und fasste mir an den Kopf. Seufzend blickte ich aus dem Fenster und erschrak.
„Es ist dunkel!", bemerkte ich und sah Justin mit großen Augen an.
„Ja?", lachte er amüsiert.
„Aber... als ich auf gestanden bin, war es hell... und noch morgens", stotterte ich ungläubig. Justins Augen weiteten sich nun ebenfalls.
„Du hast den ganzen Tag verschlafen?", fragte er lachend, doch ich warf ihm nur einen bösen Blick zu. „Und vor allem hier?"
„Halt einfach die Klappe", seufzte ich.
„Wo wart ihr eigentlich den ganzen Tag, wenn ihr nicht einmal in der Küche wart?", fragte ich murmelnd.
„Wir mussten ziemlich viele Erledigungen machen. Wegen dem Deal mit Jack und so", erklärte er und lief zum Kühlschrank.
„Willst du was essen?", wollte er wissen. Ich schüttelte den Kopf und lehnte meinen Kopf wieder in meine Hände.
„Bitte", flehte Justin und sah mich leidend an.
„Iss was. Für mich", bat er und holte einen Joghurt aus dem Kühlschrank.
„Ich will wirklich nicht, Justin", wimmelte ich ab. Wütend stellte er den Joghurt zurück und setzte sich auf den Stuhl gegenüber von mir. Eindringlich starrte er mich an, bis ich meinen Blick ebenfalls auf ihn richtete.
„Was?", fragte ich genervt.
„Wir werden nicht wegfahren, bis wir nicht beim Arzt waren", erklärte er streng. „Und bis du was gegessen hast."
Genervt verdrehte ich die Augen und verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Du erpresst mich?", zischte ich wütend.
„Was soll ich sonst machen?", rief er verständnislos, während er aufstand und die Arme in die Luft warf. Ich konnte ihn ja verstehen, aber er konnte mich zu nichts zwingen.
„Was ist denn hier los?", kam es von Tryson, welcher gerade die Küche betrat.
„Nichts", murrte ich und Justin setzte sich wieder hin. Tryson nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und verschwand wieder.
„Lass uns heute zum Arzt fahren", flüsterte ich ohne aufzusehen.
„Danke", hörte ich Justin erleichtert sagen. Mit einem müden Lächeln im Gesicht sah ich auf.
„Jetzt gleich?", fragte er vorsichtig. Langsam nickte ich.
Nach nicht mal einer Stunde saßen wir auch schon im Auto. Ich wollte verdammt nochmal nicht wissen, ob ich das Baby verloren hatte. Der einzige Grund, aus dem ich das hier tat, war Justin. Ich tat es für ihn, nur für ihn. Ich konnte ihm ansehen, wie fertig ihn diese ganze Situation machte. Ich machte ihn fertig. Weil ich nichts aß, nicht mit ihm redete und mich bis jetzt geweigert hatte, zum Arzt zu gehen. Naja, geweigert hatte ich mich nicht. Ich hatte es einfach hinaus gezögert. So lang, bis er mich erpressen musste. Das schlimmste war, dass ich deshalb sauer auf ihn war, obwohl ich ihn vollkommen verstand und wahrscheinlich komplett gleich reagiert hätte. Eigentlich sollte ich ihm dankbar sein. Er tat das Richtige.
„Wir sind da", wisperte Justin, nachdem er angehalten hatte, und sah mich an. Nervös blickte ich auf meine Hände und nickte leicht.
Justin stieg aus und war in der nächsten Sekunde auch schon auf meiner Seite, um mir die Tür aufzuhalten. Langsam stieg ich aus, ohne ihm auch nur einmal ins Gesicht zu sehen. Vor mir sah ich das gigantische Krankenhaus. Ich wollte da nicht rein, aber ich könnte gleich wenigstens noch zu Ryan. Falls er uns überhaupt noch sehen wollte. An seiner Stelle wäre ich ebenfalls verletzt gewesen, wenn ich vor meinen Freunden zusammenbrechen würde und sie einfach nicht kommen würden. Wir waren einfach nicht da. Wir sind raus gegangen, obwohl Ryan vielleicht hätte sterben können. Wir waren egoistisch gewesen.
„Komm", sagte Justin sanft und griff nach meiner Hand. Fest krallte ich meine Finger in seine, doch das störte ihn nicht. Er fuhr mit seinem Daumen über meinen Handrücken, um mich zu beruhigen und das wirkte auch ein bisschen.
Es war schön, dass er für mich da war. Als ich ihn kennengelernt hatte, hatte ich niemals erwartet, dass wir uns später so nah stehen würden. Ich dachte, es würde einfach ein Flirt werden, doch es wurde viel mehr. Noch nie wollte ich einen Menschen vierundzwanzig Stunden am Tag bei mir haben, nicht mal Amber oder Taylor, doch bei ihm war das anders. Ich vermisste ihn schon nach nur fünf Minuten. Ich liebte ihn so sehr, doch das war verdammt schwierig.
