78. „Du gibst auf."
J A M I E
Ryan saß immer noch am Stuhl angelehnt, hatte jedoch nun die Augen geschlossen. Der Arzt bemerkte dies und hockte sich zu ihm runter, um seinen Puls zu fühlen.
„Er hat schwachen Puls!", teilte er uns mit und piepte jemanden mit seinem kleinen Gerät an. Sekunden später waren mehrere Schwestern da, die Ryan auf eine Liege verfrachteten und mit ihm davon liefen.
„Bleiben Sie bitte hier, ich werde Sie holen", sagte der Arzt und lief davon. Ich fuhr mir verzweifelt durch die Haare und sah Justin an. Er hatte sich bis jetzt noch nicht bewegt und starrte mit leeren Augen an die Wand. Ich blickte zu Amber, die mich verwirrt ansah und keine Ahnung hatte, was gerade passiert war.
„Was ist los mit ihm?", fragte sie vorsichtig.
„Er hat Leukämie", antwortete ich leise und schielte zu Justin, doch er hatte sich immer noch nicht bewegt.
„Lass uns fahren", sagte er jedoch plötzlich. Vollkommen verwirrt runzelte ich die Augenbrauen.
„Was?", fragte ich, da ich mir nicht sicher war, ob ich ihn richtig verstanden hatte.
„Ich sagte, lass uns fahren", wiederholte er jedoch.
„Was? Nein!", widersprach ich noch verwirrter.
„Mach kein Scheiß und lass uns fahren", zischte er und bewegte sich auf die Tür zu. Ich blickte kurz zu Amber, die Justin mit hochgezogener Augenbraue beobachtete.
„Wieso sollten wir denn jetzt fahren? Wir müssen auf Ryan warten! Der Arzt hat gesagt, dass er gleich wieder kommt."
„Dann bleib eben hier, aber fuck mich nicht ab", knurrte er und verließ das Zimmer. Verblüfft starrte ich zur Tür, doch er kam nicht zurück. Er ging einfach. Er tat es immer wieder. Er verletzte mich immer und immer wieder.
„Ich gehe ihm hinterher", ließ ich Amber wissen und lief davon.
„Justin!", rief ich, doch er blieb nicht stehen. Genervt holte ich ihn ein und drehte ihn am Arm zu mir.
„Was soll der Scheiß?", fragte ich gehässig.
„Was soll was?" Er starrte mich wütend an, doch ich sah, dass er einfach nur verletzt war.
„Vielleicht solltest du einfach nach Hause fahren", schlug er leise vor und lief weiter.
„Nach Hause? Wenn ich jetzt nach Hause fahre, wirst du mich nie wieder sehen!", hielt ich ihm vor Augen, während ich neben ihm lief.
„Ist vielleicht auch besser so", erwiderte er, ohne mich anzusehen.
„Was redest du denn da? Du musst deinen Frust jetzt nicht bei mir raus lassen", knurrte ich.
„Was?", fragte er verwirrt und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß, dass dir Ryan viel bedeutet, aber weglaufen, ist nie der richtige Weg", versuchte ich ihm klar zu machen, doch er verdrehte nur die Augen.
„Jetzt komm doch nicht schon wieder mit Weglaufen."
Ich seufzte und blieb einfach stehen. Verwirrt tat er es mir gleich und drehte sich zu mir. Verständnislos hob er die Arme.
„Können wir bitte einfach hier weg?", fragte er verzweifelt und ließ die Schultern hängen. Mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen lief ich auf ihn zu und umarmte ihn einfach. Es schien mir in diesem Moment das Richtige zu sein. Egal, ob er es zugab oder nicht, er brauchte jemanden, der für ihn da war. Und dieser jemand wollte ich sein.
„Danke", hauchte er mir ins Ohr, während er seine Arme fest um mich schloss. Die Umarmung schien eine Ewigkeit zu dauern, doch irgendwann löste er sich von mir.
„Ich will trotzdem raus. Nur kurz. Ich kann Krankenhäuser einfach nicht mehr sehen", gestand er und strich mir meine Haare aus dem Gesicht. Ich wusste genau, was er meinte. Wir waren in den letzten Monaten so oft im Krankenhaus. Ich wollte hier ehrlich gesagt auch nicht mehr sein.
„Okay, lass uns raus", pflichtete ich ihm bei. Wir liefen nach draußen in den Park, der direkt neben dem Krankenhaus war, und setzten uns auf eine Bank.
