47. „Ich will dir nicht weh tun."
J A M I E
„Du sagst kein Wort, okay? Auch keine Andeutung, dass du irgendetwas weißt", befahl ich streng und sah ihn eindringlich an.
„Na gut", seufzte er und stieg aus. Ich tat es ihm gleich und lief zur Tür. Das war keine gute Idee. Das war definitiv keine gute Idee.
Augenverdrehend klingelte Liam. Er dachte, das alles hier wär nichts Ernstes. Er hatte wirklich keine Ahnung. Er wusste doch, was ich getan hatte. Dachte er, das war Spaß?
Plötzlich wurde uns die Tür geöffnet und meine Mom sah uns mit großen Augen an.
„Jamie", hauchte sie.
„Ich bin nur hier um mein Handy zu holen", murmelte ich und quetschte mich an ihr vorbei. Ich wusste, dass ich sie verletzte, doch was sollte ich tun? Ich konnte ihr die Wahrheit nicht sagen.
So schnell ich konnte lief ich in mein Zimmer und sah mein Handy, zum Glück immer noch, auf meinem Bett liegen. Schnell nahm ich mir es und auch ein Ladekabel und lief zurück zur Tür.
„Der Freund deiner Mom ist nicht da. Wir können doch noch ein bisschen bleiben", meinte Liam lächelnd. War das sein ernst? Jack könnte jeden Moment kommen.
„Mom, wann kommt er wieder?", fragte ich ernst, doch sie zuckte nur mit den Schultern.
„Er sagte, er käme spät", meinte sie. Ich seufzte.
Wir verbrachten den ganzen Tag bei ihr, weil Liam sie ja auch schon so lang nicht gesehen hatte, doch ich wollte kein Risiko eingehen. Ich hatte kein Nerv dafür in Jacks wiederwertige Visage zu sehen.
„Liam, lass uns gehen", murmelte ich drängend und ein wenig nervös zu gleich. Meine Mom sah mich traurig an und zog einen Mundwinkel in die Höhe.
„Du kannst uns zwischendurch gern anrufen, wenn dein Lover nicht da ist", lächelte ich leicht und umarmte sie.
„Und du wirst sicher nicht zurück kommen?", fragte sie traurig, doch ich schüttelte entschlossen den Kopf. Ich wollte im Moment zwar auch nicht bei Justin sein, aber auch nicht hier. Hier war es weitaus gefährlicher und ich hatte es satt, dass mein Leben gefährdet war.
„Na gut", seufzte meine Mom und gab mir einen Kuss auf die Wange, ehe ich und Liam das Haus verließen und in sein Mietwagen stiegen.
„Und du willst wirklich zurück zu Justin?", wollte Liam während der Fahrt unzufrieden wissen. Ich nickte knapp.
„Und du wirst nicht mit reinkommen", bestimmte ich entschlossen.
„Wer sagt, dass ich mit rein kommen will?", fragte Liam verwirrt.
„Ich weiß, dass du Justin weh tun willst", murmelte ich monoton. Liam lachte spöttisch und sagte nichts mehr. Schluckend stieg ich aus, nachdem ich mich von Liam verabschiedet hatte.
„Warte!", rief Liam und stieg ebenfalls aus. Abwartend sah ich ihn an und wartete darauf, dass er anfing zu sprechen.
„Soll ich dich morgen zur Schule abholen?", wollte dieser wissen. Ich nickte und wir verabschiedeten uns erneut.
Würde Taylor mich wieder anschreien, weil ich heute nicht zur Schule erschienen war? Ich hätte wirklich in die Schule gehen sollen.
Ich lief zur Tür und klingelte. Nach ein paar Sekunden wurde mir von Tryson die Tür geöffnet.
„Hey", murmelte ich und trat ein, nachdem er mir Platz gemacht hatte. Er nickte mir kurz zu und verschwand im Wohnzimmer. Ich lauschte und konnte dort Justins Stimme erkennen.
Schnell lief ich die Treppe hoch und ging in Justins Zimmer. Er würde gleich sicher hochkommen. Tryson hatte ihm bestimmt gesagt, dass ich da war. Wie sollte ich auf ihn reagieren? Ich würde ihn nicht mit offenen Armen empfangen, aber konnte ich es ihm überhaupt übel nehmen? Er war betrunken gewesen, konnte er also überhaupt etwas für sein Verhalten? Immerhin hätte er das nicht gemacht, wenn er nichts getrunken hätte. Aber das war dennoch keine Entschuldigung. Er hatte mich bedrängt, verängstigt und verletzt.
Ich zuckte zusammen, als ich jemanden die Treppe hoch kommen hörte. Das musste Justin sein. Das war er mit Sicherheit.
