Similis simili gaudet / Part 2

»DIE NÄCHSTE RUNDE ist deine Letzte!«, drohte ich Ben, nachdem ich ihm bei einem alten SEGA-Spiel aus den 1990er-Jahren bereits fast alle seine Leben gestohlen hatte.

Es war schon nach 14 Uhr und wir hatten uns Pizza bestellt. Tuyet schrieb mir eine Nachricht nach der anderen, wann ich denn in Eichenstedt ankommen würde. Ich vertröstete sie auf 17 Uhr. Dieses Ereignis der Unmöglichkeit wollte ich nicht zu früh unterbrechen.

Ben hatte nicht zu viel versprochen, als er von seiner Games-Sammlung sprach. Seine geräumige und beinahe als ordentlich zu bezeichnende Single-Wohnung im Norden Eichenstedts glich einem Spiele-Museum. Ich selbst hatte mir außer Nintendo nie viel aus Gaming gemacht. Aber gerade die älteren Sachen machten wirklich Spaß und brillierten mit einer Extraportion Nostalgie.

Mein ehemaliger Boss blühte richtig auf beim Zocken. So lebendig hatte ich noch nie zuvor erlebt.

»Warum lädst du Momo und Luke nicht mal zu einer Runde Playstation ein?«, fragte ich ihn, nachdem er die leeren Pizzakartons weggetragen hatte und mit zwei Flaschen Cola zurück in sein Wohnzimmer gekommen war. Es war mir noch immer unbegreiflich, dass er seine Kollegen nie zu sich nach Hause einlud. »Saskia hat früher Wrestling gemocht. Sie würde bestimmt gerne mit dir diese WWE-Sachen zocken«, sagte ich und hob zwei der PS4-Spiele auf, die neben Bens Fernsehtisch lagen.

»Die habe ich mal geschenkt bekommen«, erklärte Ben und deutete mit einem abwertenden Kopfnicken auf die Spiele in meiner Hand. »Ich kann mit diesem Zirkus nichts anfangen.«

Uff, das wird Sas sicher nicht gefallen. Und eigentlich konnte ich sie mir hier drin auch gar nicht so richtig vorstellen. Neben Ben. Mit Ben.

»Frag sie doch trotzdem mal«, versuchte ich dennoch, dem Glück der beiden ein wenig auf die Sprünge zu helfen, auch wenn es sich irgendwie nicht richtig anfühlte.

Ben ließ das unkommentiert und schaute mich nur wieder an mit seinen traurigen dunklen Augen. Dann drehte er sich um und fing an, in seiner CD-Sammlung zu wühlen.

Ich stand auf und schlich mich vorsichtig an ihn heran, wie damals an Silvester in diesem schicken Raum des Schlosshotels. Charles stellte sich jedoch schwanzwedelnd zwischen uns. Er wusste sicher am besten, was sein Herrchen brauchte. Dennoch tat es mir weh, Ben immer wieder so traurig und unsicher zu sehen. Ihn, dem ehemaligen Polizisten und Detektiv, der in anderen Situationen Stärke und Selbstbewusstsein ausstrahlte. Und sogar Sinn für Humor hatte, wenn er es zuließ.

Ich wollte gerade meine Hand nach seiner Schulter ausstrecken, als er sich wieder umdrehte und eine CD von Heino präsentierte.

»Das war die erste CD, die ich in Deutschland geschenkt bekommen habe«, schmunzelte er und knubbelte sich an seinem linken Ohr rum. »Von unserer damaligen Nachbarin. Eine ältere Dame, die meinte, dass der Junge mit der deutschen Kultur vertraut gemacht werden muss.«

Wir mussten beide lachen, während Charles an unseren Beinen auf- und absprang. Ben fischte eine zweite Disc hervor.

»Das war dann die erste CD, die ich mir in Deutschland selbst gekauft habe.« Die drei unverkennbaren Gesichter der Ärzte schauten mich vom Cover an.

»Bessere Wahl, eindeutig«, hob ich anerkennend den Daumen.

»Scooter habe ich aber auch noch hier irgendwo«, ergänzte Ben schelmisch und kramte erneut in seiner Kiste herum.

