39. „Du bedeutest mir so viel."
J A M I E
Ruckartig öffnete ich meine Augen und sah in Dans Gesicht. Ich war frei. Dan hatte mich da raus geholt.
Justin.
Panisch sah ich auf meinen Körper und bemerkte, dass Justin immer noch regungslos dort lag. Erneut beschleunigte sich mein Atem, als ich seinen Körper inspizierte. In seinem Rücken waren zahlreiche... hm, was war es? Stücke aus der Wand? Ja, ich schätzte es waren Stücke von der Wand, die in seinem Rücken steckten und ihn mit Blut überströmten.
Vorsichtig zog ich jedes einzelne Stück heraus, bis ich am letzten angelangt war. Es war tief, verdammt tief. Schluchzend zog ich das blutverschmierte Stück raus und ließ es mit zittrigen Händen zu Boden fallen.
„Justin?", wisperte ich, doch keine Reaktion folgte.
„Justin!", schluchzte ich und setzte mich mit zusammen gebissenen Zähnen auf. Jetzt lag sein Kopf in meinem Schoß und ich drehte ihn langsam um, wobei ich noch lauter schluchzen musste.
Ich zog ihn auf meinen Schoß und schaukelte uns hin und her. Sein Gesicht war blutverschmiert und ein großer Blutfleck war auf seinem Shirt zu sehen. Das war der große Splitter aus seinem Rücken. Er war durch gegangen.
„Bitte, du darfst nicht tot sein. Du bedeutest mir so viel", wimmerte ich und strich ihm die Haare aus dem Gesicht, die an seiner Stirn klebten.
Er hatte mich gerettet. Er hatte sich auf mich geschmissen, damit mir nichts passierte und damit sein eigenes Leben riskiert.
Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.
„Guck", flüsterte mir Dan ins Ohr und zeigte auf Justins Brust. Sie bewegte sich! Er lebte.
„Justin", schluchzte ich und beugte mich runter zu ihm, um ihn zu küssen. Als sich unsere Lippen berührten, tropften meine Tränen in sein Gesicht und ich schluchzte leise auf. Wieso bewegte er sich noch nicht? Würde er sich überhaupt wieder bewegen? Waren wir die Einzigen, die noch lebten?
„Was ist mit den anderen?", fragte ich Dan verheult, als ich mich von Justin gelöst hatte, und sah auf. Dan schüttelte ahnungslos den Kopf.
„Ich bin auch erst vor kurzem aufgewacht", erklärte er warm.
„Wieso wurdest du nicht verschüttet?", fragte ich weiter. Dan seufzte.
„Ich wurde verschüttet, habe es aber daraus geschafft."
Ich nickte und sah wieder runter zu Justin, der plötzlich seine Augen öffnete.
„Justin", flüsterte ich und strich vorsichtig über seine Wange. Tränen der Freude lösten sich aus meinen Augen.
„Nicht weinen", bat er krächzend und wollte seinen Arm heben, scheiterte jedoch. Ich biss mir auf die Lippen und schluckte hart.
„Du hast mich gerade geküsst", krächzte Justin. Ich nickte stumm. Justin lächelte mich schwach an.
„Mach's nochmal", bat er. Ich musste unwillkürlich lächeln und beugte mich runter. Justin sah mich sehnsüchtig an, leckte sich über die Lippen und schloss die Augen, als meine Lippen kurz vor seinen waren. Ein Feuerwerk explodierte in mir, als sich unsere Lippen trafen und Justin verzweifelt den Kuss erwiderte.
Ich öffnete kurz die Augen, um in Justins immer noch wunderschönes Gesicht zu sehen. Trotz den Verletzungen und dem Blut, war er einfach nur umwerfend. Er kniff seine Augen zusammen und plötzlich lief ihm eine Träne über's Gesicht. Ich hatte Justin noch nie weinen gesehen und es stand auch nicht wirklich auf meiner Wunschliste.
