Bloody World
Wie gebannt hingen wir an den Lippen unseres Geschichtslehrers, als er mit uns mal wieder unser aller Lieblingsthema durchnahm. Mythologie und deren Geschichten. Wir liebten es einfach, wenn er uns von zum Beispiel Prometheus und seiner Folter durch den Adler erzählte. Oder davon wie Seth die Leiche seines Bruders Osiris zerstückelte und übers ganze Land verteilte. Er schaffte es diese Geschichten so lebensecht zu erzählen, dass man wirklich das Gefühl hatte dabei gewesen zu sein.
Die Zeit verging jedes Mal wie im Flug, doch diesmal hielt er uns nach dem Klingeln der Pausenglocke noch kurz fest und sagte uns, dass es seit langem mal wieder eine Hausaufgabe geben würde. Und was für eine. „Baut zum nächstem Mal bitte ein Model einer Schöpfungsgeschichte eurer Wahl. Und gebt euch Mühe! Ich will keine einfachen allerwelts Modelle sehen. Gebt euch Mühe und gebt alles für eure Note!“, sagte er mit einem breitem Lächeln zu uns und entließ uns damit dann ins Wochenende.
Zuhause angekommen setzte ich mich in meinem Zimmer sofort an den Laptop und sah mir Bastel Tutorials an. Machte mir gar keine Gedanken darum, welche Schöpfungsgeschichte ich genau nachstellen wollte. Es stand für mich eh schon von Anfang an Fest, dass ich die Version der nordischen Mythologie wählen würde. Wie der Urriese Ymir von Odin und seinen zwei Brüdern getötet und aus dessen Körper Midgard gebaut wird, hat mich schon immer zu tiefst fasziniert. Jedes Mal, wenn ich diese Geschichte höre, lese oder gar nur dran denke, überkommt mich diese wohlige Gänsehaut. Alleine die Vorstellung aus einem Lebewesen etwas anderes, größeres zu Formen jagte mir Schauer über den Rücken. Und jetzt endlich hatte ich die Chance der Schöpfer zu sein und Himmel nochmal, meine Welt wird nicht enttäuschen. Schnell hatte ich alles nötige recherchiert und mir einen Plan für mein Vorgehen aufgestellt. Jetzt brauchte es nur noch eines, Materialien.
Am Sonntag war es dann endlich so weit. Am Vortag noch hatte ich mir alles nötige besorgt und so gut es ging vorbereitet. Als wäre ich in einem Operationssaal eines Filmes, saß ich an meinem Schreibtisch, auf dessen Arbeitsfläche meine Werkzeuge fein säuberlich aneinandergereiht lagen. Das leise Rumpeln im Schrank hinter mir, übertönte ich kurzerhand mit einem kurzen Drücken der Playtaste meines CD-Spielers. Kurz schloss ich meine Augen und ließ mich von Beethovens neunter Symphonie verzaubern. Doch dieser Moment der Sorglosigkeit und des Treibenlassens war nur von kurzer Dauer. Schon riss ich wieder meine Augen auf und stieg so schwungvoll von meinem Schreibtisch Stuhl auf, dass er glatt umfiel. Das kümmerte mich jedoch recht wenig. Mit fast schon tänzelnden Schritten ging ich zu bereits genanntem Schrank und riss die Türen auf. Licht flutete den bis eben noch in Dunkelheit gehüllten Bereich und ließ ein nasses Paar Augen dabei kurz hoffnungsvoll funkeln. Trotz des Panzertapes, welches den Mund meiner kleinen Schwester großzügig bedeckte, glaubte ich sie kurz nach Hilfe rufen gehört zu haben. Auf den etwas panischen Gesichtsausdruck des kleinen Dinges konnte ich aber nur mit einem freudigen Lächeln antworten. Kurzerhand legte ich mir den gefesselten Körper über die Schulter und platzierte ihn vor meinem Schreibtisch. Sie versuchte sich zwar zu befreien, schaffte es jedoch nicht. Vermutlich wirkten die Schlaftabletten noch immer etwas nach, ansonsten hätte sie die Fesseln wahrscheinlich irgendwie bereits gelöst gekriegt. Sie war schon immer gut in sowas. Aber na ja, umso besser für mich.
Womit sollte ich zuerst anfangen? Felsen? Nein, dafür hätte ich ihren Mund frei machen müssen. Dafür war es noch zu früh. Das Himmelszelt? Auch nicht. Sowas ist doch immer die Krone, die man dem Endergebnis aufsetzt.
