64. „Heilige Scheiße."
J A M I E
„Wieso warst du so nett, als du mich kennengelernt hast?", wollte ich interessiert wissen und schob mir ein Stück Kuchen in den Mund.
„Du kamst mir so verloren und hilflos vor. Ich weiß, wie Justin sein kann, also wollte ich dir einfach ein bisschen helfen. Außerdem schienst du nett zu sein", lächelte er und aß ebenfalls Kuchen. Ich nickte und runzelte die Stirn, als es plötzlich klingelte.
„Ihr habt eine Klingel?", fragte ich überrascht.
„Anscheinend", murmelte Ryan und zuckte die Schultern. „Bleib hier, okay?" Er sah mich streng an, weshalb ich wiederwillig nickte. Ryan stand auf und rief: „Dan?"
„Bin schon da!", kam es zurück. Ich wand den Blick ab und starrte gebannt auf den Kuchen.
Ich wollte wissen, wer das war. Wer sollte uns schon besuchen? Uns... Das hörte sich komisch an. Ich wohnte hier ja eigentlich gar nicht. Verdammt, ich sollte Ryan einfach nachgehen.
Schnell sprang ich auf und lief Ryans und Dans Stimmen hinterher. Als ich sie an der Tür stehen sah, versteckte ich mich hinter einer Wand.
„Kein Absender?", hörte ich Ryan verwirrt sagen.
„Nein. Sollen wir lieber auf die anderen warten, bevor wir es aufmachen? Das ist wahrscheinlich von Jack oder so", murmelte Dan nachdenklich.
„Dann stellen wir es in die Küche." Oh Shit.
Schnell sprang ich von der Wand weg und lief genau in die Arme von Ryan.
„Da bist du ja", sagte ich lächelnd und trat einen Schritt zurück.
„Weißt du, wo eine Steckdose ist?", fragte ich überzeugend. Verdammt, konnte ich mich gut rausreden.
„In der Küche ist eine etwas versteckt. Ich zeig sie dir", erwiderte er ebenfalls lächelnd und lief vor mir zurück in die Küche. Erleichtert atmete ich aus und folgte ihm. Dan lief mit dem Paket, das ungefähr die Größe eines Toasters hatte, hinter uns her.
„Hier", sagte Ryan und schob den Kühlschrank zur Seite.
„Danke", lächelte ich. „Ich hole mein Handy."
Ryan nickte und drehte sich zu Dan.
Ich lief aus dem Raum und schlug den Weg zu meinem Zimmer ein. Verdammt, das war ja noch mal gut gegangen. Vielleicht hatte Justin ja doch Recht, mit dem, dass ich zu neugierig war. Ich sollte nicht an Justin denken. Ich bekam schon wieder Sehnsucht. Aber ich hatte mir vorgenommen, ihn morgen nicht zu besuchen. Er konnte sich nicht immer wie ein Arschloch verhalten und erwarten, dass ich ihm verzeihen würde. Ich wohnte zwar bei ihm und seinen Freunden, aber ich war nicht abhängig von ihm. Ich führte mein eigenes Leben, das auch ohne ihn gut lief. Trotzdem vermisste ich ihn total und es tat mir irgendwie verdammt leid, dass er morgen den ganzen Tag allein sein musste. Im Krankenhaus konnte es mit Sicherheit ziemlich einsam werden. Das letzte Mal, als ich im Krankenhaus war, waren ja die ganzen Jungs und auch Justin da, also war ich keines Wegs alleine gewesen. Ich war jeden Tag bei ihnen. Aber Justin würde auch einen Tag allein auskommen, oder? Außerdem hatte er ja diese sexy Krankenschwester.
Verdammt, Eifersucht war total scheiße, also sollte ich solche dummen Gedanken einfach aus meinem Kopf verbannen.
In meinem Zimmer angekommen, nahm ich mir mein Handy und das Ladekabel und lief zurück in die Küche. Ich hasste es, dass der Weg so weit war. Mir fiel auf, dass ich bis jetzt noch gar nicht im Wohnzimmer, wo Tryson schlief, war. Ich hatte bis jetzt nur mein Zimmer, die Küche, das Bad und den Keller gesehen. Und natürlich was dazwischen war. Vielleicht sollte ich mal so ne Rundtour durchs ganze Haus machen.