„Es ist seine eigene Schuld. Er hätte schon viel eher ins Krankenhaus gehen sollen", murmelte Justin vor sich hin.
„Und ich hätte ihn in den Arsch treten sollen, bis er das macht", knurrte er. Es klang nicht so, als würde er sich die Schuld geben, wie sonst. Diesmal wusste er, dass es Ryan selber war. Ryan war viel zu schwach gewesen, in der letzten Zeit. Wahrscheinlich hauptsächlich durch die Krankheit. Er hatte eben einfach aufgegeben.
„Wie geht's dir eigentlich?", fragte Justin plötzlich.
„G-gut", stammelte ich etwas überrumpelt. Spöttisch lachte Justin auf.
„Ich bitte dich. Ryan ist auch ein Freund von dir. Außerdem hast du gerade unser Baby ver-" Er verstummte und sah weg. Seufzend stemmte ich mein Gesicht in meine Hände.
„Ich weiß, dass wir uns gerade eher Sorgen um Ryan machen sollten, aber wir sind hier im Krankenhaus und du solltest das auf jeden Fall mal untersuchen lassen", murmelte Justin leise.
„Ich weiß", flüsterte ich und sah ihn an. Er presste die Lippen aufeinander und legte einen Arm um mich. Leicht lächelnd legte ich meinen Kopf auf seine Schultern.
„Und woher sollen wir jetzt wissen, wo Ryan ist?", fragte ich, während wir das Krankenhaus erneut betraten.
„Keine Ahnung", erwiderte Justin.
„Entschuldigung?", fragte ich eine Schwester, die gerade an uns vorbei lief und nichts zu tun zu haben schien.
„Ja?", sagte sie.
„Wir suchen einen Freund und wissen seine Zimmer Nummer nicht, könnten Sie uns helfen?", bat ich freundlich.
„Natürlich, wie ist der Name?"
Wir mussten ihr zwar noch bis zum Empfang folgen, damit sie im Computer nachgucken konnte, doch letztendlich brachte sie uns zum Zimmer und ließ uns dann allein. Langsam öffnete ich die Tür und spähte hinein.
„Ryan?", fragte ich leise, da er die Augen geschlossen hatte. Doch sofort öffnete er sie und sah mich an. Justin und ich betraten das Zimmer und stellten uns neben das Bett.
„Hey", lächelte ich und sah auf ihn hinab. Er sah mich jedoch nur gekränkt an und leckte sich über die Lippen.
„Was?", fragte er aggressiv und blickte Justin und mich abwechselnd an. Überrascht hob ich die Augenbrauen.
„Bist du sauer?", wollte ich vorsichtig wissen.
„Nein", seufzte er und blickte auf seine Finger, die auf seiner Brust lagen.
„Was ist denn los?", fragte ich verwirrt.
„Ich bin schon eine halbe Stunde in diesem beschissenen Krankenzimmer und darf nicht mal allein pissen gehen. Eine halbe Stunde ist schon vergangen, seit ich diesen scheiß Zusammenbruch hatte und wo wart ihr? Wo verdammt wart ihr?" Seine Stimme wurde immer lauter, aber ich wusste, dass er einfach nur verletzt war. Er dachte wahrscheinlich, dass er uns vollkommen egal war. Aber das war totaler Schwachsinn.
„Ryan-", fing ich an, doch Justin unterbrach mich.
„Das ist meine Schuld. Ich wollte aus dem Krankenhaus raus", erklärte er ruhig und trat näher zu Ryan. Ich bemerkte, dass er anfing ganz oft hintereinander zu blinzeln. Er versuchte es zu verstecken, doch seine Augen wurden immer feuchter.
„Könnt ihr bitte kurz raus gehen?", bat er, sah jedoch nicht auf.
„Ryan-"
„Nein, verdammt! Verpisst euch!", brüllte er, während er uns mit einem Killerblick ansah und ihm eine Träne über die Wange kullerte.
Erschrocken schluckte ich und wollte aufstehen, doch Justin schrie mich an: „Nein, verdammt bleib sitzen!"
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, setzte mich dennoch wieder hin.
„Was soll der Scheiß?", knurrte Ryan. „Soll sie das wirklich mitkriegen?"
Justin schnaubte.
„Wieso nicht?", fragte er provozierend.
