16. „Du bist ein Monster!"
J A M I E
Er schloss kurz seine Augen und atmete tief ein, ehe er die sie wieder öffnete.
„Frag mich nie wieder etwas über meine Vergangenheit."
Ich schluckte. Vier Jahre. Da war er gerade mal 15. Wer wollte denn so eine Kindheit haben? Ich wollte mehr darüber wissen, aber er redete anscheinend nicht gerne darüber.
Eine kurze Stille folgte.
„Ich muss Montag zur Schule. Wie soll ich da hinkommen?", fragte ich Justin dann.
„Ich weiß nicht. Schwänz doch einfach", schlug er vor.
„Ich habe die letzten drei Tage schon geschwänzt", erklärte ich.
„Dann weiß ich auch nicht. Hast du keinen Führerschein?", wollte er wissen.
„Nein", erwiderte ich.
„Oh", gab Justin von sich. „Lass uns da morgen drüber reden."
„Na gut", seufzte ich.
„Ähm... und wegen meiner Mom... Wir haben noch zwei Wochen, um das Geld zu besorgen", erinnerte ich ihn leise.
„Mach dir keine Sorgen. Wir schaffen das", sprach mir Justin Mut zu. Ich lächelte leicht. Es war wirklich komisch ihn so zu erleben.
„Wie willst du das Geld denn besorgen?", wollte ich wissen. Justin schwieg.
„Justin?", fragte ich nach.
„Was denkst du denn?", stellte er die Gegenfrage.
„Ich weiß nicht", gab ich zu. Justin blieb eine Weile still.
„Kennst du das Red Ocean Casino?", fragte er dann.
„Ja, da arbeitet eine Freundin von mir." Da arbeitete Caitlin Gilmore. Ich hatte sie kennengelernt, als ich und Liam mal in diesem Casino waren. Ich war gerade mal fünfzehn und er siebzehn.
„Lass uns heute etwas neues tun", schlug Liam vor.
„Was denn?", fragte ich und spielte gelangweilt mit einer Haarsträhne, während wir beide auf seinem Bett saßen.
„Es hat ein neues Casino aufgemacht. Wir könnten darein", erklärte er. Ich sah ihn etwas irritiert an.
„Ein Casino? Darf man da nicht erst mit einundzwanzig rein?", meinte ich und runzelte die Stirn.
„Dann brezeln wir uns eben etwas auf", entgegnete er lässig.
„Meinst du das ernst?", lachte ich ungläubig.
„Wieso nicht?", wollte er wissen.
„Wir sehen nicht annähernd wie einundzwanzig aus", stellte ich fest.
„Das können wir ändern", grinste er.
Nach einer halben Stunde des Aufbrezelns, sahen wir um einiges älter aus. Ich hatte High Heels und ein sexy Kleid an. Er trug einen Anzug.
„Wir sehen sowas von erwachsen aus", staunte ich vor dem Spiegel.
„Dann lass uns gehen."
„Die Türsteher machen mir Angst", flüsterte ich Liam zu, als wir angekommen waren.
„Du schaffst das", sprach er mir Mut zu.
Ich atmete tief durch und lief mit Liam auf das Casino zu. Zuerst sahen sie uns skeptisch an, ließen uns jedoch hinein. Ich staunte. Es gab hier Spielautomaten und, wie ich las, auch Zimmer zum vermieten. Es war ein sehr großes Gebäude. Außerdem gab es hier auch einen Raum, wo man tanzen konnte und einen Speisesaal.
„Lass uns tanzen", schlug ich begeistert vor. Liam grinste auf mich hinab.
„Na gut, Kleines."
Und schon zog ich ihn auf die Tanzfläche. Als ich auch mit meinen Armen tanzte, stieß ich damit plötzlich gegen jemanden. Erschrocken drehte ich mich um und sah ein hübsches Mädchen. Ihr Notizblock lag auf dem Boden. Sofort bückte ich mich und hob ihn auf.