Augenblicklich brach ich unseren Kuss ab und küsste ihm seine Träne ganz sanft weg. Ich küsste den Weg, den sie gemacht hatte, hoch bis zu Justins Auge und zurück, bis ich an seinen Lippen, die zu einem zufriedenen Lächeln verzogen waren, angekommen war und presste meine Lippen wieder auf diese. Justin hob seinen Kopf leicht an und strich mit seiner Zunge über meine Unterlippe. Sofort gewährte ich ihm Einlass und spielte sanft mit seiner Zunge.
„Ich will euch wirklich nicht stören, aber wir sollten wirklich nach den anderen sehen", sagte Dan plötzlich unsicher.
Wiederwillig löste ich mich von Justin und sah ihn verträumt an. Er war vielleicht wirklich schwierig, launisch, unberechenbar, und noch vieles mehr, doch ich fragte mich trotzdem, womit ich ihn verdient hatte. Er hatte so viele Macken und machte so viele Fehler, doch trotzdem war er wundervoll.
„Ich helfe Dan die Anderen zu suchen. Bitte bleib liegen", flüsterte ich verzweifelt. Wiederwillig nickte Justin.
Ich biss mir auf die Lippen und rutschte nach hinten, während Justin seinen Kopf hob und ihn danach auf den Boden fallen ließ.
„Dan, kannst du mir helfen?", fragte ich unsicher. Sofort kam Dan zu mir und half mir aufzustehen, indem er mich am Arm hoch zog. Ich trat nicht auf und hielt mich an Dan fest.
„Was ist mit deinem Bein?", fragte Justin heiser und sah mich entsetzt an. Ich schüttelte langsam den Kopf.
„Ist nicht wichtig", wimmelte ich ab.
„Jamie, bitte", flehte Justin verzweifelt. Ich war kurz davor ihn anzumeckern, dass er mir auch nie etwas erzählte, verkniff es mir in letzter Sekunde jedoch.
„Es ist das gleiche, wie vor kurzem mit Jack passiert, nur diesmal schlimmer, aber raste jetzt bitte nicht aus. Der Typ ist tot", murmelte ich.
„Hast du ihn getötet?", fragte Justin vorsichtig. Ich sah bedrückt zur Seite. Ich hatte so viele Menschen getötet.
Wortlos hüpfte ich herum und blieb vor einem Müllhaufen stehen. Naja, Müll war es nicht. Es waren eben die Decke, die Wände und was weiß ich nicht alles, aber was sollte ich sagen? Ich nannte es jetzt einfach Müll.
Ich sah etwas Rotes und begann zu graben. Ich sah einen Arm und ging weiter hoch um das Gesicht frei zu machen. Sofort schlug ich mir die Hand vor den Mund, als ich das Gesicht sah, stand auf und taumelte nach hinten. Es war irgendjemand von James' Leuten, den ich nicht kannte, doch sein Gesicht war grässlich entstellt. Ein riesiger Splitter durchbohrte sein Gesicht. Mir kam alles hoch. Ich presste meine Hände fest auf meinen Mund und sah zur Seite. Bevor ich erbrach, konnte ich es zurück halten.
„Babe?", krächzte Justin. Ich drehte mich zu ihm und sah ihn schluckend und mit großen Augen an.
„Alles okay?", wollte er besorgt wissen. Ich zeigte ihm zittrig einen Daumen hoch und bemerkte erst jetzt, dass sein Unterkörper noch verschüttet war. Wieso fiel mir das erst jetzt auf? Ich schüttelte kurz meinen Kopf und drehte mich wieder um, verkniff es mir jedoch den Typen anzusehen.
„Oh Gott", sagte Dan plötzlich und stand auf einmal neben mir, was mich kurz zusammen zucken ließ.