„Lass dir mal Eier wachsen, Ryan! Sobald es in deinem Leben mal schwierig wird, rastest du aus! Du schlägst um dich! Du tust zwar so, als wärst du der liebste Mensch dieser Welt, aber in Wirklichkeit gibst du jedem anderen in deinem Leben die Schuld! Und vor allem..." Justin machte eine kurze Pause, in der er sich wütend über die Lippen leckte.
„Vor allem gibst du auf. Du gibst sofort auf, weil du kein Bock hast, mit solchen Dingen umzugehen. Aber manchmal muss man eben hart bleiben und kämpfen. Du kannst nicht immer aufgeben. Denk an deine Freunde, deine Familie. Weißt du, wie egoistisch du bist?", beendete er seine Rede.
„Wir kommen morgen wieder und dann hast du dich zusammen gerissen, sonst zieh ich dir die Eier lang", sagte er bebend und lief Richtung Tür.
„Jamie, komm", befahl er. Traurig blickte ich auf Ryan zurück und folgte Justin.
Justin lief so schnell, dass ich seinem Schritt kaum folgen konnte, aber er schien wirklich sauer zu sein. Wortlos rannte ich ihm beinahe hinterher, machte mir jedoch keine Mühe ihn einzuholen. Doch als wir aus dem Krankenhaus raus waren, war ich mir nicht sicher, ob wir jetzt wirklich einfach gehen sollten.
„Justin!", rief ich. „Justin, lass uns wieder rein gehen."
Plötzlich blieb er ruckartig stehen und drehte sich zu mir.
„Nein, verdammt! Niemand schreit dich so an, wie er es getan hat!", brüllte er wütend.
„Niemand, außer dir?", flüsterte ich und leckte mir über die Lippen. Fassungslos sah mich Justin an und ich bemerkte, dass ich etwas Falsches gesagt hatte.
„Verdammte Scheiße, Jamie!", schrie er. Ich hoffte so sehr, dass niemand auf dem Parkplatz war.
„Du siehst, dass ich sauer bin und provozierst mich weiter?", rief er.
„Es ist doch so! Du tust so, als hätte Ryan ein riesen Verbrechen begangen, aber du tust das Selbe jeden Tag!", rief ich und sah Justin dabei zu, wie er wütend auf mich zulief.
„Du machst mich so verdammt wütend", zischte er und legte seine Hände um mein Gesicht. Aggressiv drückte er seine Lippen auf meine, drehte mich um und dirigierte mich zum Auto. Fast schon brutal presste er mich dagegen und begann an meinem Hals zu saugen. Stöhnend legte ich meine Hand an seine Brust und spürte seine angespannten Muskeln. Mit geschlossenen Augen öffnete er die Tür und setzte sich auf die Fahrerseite. Gierig zog er mich zu sich.
„Ich will dich, Jamie. Jetzt", raunte er und wollte sich sein Oberteil ausziehen.
„Hier?", fragte ich entsetzt.
„Warte", hauchte er und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Er fuhr los und blieb nach nicht mal einer Minute stehen.
„Hier", flüsterte er und zog sich augenblicklich sein T-shirt aus. Sehnsüchtig suchten meine Lippen seine und massierten sie.
„Mein erster Autosex", grinste ich, bevor ich mir mein Oberteil auszog.
„Dann lass uns das zu etwas besonderem machen", grinste er zurück.
„Warte!", hielt ich ihn auf, bevor er mich erneut küssen konnte. „Hast du ein Kondom?"
Justin öffnete das Handschuhfach und griff hinein. Zum Vorschein kam ein Kondom. Mit hochgezogener Augenbraue sah ich ihn an.
„Was?", lachte er, „Das ist nicht nur mein Auto."
Grinsend zog ich ihn wieder zu mir und küsste ihn stürmisch.
-
Wieder Zuhause angekommen, stieg Justin aus und öffnete mir mit einem Lächeln im Gesicht die Tür.
Die Zeit mit ihm war so verdammt schön. Er hatte sich verändert. Es schien ihm nichts mehr auszumachen, mit mir zusammen zu sein. Vielleicht war endlich der Zeitpunkt gekommen, ihm zu sagen, wie sehr ich ihn liebte. Und das tat ich. Ich liebte ihn so verdammt sehr. Ich hatte noch nie ein derartiges Gefühl für irgendjemanden gehabt. Er war so verdammt besonders. Er war einzigartig.
Doch als ich aufstand wurde mir schwindelig und ich musste mich an Justin festhalten. Er jedoch dachte, dass ich ihn küssen wollte, also drückte ich meine Lippen auf seine. Der Kuss endete, bevor es eskalieren konnte.