»Lass gut, sein!«, unterbrach ich ihn, wild mit den Händen herumflatternd. »Dieser Bedarf ist für die kommenden Jahre gedeckt bei mir.«

Das Klingeln von Bens Handy störte unser musikalisches Fachgespräch.

»Wilhelm«, identifizierte Ben den Anrufer und signalisierte mir, rangehen zu wollen.

Ich schenkte in der Zwischenzeit dem Hund all meine Aufmerksamkeit. Dennoch entging mir nicht, dass der Anruf keiner der positiven Art sein musste.

»Fuck!«, stieß Ben einen Fluch aus, nachdem er das Telefonat beendet hatte.

»Ist was passiert?«, fragte ich ihn und überließ Charles das Gummihuhn, um das wir eben noch spielerisch gestritten hatten.

»In der Buchmeierstraße wurde eine Leiche gefunden. Hinter Abfall- und Glascontainern abgelegt«, erklärte Ben und zog die Stirn kraus.

»Das ist ja furchtbar!« Mir stockte der Atem bei dem Gedanken. »Wie, ich meine, was ist denn passiert? Hat die Polizei schon irgendwelche Hinweise? Doch hoffentlich kein Mord.« In „meinem" friedlichen Eichenstedt? Ein grausamer Gedanke.

Ben druckste unbehaglich herum und fuhr sich ein paarmal durch seinen Fünftagebart.

»Ben? Spucks aus!« Ich kannte ihn gut genug, um zu sehen, dass es bei diesem Fall mehr zu wissen gab.

»Lex, du solltest jetzt zu deiner Freundin gehen«, versuchte Ben, mich abzuwimmeln. »Diese Sachen sollten dich nicht mehr interessieren.«

Ich legte den Kopf schief und machte einen Schmollmund. »Das hättest du dann aber nicht sagen dürfen, Mr Marlowe. Jetzt bin ich erst recht angefixt. Na, los. Was hat Wilhelm dir gesagt? Er ruft dich doch bei einem normalen Todesfall nicht an einem Sonnabendnachmittag an.« Mit verschränkten Armen stellte ich mich vor Ben. Er tänzelte noch ein wenig vor mir herum, ich machte den Weg aber nicht für ihn frei.

»Du musst dich in Hamburg wirklich sehr gelangweilt haben, was?«, fragte er mich und gab sich lachend geschlagen.

»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr«, gab ich zu, woraufhin er die Augenbrauen hob.

»Das hatte ich befürchtet«, sagte er mitleidig. »Also gut. Auch, wenn ich dich da eigentlich nicht mehr mit reinziehen will«, sprach er noch eine letzte Warnung aus. Ich schaute aber weiterhin so neugierig und erwartungsvoll, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als mir die ganze Wahrheit zu erzählen.

»Der Tote hatte nicht einen Tropfen Blut in seinen Adern.«

»Fuck.«

»That's what I said«, sagte Ben und zuckte mit den Achseln. Dann wurde seine Mimik wieder härter. »Lex, das ist ein Fall für die CF. Das geht meiner Detektei nichts an und dich sollte es auch nicht interessieren. Ich will nicht, dass du –«

»Und warum willst du dann sofort zum Tatort aufbrechen, wenn dich die Leiche nichts angeht?«, unterbrach ich ihn und trommelte ungeduldig mit meinen Fingern auf meinen Oberarmen herum.

»Weil ich der ortsansässige CF-Agent bin und Wilhelm versprochen hat, uns über alle eventuellen Vampir-Aktivitäten zu unterrichten«, hob Ben erneut die Schultern und gab sich alternativlos.

»Vielleicht kann ich helfen. Ich denke, dass ich das Gefühl von Vampiren in der Nähe noch gut kenne«, schlug ich vor und spürte, wie mein Puls beschleunigte.

»Lex.«

»Nichts Lex! Wenn ich schon mal hier bin, dann kann ich meine Fähigkeiten mal wieder einsetzen. Sonst roste ich noch ein. Auf was warten wir noch?«

Als wir am Containerplatz in der Buchmeisterstraße vorbeifuhren, konnten wir das Polizeiaufgebot dort sehen. Die Leiche des Mannes wurde gerade in einen Leichenwagen gehievt. Wir parkten etwas abseits des Fundortes gegenüber eines Hostels und legten den Rest des Weges zu Fuß zurück. Dabei spielten wir die zufälligen Spaziergänger, die keine Ahnung hatten, was vor sich ging.