Ich lief stumm weg und setzte mich seufzend auf den Boden. Was war mit den anderen? Waren sie tot? Ich schluckte und verdrängte diese Gedanken. Wortlos fing ich an zu graben. Ich grub bis meine Finger bluteten, fand jedoch niemanden. Das gleiche tat ich an drei weiteren Stellen, bis ich einen Arm erkannte.
„Dan!", rief ich und sah über meine Schulter zu ihm. Er kam zu mir angerannt und hockte sich neben mich.
„Wer ist das?", fragte er mich panisch. Ich sah ihn mit großen Augen ahnungslos an.
„Jason", kam es plötzlich gedämpft. Dan und ich begannen panisch zu graben. Nach ein paar Minuten war er frei und er stand stöhnend auf.
„Geht's dir gut?", fragte Dan. Jason nickte knapp und sah kurz Justin an.
„Seid ihr bis jetzt die Einzigen?", fragte er uns. Ich sah ihn überrascht an. Er konnte vernünftig reden. Ihm ging es wirklich gut. Wow.
„Ja", antwortete Dan.
Ich konnte nicht widerstehen und hüpfte zu Justin. Er hatte seine Augen geschlossen und atmete ruhig. Es schien, als sei er eingeschlafen. Ich schmunzelte, doch dann bemerkte ich Blut an seinem Unterleib und weitete meine Augen.
„Justin?", flüsterte ich und versuchte mir meine Panik nicht ansehen zu lassen. Langsam öffnete Justin seine Augen einen Spalt und sah zu mir auf. Unruhig spielte ich mit meinen Fingern.
„Kannst du dein Unterleib spüren?", fragte ich schluckend. Justin nickte langsam.
„Hast du dort Schmerzen?", hakte ich nach. Justin schloss seine Augen kurz und nickte gequält.
„Wieso hast du nichts gesagt?", fragte ich fassungslos, aber dennoch ruhig. Justin antwortete nicht und schloss wieder die Augen. Ich versuchte weiterhin ruhig zu atmen und beugte mich runter, bevor ich mich auf meinen Po fallen ließ und anfing seinen Unterleib frei zu räumen.
„Nicht", keuchte Justin. Ich hielt meine Tränen zurück. Ich hasste es, ihn so zu sehen. Ich zog meine Lippen in meinen Mund und sah zu Justin. Er sah mich mit schmerzverzerrtem Gesicht flehend an.
„Ich...Du musst doch...und ich will...", stotterte ich verzweifelt und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
„Bro, wir müssen dich da raus holen", sagte Jason plötzlich. Justin seufzte.
„Okay."
Ich sah nicht auf und versteckte mein Gesicht immer noch in meinen Händen.
„Jamie?", krächzte Justin, doch ich reagierte nicht. Ich wollte ihn nicht ansehen. Ich wollte nicht sehen, wie er litt.
„Jamie", wiederholte Justin, doch ich reagierte wieder nicht, bis jemand meine Hände nahm und sie von meinem Gesicht entfernte.
Ich schluckte und öffnete die Augen. Justin sah mich besorgt an, doch ich erwiderte seinen Blick nicht und sah zu Boden.
„Jamie, wir räumen Justin jetzt frei", murmelte Dan und hockte sich neben mich.
„Okay..ich...ich geh nur...dahin und...", stammelte ich und stand auf, indem ich mich bei Dan abstützte. Ich lief weiter weg von Justin und den anderen, doch plötzlich wurde mir schwindelig. Ich schwankte beim Laufen, sah unscharf und fiel.
J U S T I N
Plötzlich hörte ich einen dumpfen Knall und sah wie Jamie umfiel.
„Jamie!", schrie ich panisch. Sofort drehten sich Dan und Jason um und rannten zu ihr. Ich versuchte mich selber herauszuziehen, doch es fühlte sich an, als würde ich meine Hüfte zerreißen.
„Dan, hol mich hier raus!", schrie ich panisch, doch Dan ignorierte mich. Was war los mit Jamie?
Bevor ich mich weiter verrückt machen konnte, wachte Jamie auch schon auf.