„Du siehst so wunderschön aus", flüsterte er mir ins Ohr. Verlegen biss ich mir auf die Lippen.
„Sind die anderen auch da?", fragte ich leise, während wir auf die Tür zuliefen.
„Ich schätze schon", murmelte Justin und verschränkte seine Finger in meinen.
„Sie werden nach Ryan fragen", sagte ich, während ich auf unsere Hände sah.
„Ich weiß", seufzte er.
„Hey, Leute!", rief Justin, als er das Haus betrat.
„Hey!", hörte man aus dem Wohnzimmer. Langsam trottete ich hinterher und spürte, dass es mir immer schlechter ging. Ich wusste nicht, woran es lag, aber ich wollte Justin nichts davon sagen.
Als er ins Wohnzimmer ging, blieb ich in der Tür stehen. Mir war kotzübel und ich hatte auch das Gefühl gleich kotzen zu müssen.
„Ich gehe kurz auf Toilette", sagte ich schnell. Justin nickte und sofort lief ich zur Toilette.
Schnell schloss ich die Tür und übergab mich ins Klo, doch schon nach dem ersten Schub, war ich nur noch am Würgen, da ich so gut wie nichts im Magen hatte. Das Würgen tat weh und es war noch nie so anstrengend gewesen, zu kotzen. Wieso musste ich überhaupt kotzen? War ich krank? Oder lag das noch an der Schwangerschaft? Konnte das überhaupt so sein? Ich war mir hundert Prozent sicher, dass ich das Kind verloren hatte. Wie konnte es auch anders sein? Mein Bauch war vollkommen blau gewesen. Es war doch unmöglich, dass es überleben konnte. Oder?
Völlig mit den Nerven am Ende, zog ich ab und lehnte mich gegen die Wand. Sollte ich Justin wirklich nichts davon erzählen? Ich hatte ihm auch nichts von der Schwangerschaft erzählt und das hatte schrecklich geendet. Aber er machte sich dann viel zu viele Sorgen.
Ich ging anschließend noch auf die Toilette und musste mit Entsetzten feststellen, dass ich blutete. Das konnten nicht meine Tage sein. Scheiße. Was sollte ich denn jetzt tun? Irgendwas stimmte mit mir nicht. War das eine Fehlgeburt? Ich hatte keine Ahnung von sowas. Aber endlich sah ich es ein. Ich musste damit zum Arzt. Es gab kein Weg daran vorbei.
Auf wackeligen Beinen stand ich auf, nachdem ich ein Tampon benutzt und mich wieder vernünftig angezogen hatte. Ich spülte noch mein Mund aus und wusch mir die Hände, bevor ich aus dem Badezimmer trat und den Weg ins Wohnzimmer einschlug.
Ich musste es Justin sagen. Ich sollte nicht immer alles für mich behalten. Das endete nie gut. Er würde mir helfen können.
Kurz blieb ich stehen und stützte mich an der Wand ab. Ich wollte ins Bett. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie viel Uhr es war, aber spät war es nicht. Trotzdem fühlte ich mich total ausgelaugt und wollte einfach nur schlafen. Am besten mit Justin an meiner Seite.
Ich kam am Wohnzimmer an und wollte es gerade betreten, doch ich wollte nicht, dass die Jungs mich so sahen. Zuerst wollte ich wissen, wer überhaupt alles im Wohnzimmer saß. Also stellte ich mich neben die Tür und lauschte.
„Nein, er ist zusammen gebrochen", hörte ich Justin aggressiv sagen. Er redete über Ryan. Aber wieso war er schon wieder so aggressiv? Als nächstes erklang ein verächtliches Schnauben von Jason.
„Du wirst uns alle irgendwann ins Grab bringen", zischte er.
„Pass auf, was du sagst", knurrte Justin. Ich benahm mich wie früher. Ich lauschte. Vielleicht sollte ich das einfach lassen. Ich stellte mich in die Tür und sah zu, wie Justin vor Wut bebte. Jason spielte mit ihm. Das tat er so oft.
„Du kannst mich mal", spotte Jason und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Denkst du wirklich, du kannst so einen Scheiß abziehen, ohne dass ich dir in deinen erbärmlichen Arsch trete?", wisperte Justin und stand auf.