„Tut mir leid", entschuldigte ich mich.
„Kein Problem", wimmelte sie lächelnd ab und nahm mir den Block aus der Hand.
„Ich habe dich hier noch nie gesehen. Bist du öfters hier?", fragte sie etwas irritiert.
„Nein. Ich bin das erste Mal hier. Ich bin Jamie Jones", stellte ich mich lächelnd vor.
„Caitlin Gilmore. Ich arbeite hier", gab sie zurück.
„Du arbeitest hier? Du siehst so jung aus", stellte ich erstaunt fest. Jetzt stellte sich auch Liam neben mich.
„Hey, bin Liam Montgomery", stellte er sich nun auch vor.
„Caitlin Gilmore", lächelte sie zurück. Dann wand sie sich wieder an mich. „Ich bin achtzehn und habe vor kurzem erst angefangen. Ich brauchte diesen Job, um endlich bei meinen Eltern ausziehen zu können."
„Als was arbeitest du hier denn?", wollte Liam neugierig wissen.
„Ähm, als Kellnerin", gab sie leise zu.
„Das ist doch okay. Immerhin tust du das, um deine eigene Wohnung zu finanzieren. Das ist toll. Bist du schon ausgezogen?" Liam war auf einmal total interessiert. Caitlin lachte etwas.
„Ja. Bis ich genug Geld für die Anzahlung habe, wohne ich hier. Ich habe angestellten Rabatt", entgegnete sie.
Der Tag war wirklich schön gewesen und ich und Liam hatten immer Kontakt mit ihr gehalten. Ich hatte immer gehofft, dass zwischen Liam und ihr endlich etwas laufen würde. Sie beide mochten sich sehr, doch dann musste Liam wegziehen.
„Jamie?", fragte Justin laut. Ich sah ihn an.
„Was ist los?", wollte er vorsichtig wissen. „Du hast Tränen in den Augen." Oh Shit.
„Ja, weil ich müde bin", redete ich mich raus.
„Also, was ist mit dem Casino?", wollte ich dann wissen.
„Wir werden es überfallen", verriet mir Justin. Ich riss meine Augen auf.
„Ihr werdet was?", rief ich leise und setzte mich auf. Justin setzte sich auch auf.
„Überrascht dich das?", wollte er etwas irritiert wissen.
„Nein", bemerkte ich. „Es ist nur..." Ich brach ab, weil ich kein passendes Wort fand. Justin sah mich abwartend an.
„Ungewohnt so etwas zu hören", beendete ich meinen Satz. Justin sah kurz runter, nickte und sah wieder hoch.
„Habt ihr vor jemanden zu töten?", wollte ich vorsichtig wissen. Justin wand seinen Blick ab. Das war doch nicht sein ernst. Ich hatte ihm doch gerade erzählt, dass ich dort eine Freundin hatte. Sie war zwar nicht meine beste Freundin, aber musste ich denn alle verlieren?
„Du wirst Caitlin aber nicht umbringen, oder?" Ich sah ihn mit großen Augen an.
„Wer ist Caitlin?", fragte Justin völlig verwirrt und zog seine Augenbrauen zusammen, bis sie sich in der Mitte trafen.
„Meine Freundin, die im Casino arbeitet", erklärte ich.
„Wir müssen nur an die Kohle kommen. Wir töten die, die uns in den Weg kommen", meinte Justin ernst.
Ich starrte ihn an. Wie kalt konnte man sein? Er wollte unschuldige Menschen töten, nur um an's Geld zu kommen? Das war ja sowas von egoistisch. Auch wenn ein Teil des Geldes für mich war, war das nicht in Ordnung. Das war krank.
„Du kannst doch nicht einfach Menschen töten!", rief ich entsetzt. Justin stand auf und sah wütend auf mich herab.
„Kann ich nicht? Das sehe ich anders", konterte er.
„Du bist ein Monster!", brüllte ich und stand ebenfalls auf. Ich wollte zur Tür, doch er versperrte mir den Weg.