Während ich so vor mich hin überlegte, wurde meine Schwester langsam munterer und versuchte von mir wegzurobben. In dem Moment schlug ich mir die flache Hand an die Stirn. Ich Vollidiot hatte doch tatsächlich das wichtigste vergessen. Odin und seine Brüder töteten Ymir, ehe sie die Welt aus ihm schufen. Diesen Fehler musste ich natürlich sofort beheben. Ohne zu zögern, griff nach dem Skalpell und kniete mich dann auf den kleinen Körper am Boden. Mein Knie platzierte ich dabei auf ihrem Brustbein und den Kopf hielt ich mit meiner freien Hand ruhig, während die im Licht blitzende Klinge sich langsam ihrem Hals näherte. Langsam zog ich es durch und zerschnitt damit ihre Halsschlagader. Während Beethoven im Hintergrund immer schneller und hektischer zu werden schien, schaute ich fasziniert dabei zu wie ihr Blut aus diesem feinen dünnen Schnitt quoll. Ihre weiße Kleidung sowie auch mein grauer Teppich verfärbte sich währenddessen in ein schönes Rot. Das gefällt mir so fast schon besser als vorher. Bis zum süß bitterem Ende schaute ich meiner Schwester in ihre tiefblauen Augen, ehe der Lebensfunke endgültig aus ihrem Körper entwich. Nach einigen weiteren Minuten des Betrachtens, in welchen ich mehrfach diesen herrlichen Geruch der blutigen Schöpfung inhalierte, fing ich allmählich an meine Materialien von den Fesseln zu befreien. Ebenso vom Panzertape, welches ebenfalls überflüssig geworden ist.
Wieder stach ich mit dem Skalpell in ihr Fleisch, um es Stück für Stück herauszuschneiden. Anfangs ging es nur schwer. Ich musste mehr druck ausüben als erwartet, um durch die Haut zu stoßen. Dafür schnitt die Klinge das noch warme Fleisch, sobald sie einmal drin war wie Butter und wo vorher noch Fleisch und Haut war, füllte nun rotes Blut die Lücken, wie Wasser einen Pool. Aber das konnte mir nur recht sein. Als ich endlich genug Material für meine Erde hatte, griff ich nach einer Spritze und fing an das Rote Meer aus ihrem Körper in eine schwarze Schüssel zu verfrachten. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich auch nur annähernd genug hatte und mich dem nächsten Objekt meiner Begierde widmen konnte. Zu meinem Glück hatte Papa sich letzte Woche erst eine neue Fleischersäge gekauft und sie mir netterweise für mein Projekt geliehen. Während der schon vorher rot befleckte Edelstahl erst auf zartes Fleisch und anschließend harten Knochen traf, entführte mich das Geräusch der Säge zurück in die Zeit in der Papa und ich unseren Schuppen repariert hatten. Damals war ich gerade mal 6 Jahre alt, durfte aber dennoch zum erstem Mal selbst das Holz sägen. Ich hatte mich so sehr gefreut, als das Brett zersägt war und zeigte es meinem Vater. Sein stolz lachendes Gesicht an diesem Tag und seine Hand, die mir über den Kopf streichelte werde ich niemals vergessen.
Der plötzlich fehlende Widerstand, als ich durch den Oberarm Knochen durch war, holte mich zurück in die Gegenwart. Ob das auch Odin passiert ist? Hatte auch er sich in Gedanken an schönere Zeiten verloren? Ich werde es wohl nie wirklich wissen. Immer mehr Knochenteile säge ich aus dem toten Körper, wobei Beethoven nach wie vor alle unangenehmen Geräusche, wie zum Beispiel das blutige Schmatzen des Fleischs oder das Aufeinandertreffen von Sägeblatt auf Knochen übertönte. Als ich auch davon endlich genug hatte, tauschte ich die Säge gegen eine Zange. Vorsichtig öffnete ich den Mund der Toten und setze die Zange an ihrem oberen rechten Schneidezahn vorne an. Doch egal wie sehr ich mich bemühe, das Zahnfleisch wollte einfach nicht nachgeben. Erst als ich wieder das Skalpell zur Hand nahm, mehrfach das rote Fleisch aufschnitt und in den blutenden Wunden herumstocherte, konnte sie mir die weißen Schätze nicht mehr verwehren. Sechzehn von zweiunddreißig Zähnen riss ich ihr aus dem Maul. Noch sind sie vom gewaltsamen entfernen etwas blutverschmiert und mit Hautfetzen versehen, doch würde ich mich auch darum noch kümmern, sobald ich auch den Rest beisammen hatte.
