54| Chaos der Gefühle

Der geheimnisvolle Junge mit den stechend blauen Augen, der die Hand nach dir ausstreckt.
Dich von der Schrecklichkeit der Realität befreit und in eine neue Welt; in ein Abenteuer leitet.

~ D. C.

~~

LIAM

Den Kopf freibekommen, die Fähigkeiten verbessern und die unerwünschten Fragen loswerden, die seit Sonnenaufgang wie ein wütender Bienenschwarm in meinem Kopf umherkreisen - das beste Heilmittel nach einer anstrengenden Nacht ist Training.

„Komm schon, Private!", ziehe ich mein Gegenüber auf und ducke mich unter einem der kraftvollen Hiebe hinweg, die Dylan nun schon seit Minuten unermüdlich austeilt. Auf dem Gesicht meines Betas glitzert bereits ein dünner Schweißfilm; seine Augenbrauen sind konzentriert zusammengezogen, während er die zwei glatten Holzstäbe in seinen Händen kreisen lässt.

Noch wirkt er ruhig. Einzig und allein die pulsierende Ader auf seiner Stirn verrät mir, dass er nicht gerade Fan seines Spitznamens ist. Auch nach so vielen Jahren mag Dylan nicht an seine Zeit als Soldat im zweiten Weltkrieg erinnert werden.

„Ein bisschen Tempo!" Lautlos schnelle ich vor, um eine Reihe an schnellen Hieben auszuteilen. „Selbst meine runzelige Großmutter könnte deine labbrigen Schläge mit ihrem Rollator parieren!"

Wieder ein Funken, der auf das Pulverfass im Inneren meines Freundes geworfen wird. Wann er explodiert ist nur eine Frage der Zeit.

„Du hast nicht mal eine", zischt Dylan mir zwischen zusammengebissenen Zähnen zu, gleichzeitig damit beschäftigt meine Schläge abzuwehren und mit dem Fuß nach meiner Kniekehle zu treten.

Ich weiche aus und umklammere den Griff der einfachen Escrima Stöcke ein wenig fester. Das blank polierte Holz schmiegt sich auf vertraute Art und Weise in meine Handflächen.

„Deine Großmutter ist seit Jahrhunderten tot!"

„Ein Grund mehr, besser zu sein als die sterblichen Überreste einer alten Lady", stelle ich nüchtern fest. Grimmige Genugtuung macht macht sich in mir breit, als ich bemerke, dass Dylans Bewegungen schneller werden.

„Stell dir vor, ich wäre irgendjemand, den du nicht ausstehen kannst." In den meisten Fällen ist es ein fataler Fehler, sich von seiner Wut leiten zu lassen. Dylan jedoch schafft es eigenartigerweise, besser zu sein, wenn er stinkig ist. Stärker, schneller, wendiger. Wie eine eingerostete Maschine, die erst mit dem richtigen Treibstoff in Fahrt kommt.

„Sind eigentlich alle deine Tricks so alt wie deine toten Verwandten?", erkundigt mein Kampfpartner sich spitzzüngig. Er deutet einen Schlag auf meinen Kopf an, wirbelt dann aber herum und versetzt mir einen hieb gegen mein Knie, dem ich gerade noch so durch einen Sprung entkommen kann.

Innerlich meinen Reflexen dankend hole ich aus, ziehe gleichzeitig meinen rechten Fuß über den nadelbedeckten Waldboden und schaffe es, meinem Gegenüber, der nur auf die wirbelnden Stöcke in meiner Hand geachtet hat, die Beine unter dem Körper wegzuziehen.

„Ein wütender Ranger, der uns zufällig im Wald entdeckt...", fahre ich ungerührt fort und schreite auf Dylan zu, der erst genügend Abstand zwischen uns bringt, um dann wieder auf die Beine zu kommen. „...Ein amateurhafter Werwolfjäger..."

Die Augen des schwarzhaarigen Werwolfs verengen sich zu Schlitzen. „...Kalie..."