„Jamie", hauchte ich erleichtert.
„Ihr geht es gut!", rief mir Jason zu und half ihr hoch. Ich wand mich und versuchte mich zu befreien, doch ich konnte nicht.
„Verdammt, Dan! Hol mich jetzt hier raus!", brüllte ich.
„Justin, halt die Schnauze!", bellte Jason genervt. Schnaubend schloss ich die Augen und atmete tief durch.
Ich wollte hier nicht mehr länger eingeklemmt sein. Ich wollte zu Jamie. Ich konnte gar nicht genug von ihr kriegen. War das normal? Plötzlich kam sie zu mir gerannt.
„Jamie", hauchte ich. „Geht's dir gut?"
Jamie nickte zaghaft.
„Mir ist das alles nur ein bisschen zu viel geworden", behauptete sie kleinlaut. Ich nickte.
„Kannst du mich bitte hier raus holen?", flehte ich sie flüsternd an. Zögernd nickte Jamie und ließ sich neben mir nieder.
„Bereit?", fragte sie unsicher. Ich atmete tief ein und nickte, während ich den Atem wieder ausblies.
Langsam umfasste sie einen Stein und hob ihn an, während sie mich nicht aus dem Auge ließ. Ich beobachtete sie ebenfalls intensiv. Sie ließ den Stein auf den Boden fallen und atmete erleichtert aus, als sie bemerkte, dass sie mir nicht weh getan hatte.
„Können das nicht lieber die anderen machen?", flüsterte sie plötzlich. Erst jetzt bemerkte ich, wie gequält sie aussah. Schnell nickte ich und sie stand ebenso schnell auf.
J A M I E
Ich drehte mich von Justin weg und versuchte mich abzulenken, indem ich weiter suchte, bis ich am anderen Ende der Mensa eine Hand sah. Schnell hüpfte ich dort hin und zuckte zusammen, als ich einen schmerzerfüllten Schrei von Justin hörte. Ich schluckte und versuchte nicht mehr hinzuhören, doch er schrie immer wieder. Mein Atem beschleunigte sich und ich blieb stehen, als ich direkt vor der Hand war. Das hörte sich ja komisch an. Ich versuch es nochmal: Als ich vor der Hand des Unbekannten war. Ja, das war besser.
Ich setzte mich wieder hin, da ich nicht hocken konnte, und fing an zu graben. Ich hatte zwar keine Ahnung, wer da unten lag, doch ich wollte denjenigen heraus holen. Minuten vergingen, in den Justin immer wieder aufschrie, bis ich sein Gesicht erkennen konnte.
„Tryson", hauchte ich. Er lächelte mich schwach an und wartete bis ich weiter machte.
Als ich seine Arme frei gemacht hatte, half er mir, sich zu befreien und nach nicht langer Zeit war er befreit.
„Danke", sagte er, als wäre es selbstverständlich verschüttet zu werden, klopfte sich ab und lief zu den Anderen. Ich hüpfte ihm schluckend hinterher und als Tryson bemerkte, dass ich nicht laufen konnte, stützte er mich, wofür ich ihn dankend anlächelte.
Als wir bei den anderen waren, sah ich Justin. Er wollte sich gerade aufrichten, als er mich erblickte und mit großen Augen ansah. Dann wandte er seinen Blick ab und sah dafür Tryson an.
„Hey, Man. Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist", sagte er lässig und schlug bei ihm ein. Tryson nickte ihm noch einmal zu, ehe er mit den Anderen weiter suchte.
Ich setzte mich zu Justin und ließ meinen Blick an ihm runter wandern, bis ich an seiner Hüfte angekommen war. Augenblicklich schlug ich mir meine Hand vor den Mund und riss meine Augen auf. Justin sah mich ausdruckslos an und blickte dann stumm zur Seite. Sein Beckenknochen war...frei. Ich konnte verdammt nochmal mindestens zehn Zentimeter seines Beckenknochens sehen!