Ein junger Mann mit schwarzen Haaren und einer ebenso schwarzen Lederjacke kam uns entgegen. Er hatte zuvor noch mit einem der Polizisten gesprochen. »Passen Sie bloß auf! Hier läuft irgendwo ein bissiger Rottweiler rum!«, rief er uns zu und überquerte einige Meter vor uns die Straße und stieg in einen blauen Oldtimer ein. Ein Camaro oder wie die Dinger hießen. Ben guckte ihm argwöhnisch hinterher und versteifte sich merklich. Dann warf er mir einen skeptischen Blick zu. Ich wusste allerdings nicht, was er von mir wollte und schaute nur fragend zurück.

»Hier können Sie vorerst nicht langgehen«, stellte sich uns kurz darauf eine Polizistin in den Weg, als wir rechts vom Tatort auf den Wanderweg entlang des Eichenstedter Flusses einbiegen wollten. »Es hat einen Zwischenfall mit einem aggressiven Hund gegeben. Wir können nicht ausschließen, dass sich das Tier noch irgendwo in der Nähe aufhält.«

Wir nickten verständnisvoll, stiegen wieder ins Auto und suchten uns einige Meter weiter eine neue Möglichkeit, um ungesehen in die Nähe der Fundstelle zu gelangen.

»Die Polizistin kam mir irgendwoher bekannt vor«, überlegte ich laut. »Vielleicht verwechsele ich auch nur etwas.«

Es wurde bereits dunkler. Tu-Tu hatte ich unter Vorbehalt auf 18 Uhr vertröstet. Noch immer hatten wir keine Spuren gefunden. Und vor allem keinen Rottweiler.

»Spürst du etwas?«, fragte mich Ben, nachdem wir eine Weile um den Ort des Verbrechens herumgeschlichen waren.

»Es ist lange her«, gab ich zu und schloss die Augen. »Aber ich denke, ich kann diese düstere, gefährliche Aura wahrnehmen.«

»Aber bezieht sich das jetzt auf die Tat oder den Täter?«, fragte mich Ben, während er die Umgebung im Auge behielt.

»Laut dieser schrillen Esmeralda kann ich nur immer das Wesen selbst spüren«, klärte ich Ben auf und griff reflexartig seinen Unterarm. »Was bedeuten würde, dass der Vampir, der mögliche Täter, ganz in der Nähe ist.«

Ben schob seinen Mantel ein Stück zur Seite, um mir zu zeigen, dass er sowohl die Eisenkraut- als auch die Betäubungspistole dabei hatte. »Geh lieber. Du musst das nicht tun«, riet er mir erneut, mich aus dem Fall rauszuhalten. »Ich sage Wilhelm Bescheid, dass der Vampir noch in der Nähe ist. Den Rest müssen andere Agenten erledigen.«

Ich wollte ihm gerade beipflichten, als sich unter einem Gebüsch etwas bewegte.

Sofort hatte Ben seine Pistolen umklammert, aber noch nicht gezogen. Er stellte sich schützend vor mich und wies mich stumm an, den Rückweg anzutreten.

»Peggy? Peggy, bist du das?«, erklang eine bebende Stimme aus dem Busch.

Ben hielt mich auf Abstand und ging näher heran. »Herauskommen! Arme hinter den Kopf!«, gab er dem Fremden Befehle.

»Ich kann nicht. Es ist noch zu hell«, wimmerte dieser zurück.

Ein Vampir.

Aber Moment. Peggy? War das nicht der Name, den ich mir gegeben hatte, als ich an Halloween mit –

»Dominik? Bist du das?«

Ben drehte sich erschrocken zu mir um.

»Das ist der Kerl, der mich im Gemeinschaftshaus hinters Licht geführt hat«, klärte ich die Situation auf. »Der Mensch, der mit diesen Vampiren abhing. Ich dachte, er sei –«

»Tot?«, unterbrach mich der Blutsauger. »Ich denke, das bin ich sehr wohl.«

Fortsetzung folgt ...

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