Die Erwähnung ihres Namens bringt mich einen Herzschlag lang außer Fassung, sodass ich den plötzlichen Angriff meines Betas nur mit Mühe abwehren kann. Mit einem lauten Klackern trifft Holz auf Holz. Dylans Bewegungen sind nur noch als verschwommene Schlieren in der Luft zu erkennen, so sehr hat er sein Tempo gesteigert, was mich unweigerlich in die Defensive drängt.

„Genau...", lache ich trocken auf, nachdem ich mir sicher bin, die Kontrolle in unserem Übungskampf einigermaßen zurückgewonnen zu haben. „Oder nimm das erstbeste, plumpe Beispiel, das dir in den Sinn kommt."

„Wieso?" Dylans Züge verhärten sich. Ein kaltes Lodern, das ich bisher nur selten gesehen habe, tritt in seine stahlgrauen Augen. „Hast du was dagegen, dass ich sie am liebsten in ein Paket stecken und nach Afrika verschiffen lassen würde?"

Ich pariere seinen Hieb; spüre wie die Vibration seiner Wut von meinem Stock bis in meine Knochen hallt. Warum auch immer passt mir die Richtung nicht, die unser Gespräch einschlägt. Und die Tatsache, das er mich langsam aber sicher zurückdrängt noch weniger.

„Stört es dich, dass ich sie in dieser Nacht gerne noch etwas länger da unten im kalten Loch hätte versauern lassen? Und zwar ohne Kissen oder auch nur den Zipfel einer warmen Decke?" Dylans Gesicht hat einen lauernden Ausdruck angenommen, während seine Lippen von einem raubtierhaften Lächeln geteilt werden.

Irgendetwas in mir brennt durch. Etwas, das mich innehalten, die Hacken in den Boden graben und ausholen lässt. Ein hässliches Knirschen zuckt durch meine Ohren, als ich den Angriffen meines Betas ein abruptes Ende bereite, indem ich beide seiner Waffen gleichzeitig mit den Meinen blockiere.

Atemlos, jedoch nicht weniger erhitzt als mein Gegenüber starre ich in Dylans wutverzerrtes Gesicht. Sein warmer Atem trifft auf die feinen Schweißperlen, die mein Kinn herunterrinnen.

„Warum sollte es das?" Meine Stimme ist ruhig, aber gleichzeitig messerscharf. „Warum sollte deine Meinung über das McCartney Mädchen einen Einfluss auf mich haben?"

Der schwarzhaarige Werwolf schnaubt. Einzelne Haarsträhnen kleben ihm auf der Stirn, die sich farbtechnisch der Haut einer Tomate angepasst hat. Vermutlich sehe ich selbst nicht anders aus.

„Ich weiß auch nicht..." Die Augen meines Freundes sind wie zwei Nadeln, welche sich in ungewohnter Heftigkeit in meine Seele bohren. „Vielleicht weil sie einen Großteil deiner Gehirnzellen mit ihren ach so unschuldigen, grünen Augen hat absterben lassen?"

Er macht Anstalten unseren Kampf wieder aufzunehmen, doch ich blockiere ihn weiterhin verbissen. Halte seine Stöcke mit meinen gefangen.

„Oder warum hast du sie überhaupt in unser Rudelhaus gebracht?" Jeglicher Muskel in seiner Kieferpartie verspannt sich, nachdem diese Worte seine Lippen verlassen haben. „Der Liam, den ich kenne, verschenkt keine Gefallen. Und schon gar nicht an seine ärgsten Feinde", spuckt er mir mit so viel Abscheu entgegen, dass ich innerlich ins Straucheln gerate.

Für den Bruchteil einer Sekunde lockert sich mein Griff um die beiden Waffen in meinen Händen. Ein Augenblick, den Dylan sogleich ausnutzt, um mir einen harten Schlag in die Halsbeuge zu verpassen.