„Justin, lass gut sein. Das führt zu nichts. Du kennst Jason", versuchte Tryson ihn zu beruhigen. Er hatte vollkommen Recht. Jason liebte es sich mit Justin zu messen. Er hatte anscheinend Spaß daran. Aber er schien das, was er gesagt hatte, wirklich ernst zu meinen. Er war angepisst von Justin, aber wieso?
„Komm doch her, Justin. Verprügel mich, so wie du es immer tust, wenn dir etwas nicht passt, was ich sage. So wie Dad es getan hat", wisperte Jason und wusste, dass er einen wunden Punkt getroffen.
„Wage es nicht, mich mit unserem Dad zu vergleichen, du verlogenes Stück Dreck!", brüllte er und wollte auf Jason los, hielt sich jedoch in der letzten Sekunde auf. Man konnte ihm ansehen, wie er einen Kampf mit sich selber führte.
„Vielleicht ist es besser so, dass Jamie ihr Kind verloren hat!", wisperte Jason. „Du wärst ein beschissener Vater gewesen."
Erschrocken riss ich die Augen auf und mein Magen drehte sich um. Woher wusste er das? Und wie konnte er das nur so heraus posaunen? Niemand von den Jungs sollte das hören. Ich wollte nicht, dass irgendjemand das wusste.
Die Jungs waren sprachlos. Sie unternahmen nicht mal was, als Justin eine Bierflasche zerschlug und auf Jason los ging. Doch kurz bevor Justin ihm die Kehle aufschlitzen konnte, riss Tryson ihn in seine Richtung und zeigte auf mich. Erst jetzt wurde ich bemerkt. Erschrocken sah mich Justin an.
„Jamie", wisperte er.
Ich wusste nicht wieso, aber Tränen der Trauer und der Wut schossen mir in die Augen. Ich wollte nicht vor den Jungs weinen. Also ging ich. Ich ging um die Ecke und lief auf Justins und mein Zimmer zu. Eine Träne verließ mein Auge, gefolgt von einer zweiten. Wütend wischte ich sie mir weg und betrat das Zimmer. Ich wollte jetzt nicht weinen. Es kam mir dumm vor.
„Jamie!", rief Justin und stürmte ins Zimmer. Ich lief an ihm vorbei und ließ die Tür laut ins Schloss fallen. Eigentlich wollte ich ihn anschreien, doch es kam kein Ton aus meinem Mund.
„Ich habe ihm nichts erzählt, ich schwör's", wisperte er und wollte mich umarmen, doch ich drehte mich weg. Sein Gesichtsausdruck verriet, wie sehr ihn das verletzte. Eigentlich wollte ich umarmt werden, aber dann würde ich noch mehr weinen und das wollte ich nicht. Außerdem war ich sauer. Ich war wirklich sauer. das
„Gib mir einen Grund, warum ich dir glauben sollte", wisperte ich mit zittriger Stimme. Das hätte ich nicht sagen sollen. Ich provozierte den Streit doch nur.
„Wieso solltest du mir nicht glauben?", fragte er wütend. Er war wütend? Wieso um alles in der Welt sollte er wütend sein? Verärgert zog ich meine Augenbrauen zusammen.
„Weil es nicht das erste Mal wäre, dass du so etwas weiter erzählst!", rief ich wütend.
„Ryan ist mein bester Freund! Das ist was anderes! Und außerdem konnte ich mit dir ja nicht reden!", schrie er verdammt aggressiv.
„Trotzdem hättest du mich fragen müssen! Immerhin war das nicht nur dein Kind!", rief ich und lief auf ihn zu.
„Du hättest doch sowieso wieder abgeblockt! Denkst du, das war nur schwer für dich?", brüllte er und deutete in der nächsten Sekunde auf sich selbst. „Es war auch schwer für mich!"
Beschämt blickte ich auf den Boden. Ihm ging es nicht besser als mir und er konnte einfach nicht mit mir reden. Er musste mit irgendjemandem reden und deshalb hatte er mit Ryan geredet.
„Justin", setzte ich an.
„Nein, Jamie!", rief er, da er wahrscheinlich dachte, dass ich weiter streiten wollte. „Ich habe kein Bock mir immer nur Vorwürfe an den Kopf werfen zu lassen! Ich bin nicht der Einzige, der Fehler macht!"
„Es tut mir leid", flüsterte ich. Überrascht sah Justin mich an.
„Was?", fragte er.
„Es tut mir leid", wiederholte ich.
„Ich habe nicht gemerkt, dass es dir nicht gut geht. Ich kann verstehen, dass du es Ryan gesagt hast", wisperte ich und versteckte mein Gesicht in seiner Brust.