„Wir müssen ins Krankenhaus", flüsterte ich. Justin drehte seinen Kopf blitzschnell zu mir und sah mich mit großen Augen an, ehe er hastig den Kopf schüttelte.
„Wir können nicht", krächzte er. Ich sah ihn fassungslos an. War das sein verdammter Ernst?
„Bist du verrückt? Wenn du das nicht behandelt lässt, könntest du sterben!", fuhr ich ihn verständnislos an. Justin seufzte.
„Wenn ich ins Krankenhaus gehe, wird man das hinterfragen. Genau wie die Schuss und Messerwunde. Wenn die irgendwas heraus finden, stecken die mich in den Knast, Jamie", erklärte Justin ernst. Mein Blick veränderte sich in Besorgnis.
Er konnte durch seine ganzen Verletzungen sterben, oder er kam in den Knast. Das war doch Scheiße! Das war doch alles total Scheiße! Was sollten wir denn jetzt machen, verdammte Scheiße? Ich wollte ihn nicht verlieren! In keinster Weise!
„Sieh mich nicht so an", befahl Justin ruhig. Ich runzelte die Stirn.
„Wie denn?", fragte ich verwirrt.
„Als würde ich bald sterben", sagte Justin kleinlaut. Meine Augen weiteten sich kaum merklich. Sofort sah ich weg. Er würde nicht sterben. Ich würde das auf jeden Fall verhindern.
„Ryans Mom", platzte es plötzlich aus mir heraus. Ich sah Justin erwartungsvoll an. Er schien zu überlegen.
„Ich weiß es nicht", seufzte er nach einer Weile. „Ich kenne seine Mutter nicht besonders gut. Ich weiß nicht, ob sie uns helfen wird."
J A M I E
Augenblicklich griff ich nach meinem Handy und betete zu Gott, dass es noch funktionierte. Und das tat es. Ich atmete erleichtert aus. Sie musste sofort hier her kommen. Sofort! Ich hatte dreißig verpasste Anrufe von Liam. Dreißig! Verdammt! Schnell rief ich zurück.
„Jamie?", fragte Liam sofort panisch.
„Ja, ich bin's", antwortete ich unsicher.
„Oh mein Gott, was ist denn los? Ich habe vor drei Stunden einen Knall gehört und du bist nicht rangegangen und-"
„Bitte sag mir, dass du die Polizei nicht angerufen hast", flehte ich ruhig, obwohl ich alles andere als ruhig war.
„Nein, wieso? Gibt es irgendwelche Gründe, warum ich das tun sollte?", fragte Liam fassungslos.
„Was? Nein. Mach dir keine Sorgen. Ich dachte nur... Ist egal. Du kannst nach Hause fahren. Ich ruf dich sofort an, wenn etwas ist, okay? Vertrau mir einfach", bat ich ihn verzweifelt.
„Jamie, du weißt, dass ich das nicht kann. Du bist schon seit fast fünf Stunden weg und ich habe keine Ahnung, was los ist. Wie soll ich mir bitte keine verdammten Sorgen machen? Ich habe Angst um dich, Jamie", jammerte Liam. Es rührte mich, wie sehr er sich kümmerte, doch es gab gerade wichtigere Sachen. Justin hatte verdammt schlimme Verletzungen. Wir alle mussten zusammen geflickt werden und wir waren nicht mal vollzählig!
Was war wenn Sean, Caden und Drake tot waren? Oder so schwer verletzt, dass sie bald sterben würden? Wenn ihnen keine Zeit mehr blieb? Und dann war da noch Jake... und Amber wurde auch angeschossen und... Verdammte Scheiße, Amber! Sie war wahrscheinlich tot! Ich hatte jetzt doch keine verfickte Zeit mit Liam zu sprechen! Ich hatte gar keine Zeit mehr für irgendetwas!