Das unnachgiebige Material des Stockes trifft hart auf weichen Muskel und erzeugt einen dumpfen Schmerz, der mich einen Augenblick lang vergessen lässt, wer mein Gegenüber ist.

Dylan. Seit Jahren mein bester Freund und engster vertrauter.

Ohne darauf zu achten ob er meine Schläge abwehren kann, lasse ich die Escrima Stöcke durch die Luft wirbeln; teile einen zornigen Hieb nach dem anderen aus. Ob ich meine Entscheidung aus der Vollmondnacht, oder das kratzbürstige, schwarzhaarige Mädchen dabei verteidige, kann ich nicht genau sagen.

„Ich habe nichts verschenkt!", knurre ich Dylan entgegen, nachdem ein gezielter Treffer auf seinen Fingerknöcheln bewirkt hat, dass er eine seiner Waffen loslassen musste. Eine eigenartige Hitze hat von mir Besitz ergriffen und lässt mich dünnhäutig werden, sobald von Jeffreys Nichte die Rede ist.

„Unser Haus ist weit genug vom Anwesen der McCartneys entfernt - sie hat keine Ahnung, wo ich sie hingebracht habe, oder kennt auch nur drei Schritte des Weges!"

Ich lasse meine Holzstäbe fallen; meine Finger finden ihren Weg zu Dylans Handgelenk, welches sie unsanft verdrehen. Keuchend schaut mein Freund zu mir auf, kann jedoch nicht verhindern, dass ich ihn entwaffne.

„Was in dieser Nacht passiert ist, läuft auf meine Verantwortung. Es ist meine Entscheidung gewesen - und nur weil du den Hintergrund dazu nicht kennst, heißt das noch lange nicht, dass du die Handlungen deines Alphas infrage stellen darfst, Dylan Crawfield!"

Nun ist es mein Blick, der sich herausfordernd in den des Schwarzhaarigen bohrt. Er ist beherrschend und kompromisslos, genau wie meine Finger, welche die Handgelenke meines Gegenübers fest umklammert halten.

Die Entschiedenheit, mit der ich darüber hinwegtäusche, dass ich in Wirklichkeit keine Erklärung für meine unerwartete Schwäche Kalie gegenüber habe, beeindruckt mich beinahe selber.

Erst funkelt mein Beta mich zornig an, unterbricht jedoch den Blickkontakt nach wenigen Sekunden, als er es nicht mehr aushält. Die Hitze in meinem Inneren versiegt; der tobende Sturm der Wut verflüchtigt sich allmählich Stück für Stück.

Nachdenklich lockere ich meinen Griff und mustere meinen Freund, dessen undefinierbarer Blick weiterhin wie gebannt auf meinem Gesicht haftet.

Die Position des Alphas ist eine Karte der Macht, die ich nicht gerne ausspiele. Schon gar nicht meinen Freunden gegenüber.

Doch etwas an Dylans Worten, eine Kleinigkeit in seinem Unterton, haben ein eigenartiges Gefühl in mir hochkochen lassen, das innerhalb von Sekunden durch jede Zelle meines Körpers getobt ist. Unfähig mir eine genauere Erklärung zu liefern, fahre ich mir mit der Hand über den Hinterkopf, auf dem die Haare bereits schweißgetränkt sind.

„Belassen wir es dabei." Der Kopf des Betas schnellt hoch. In seinen Augen schimmert ein Ausdruck, der mich entfernt an ein verletztes Tier erinnert.

„Falls es zwischen mir und Kalie etwas zu klären gab, haben wir das bereits getan. Darüber hinaus geht das aber eh nur uns zwei was an, ok-"

Ich komme nicht dazu, meinen Satz zu beenden, da jegliche Luft ruckartig aus meinem Brustkorb gepresst wird, als mich eine Faust hart in den Bauch trifft. Ich taumele zurück und sehe gerade noch, wie Dylan sich verwandelt.