Als ich wieder in der Küche war, war hier niemand. Also waren Ryan und Dan irgendwo anders. Aber das Paket war hier, ganz allein und ungeöffnet. Niemand würde es sehen, wenn ich einen kurzen Blick hinein warf.
Verdammt, ich war wirklich zu neugierig. Es war nicht für mich, also durfte ich auch nicht hinein sehen. Ich sollte wirklich versuchen, mich nicht in so viele Schwierigkeiten zu bringen.
Ich versuchte meine Gedanken vom Päckchen fern zu halten und steckte mein Handy an die Ladestation. Verdammt, wieso war ich so neugierig? Fast schon wütend lief ich zum Päckchen und sah es ganz genau an, ehe ich das Klebeband mit meinen Fingernägeln öffnete. Scheiße, ich hatte es geöffnet. Das heißt, die Jungs würden es merken. Aber jetzt konnte ich es ja sowieso nicht mehr rückgängig machen, also wäre es dumm, nicht reinzugucken.
Ich leckte mir über die Lippen und öffnete das Päckchen langsam, doch als ich den Inhalt sah, runzelte ich die Stirn. Was war das? Als ich es erkannte, riss ich die Augen auf, presste meine Hand angeekelt auf den Mund und sprang vom Päckchen weg. Verdammt, das waren Finger! Fünf verdammte Finger!
Ich trat wieder näher zum Paket und sah mir die Finger etwas genauer an. An ihnen war noch Blut, dessen Farbe zum roten Nagellack passte. Also gehörten die Finger einer Frau. Aber welcher? Kannte ich sie?
„Jamie!"
Ich schreckte hoch und drehte mich ruckartig zu Dan, der mich wütend anblickte.
„Du solltest dir das vielleicht ansehen", wisperte ich und machte ihm Platz, damit er zum Paket konnte.
„Heilige Scheiße", fluchte er und fuhr sich durch's Gesicht.
„Das ist sicher von Jack", knurrte Dan und rief nach Ryan, welcher auch sofort kam.
„Jo, was los?", fragte er lässig.
„Guck dir das an", sagte Dan und winkte Ryan zu sich.
„Ich dachte, wir machen das Paket erst später auf", meinte Ryan und runzelte die Stirn. Fuck.
„Hab's mir anders überlegt", erwiderte Dan unbekümmert. Wieso deckte mich eigentlich immer jeder, wenn ich etwas angestellt hatte?
„Sind das Finger?", fragte Ryan entsetzt, als er seinen Kopf auch über dem Paket gebeugt hatte.
„Ja, sind es", murmelte Dan nachdenklich und strich sich über seinen Dreitagebart.
„Scheiße", fluchte Ryan und schüttelte ungläubig den Kopf. „Der Bastard ist doch krank. Was will er bitte von uns?"
„Vielleicht will er James rächen", überlegte Dan.
„Seid ihr euch sicher, dass James tot ist?", meldete ich mich nun zu Wort.
„Wir haben bis jetzt noch nichts gehört", konterte Ryan.
„Vielleicht wartet er und will euch im Glauben lassen, er sei tot", überlegte ich schulterzuckend.
„Wir alle sind fast drauf gegangen und haben nur überlebt, indem wir ärztliche Verpflegung bekommen haben, außerdem war er noch verschüttet, als wir rausgekommen waren, also konnte er sich auch nicht selber befreien. Jeder seiner Leute war tot. James kann nicht mehr am Leben sein", versuchte Dan mich zu überzeugen und so langsam sah ich es auch ein. James war tot.
Er hatte keine Chance zu überleben. Wir hätten alle an seiner Stelle sterben können. Es war ein Wunder, dass keiner von uns gestorben war. Außer Jazmyn. Es musste so verdammt hart für Justin gewesen sein, sie ein zweites Mal zu verlieren, aber er kam ziemlich gut damit klar, wie es schien. Vielleicht spielte er es aber auch nur vor, dass es ihn nicht interessierte.
Plötzlich klingelte mein Handy. Ich zog das Kabel ab und nahm es in die Hand. Es war eine Nummer, die ich nicht kannte. Stirnrunzelnd ging ich ran.
„Hallo?", fragte ich.
„Hey, ich bin's, Austin. Taylor hat mir deine Nummer gegeben", kam es von der anderen Leitung.
„Hey, Austin", erwiderte ich.
