Dritter Teil

Ich habe ihn mit meinen Gedanken vergiftet. Es wäre besser gewesen, wenn er als erstes zu dir gekommen wäre. Immerhin hattest du auch als einzige seine wahre Gestalt gesehen.
Ändern können wir es nicht mehr. Was nun?
Er wird schon seinen Weg finden. Mit deiner Hilfe. Du weißt, was zu tun ist. Und er auch.
Werde ich unsere Welt jemals wiedersehen?
Nicht aus deinen Augen.
Wenn ich diesen Schritt jetzt gehe, werde ich überhaupt jemals wieder etwas sehen?
Das weiß ich nicht. Jedenfalls kein Spiegelbild mehr.
Du wirst zwar nicht dich selbst, aber dafür alles andere erkennen können. Alls das, was du vorher nicht sehen konntest, weil du von Menschen umringt warst.
Es liegt nicht in ihrer Natur, Dinge zu akzeptieren, die anders sind.
War die Akzeptanz schon immer in mir?
Mit Sicherheit. Aber kannst du auch ihn akzeptieren?
Es ist nicht mein Wille, ihn auszulöschen. Abgesehen davon, dass dies nicht möglich ist. Jedenfalls nicht vollständig. Ich wünschte nur, dass ich mehr Zeit zur Verfügung gehabt hätte. Dass wir mehr Zeit gehabt hätten.
Jetzt haben wir unendlich viel Zeit.
Aber keinen Neuanfang. Keine Träume. Und was bedeutet das Leben, die bloße Existenz, ohne Träume? Es ist die Vergänglichkeit, die einen Stark macht. Es ist das Wissen, dass man nicht für immer da ist, dass man nur eine begrenzte Zeit hat.
Wir werden uns immer wieder treffen, aber nicht sehen. Weil dieser Ort nichts ist, was auch nur irgendein Individuum sehen sollte.
Ich bin nicht glücklich damit. Aber ich habe es verstanden. Wir sollten nicht das Glück finden. Denn dies ist nur eine Illusion. Einbildung.
Nein. Es ist Hoffnung. Es ist die Hoffnung dass der nächste Tag besser wird. Es ist der Antrieb, weiter zu machen.
Durch ihn hatte ich alles gesehen. Alles, was du auch schon lange hättest sehen können. Vor mir.
Er hatte dir doch versprochen, das wir zusammen bleiben. Warum kannst du dann nicht mit mir gemeinsam diesen Weg gehen?
Weil ich letztendlich nur ein Mensch bin, dem die Augen geöffnet wurden. Ich muss bleiben.
Ich verstehe das alles nicht.
Lass los. Gehe weiter. Dann wirst du es. Es gibt nurnoch eine Flucht nach vorn.
Ich möchte nicht über dir stehen. Ich weiß nicht, ob ich dazu bereit bin, etwas anderes zu werden.
Wenn du wissen willst, was von nun an mit deiner Hülle geschieht, musst du bereit sein.
Ich werde es nicht aufhalten können, oder?
Nein. Aber du kannst ihm gut zureden. Sorge dafür, dass er ein eigenes selbst bekommt und nicht meine Gedanken kopiert. Sie waren zu diesem Zeitpunkt nicht gut. Er ist wie ein Kind. Er weiß noch nicht, was für ihn richtig oder falsch ist. Denn auf dieser Welt, unserer Welt, gibt es dies. Er muss seine eigenen Erfahrungen machen. Er muss fühlen.
Ich werde unsere gemeinsame Zeit vermissen. Ich werde die Zeit vermissen. Ich werde uns vermissen.
Etwas von uns wird immer beisammen sein. Immerhin hält er uns zusammen.
Auf Wiedersehen?
Ja. Auf Wiedersehen. Elizabeth.
Ich liebe dich...
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Charlie sah auf die Leiche des Mannes hinab.
Überrascht.
Die Stille kam.
Alle Geräusche um ihn herum wurden von einem Summen übertönt.