Ein kräftiger, nachtschwarzer Wolf springt mit großen Schritten auf mich zu, einen wilden Ausdruck in den Augen. Es ist als hätte Dylan vollends die Kontrolle verloren. Sich von Gefühlen überwältigen lassen, die mir gänzlich unbekannt sind.

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen, fixiere den heranstürmenden Wolf und weiche ihm im letzten Augenblick aus. Keine Ahnung ob Dylan insgeheim auf meine Fähigkeiten setzt, oder was er getan hätte, wenn ich nicht zur Seite gesprungen wäre.

Ein einziger Gedanke an meine Wolfsgestalt reicht aus, um meinen Körper mit dem vertrauten Kribbeln der Verwandlung zu erfüllen. Dank jahrelanger Übung bis zur Perfektion verschieben meine Knochen sich reibungslos innerhalb weniger Sekunden, während mein Äußeres eine andere Gestalt annimmt.

Ich grabe meine Krallen in den weichen Boden, schmecke das intensive Aroma des Tannenharzes auf der Zunge und höre die keuchenden Atemzüge meines Gegenübers. Den Kopf ehrfuchtgebietend erhoben, die Lefzen zu einem tiefen Knurren zurückgezogen und die Augen wachsam auf meinen Gegner gerichtet, beschließe ich, ihm möglichst nicht wehzutun.

Dann stürze ich mich auf Dylan.

Krallenbesetzte Pranken schnellen durch die Luft, erbostes Heulen hallt durch das dicht bewaldete Tannendickicht, einzelne Fellfetzen trudeln sanft wie Federn durch die Luft, bis sie auf dem weichen Moos landen, das sich auf der kleinen Trainingslichtung ausgebreitet hat. Meine Sinne sind hellwach und vollkommen auf den schwarzen Wolf vor mir fokussiert, während die Welt um mich herum in den Hintergrund rückt.

Ich versuche Dylan von den Pfoten zu stoßen, versetze ihm einen Schlag gegen den Kopf, wobei ich meine Pranke so neige, dass die scharfen Krallen an dessen Ende kaum einen Schaden auf der von dichtem Pelz geschützten Haut meines Gegenübers anrichten. Er taumelt, denkt aber nicht einmal ans Aufgeben, sondern setzt zu einem weiteren Angriff an. Zielt auf meinen Nacken; will sich in meinem Hals festbeißen und mich zu Boden zwingen.

„Jungs! Hört sofort mit der Scheiße auf!"

Ein alarmierter Ruf befreit uns aus dem eigenartigen Kampf, dessen Bewegungen immer wieder unter unsicherem Zögern und neu entfachtem Zorn umhergeschwankt sind. Ich halte inne; entkomme der Blase aus Adrenalin, Konzentration und heißer Verärgerung, die mich und meinen Kampfpartner eingehüllt hat.

In wenigen Metern entdecke ich Jennie mit verständnisloser Miene auf uns zueilen. Ihr Anblick bringt mich wieder in die Realität. Ich trete zurück und mein Blick heftet sich auf Dylan, dessen atemloses Keuchen neben dem eigenen Herzschlag in meinen Ohren widerhallt.

„Berichtigt mich gerne, aber von weitem sah euer Gerangel nicht gerade nach einem Trainingskampf aus..." Die kleine Werwölfin bückt sich nach einem Büschel schwarzen Fells, das sie anklagend vor meinen Augen hin und her schwenkt. Die andere Hand stemmt sie vorwurfsvoll in die Seite.

„Was war los?"

Wie in Trance starre ich auf die einzelnen Haare, welche sich aus Dylans ehemaligen Pelz lösen und von einer leichten Brise erfasst werden.

Was war los?

Eine gute Frage.

Wie ein kurzer Film spiele ich die vergangenen fünf Minuten vor meinem inneren Auge ab. Unser Training, Dylans Bemerkung und meine Gereiztheit. Dann sein unerwarteter Angriff nach meiner Bemerkung.