Bevor ich aber zum Höhepunkt des ganzen kam, zerschnitt das Surren des Rasierers Beethovens Idylle, als ich dem Leichnam von seinem Kopfhaar befreite. Im Gegensatz zu den bisherigen Beschaffungen beeilte ich mich bei diesem Part, da er mich fast schon anödete. Ich hätte sie genauso gut zum Friseur schleifen können. Als das aber endlich geschafft war, griff ich mir sofort wieder die Säge. Jetzt kam endlich der beste Teil vom Ganzen. Mein ganzer Körper kribbelt vor Vorfreude, als ich das Metall knapp über ihren Augen ansetze. Ihre toten Augen schienen mich selbst jetzt noch nach Gnade anzubetteln, doch diesen Wunsch konnte ich ihr nicht erfüllen. Wie zuvor schon bei ihren Knochen sägte ich mich langsam und genüsslich durch den Schädel. Dabei fühlte sich der Punkt, als das Metall an ihrem Hirn ankommt, als würde ich durch Gelee sägen. Das Gefühl ließ mich kurz zusammenzucken und verpasste mir unangenehme Gänsehaut. Für mich war es in diesem eigentlich doch so perfektem Moment, als würde man Styropor aneinander reiben. Doch da musste ich durch. Und als ich mit einem letztem Ruck durch ihren Schädel durch war, ihre Schädeldecke abgetrennt vor mir lag und sich ihr Gehirn wie ein zerschnittenes Brötchen mir förmlich anbot, zierte ein mehr als zufriedenes Grinsen mein Gesicht. Zu guter Letzt schnitt ich noch kleine Brocken aus ihrem Hirn heraus, welche anschließend schon mal gereinigt und etwas in Form geschnitten wurden.
Mein vorher noch so grauer Teppich, war nun um ihren Körper herum tief dunkelrot und ähnelte damit fast schon einer Mondsichel. Ein Kunstwerk einer Weltschöpfung fast gerecht. Und da ich wirklich alles beisammen hatte, konnte ich auch endlich mit dem Bau meiner Welt beginnen. Dafür nahm ich mir die vom Umfang her recht große, ansonsten aber eher Flache Schüssel, welche ich vorhin noch bis ca. zur Hälfte mit dem roten Lebenssaft gefüllt hatte als Basis. In dieses Rote Meer stapelte ich ihr Fleisch und machte es somit zu meiner Erde, auf welcher ich die Berge aus Knochen und die Steine und Felsen aus ihren inzwischen polierten Zähnen hübsch anordnete. Zwischen diesen Felsen stellte ich die aus ihrem Haar und Draht gebastelten Bäume, deren dünnen hängenden “Äste“ sich sanft im Windzug meines Zimmers wiegten. Und wie war das noch? Aus zwei Stücken Treibholz schufen Odin und seine Brüder die ersten Menschen. Also nahm ich mir den Rest ihres Haares und nach fast zwei Stunden hatte ich endlich zwei kleine Voodoo-Puppen ähnliche Figuren daraus gebastelt. Ich brauchte gar nicht lang zu überlegen und positionierte sie am Strand vor dem Blut Meer. Dabei lagen seine und ihre “Hand“ übereinander und ihr Rücken lehnte sich gegen einen Knochenberg. Für den ein oder anderen Horror oder Gore Fan wäre das sicher eine romantische Erfahrung.
Doch jetzt, da die Erde vollkommen war, fehlte noch die Krone des ganzen. Ein bewölkter Sternhimmel. Für das Himmelzelt nahm ich die inzwischen etwas gereinigte Schädeldecke und hängte in diese die Hirnbrocken an dünnen Schnüren auf. Für die Sterne musste ich am Ende aber leider Leuchtsticker nehmen, da mir einfach nichts eingefallen ist, wie ich dauerhafte Funken ersetzen soll, ohne das Gesamtbild zu ruinieren. Aber na ja, sei es drum. Diesen Himmel steckte ich an, als ob ich jemanden krönen wollte, auf vier Metallstangen, die ich jeweils im Norden, Süden, Osten und Westen meiner Erde an der Schüssel festklebte.
