Begegnung
Ich spüre, wie ich immer schwächer werde, während mein Blut auf dem Asphalt eine rote Pfütze bildet. Wenn ich meinen Kopf zur Seite drehe, kann ich es sogar sehen.
Während ich also hier liege, kurz vor dem Tod, überkommen mich Erinnerungen.
Nicht, wie viele sagen, an mein ganzes Leben, dass nun, wie ein Film, an mir vorbei ziehen sollte, sondern nur an ein einziges Geschehnis aus meiner Jugend.
Damals schien die Sonne, wie heute, und nur ein paar rein weiße Wolken hingen träge am Himmel und schienen sich kaum vom Fleck zu rühren.
An jenem Tag war ich auf dem Weg nach Hause. Ich hatte gerade ein Vorstellungsgespräch bei einer Modedesignerin hinter mir und mich durchströmte der unglaubliche Drang zu hüpfen vor Glück, da ich den Ausbildungsplatz für meinen Traumberuf bekommen hatte.
Ich ging eine Straße entlang, die mich zu dem Stadtpark bringen würde. Der Weg, der dort durch führte, war zwar nicht der Kürzeste nach Hause, im Gegenteil, er war fast doppelt so lang wie der eigentliche, aber ich verband den Park mit vielen, schönen Erinnerungen aus meinem bisherigen Leben, weswegen ich jede Sekunde, die ich dort verbrachte, in vergangenen Geschehnissen schwelgte.
Wie jedes Mal, wenn ich den Kiesweg im Park entlang ging, betrachtete ich die saftig grünen Wiesen, auf denen ich in jungen Jahren gespielt, und später einfach nur gesessen und mich entspannt hatte. Mein Blick richtete sich auch auf die Bäume, auf die ich immer geklettert bin, und auf die Blumen, auf denen sich die Schmetterlinge niederließen, die ich fing.
Ich schaute zu den Büschen, unter denen ich mich gerne versteckt hatte, und blieb stehen. Dort, zwischen den Ästen und Blättern, konnte man etwas braunes erkennen, das ganz und gar nicht dort hingehörte. Ich kniete mich vor das Gestrüpp und zog einen Teddybären daraus hervor. Sein ursprünglich hellbraunes Fell wies dunkelbraune und rostrote Flecken auf. Außerdem fehlte ihm das rechte Auge, während das linke mich leblos an zu starren schien, obwohl das schwarze Glas in der Sonne wunderschön funkelte. Von seinem linken Bein fehlte jede Spur und aus dem Loch schaute ein Bisschen des Füllmaterials heraus, genauso, wie aus der aufgeplatzten Naht am Kopf.
Ich zuckte mit den Schultern, Kinder verloren hier andauernd ihr Spielzeug oder Kuscheltiere, auch wenn dieses hier nicht sehr kinderfreundlich aussah. Meine Hand war bereits dabei, den Teddy vor das Gebüsch auf den Boden zu setzen, doch aus irgendeinem Grund schien es mir falsch. Also nahm ich ihn mit, um ihn auf die Bank des Spielplatzes zu setzen, der nur wenige hundert Meter weiter in Sicht kommen würde.
An der braunen Holzbank, die genauso gemütlich war, wie sie aussah, angekommen, setzte ich den Bären, aus welchen Gründen auch immer, so behutsam wie möglich auf diese und sorgte dafür, dass er ordentlich saß, was mit dem fehlenden Bein nicht so einfach war.
Dann wollte ich mich endgültig auf den Weg nach Hause machen, doch ein Schluchzen hielt mich zurück. Überrascht drehte ich mich zu der großen Sandfläche, auf der sich ein Klettergerüst mit Rutsche und eine Schaukel neben anderen Spielgeräten befanden, und erblickte ein kleines, braunhaariges Mädchen, das, mit gesenktem Kopf, weinend auf der bunten Schaukel saß. Sie trug ein rosanes Kleidchen und weiße Socken, die Schuhe fehlten. Auch von den Eltern, Geschwistern oder anderen Aufsichtspersonen war, sogar nach mehrmaligem Umschauen, nichts zu sehen.
Wer lässt ein kleines Kind unbeaufsichtigt im Park? Erst jetzt bemerkte ich, dass keine Menschenseele auch nur in der Nähe war, außer dem Mädchen und mir schien niemand hier zu sein. Mir wurde ein wenig mulmig zumute, was nicht gerade dadurch geändert wurde, dass ich das Kind nochmal näher betrachtete. Es war, genau wie der Teddybär, verdreckt und auch hier waren es sowohl braune Flecken von Erde, als auch diese mysteriösen roten Flecken. Das war doch nicht etwa...? Nein, das kann doch kein Blut sein.