„Ich... also... ähm, danke", stammelte er überrumpelt und drückte mich an sich.
„Mir geht's nicht gut, Justin", krächzte ich leise. Ich hatte so lange alles verheimlicht, hatte immer so getan, als ginge es mir gut, also sollte ich jetzt endlich damit anfangen, die Wahrheit zu sagen.
„Was? Wieso?", fragte er besorgt und nahm mein Gesicht in seine Hände.
„Ich weiß nicht. Ich habe vorhin gekotzt und..." Ich biss mir verlegen auf die Lippen.
„Ich blute da unten", flüsterte ich und sah zur Seite. Sprachlos sah Justin mich an. Er schien den Ernst der Lage nicht genau zu verstehen, aber das tat ich auch nicht.
Bevor er antworten konnte, fragte ich: „Können wir ins Bett?"
Irritiert runzelte er die Stirn.
„Wir haben spätestens vier Uhr", bemerkte er, doch das war mir egal. Ich war einfach total müde.
„Ich weiß", sagte ich. Seufzend gab Justin nach: „Okay."
Lächelnd zog ich ihn sanft zu mir runter, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben.
„Was ziehst du an?", fragte Justin, während er sich zu meiner Tasche hockte.
„Ist mir egal", murmelte ich und setzte mich auf's Bett. Kurz darauf, warf Justin mir ein Top und eine kurze Hose zu.
„Ich bin gleich wieder da", ließ er mich wissen und sah mich unsicher an.
„Geh schon", lächelte ich. Justin schien erleichtert und verließ anschließend das Zimmer.
Unter der Decke zog ich mich um, da es im Zimmer total kalt war. Nach ein paar Minuten kam Justin wieder und zog sich vor mir aus. Nur in Boxershorts schaltete er das Licht aus und kam zu mir rüber. Mit geschlossenen Augen spürte ich, dass er sich an mich heran kuschelte. Langsam und vorsichtig schlang er seine Arme um meinen Bauch und küsste zärtlich meinen Nacken. Um zu zeigen, wie sehr mir seine Geste gefiel, legte ich meine Hände auf seine.
„Ich weiß nie, was ich tun soll, wenn es dir schlecht geht", flüsterte er gequält. Sein Atem kitzelte in meinem Nacken und ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper.
„Du musst einfach für mich da sein, dann geht's mir besser", flüsterte ich zurück und blickte leicht lächelnd über meine Schulter.
„Traust du Ryan zu, dass er es Jason gesagt hat?", fragte ich nach einer kurzen Weile. Justin seufzte.
„Nein, eigentlich nicht", gab er zu.
„Aber von mir hat Jason es nicht, also kommt ja nur noch Ryan in Frage. Oder hast du es einem der Jungs gesagt?", fragte er nach, schien die Frage jedoch nicht ganz ernst zu meinen.
„Natürlich nicht", erwiderte ich selbstverständlich.
„Du etwa?", wollte ich zur Vorsicht wissen.
„Nein", sagte er leicht verärgert. Augenverdrehend drehte ich mich, um Justin angucken zu können. Seine Augen bohrten sich in meine und ich wand den Blick schnell ab. Er sah so verdammt besorgt aus. Immer musste er sich Sorgen um mich machen. Ich wollte nicht, dass er deshalb irgendwann noch durchdrehen würde.
„Jamie?", fragte er leise.
„Hm?", machte ich.
„Wir müssen wirklich, wirklich zum Arzt", flüsterte er.
„Ich weiß", hauchte ich.
„Nein, ich meine, dass wir es auch wirklich tun", erklärte er ernst.
„Das meinte ich auch", behauptete ich, aber er schien mir nicht wirklich zu glauben.
„Nie ziehen wir Dinge durch, auf die wir keinen Bock haben. Wir labbern nur, aber das ist wirklich wichtig, weißt du? Das hier ist wichtig und ich will nicht, dass du weiter leidest", erklärte er einfühlsam und nahm mich fest in den Arm.
„Ich will dich nicht verlieren", flüsterte er nah an meinem Ohr.
Jetzt war der Moment gekommen. Der Zeitpunkt war perfekt und ich war endlich sicher.
„Justin?", wisperte ich und sah ihm starr ins Gesicht. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen sagte ich die drei Worte, vor denen ich immer Angst gehabt hatte: „Ich liebe dich."
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