Erstickt.
Er kannte diese Stille.
Er glaubte, sie zu kennen.
Nannte man das überhaupt Stille? Irgendwie musste man dies benennen. Es war nur dieses Summen zu hören, welches aus dem Nichts kam.
Konturen flossen mit den Schatten zusammen.
Gestalten krümmten sich zusammen und krabbelten die Straßen entlang.
Es begann zu faulen.
Faule Blumen schmückten ihre entstellten Leiber.
Ihre Häupter streckten sich den schwarzen Himmel entgegen, als würden sie ihn liebkosen wollen.
Oder sehnten sie sich nach Vergebung?
Sie verrotteten immer weiter.
Ihre Augen und Münder lösten sich in einen Schwarm Käfer aus.
Kamen sie aus dem Inneren, oder von außen?
Das Summen schwoll an.
Ein klopfen kam dazu.
Etwas bat um Einlass.
Falter ähnliche Geschöpfe.
Große durchscheinende Flügel.
Große weiße Augen.
Zu viele Arme und Beine.
Menschen kannten sie.
Aber sie sahen sie nicht.
Charlie kannte sie.
Phantasmagorisch.
Abstrakt.
Für Menschen unlebendig.
Namenlos.
Unbeschreiblich.
Obwohl sie es auch selbst sind.
Die Stille kam von überall.
Das Nichts, die Leere, kam von überall und versuchte sich an einem Ort auszubreiten, in dem es kein Nichts gab.
In dem Leere und Stille nicht existierte.
Es gab zufiel, was das Nichts ausfüllt.
Wie Wasser, welches in einen ausgetrockneten See floss.
Wie Schatten, die hinter Objekten Platz nahmen.
Versteckten.
Charlie stand am Rande des Wahnsinns.
Am Rande seiner Existenz.
Einer Existenz, mit der er sich abfinden musste.
Denn dies war die logische Konsequenz, wenn man plötzlich jemand war.
Wenn man einen Namen besaß.
Er wollte etwas sein.
Etwas eigenes.
Etwas mit Substanz.
Doch jedes Wesen hatte eine Aufgabe.
Einen Nutzen?
Gefühle.
Gedanken.
Eine Persönlichkeit.
Ein Leben.
Er wusste es.
In diesem Moment wurde ihm dies vollständig bewusst.
Utopisch.
Verworren.
Konfus.
Gerade zu anarchisch.
Er musste etwas tun.
Sonst würde er faulen.
Sonst würden sie kommen und ihn holen.
Denn auf dieser Welt tat jeder etwas.
Er hatte ihre Wünsche erfüllt.
Ihre Gedanken erfüllt.
Weil sie da war.
Seine Aufgabe.
Er wollte nicht verschwinden.
Er wollte nicht zurück.
Denn er hatte etwas getan, womit er nicht gerechnet hatte.
Er hatte nicht damit gerechnet, sich plötzlich eigene Gedanken zu machen.
Er, es hatte nicht damit gerechnet, jetzt folgendes zu sagen.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass jetzt folgende Wörter, welche vorher Gedanken waren, seinen Mund verließen.
,,Warum seid ihr Menschen so zerbrechlich?"
Er stieß leicht mit den Fuß gegen den leblosen Körper des Mannes.
Er bekam natürlich keine Antwort.
Aber er wollte eine.
Er wollte so viele Antworten.
Er sehnte und verzehrte sich danach.
Und er wusste, wo er welche bekam.
Er wusste, wohin er gehen musste.
Die Sonne kroch langsam am Horizont empor.
Ein neuer Tag ist hier.
Während der Stille verlief die Zeit hier anders.
Charlie drehte sich um.
Das Licht hüllte ihn ein.
Er ließ es geschehen.
Er ließ sich geschehen.
Weil er sehen wollte.
Weil er Charlie war.
Weil er in diese Welt eingeladen wurde und von nun an bleiben wollte.
Er ging los.
Er kannte den Weg.
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