Totes Meer
Tiefe dunkle Wolken ziehen am Himmel auf und die einst so ruhige Meeresoberfläche ist plötzlich überzogen mit meterhohen Brechern. Verzweifelt versucht mein Partner Kevin unser Segelschiff, die „Gottes Gnade“, irgendwie vorm Kentern zu bewahren, während ich versuche, unser Segel zu retten. „TORBEN! PASS AUF!“, höre ich Kevin plötzlich schreien. Erschrocken kralle ich mich am Mast fest, als auch schon eine Riesenwelle unsere Tempest überrollt. Wie durch ein Wunder bleiben wir und unser Boot dort, wo wir hingehören. Über Wasser. „Alles ok?!“, ruft Kev besorgt. „J-Ja. Glaube schon!“, antworte ich ihm hustend. Verdammt, warum haben wir uns nur auf dieses verfluchte Rennen eingelassen? Und dann auch noch ausgerechnet über Point Nemo, den abgelegensten Ort der Welt. Hier kann uns niemand helfen. Selbst diese beschissenen Medien-Helikopter haben sich verpisst. Voller Angst schaue ich mit zitterndem Körper empor in den von Blitzen durchzogenen Himmel. „Bitte Gott, lass sie einfach Hilfe holen!“, bete ich leise noch, ehe auch schon wieder eine dieser Monsterwellen über uns hinwegfegt. Wenn wir hier jetzt kentern, war’s das mit uns!
Plötzlich reißt mich ein Schrei aus meinen Gedanken. Erschrocken stelle ich fest, dass Kevin, nur noch durch die Sicherheitsleine am Boot hängend, im Wasser mit der Strömung kämpft und verzweifelt versucht, an der Oberfläche zu bleiben. Ohne lang nachzudenken, schnappe ich mir seine Sicherheitsleine und versuche ihn wieder zu mir aufs Boot zu ziehen.
Wind und Wellen versuchen weiter auch mich vom Boot zu fegen und machen meinen Rettungsversuch nicht gerade leichter. Alle meine Muskeln brennen und mit purem Adrenalin in meinen Adern ziehe und zerre ich weiter mit aller Kraft. Das Seil ist bis zum Zerreißen gespannt und scheint sich für einen Moment, der sich wie eine quälende Ewigkeit anfühlt, überhaupt nicht mehr bewegen zu lassen. Donnergrollen übertönt das Pfeifen des Windes, und als hätte da oben jemand den Schicksalsgong geschlagen… gibt das Seil nach. Mit einem Ruck falle ich nach hinten und schlage mit dem Kopf hart auf dem Boden auf.
Benommen versuche ich mich wieder aufzurappeln und noch während sich alles dreht, suche ich in dem tosendem Meer nach meinem Freund. Panik überkommt mich, als ich die schlaffe Sicherheitsleine sehe. „Nein!“, panisch springe ich auf und ziehe, so schnell ich kann, am Seil, doch schon nach den ersten paar Zügen überkommt mich unwillkürlich die schreckliche Wahrheit. „Nein… bitte nicht…“, schluchze ich und obwohl ich schon ahne, was mich erwartet, mache ich weiter. Mit zittrigen Fingern ziehe ich das Ende von Kevins Leine aus dem Wasser, doch anstatt in das erleichterte Gesicht meines Partners blicke ich nur auf ein fransiges Ende der zerrissenen Sicherheitsleine.
Verzweifelt und mit Tränen in den Augen schreie ich seinen Namen. Obwohl es völlig aussichtslos scheint, hoffe ich doch irgendwie eine Antwort zu hören. Doch da ist nichts… Mo-Moment… nichts? Erst jetzt bemerke ich, dass der Sturm, der wie aus dem Nichts gekommen ist, im selbigen auch wieder verschwunden zu sein scheint. Keine Wellen mehr, die drohen, mich in die Tiefe zu schicken. Kein Wind mehr, der droht, mir das Segel um die Ohren zu blasen. Noch immer unter Schock stehend trete ich mit zittrigen Beinen an den Rand unseres Segelbootes. Salzige Tränen fallen auf das ausgefranzte Ende des Seil in meinen Händen. Was ist hier gerade passiert?
Meinen Blick über die nun ruhige, tiefblaue Meeresoberfläche schweifen lassend, versuche ich mich zu beruhigen und das Ganze ein wenig zu verarbeiten…
Plötzlich schießt es etwas aus dem Wasser, dass es nur so spritzt, und packt mein Fußgelenk. Bevor ich auch nur den Hauch einer Chance habe zu reagieren, werde ich auch schon über Bord gerissen. Panisch versuche ich mich noch irgendwo festzuhalten. Doch alle Bemühungen sind vergebens. Abermals schlage mir den Kopf an, dieses Mal an der Bordkante. Benommen spüre ich, wie ich immer weiter in die Tiefe gezogen werde und mein schlaffer Kopf durch den Sog nach oben schaut. Das Wasser über mir ist an manchen Stellen rötlich und immer weiter entfernt sich die glitzernde Oberfläche. Als die Benommenheit endlich abklingt, versuche ich mich mit letzter Kraft zu befreien und dieses Etwas von mir loszutreten. Und tatsächlich, mein Bein ist frei, und sofort fange ich an wieder an die Oberfläche zu schwimmen. Zunehmend verkrampft sich dabei meine Lunge und Panik steigt erneut in mir auf. Nur noch wenige Meter trennen mich von der rettenden Oberfläche, als mich erneut etwas packt und versucht hinunterzuziehen. Panisch strample ich, um mich wieder zu befreien, diesmal jedoch ohne Erfolg. Mein Mund öffnet sich und schnappt verzweifelt nach Luft, doch anstatt des rettenden Sauerstoffs flutet salziges Meerwasser meine Lungen. Zunehmend verliere ich an Kraft. Erneut werde ich immer weiter in die Tiefe gezogen und bevor meine Augen sich zum letzten Mal schließen, erkenne ich verschwommen, wie die im Lichte der Dämmerung glitzernde Meeresoberfläche vor meinen Augen von Dutzenden knochigen Händen verdeckt wird und mein Körper immer und immer tiefer in mein dunkles, nasses Grab gezogen wird. Die durch die Sonne strahlende Oberfläche wirkt nur noch wie ein weit entfernter Traum. Kurz bevor ich jedoch mein Bewusstsein verliere, glaube ich noch zu erkennen, wie ein riesiger Tentakel sich über mich legt und auch die letzten Lichtstrahlen zu rauben scheint. Dunkelheit umfängt mich, doch während meine Seele in den Abgrund zu sinken scheint, höre ich noch, wie eine mir unbekannte Stimme etwas aus der Tiefe emporzuflüstern scheint…
„Unter der Oberfläche trübem Licht
Dort, wo in ew’ger Ruh’ kein Toter spricht
Wo meine Seele in der Hölle Abgrund fiel
Schläft Teufel bei des Dämmers Schattenspiel
Der dunklen Rümpfe über ihm
Und aus der fernen Tiefe finst’rem Blau,
Steigen empor unzähl’ge Scharen - Mann und Frau -
Ihrer verwesten Leiber einz’ger Schmuck ist blut’ger Tang
Aus Wundergrotten und Verliesen tönet Klagesang
Von tausendjährigem Leid, von einem Gott verlieh’n
Dort unten ruht er seit Äonen, und wird weiter schlafen
Mit Wahn und Terror träumend uns’re Geister strafen
Bis einst ein neuer Weltenbrand den Abgrund wärmt;
Und unser Antlitz dann von droben brüllend er entfernt
Furchtsam erkannt von Mensch- und Engelsblicken“
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