Beethoven verstummte, während ich ein Stück zurückrutschte und mein Modell ausgiebig besah. Der Blutgeruch stieg mir in die Nase und ließ einen wohligen Schauer meinen Rücken hinabjagen. Ich bekam Gänsehaut und als ich diese Nacht zu Bett ging, stand mein Modell noch immer auf meinem Schreibtisch. Die Überreste meiner Schwester noch immer vor dessen Füßen liegend. Ein besseres Bild vorm Schlafen gehen gibt es nicht. In diesem Moment kam ich mir wahrlich vor wie Odin, der von Asgard aus sein Werk und dessen Preis dafür begutachtete.
Am nächsten Tag ging ich gut gelaunt zur Schule. Nervös, aufgeregt oder ängstlich war ich nicht. Warum sollte ich auch? Mein Modell ist mir super gut gelungen und wie der Lehrer wollte habe ich alles gegeben. Und so wie es aussah, hatten das auch meine Klassenkameraden. Einer zum Beispiel hatte in einer Schubkarre den Körper seiner Mutter liegen. Ihr Bauch und Brustkorb waren ausgenommen und mit Erde gefüllt worden. Auch in ihrem geöffnetem Mund und den vorher leeren Augenhöhlen befand sich Erde. Verziert war das ganze mit einigen Pflanzen und manch kleinen und großen Steinen. Auf diesem Körper standen mehrere Figuren unterschiedlicher Größen. Wahrscheinlich sollten diese die Götter und Menschen darstellen. Zugegen auch eine nette Idee. Ein anderer hatte schlechtweg eine Erdfläche dastehen, auf welcher Tier-, Menschen- und Pflanzenfiguren lagen. Es wirkte auf mich als würde alles schlafen, jedoch waren da auch noch zwei Köpfe. Diese sind größer als alles andere auf der Fläche, da es die, am Halsstumpf noch etwas blutigen, Köpfe seiner Eltern waren. Die Augen und der Mund des Vaters waren geöffnet, dessen toter Blick sich auf den verbrannten Kopf der Mutter richtete.
Alle Objekte gingen in diese Richtung, worüber unser Lehrer sehr erfreut war. Er lobte uns, dass wir uns alle solche Mühe gegeben haben, wobei manches natürlich immer noch hätte besser gemacht werden können. Und einer hatte ihn Enttäuscht. Ein Junge mit einer dicken runden Brille und kurzen blonden Haaren. Er war erst vor kurzem zu uns in die Klasse gezogen und wusste noch nicht wie es bei uns lief, was man ihm auch Anmerkte. Mit geschocktem und doch ungläubigen Blick hatte er unsere Modelle und uns betrachtet. Er schien nicht glauben zu wollen, was er da sah. Sein Modell bestand lediglich aus einer Schale mit tief dunkel gefärbtem Wasser, aus welchem eine Lotusblume mit einem Vogel heraus ragte. Über dem Ganzen war eine Art Frau aus Watte mit Draht fixiert und im Wasser trieb eine Figur aus Lehm. Diese schlampige Arbeit erboste unseren Lehrer sehr. Er fragte den Jungen, was das darstellen sollte, worauf dieser lediglich mit zittriger Stimme meinte, es wäre die ägyptische Schöpfungsgeschichte mit dem Gott Ra und dem Meer des Chaos. Mein Lehrer seufzte nur und meinte, dass das kein Modell, sondern Abfall sei. Doch er solle keine Angst haben. Jeder Schüler der durchfällt, würde er mit Freude bei einem Wiederholungsmodell helfen. Und genau das Tat er…
Als es zum Schulschluss klingelte, saß ich zufrieden grinsend mit einer 2+ Benotung auf meinem Platz und betrachtete staunend mit den anderen zusammen, wie unser Lehrer sein Meisterwerk vollendete. Mit einem stolzem funkeln in seien Augen stand er vor dem an einem Haken aufgehängtem Körper des blonden Jungen. Die Arme waren von einem Zeigestock durchbohrt und formten mit dem restlichen Körper eine Art Kreuz, während die auf seinem Rücken seitlich weggeklappten Rippen aussahen wie blutige Schwingen. Abgerundet wurde das Ganze von einem ausgestopftem Falkenkopf, der auf dem Halsstumpf fixiert wurde. Unter ihm stand sein altes Modell in welchem sein, scheinbar im Schrei eingefrorener Kopf, lag und starrte zu einem meisterlichen Modell des Gottes Ra empor. Wir alle applaudierten, als unser Lehrer sich in seinen Blutbefleckten Klamotten vor uns verbeugte. Und mit diesem Meisterwerk zum Schluss beendete er unsere Stunde zum Motto: „Bloody World“
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