Meine Vermutung bestätigte sich, als er die Tür öffnete und mich mit großen Augen ansah. Ich sah ihn ebenso an und konnte meine Angst kaum verstecken. Ich hatte Angst vor meinem eigenen Freund. Das konnte doch nicht wahr sein!
„Babe", sagte Justin erleichtert und kam auf mich zu. Mit jedem Schritt, den er machte, weiteten sich meine Augen mehr und mein Atem beschleunigte sich.
„Ich habe mir Sorgen gemacht", flüsterte er und stand nun genau vor mir, sodass ich seinen warmen Atem auf der Haut spürte. Er sah schrecklich aus, aber das lag wahrscheinlich am Kater, den er mit Sicherheit und auch hoffentlich hatte.
Ich wich nicht zurück und sah ihm starr in die Augen, doch als er seinen Arm hob, um meine Wange zu streicheln, übermahnte mich die Angst und ich ging einen Schritt zurück. Justin runzelte verwirrt die Stirn und kam wieder einen Schritt auf mich zu, doch ich machte erneut einen nach hinten. Merkte er nicht, dass er Abstand halten sollte? Erneut streckte er einen Arm nach mir auf.
„Bitte, fass mich nicht an", flüsterte ich und klang verzweifelter, als ich wollte. Es hörte sich beinahe wie ein Flehen an. Erneut runzelte er die Stirn.
„Was ist denn los?", fragte er verzweifelt. So langsam wuchs in mir die Wut. Ich wusste nicht wieso. Ich hatte wirklich keine Ahnung wieso, aber ich wollte sie raus lassen.
„Was los ist?", brüllte ich unkontrolliert. Justin hob überrascht die Augenbrauen. „Ich...Ich hätte dich heute gebraucht! Meine Freunde hassen mich, weil ich dazu verpflichtet bin alle anzulügen! Ich hatte gestern einen absoluten Scheißtag, weil mir bewusst geworden ist, dass meine beste Freundin wahrscheinlich stirbt und du hast nicht mal gemerkt, dass es mir schlecht ging! Dass es mir schlecht geht! Nein, du bist einfach abgehauen! Du hast mich wegen so einem lächerlichem „Streit" allein gelassen und dich zu allem Überfluss auch noch betrunken! Und dann..." Ich schrie mir die Seele aus dem Leib und wurde bei den letzten Worten ganz leise.
„Und dann hast du versucht mich zu vergewaltigen. Du hast meine Klamotten zerrissen und mich so fest gehalten, dass ich verdammte Abdrücke an der Hüfte habe", beendete ich meinen Ausbruch flüsternd.
Justin sah mich entsetzt an und schien sprachlos zu sein. Langsam drehte er sich um und wollte gehen, doch das ließ ich nicht zu.
„Wage es nicht, jetzt wieder abzuhauen!", brüllte ich ihn fassungslos an. „Du rennst immer nur weg! Aber wegrennen ist nun mal keine Möglichkeit, verstehst du? Merkst du denn nicht, dass das alles nur schlimmer macht?"
Justin raufte sich die Haare und drehte sich ruckartig um.
„Es tut mir leid, okay?", brüllte dieser verzweifelt. Eindringlich sah ich ihn an, doch da kam nichts mehr. Das war alles, was er sagte.
„Das ist alles?", lachte ich hysterisch.
„Ja", meinte Justin überzeugt und nickte. „Gewöhn dich dran."
Wütend schnaubte ich und lief mit bebenden Nasenflügeln an ihm vorbei. Naja, ich hatte es vor, aber Justin griff nach meinem Handgelenk.
„Fass mich nicht an! Ich hatte gestern genug Schmerzen wegen dir", zischte ich gehässig. Sofort ließ mich Justin los und ihm war die Reue ins Gesicht geschrieben. Doch ich achtete nicht darauf.
Ich war verdammt sauer. Er dachte mit einem „Es tut mir leid" wäre alles okay? Nein, das war es nicht. Es war nicht okay.
Schnell lief ich aus dem Zimmer und zog mein Handy aus der Hosentasche. Sofort rief ich Liam an.
„Hallo?", fragte dieser.
„Hey, Liam. Lass uns in einen Club gehen", kam ich direkt auf den Punkt.
„Ähm, okay", erwiderte Liam überrumpelt.
„Holst du mich in einer halben Stunde ab?", wollte ich wissen.
„Klar. Bis später." Damit legte er auf.
Hochmäßig lief ich zurück in Justins Zimmer und ging gerade Wegs zu meiner Tasche. Justin saß auf seinem Bett und beobachtete mich, während ich mir bessere Sachen heraussuchte.
„Gehst du weg?", wollte er leise wissen.
„Yep", erwiderte ich locker.