„Du musst mir vertrauen, du hast keine Wahl. Ich muss auflegen." Und schon war er weg. Oder eher ich oder, ach verdammt. Das war jetzt wirklich mehr als nur unwichtig.
Sofort rief ich Ryan an.
„Hallo?", ging er nach einer viel zu langen Zeit verschlafen an. Oh, ich hatte ihn geweckt, doch daran verschwendete ich keinen Gedanken.
„Ryan. Oh Gott, hättest du dich nicht beeilen können?", meckerte ich hektisch drauf los und ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Tut mir leid, dich zu wecken und dich angemeckert zu haben, aber du musst mir - uns helfen", ratterte ich runter und atmete meiner Meinung nach viel zu schnell.
„Was ist denn los?", fragte Ryan panisch und war plötzlich hell wach.
„Wir sind.. und du...nein deine Mutter... nein du musst... aber wir können nicht.... und deswegen-"
Okay, atmen Jamie. Atmen.
„Was?" Ryan klang total verwirrt. Verständlich.
Ich atmete kurz durch, ehe ich es erneut versuchte.
„Es gab einen Unfall. Einen Großen Unfall und es sind viele verletzt. Eigentlich alle und deswegen musst du deine Mutter anrufen, einweihen und sie hier mit einem Krankenwagen hin schicken", erklärte ich langsam, jedoch nicht so langsam, dass man es eigentlich langsam nennen konnte, also schnell, aber nicht zu schnell. Also schlangsam.
Verdammt, Jamie! Versuch' richtig zu denken! Es geht hier um Leben und Tod! Hörte sich scheiße an, war jedoch die kalte Wahrheit.
„Und wie um Gottes Willen, soll ich das deiner Meinung nach hinkriegen?", rief Ryan fassungslos. Ich atmete scharf ein.
„Schrei mich nicht an. Überrede deine Mom. Wenn sie kein Unmensch ist, wird sie das tun. Ryan, bitte. Sonst werden viele sterben." Den letzten Satz flüsterte ich, in der Hoffnung, er würde mir glauben. Es war nämlich die Wahrheit.
„Ich krieg das hin", hauchte Ryan kleinlaut.
„Ich weiß", wisperte ich.
„Ich brauche aber die Adresse", erinnerte er mich noch. Ich nickte, obwohl er es nicht sah, und lief zu Justin, welcher die Augen geschlossen hatte. Jedes Mal, wenn er das tat, bekam ich Panik.
„Justin", sagte ich ernst. Schlagartig öffnete er die Augen und sah mich verlegen an. Ihm war es peinlich Schwäche zu zeigen.
„Adresse", brachte ich nur heraus. Wenn ich ihn sah, verschlug es mir die Sprache und ich wünschte, das wäre positiv gemeint.
Justin nickte sofort und leckte sich abwartend über die Lippen. Ich beugte mich runter und hielt ihm das Telefon ans Ohr.
Justin hatte Recht. „Das wäre nicht passiert, wenn du mich nie kennengelernt hättest." Wenn ich ihn nicht kennengelernt hätte, wäre vieles nicht passiert. Ich wäre nicht von Nole bedroht worden. Meine beste Freundin wäre nicht entführt worden und wäre jetzt nicht schwer verletzt oder wahrscheinlich sogar tot. Ich wäre nicht so oft verletzt worden. Ich hätte nicht ständig Angst wegen irgendetwas oder um irgendjemanden. Ich hätte niemanden leiden sehen müssen. Und trotzdem bereute ich es nicht, in Justin reingelaufen zu sein. Seine Jacke angenommen zu haben und von ihm nach Hause gebracht worden zu sein. Ich bereute es auch nicht, ihn auf der Party wieder gesehen zu haben. Nein, ich würde jedes Mal wieder so handeln. Ich würde das alles jedes Mal wieder in Kauf nehmen.
Warum? Ich hatte keine Ahnung. Mein Leben hatte sich quasi in einen Alptraum verwandelt. Und trotzdem war ich froh, dass das alles geschah.