„Verdammt, Justin, lass mich raus!", schrie ich.
„Was hast du zu mir gesagt, du Hure?", wisperte er.
„Hure?", schrie ich ihn an. „Geh doch zu deiner Hure und fick sie, aber nenn mich verdammt noch mal nicht Hure!" Ich war so wütend. Wie konnte er mich eine Hure nennen? Er kannte mich nicht gut genug, um so etwas zu sagen.
„Wann ich mit wem ficke, interessiert dich ein Dreck!", brüllte er und atmete schnell.
„Was ist dein Problem? Ich versuche nur das Geld für deine beschissene Mutter aufzutreiben! Sei Mal dankbar!", schrie er dann.
„Erstens ist meine Mutter nicht beschissen und zweitens: Wie zur Hölle soll ich dankbar sein, wenn du vor hast, Menschen zu töten? Denk nach bevor du redest!", entgegnete ich brüllend.
„Dann wird es dir wohl nicht gefallen, wenn ich dir sage, dass das für mich normal ist. Du hast keine Ahnung, wie ich und die anderen Jungs leben. Wir leben nicht in so einer perfekten Welt wie du. Dan hat genau wie Tryson einen Bruder, aber Dans Bruder wird von der Polizei gesucht. Schon mal was von Miles Taylor gehört?", schnauzte Justin. Ich hatte schon viel von Miles Taylor gehört. Er war oft in den Nachrichten, hatte schon viele Menschen getötet, um an Geld zu kommen und war in ganz Atlanta bekannt. Und das war Dans Bruder?
„Ich lebe nicht in einer perfekten Welt!", schrie ich.
„Weil dein Vater gestorben ist? Trysons Familie versucht ihn in den Knast zu stecken. Sie würden ihn töten", keifte Justin verständnislos. „Denkst du, dass du Mitleid verdienst? Vielen von uns ist weit aus schlimmeres passiert. Du bist erbärmlich. Während du über deine Fingernägel klagst, müssen wir aufpassen nicht eingebuchtet zu werden."
„Ich hab nie um Mitleid gebeten", wisperte ich und schluckte. Justin sah mir kalt in die Augen. Er sah wirklich sauer aus.
Wortlos verließ er den Raum und schlug im Flur gegen die Wand. Ich ließ mich an der Wand hinunter gleiten. Warum konnten wir nie vernünftig reden? Ich hatte heute gemerkt, dass er wirklich nett und sogar süß sein konnte, warum mussten wir uns immer streiten? Warum konnten wir nicht einfach miteinander auskommen, bis ich wieder nach Hause konnte? Ich würde im Moment lieber in einem billigen Motel leben, als hier, obwohl ich die Jungs mochte.
Ich kam einfach nicht mit Justin klar. Es war manchmal wirklich schön in seiner Nähe zu sein, aber die meiste Zeit wollte ich einfach nur weg von ihm. Doch jetzt hatte ich Schuldgefühle. Es war klar, dass ich es nicht schön fand, was er tat, aber deswegen den Moment zu zerstören war nicht das, was ich wollte.
Ich stand auf und raufte mir die Haare. Seit ich Justin kennengelernt habe, war mein Leben weitaus komplizierter.
Plötzlich kam er wieder in den Raum gestürmt, kam zu mir, packte mich an der Hüfte und schneller als ich es realisieren konnte, lagen seine Lippen fordernd auf meinen und ich war mir sicher, dass mich in meinem ganzen Leben noch nie jemand so geküsst hatte, wie er im jetzigen Moment.
Überrumpelt tat ich erst mal gar nichts. Dann hob Justin meine Arme und legte sie um seinen Hals. Seine Lippen auf meinen fühlten sich wunderschön an. Ich verfestigte den Griff um seinen Hals und erwiderte den Kuss.
Wir massierten unsere Lippen gegenseitig und es fühlte sich in mir an, als wäre das, was ich gerade tat, etwas, was ich schon lange tun wollte.