„Wohin?", hakte er nach.
„Party machen", antwortete ich beiläufig.
„Du rennst also weg?", murmelte Justin wissend. Ich schnaubte spottend.
„Nein, Justin. Ich gehe mich einfach nur amüsieren", antwortete ich ernst. Es tat mir weh so abweisend zu sein, aber Justin hatte mich verletzt und das wollte ich ihm auch zeigen. Nicht um ihn ebenfalls zu verletzen, sondern damit er sah, dass er das nicht mit mir machen konnte.
„Jamie", ertönte es plötzlich direkt hinter mir. Erschrocken fuhr ich herum und stand dicht vor Justin, welcher mich verzweifelt ansah.
„Es tut mir leid. Wirklich leid", flüsterte er und griff an mein Hüften. Sofort sog ich scharf die Luft ein, als ich den Schmerz spürte.
Sofort nahm Justin seine Hände weg und sah mich entschuldigend an, doch ich wich seinem Blick aus und sah zum Boden. Sanft schob er meinen Pullover hoch und weitete seine Augen, als er die Abdrücke sah.
„Und das war wirklich ich?", fragte er entsetzt nach. Ich nickte zaghaft. Durch seine Nähe wurde ich schwach. Ich wollte hart bleiben, aber ich konnte nicht.
„Wie kann ich das wieder gut machen?", flüsterte er verzweifelt.
„Küss mich", hauchte ich. „Das wär ein Anfang."
Langsam beugte sich Justin runter und legte vorsichtig seine Lippen auf meine. Ich bewegte meine Lippen auf seinen, doch er tat nichts. Verwirrt schlang ich meine Hände um seinen Hals, doch er bewegte nicht mal seine Lippen. Irritiert löste ich mich von ihm und sah ihn an.
„Ich habe gesagt, du sollst mich küssen", wisperte ich, doch Justin sah mich nur gequält an.
„Ich will dir nicht weh tun. Nie wieder", flüsterte er gequält. Wütend verengte ich meine Augen.
„Sei nicht sauer", flehte Justin verzweifelt und raufte sich die Haare, doch ich lief nur an ihm vorbei.
„Bin ich nicht", meinte ich, während ich zu meiner Tasche ging und meine Schminksachen heraus nahm. Ich hatte sie heute von meiner Mutter mitgebracht.
„Wieso gehst du dann?", fragte er verärgert.
„Weil ich mich amüsieren will", sagte ich locker und lief aus dem Zimmer, ins Badezimmer, wo ich mich in Ruhe fertig machte.
Justin störte mich nicht weiter und ich war fertig, als es klingelte. Schnell lief ich die Treppe runter und erblickte Dan an der Tür.
„Jamie?", rief er.
„Bin schon da", sagte ich und lächelte Liam an. Dan nickte und verschwand wieder.
„Hey." Ich und Liam umarmten uns und stiegen in den Wagen.
„Anstatt in einen Club zu gehen, können wir doch auch auf die Party von der Kleinen, die ich an deiner Schule kennengelernt hab', gehen", schlug Liam begeistert vor. Ich lachte amüsiert und nickte.
„Okay", stimmte ich zu. Ich wusste, dass Taylor vielleicht dort war, aber ich wollte heute einfach abschalten. Mich betrinken. Das machte mich zwar nicht besser als Justin, aber ich wollte wenigstens einen Abend abgelenkt sein.
„Ist irgendwas passiert?", wollte Liam wissen. Ich nickte knapp.
„Ich und Justin hatten irgendwie Streit", murmelte ich bedrückt.
Wieso stritten wir so schlimm? Wir waren erst seit kurzem zusammen. Sollte es für immer so weiter gehen? Würden wir uns immer so schlimm streiten? Das konnte ich nämlich nicht. Ich wollte es nicht.
„Hat er dir wieder etwas getan?", fragte Liam wie aus der Pistole geschossen. Ich schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Natürlich nicht", spottete ich verärgert.
„Was daran ist so selbstverständlich?" Verwirrt runzelte er die Stirn.
„Er war betrunken, okay?", keifte ich wütend. Wieso verteidigte ich ihn so sehr? Sollte ich nicht sauer sein?
„Und das macht es besser?", spottete Liam und schüttelte den Kopf.
„Natürlich macht es das besser!", zischte ich. Liam lachte und sagte nichts mehr.
Ich schnaubte und sah aus dem Fenster. Als ich kurz in den Rückspiegel sah, bemerkte ich ein Auto, das mir schonmal aufgefallen war. Es fuhr hinter uns schon seit wir losgefahren waren. Ich dachte nicht mehr drüber nach und sah erneut aus dem Fenster.
„Hier ist es", meinte Liam und sah mich an. „Du siehst übrigens echt gut aus."