Ob ich verrückt war? Wahrscheinlich. Ich konnte es mir nicht anders erklären. Ich wusste nur, dass Justin einer der Gründe war, wieso ich nichts bereute. Aber ich wollte jetzt nicht zu kitschig klingen. Ich hasste kitschige Leute. Das war schon immer so.
„Jamie!", rief Justin schon fast, was mich aufschrecken ließ. Hastig sah ich zu ihm runter, blieb jedoch stumm.
„Ryan ruft seine Mom jetzt an", ließ er mich wissen. Benommen nickte ich.
„Alles okay?", fragte er stirnrunzelnd. Ich nickte, während ich mich zu ihm auf den Boden setzte.
Mutig sah ich zu seiner Hüfte. Das sah noch schlimmer aus, als ich dachte. Ich ließ meinen Blick zu seinen Beinen gleiten. Zerkratzt, zerquetscht, blutig. Nichts weiter Schlimmes. Ich musste schon fast über meine Gedanken grinsen. Nichts Schlimmes. Seine Hüfte, das war was Schlimmes. Etwas verdammt Schlimmes.
„Du bist so ein Idiot", platzte es plötzlich ruhig aus mir raus. Wieso hatte ich das gesagt? Ich hatte nicht mal etwas in der Art gedacht.
„Tut mir leid", murmelte ich sofort, ohne Justin anzusehen. Ich wollte ihn nicht verärgern. Nicht jetzt. Nicht in dieser Situation. Ich sah es ein. Ich kam mit all dem nicht klar. Es war zu viel für mich. Ich merkte sogar schon, wie ich verrückt wurde.
„Ich...Ich muss Amber finden", stammelte ich und versuchte aufzustehen, doch mein Bein machte das so langsam nicht mehr mit und ich fiel zurück. Kurz keuchte ich auf, ehe ich mir ein Mal übers Gesicht strich.
„Verdammte Scheiße", zischte ich und versuchte wieder aufzustehen, doch mein ganzes Bein durchzuckte ein unerträglicher stechender Schmerz.
Ich biss gequält die Zähne aufeinander und bewegte mich nicht. Was sollte das denn bitte? Ich schaffte es nicht mal meine Freundin zu finden oder gar erst zu suchen? Das war doch absurd.
Wieder strich ich mir übers Gesicht, doch diesmal ließ ich meine Hände dort. Ich fühlte mich schwach. Nicht körperlich schwach. Ich hatte einfach das Gefühl, als würde mir alles aus den Händen gleiten. Aber ich hatte keine Zeit mehr hier rum zu sitzen. Ich musste den anderen helfen.
Ob sie schon jemanden gefunden hatten? Keine Ahnung, aber ich konnte mich auch nicht bewegen. Ich hatte das Gefühl, das würde alles schlimmer machen. Ich brauchte jetzt jemanden. Jemanden, der mich in den Arm nahm. Liam, Taylor...Amber. Oder Justin. Aber ich traute mich nicht mit ihm zu reden. Er hatte bis jetzt nichts gesagt. Vielleicht war er sauer, weil ich ihn einen Idioten genannt hatte, oder...Vielleicht war er tot!
Blitzartig nahm ich meine Hände vom Gesicht und starrte Justin mit großen Augen an. Zu meinem Glück tat er das gleiche. Er starrte mich an. Erleichtert atmete ich aus.
„Geht's dir wirklich gut?", fragte er monoton.
Wieso musste er immer so gefühlskalt sein? Wieso konnte er nicht einfach zeigen, wie er sich fühlte? Das würde den Umgang mit ihm viel einfacher machen. Und wieso um Gotteswillen dachte ich so viel nach? Ich hatte sonst immer genug Zeit für so etwas gehabt. Wieso also genau jetzt? Okay, Jamie...Hör einfach auf zu denken.
Langsam schüttelte ich den Kopf.
„Nein", flüsterte ich kaum hörbar.
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