Justin zog mich an den Hüften noch näher zu sich, und da er mir nun noch näher war als ohnehin schon, wurde ich fast wie von alleine nach hinten gedrückt. Er presste seinen muskulösen Körper gegen meinen und ich stöhnte in den Kuss hinein. Verlangend strich Justin mit seiner Zunge über meine Unterlippe.
Nach kurzem Zögern öffnete ich meinen Mund einen Spalt und fast schon drängend schob mir Justin seine Zunge in den Mund und erkundete ihn. Ich zog ihm an den Haarspitzen, was ihm ein leises Knurren entlockte, wodurch alles in mir vibrierte. Unsere Zungen kämpften um die Dominanz und lieferten sich ein heißes Spiel.
Alles geschah in so einem Rauschzustand, dass ich die kleinsten Dinge nicht wahrnahm und ich absolut keine Kontrolle über meine Handlungen besaß.
Plötzlich hob mich Justin ohne den Kuss zu unterbrechen hoch, weshalb ich ihm fast in die Zunge gebissen hatte. Schnell schlang ich meine Beine um seine Hüfte und presste mich an ihn, was ihn aufstöhnte ließ. Mit schnellen Bewegungen setzte er mich auf seiner Kommode ab und presste sich noch mehr an mich, was uns beide keuchen ließ. Ich verwuschelte ihm sein Haar und löste mich kurz von ihm, um Luft zu holen, aber schon presste er seine Lippen wieder auf meine. Leidenschaftlich kämpften unsere Zungen wieder miteinander.
Meine Gedanken sowie mein Verstand waren im Moment total abgeschaltet.
Seine Lippen verließen langsam meine und wanderten sanft abwärts zu meinem Hals und meinem Schlüsselbein, welches er beides unregelmäßig zu küssen begann. Dann strich er ein paar Mal mit seiner Zunge darüber, bevor er sich dort festsaugte. Damit entlockte er mir ein leichtes Aufseufzen und ich fuhr mit meinen Fingerspitzen zärtlich über seinen Oberkörper.
Das alles war so großartig, dass ein leises Stöhnen seines Namens meine Lippen verließ. Fast zeitgleich trat ein weiteres Geräusch ein, welches von seinem Handy verursacht wurde. Unsere Blicke wichen gleichzeitig zu dem Störfaktor und schließlich war er derjenige, der murmelnd „Ist egal", sagte und seine Lippen wieder gegen meine drückte. Wenn so etwas von ihm kam, dann konnte es wirklich nur egal sein.
Wer auch immer beschlossen hatte uns zu stören, gab wenige Sekunden später wieder auf, wodurch wieder nur er und ich relevant waren.
Erleichtert fuhr er bei seiner vorhin begonnenen Arbeit fort und drückte sich noch fester an mich.
Genau in dem Moment klingelte sein Handy erneut, was ein gleichzeitiges genervtes Aufstöhnen von uns auslöste.
Justin knurrte, ließ von mir ab und sah mir in die Augen. Dann hob er mich hoch und stellte mich wieder auf dem Boden ab.
Wieder sah er kurz zu mir, als hätte er Angst, ich würde wegrennen, und verließ den Raum um zu telefonieren.
A/N: Ich habe das Kapitel gestern so enthusiastisch geschrieben, dass ich es euch nicht länger vorenthalten wollte. Ich hoffe, dass ihr euch freut, weil es endlich passiert ist. Sie haben es hingekriegt.
Fuck, ich bin gerade selber so glücklich und es fühlt sich so merkwürdig an, dass sie sich geküsst haben, man könnte denken, ich bin gerade selber Jamie.
Wie dem auch sei, ich hoffe wirklich, dass euch das Kapitel auch glücklich gemacht hat und ansonsten wünsche ich euch noch einen schönen Sonntag. Den ich höchstwahrscheinlich damit verbringen werde weiterzuschreiben.
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