„Du hattest gesagt, du rufst mich an, wenn du mit mir ausgehen willst. Ich wollte wissen, ob du es vielleicht vergessen hast", sagte Austin verlegen. Nein, ich hatte es nicht vergessen.
„Nein, ich war in letzter Zeit nur etwas beschäftigt", erklärte ich und verließ den Raum.
„Achso. Hättest du heute vielleicht noch Lust mit mir... äh... keine Ahnung, vielleicht essen zu gehen?", stammelte er etwas unbeholfen. War das wirklich Austin? Der Austin, der mich in der Schule immer anmachte?
„Nein, heute geht nicht mehr. Tut mir leid", entschuldigte ich mich. Ich wollte mich heute nicht mit ihm treffen. Ich war müde und wollte einfach nur schlafen oder einfach gar nichts machen.
„Schon okay, schon okay", antwortete Austin schnell. „Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, ähm, sag... sag einfach Bescheid."
„Eigentlich gibt es da eine Sache, die du für mich tun kannst", murmelte ich und biss mir auf die Lippen.
„Ach ja?"
„Ja, ich bräuchte eine Mitfahrgelegenheit für die Schule", sagte ich unsicher.
„Klar, wo kann ich dich abholen?", fragte er direkt freundlich. Erleichtert atmete ich aus.
„Sekunde." Ich drehte mich zu Ryan und tippte ihn an der Schulter an.
„Ich habe jemanden gefunden, der mich zur Schule fahren könnte. Ich brauche die Adresse", ließ ich ihn wissen. Er führte mit meiner Hand mein Handy an sein Ohr und sprach die Adresse hinein.
„Danke", lächelte ich und hielt mir mein Handy wieder an mein Ohr.
„Dein Freund?", wollte Austin etwas enttäuscht wissen.
„Nein, mein, äh, Mitbewohner", sagte ich. Aber das stimmte ja auch irgendwie. Ich wohnte mit ihm zusammen, also war er ja irgendwie mein Mitbewohner.
„Achso. Ich hole dich dann um halb acht ab."
„Okay, bis morgen."
Wir legten beide auf und ich steckte mein Ladekabel zurück in mein Handy. Ich verließ die Küche und lief den Flur entlang zu meinem Zimmer. Es dauerte fast zwei Minuten, bis ich dort ankam, aber wenigstens konnte ich den Weg jetzt einigermaßen. Ich verlief mich nur noch zwischen durch, aber das hier war auch ein verdammter Irrgarten.
In meinem Zimmer angekommen, legte ich mich auf's Bett und starrte die Decke an. Ich war zwar müde, aber ich durfte jetzt nicht einschlafen. Ich durfte Alyssa nicht verpassen, immerhin musste sie mir ja den Schwangerschaftstest besorgen.
Was sollte ich tun, wenn ich wirklich schwanger war? Ich glaubte nicht, dass Justin scharf auf ein Kind war und ich ebenfalls nicht. Wir waren beide noch so verdammt jung und Justin war ein scheiß Schwerverbrecher! Ich konnte ihm kein Baby auf den Hals hetzen. Außerdem hatte ich ja gesehen, wie er bei Chelsea reagiert hatte. Würde er mir auch vorwerfen, mit anderen geschlafen zu haben und mich eine kleine dreckige Hure nennen? Er mochte Chelsea ja auch nicht, wahrscheinlich hatte er so reagiert, weil er mit ihr kein Kind haben wollte, aber würde es mit mir etwas anderes sein? Würde er sich mit einem Baby abfinden, wenn es von mir wäre? Vielleicht war er ja auch ein guter Vater. Ich lächelte bei dieser Vorstellung. Justin als Vater. Aber ein Kind passte nicht in sein Leben.
-
Verschlafen blickte ich Tryson an und richtete mich auf. Ich war wohl doch eingeschlafen.
„Hier sind deine bestellten Tampons", ließ er mich wissen und drückte sie mir in die Hand.
„Danke", murmelte ich, doch da kam mir Alyssa in den Sinn.
„Ist Alyssa da?", fragte ich hastig. Irritiert nickte Tryson und runzelte die Stirn. Ich stand auf, richtete meine Haare ein wenig und ließ Tryson in meinem Zimmer stehen. Ich hörte eine Frauenstimme und steuerte auf einen Raum zu, den ich noch nicht kannte. Es schien das Wohnzimmer zu sein und sah dem alten ziemlich ähnlich. Hatten sie wahrscheinlich umgestellt.