Nichts. Nur ein etwas ernsteres Training", schicke ich meine Antwort direkt in die Köpfe der Umstehenden, wobei meine Augen kurz zu Dylan zucken. Der Wolf mit dem dichten, pechschwarzen Fell sieht mich nicht an. Er wirkt seltsam ruhig und in sich gekehrt.

Ab und zu ist es einfach besser, in reelleren Umständen zu trainieren - schließlich sprechen wir uns im Ernstfall ja auch nicht ab, oder ziehen die Krallen ein."

Jennie presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, nickt jedoch kommentarlos. „Aha. Dann kommt mal mit. Wir haben ein paar wichtige Neuigkeiten bekommen."

Der Weg zurück zum Rudelhaus wird von Beklommenheit begleitet. Jennie stapft zielstrebig voraus, Dylan trottet ihr schweigend hinterher und ich folge den beiden auf etwas Abstand, den Kopf immer noch bei unserer Auseinandersetzung - oder genauer genommen dem dringlichen Brennen, das von einer Sekunde zur anderen in meinem Brustkorb aufgestiegen ist, sobald mein Beta ein schlechtes Wort über Kalie McCartney verloren hat.

Meine Gedanken wandern zum heutigen Morgen, an dem ich meinen unfreiwilligen Gast am Anwesen der McCartneys abgesetzt habe. Zu ihrer überraschenden Entschuldigung, die ich mit harten Worten zerschmettern musste, nur um es hinterher doch nicht auszuhalten und ihr heimlich zu folgen, wie ein kranker Stalker.

Selbst die Erinnerung an die darauffolgende Szene - das hübsche, einfühlsame Mädchen in den Armen eines oberkörperfreien Typen - reicht aus, um ein verlockendes Kribbeln in meine Pfoten fahren zu lassen. Und auch wenn jene Empfindung nur ein Echo von damals ist, bin ich nicht minder schockiert von dem urplötzlichen Verlangen, das mich dazu drängt diesen blonden möchtegern-Gutmenschen zu finden und ihm höflich klarzumachen, dass er gefälligst seine Finger von ihr lassen soll.

Gerne auch mit Krallen und Zähnen als kleinen Denkanstoß.

Mit einem unwilligen Knurren schüttele ich einzelne trockene Nadeln, und mit ihnen auch die lästigen Erinnerungen ab.

Allem Anschein nach ist die Mateverbindung stärker, als ich es für möglich gehalten hätte. Streckt immer wieder verheißungsvoll ihre Fühler nach mir aus und ruckelt an meinem Schutzpanzer aus Emotionslosigkeit und Kälte.

Ich werde im Kampf gegen den Willen der Mondgöttin in die Knie gezwungen; bewege mich immer weiter auf den imaginären Abgrund, links und recht von dem vorhergesehenen Weg zu. Mein Instinkt rät mir, Kalie zu verteidigen - egal gegen wen.

Doch das erklärt noch lange nicht, warum Dylan dermaßen allergisch auf meine Beziehung zu ihr reagiert.

Wieder landet mein Blick auf der dunklen Gestalt weiter vorne, die gerade neben Jennie durch das widerspenstige Nadelgestrüpp schlüpft, welches die große Waldfläche dahinter wie ein schützender Ring umgibt.

Der schwarzhaarige Werwolf hatte schon immer eine gewisse Abneigung gegenüber Veränderungen. Und zusammen mit seinem Hitzkopf hat dieser Umstand heute wohl eine explosive Mischung ergeben.

Wir erreichen das marode Haus und die braunhaarige Werwölfin verschwindet kurz, um neue Kleidungsstücke für uns zu holen. Der enorme Verschleiß von Klamotten ist bedauerliche die Konsequenz, die ungeplante Verwandlungen mit sich bringen.

„Zieht euch um und haltet euch fest", empfiehlt sie uns mit ernstem Blick und pustet sich gestresst eine hell gefärbte Strähne aus dem Gesicht, die aus der komplizierten Flechtfrisur an ihrer rechten Kopfhälfte gesprungen ist. Warum auch immer flechtet Jennie ihre Haare stets einseitig in einem seitlichen Zopf zurück. Auf der anderen Seite kitzeln offene Strähnen den beigen Stoff ihrer ausgefransten Jeansjacke.