„Danke", lachte ich. So war das immer. Wir stritten uns und vertrugen uns später sofort wieder.
Seufzend stieg ich aus und lief mit Liam zum Haus, wo die Party stieg. Die laute Musik war natürlich schon von draußen zu hören. Gemeinsam betraten wir das Haus und Liam steuerte sofort auf ein Mädchen zu. Wahrscheinlich war sie das Mädchen, das Liam vor der Schule kennengelernt hatte.
Ich zuckte die Schultern und lief ein wenig herum, bis ich die Küche fand. Sofort nahm ich mir Wodka und mischte ihn mit Cola. Nach ein paar Drinks wurde ich angetippt. Langsam drehte ich mich um und sah in das Gesicht eines braunhaarigen, gut aussehenden Typen. Er kam mir ziemlich bekannt vor. Er ging wahrscheinlich auf meine Schule.
„Hey", begrüßte er mich lächelnd.
„Hey", erwiderte ich.
„Ich bin Luke", stellte er sich vor.
„Lust auf Tanzen?", fragte er. Ich zögerte. Sollte ich mit ihm tanzen? Ich war doch mit Justin zusammen. Naja, eine wirkliche Beziehung konnte man das nicht nennen, aber trotzdem. Aber gegen tanzen konnte man doch nichts sagen, oder?
Zögernd nickte ich und nahm seine Hand, die er mir hin hielt. Er führte mich zur Tanzfläche und legte seine Hände an meine Hüfte. Ich hielt erschrocken die Luft an und ließ den Schmerz über mich ergehen.
„Alles okay?", wollte Luke verwirrt wissen.
„Tu bitte deine Hände weg. Ich... Ich habe an meiner Hüfte eine Verletzung", murmelte ich. Luke nickte und ließ seine Hände tiefer gleiten, bis sie auf meinem Hintern lagen.
„So besser?", raunte er mir zu. Ich schüttelte lachend den Kopf, nahm seine Hände und legte sie an meine Taille. Luke zuckte mit den Schultern und fing an zu tanzen.
Eine Weile verging und wir liefen zur Küche. Er goss mir irgendetwas ein, doch ich sah nicht was. Ohne drüber nachzudenken, trank ich es und lächelte ihn an. Doch plötzlich wurde mir total schlecht und ich fühlte mich benebelt. Ich ahnte schon was passiert war.
Krampfhaft hielt ich mich an Luke fest und versuchte meine Augen offen zu halten. Luke stützte mich und lief mit mir durch die Menschenmenge. Ich konnte mich nicht wehren und hielt mich weiter an ihm fest, um nicht zu fallen. Meine Beine zitterten und ich verlor die Kontrolle über meinen Körper. Alles verschwamm vor meinen Augen und ich erkannte nur grobe Umrisse.
Luke führte mich zum Nachbarhaus und schubste mich hinein. Er hob mich hoch und trug mich eine Treppe hinunter. Kurz darauf wurde ich in einen Raum geschmissen, doch ich spürte den Aufprall nicht. Ich spürte gar nichts.
Regungslos blieb ich auf dem Boden liegen und hoffte, dass das alles ein Ende haben würde. Ich hatte mich noch nie so schlimm gefühlt. Ich hatte das Gefühl, mein Körper würde stärker angezogen werden. Mein Kopf dröhnte und meine Augen schlossen sich wie von selbst. Doch ich schlief nicht. Ich blieb so liegen, bis ich nach ungefähr vier Stunden doch einschlief.
Als ich aufwachte spürte ich meinen Körper immer noch nicht, aber als ich mich versuchte zu bewegen, spürte ich wie sich alles normalisierte, bis ich sogar aufstehen konnte. Ich sah mich um und bemerkte, dass ich in einem Keller war. Hier war nichts. Rein gar nichts.
Panisch suchte ich nach einem Fenster, doch das Einzige, das ich fand, war höchstens zwanzig Zentimeter breit.
Ich raufte mir die Haare. Wieso war ich auch so dumm gewesen? Man wusste doch, dass man nichts zu trinken von Fremden annahm. Sowas hier war der Anfang einer Vergewaltigung. Super, ich sollte meine Jungfräulichkeit an irgendwelche perversen Arschlöcher verlieren.
Angsttränen sammelten sich in meinen Augen, aber ich hatte nicht vor zu weinen. Ich war kein kleines Kind mehr, das wegen jedem Scheiß weinte. Was dachte ich denn da? Das hier war nicht irgendein Scheiß. Konnte man das hier eine Entführung nennen? War ich entführt worden? Konnte mein Leben denn noch mehr den Bach runter gehen? Was stimmte denn mit mir nicht, dass ich so bestraft wurde?
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