Es dauerte ziemlich lang, bis wir an unserer Station angekommen waren und da wir keinen Termin hatten, dauerte es noch länger. Und je länger wir warten mussten, desto nervöser wurde ich.
-
„Jamie, warte!", rief mir Justin hinterher. Er hätte mich locker einholen können, aber das lag anscheinend nicht in seiner Interesse.
„Jamie!", rief er erneut, doch ich blieb nicht stehen, bis wir aus dem Krankenhaus raus waren. Gierig hastete ich nach Luft. Die Luft im Krankenhaus war gerade zu erdrückend gewesen. Umso besser fühlte es sich an, frische und klare Luft in meiner Lunge zu spüren.
Erst jetzt konnte ich darüber nachdenken, verstand gerade erst, was mir soeben gesagt wurde. Ich hatte mein Baby verloren. Es war mir von Anfang an so klar gewesen und trotzdem zog es mich in eine erdrückende Dunkelheit. Plötzlich spürte ich Arme, die mich fest hielten und mir Sicherheit gaben. Ich war ihm dankbar, dass er jetzt in diesem Moment für mich da war, konnte ihm das aber nicht mal in irgendeiner Weise zeigen. Oder ich wollte es ihm einfach nicht zeigen.
„Es ist okay", hörte ich Justin sagen. Immer wieder wiederholte er diese Worte ohne mich loszulassen. Und er hatte Recht. Es war okay.
Ich wusste nicht, wie lange wir hier so standen, aber ich wünschte mir, dass dieser Moment niemals ein Ende haben würde. Doch das tat er. Er endete urplötzlich, als Justin sich von mir löste und uns zu seinem Auto dirigierte.
„Es ist besser so", sagte ich, während wir nach Hause fuhren und wusste selbst nicht mal, ob das stimmte.
„Wie meinst du das?", fragte Justin im leisen Ton, als würde Lautstärke mich zerbrechen können.
„Wir hätten sowieso keine Eltern werden können", sprach ich aus und bereute es im nächsten Moment wieder.
„Das stimmt nicht", sagte Justin ernst, jedoch nicht verärgert.
„Wir wären tolle Eltern geworden. Ich hatte noch nie das Verlangen gehabt, eine Familie zu gründen, aber ich hatte mich echt darauf gefreut. Ich wusste irgendwie, dass wir das Elternsein genießen würden", sprach er ehrlich und sah mich mit einem Hauch von Traurigkeit, jedoch auch Erleichterung an.
„Du hast Recht, wir wären tolle Eltern geworden", gab ich ihm leicht lächelnd recht. Doch plötzlich fuhr er wortlos an der Straßenrand und sah mich unsicher an.
„Was ist los?", fragte ich verwirrt.
„Wir wollten noch zu Ryan", murmelte er und ließ seinen Kopf auf das Lenkrad fallen. Ein lautes Hupen ertönte, was mich aufschrecken ließ.
„Dann lass uns zurück fahren", schlug ich leise vor und lächelte Justin leicht an.
„Ist das okay für dich?" Diese Frage von ihm verwirrte mich.
„Natürlich", erwiderte ich irritiert. Ohne ein weiteres Wort fuhr er los.
„Ryan?", fragte Justin leise, als er den Raum betrat.
„Justin? Bist du das? Ich hab schon vollkommen vergessen, wie deine Stimme klingt", kam es amüsiert von Ryan. Der Raum war stockdunkel, doch im nächsten Moment, war das Licht schon angeschaltet und Ryan blinzelte mit kleinen Augen gegen das Licht an.
„Du lebst noch", witzelte Justin und setzte sich neben Ryan auf den Stuhl.
„Ja und das offenbar noch lange", erwiderte Ryan grinsend und sah zwischen mir und Justin her.
„Was soll das heißen?", fragte ich verwirrt und sah mich nach einem Sitzplatz um, entschloss mich dann jedoch zu stehen.
„Ein Wunder ist geschehen", redete Ryan strahlend und lehnte sch seufzend zurück.
„Was genau haben die dir gegeben, Ryan?", fragte Justin lachend und sah mich für den Bruchteil einer Sekunde an. Justin schien wie ausgewechselt zu sein. Naja, Ryan ja auch, aber das lag höchstwahrscheinlich an den Drogen, die er bekommen hatte.
„Ich glaube, ich werde bald gesund. Nein, ich weiß es. Ich hab's im Gefühl", redete Ryan vor sich hin.
„Und wann hat dich dein Gefühl nur jemals getrübt", murmelte Justin sarkastisch und verdrehte die Augen.
„Nein, Mann", sagte Ryan. „Ich mein's ernst."
Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ich Justin an, der mich mit dem gleichen Gesichtsausdruck ansah.
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