Eine kurze Jogginghose wird in meine Richtung geworfen, die ich geschickt mit dem Maul auffange.

Werwölfe sind generell nicht so verklemmt. Wir sehen uns oft ohne Kleidung, einfach weil sich Nacktheit bei regelmäßigen Verwandlungen nun mal nicht vermeiden lässt, aber dennoch bringe ich einen respektvollen Abstand zwischen mich und die anderen, bevor ich die Gestalt wechsele.

Jennie scheint mit jeder verstreichenden Sekunde stärker unter Strom zu stehen. Unruhig scharrt sie mit den Hacken Löcher in den Waldboden und beobachtet mit verschränkten Armen, wie Dylan und ich näher kommen.

Einen Herzschlag lang liegen ihre Augen auf einer dünnen Schramme, die sich quer über Dylans Oberkörper spannt, doch im Gegensatz zu den meisten anderen Mädchen lassen zwei durchtrainierte, halb nackte Körper nicht einmal ein einziges Blutplättchen hoch in ihre Wangen schießen. Dazu haben Dylan und ich wohl entschieden zu wenig weibliche Kurven.

„Als ihr weg wart haben wir Besucht bekommen." Mit grimmiger Miene deutet die kleinere Wölfin auf eine Stelle im Wald, an der ich schemenhaft eine bekannte Gestalt im Schatten zweier Tannen ausmachen kann. Mein Lieblingsinformant hebt lässig eine Hand zum Gruß.

„Und das, was unsere Informationsquelle zu berichten hat, wird euch nicht gefallen." Die Stirn in Falten gelegt verschränke ich meine Arme vor der Brust und starre zu unserem Spion hinüber, als könne allein der Anblick dieser Person die gesuchte Antwort liefern.

„Das hier ist kein TV Drama, Jennie." Ungeduld kriecht meine Wirbelsäule hinauf, während mein Blick abwartend über alle Anwesenden streift. „Spar dir deine Kunstpause und rück mit den Neuigkeiten raus."

Kurz erwarte ich Dylans Unterstützung in Form eines ungeduldigen Kommentars aus dem Hintergrund, doch er kommt nicht. Seit unserer Auseinandersetzung ist mein Beta ungewöhnlich still.

Jennie schluckt schwer und sieht mich an, als fürchte sie sich vor meiner Reaktion. „Ein junger Werwolf aus dem McCartney Rudel wurde in der Vollmondnacht hinterrücks ermordet. Sauberer Genickbruch."

„Und was hat das mit uns zu tun?" Im Prinzip ahne ich die Antwort auf meine eigene Frage bereits.

„Sie geben uns die Schuld für seinen Tod", bestätigt Jennie die böse Vorahnung, die sich wie ein dunkler Nebel in meine Gedanken gestohlen hat. Der Blick, mit dem sie mich betrachtet, gefällt mir nicht.

„Einzelne Fetzen deiner Sachen wurden in der Nähe der Leiche gefunden, Liam. Damit bist du für sie eindeutig als Mörder identifiziert worden."

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A/N:

Ein Lied für denjenigen, der von unerfüllten Hoffnungen erdrückt wird.

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https://youtu.be/HkMxTX8voFY

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Und eins für denjenigen, der verloren ist. Zwischen Zuneigung und Plficht. Versuchung und Entschlossenheit. Hoffnung und Furcht vor Enttäuschung.

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https://youtu.be/BlM8UeR2BlM

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Zwei wunderschöne Songs, die ich gerne mit euch teilen möchte. <3

Wie fandet ihr das Kapitel?

Was haltet ihr von den Liedern?

Und glaubt ihr, Liam könnte tatsächlich etwas mit Timmys Tod zu tun gehabt haben? O.o

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