„Hey, Alyssa", begrüßte ich sie.
„Hey, Jamie", kam es von ihr zurück.
„Kann ich mit dir sprechen?", fragte ich höflich.
„Klar", lächelte sie, stand auf und kam zu mir. Wir entfernten uns ein wenig vom Wohnzimmer und blieben anschließend stehen.
„Was gibt's?", wollte sie wissen und lächelte mich freundlich an.
„Kannst du mir einen Schwangerschaftstest holen?", fragte ich gerade heraus. Sie sah mich mit großen Augen entsetzt an.
„Was?"
Ich biss mir nervös auf die Lippen und seufzte.
„Ich... Ich brauch einen Schwangerschaftstest", wiederholte ich.
„Weiß Justin...?", wollte Alyssa vorsichtig wissen.
„Was? Dass ich Angst habe schwanger zu sein? So lange noch nichts fest steht, muss ich ihn auch nicht unnötig damit belasten", erklärte ich und leckte mir über die Lippen.
„Ich kann dir sogar heute noch einen bringen. Ich muss sowieso noch mal kurz weg, also kann ich den Test mitbringen", lächelte sie schwach und strich mir leicht über den Arm. Ich brauchte kein Mitleid, sondern nur einen verdammten Schwangerschaftstest.
„Ich fahr dann jetzt los. Es ist ja schon spät", ließ sie mich wissen.
„Okay. Aber sag es niemandem, okay?"
Sie versprach es mir und wir verabschiedeten uns.
Etwas niedergeschlagen lief ich in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Wow, er war voll, das war ziemlich ungewohnt. Ich entdeckte eine Dose Schlagsahne und holte sie raus. Ich schraubte den Deckel ab und sprühte meinen kompletten Mund voll. Doch als ich alles herunter geschluckt hatte, sah ich die Sahne entsetzt an und stellte sie zurück. Wieso verband ich immer alles sofort mit einer Schwangerschaft, verdammt? Jeder Mensch mochte Schlagsahne.
Seufzend setzte ich mich und starrte die Wand an. So langsam fing ich an, mich mit dem Gedanken, eine Familie mit Justin zu gründen, anzufreunden. Aber das war falsch. Ich wollte kein Kind. Wieso dachte ich überhaupt so viel darüber nach? Ich sollte den Gedanken einfach aus meinem Kopf verbannen, solang noch nichts feststand. Es war Zeitverschwendung. Doch bevor ich dort ankam, wurde ich von Ryan zurück gerufen.
„Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass das Wasser jetzt wieder völlig in Ordnung ist. Dan hat's hingekriegt", ließ er mich wissen.
„Endlich", stieß ich erleichtert aus. „Hast du vielleicht ein Handtuch für mich, damit ich duschen kann?"
„Klar. Und falls du Wäsche hast, kannst du sie ins Bad auf den Haufen legen. Alyssa nimmt sie mit, wenn sie geht", erzählte er.
„So langsam wird das hier ein Ort, an dem man leben kann. Normales Wasser, das einem nicht die Haut wegätzt, die Wäsche wird gewaschen und im Kühlschrank gibt es mehr, als nur Bier und Kuchen", bemerkte ich lächelnd. Ryan grinste und nickte stolz.
„Ist zwar nicht so wie unser altes Haus, aber es entwickelt sich und wenn Alyssa regelmäßig kommt, wird das hier wirklich ein richtiges Zuhause werden", lächelte er fast schon glücklich.
„Aber das wirst du nicht mehr miterleben, wenn du dich nicht behandeln lässt", sagte ich ernst und sah ihn eindringlich an. Sofort zogen sich seine Mundwinkel runter und er ging wortlos weg. Er konnte zwar diesem Gespräch aus dem Weg gehen, aber seinem Schicksal nicht.
A/N: Ich hoffe, dass euch dieses Kapitel gefallen hat und ich würde mich über Kommentare unendlich freuen, unter anderem auch, weil es immer eine super Motivation ist, zu sehen, dass Leute meine Geschichte wirklich mögen ♥
Hier mal wieder ein paar Fragen für euch:
1. Lieblingsbuch? (Egal ob auf Wattpad oder nicht)
2. Lieblingssänger/in?
3. Welche Angst würdet ihr am liebsten von euch überwinden?
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