Diesen Satz redete ich mir im Stillen ein, wurde dann aber, durch erneutes Schluchzen des Mädchens, wieder auf das eigentliche Problem aufmerksam gemacht. Da saß ein kleines Kind, ohne irgendwelche Familienmitglieder, auf der Schaukel und weinte.
Der Anblick zerriss mir das Herz, weshalb ich zu ihr hin ging und sie einfach umarmte.
"Was ist denn passiert? Wo sind deine Eltern?" Während ich immer wieder auf sie einredete, versuchte ich, sie zu beruhigen, doch sie hörte weder auf zu weinen, noch bekam ich eine Antwort.
Da es mir langsam ungemütlich wurde, vor der Schaukel zu hocken, nahm ich das Mädchen auf den Arm und beeilte mich, zur Bank zu kommen. Dort saß immer noch der Teddy, dessen eines Auge diesmal glücklich zu leuchten schien, aber vermutlich bildete ich mir das nur ein. Nein, ich bildete mir das auf jeden Fall ein, wie sollte man in den Augen eines Kuscheltiers Gefühle sehen können?
Ich setzte mich hin, das Mädchen auf meinem Schoß, und wiegte es beruhigend hin und her. Sie wollte immer noch nicht aufhören zu weinen und presste ihr Gesicht an meine Brust, woraufhin ich ihr mit einer Hand durch die lockigen Haare strich und sie mit der Anderen an mich drückte. Von nahem sahen die roten Flecken noch verdächtiger aus, als von weitem und ich wurde die Vermutung, dass es Blut war, einfach nicht los.
So in Gedanken, merkte ich nicht, dass das Kind aufgehört hatte zu weinen und den Kopf gehoben hatte, um mich anzuschauen. Erst, als es eine Hand hob und mich an die Schulter tippte, wandte ich meinen Blick zu ihr. Dies brachte jedoch nur einen weiteren Schock mit sich. Durch ihr Gesicht zogen sich Spuren von Blut, dessen rot in einem gewissen Kontrast zu den leuchtend grünen Augen stand. Diese guckten mich gerade fragend an und nun legte das Kind auch noch den Kopf schief und fragte "Wer bist du?"
Ich zwang meinen Blick dazu, nicht mehr auf das Blut zu starren, sondern lieber in die strahlenden Augen des Mädchens.
"Nenn mich Maja. Und wer bist du?" Antwortete ich und brachte meine Lippen zu einem Lächeln.
"Ich heiße Sally." Sie schien wieder ein bisschen fröhlicher zu sein, bis ich fragte "Was ist denn passiert? Warum hast du geweint?"
Sie verzog wieder ihr Gesicht und ein paar dicke Tränen quollen aus ihren Augen, folgten der Spur des getrockneten Blutes, bis zu ihrem Kinn. Ich hatte schon Angst, dass sie erneut stundenlang weinen würde, doch dann brachte sie heraus "Ich... ich habe meinen Teddy verloren." Sie presste ihr Gesicht erneut an mich und ihr Körper bebte.
Der Teddybär von eben kam mir in den Sinn und ich griff mit einer Hand nach ihm.
"Meinst du den hier?" Ich hielt ihr den Bären hin. Sie drehte leicht ihren Kopf und starrte das Kuscheltier an. Dann schnappte sie sich den Teddy und drückte ihn fest an sich.
Während sie ihn hielt, beruhigte sie sich allmählich und schaute mich dann wieder an.
"Danke." hauchte sie und ehe ich reagieren konnte, sprang sie von meinem Schoß und entfernte sich ein Stück, bevor sie sich ein letztes Mal umdrehte und mir tief in die Augen sah.
"Pass gut auf dich auf." Waren ihre letzten Worte, ehe sie davon lief und mich völlig verwirrt auf der Bank sitzen ließ.
Und nun, wo das Leben mich verlässt, sehe ich nicht den Rettungswagen, der neben mir hält, und auch nicht die vielen Sanitäter, Polizisten und Schaulustigen. Ich sehe nur ein kleines, braunhaariges Mädchen in einem rosa Kleid, dass ihren Teddy fest an ihre Brust drückt und mir tief in die Augen sieht.
"Du hast nicht gut genug auf dich aufgepasst."
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