Prima nocte / Part 3
NACH EINER NICHT ENDEN wollenden Fahrt wurde die Foltermusik endlich abgedreht. Das Radio sprang automatisch an deren Stelle. Die 3 Uhr Nachrichten liefen. Den Sender konnte ich nicht einordnen. Aber vermutlich waren wir weit außerhalb des Empfangsbereichs von eichenstedt-fm.
»Los, aussteigen!« Ruppig riss Pennywise mir die Augenbinde vom Kopf. Dabei verrutschte meine Perücke. Das hatten wir doch schon mal! Diesmal blieb aber alles an seinen Platz. Vor allem der GPS-Sender.
Als sich meine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten, erkannte ich, dass wir uns vor einem frei stehenden Abbruchhaus irgendwo inmitten von Feldern befanden. Die Landes- und Bundesstraßen waren jeweils einige Hundert Meter davon entfernt und zu dieser Zeit nur spärlich befahren. Selbst wenn mir die Flucht gelänge, würde ich so schnell keine Hilfe finden können.
»Geht vor, ihr beiden. Dom, du weißt ja, wo es langgeht.« Pennywise und Myers blieben vor der maroden Hütte stehen und rauchten erst einmal gemütlich Zigaretten.
Das hätte ich in diesem Moment auch gebrauchen können. Aber nein. Dieses Kapitel war beendet und daran sollten auch diese Idioten nichts ändern. Nun hieß es, weiterhin die Rolle der manipulierten Peggy zu spielen und aufzupassen, was hier an diesem entlegenen Ort vor sich ging. Alles könnte für die CF von großer Wichtigkeit sein.
Gleich, nachdem wir das Gebäude betreten hatte, wurden wir von zwei weiteren jungen Männern begrüßt. Keinen davon hatte ich wiedererkannt. Und das, obwohl sie nicht einmal kostümiert waren. So viel zu der angeblichen Halloween-Party.
Ich ließ mich zu einer sehr riskanten Tat hinreißen. »Also brauche ich tatsächlich keine Perücke«, kicherte ich auf die anderen Anwesenden deutend und zog die schwarzen Haare vom Kopf. Den Peilsender griff ich dabei unbemerkt und steckte ihn schnell in meine Hosentasche.
Kurz darauf bereute ich diese törichte Tat bereits wieder. Nun stand ich bis auf die dunkel geschminkten Augen ganz ohne Maskerade vor einem Haufen mutmaßlicher Verbrecher. Oder Vampire. Oder was auch immer sie waren.
»Ey, Dom! Wen hast du denn da im Schlepptau?« Eine junge Frau trat hinter einer halb aus den Angeln gefallenen Tür hervor. Auch sie war mir unbekannt, soweit ich das sagen konnte.
»Ist sie Trinken oder will sie trinken?«, fragte ein dicklicher Typ, der sich eine rote Flüssigkeit aus den Mundwinkeln wischte.
Blut? Im Ernst?
»Sie will trinken. Wir beide wollen das.« Dominiks Antwort kam nicht besonders überzeugend rüber.
»Wirklich? Na wurde auch mal Zeit«, freute sich der Pummel. »Hört zu, unser süßer Domi hat sich endlich entschieden, der Bruderschaft beizutreten! Und er hat ne kleine Schlampe mitgebracht.« Dröhnendes Gelächter brach in allen Ecken der Bruchbude aus. Ich konnte gar nicht mehr zählen, wie viele Leute sich in dieser kleinen Hütte verschanzt hatten.
»Ne, die nicht«, rümpfte die Frau von eben die Nase und musterte mich von oben bis unten. »Die scheint mir ganz und gar nicht geeignet zu sein.«
Die Frau trug gepflegte Business-Klamotten und machte mit ihren nach hinten gebundenen braunen Haaren auch ansonsten einen sehr seriösen Eindruck. Was in aller Welt hatte so eine Person hier zu suchen?
»Nicht geeignet?«, hörte ich Dominik sagen, bevor mich ein Arm von der Seite packte.
Ein dunkelhäutiger Mann, Anfang zwanzig, nahm ich in Augenschein. Auch er machte einen adretten Eindruck. Genau wie die allermeisten, die mich nun neugierig beäugten. Aus irgendwelchen Gründen hatte ich eine eher schmuddelige Gesellschaft erwartet. Aber das hier hätte genauso gut eine Betriebsfeier sein können.
»Hast recht, Vroni«, stimmte ein weiterer Mann der Business-Lady zu. »Sieht viel zu nett aus.«
Er hatte auffallend blasse Haut und trug eine rote Schirmmütze. Der Hyundai-Fahrer vom Supermarkt!
Scheiße, scheiße, scheiße! Ich hatte recht. Es gab einen Zusammenhang zwischen der Betrügerversammlung und diesen zwielichtigen Typen hier. Ich konnte nur beten, dass weder der Zopfmann noch der Typ mit dem Tattoo hier waren. Die Gefahr, dass sie mich erkannten, war besorgniserregend hoch.
Ich blickte mich in dem Raum um, der einstmals ein Wohnzimmer gewesen sein musste. An den Wänden hingen Fetzen einer vergilbten Blumentapete. Die weiße Farbe an Türen und Fensterrahmen blätterte ab und einige staubige Möbel komplettierten den maroden Look. Das Sofa, das einmal beigefarben gewesen sein könnte, war abgewetzt und löchrig. Die Stühle wackelten unter dem Gewicht derer, die sich darauf fläzten und auf dem Tisch mit der zerschlissenen Wachsdecke standen mehrere Gläser mit verschiedenen Getränken. In einigen davon konnte ich eine rote Flüssigkeit erkennen, die mit viel Glück nur Kirschsaft war.
»Denk daran, was der Chef uns befohlen hat, Vroni!« Pennywise tauchte im Türrahmen auf und schmiss seine wuschelige Horrorclown-Perücke in den Korridor.
»Was? Dass wir niemanden töten?« Wieder brach keifendes Gelächter aus. »Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Die Bitch vermisst doch keiner.«
»Hat gerade einen Anruf bekommen und gesagt, dass sie diejenige am Abend sehen wird«, der Myers-Verschnitt hielt mein Smartphone in die Höhe.
»Ihr habt sie telefonieren lassen? Seid ihr bekloppt? Wenn man ihre Spur zu uns zurückverfolgt?« Business-Lady Vroni war richtig wütend und wenn mich das fahle Licht nicht täuschte, traten dadurch unter ihren Augen dicke Adern hervor.
»Deswegen müssen wir sie ja gehen lassen und ihr Gedächtnis löschen. Wir nehmen ihr etwa 750 ml Blut ab, manipulieren sie und fahren sie zurück.«
»Zurückfahren? Jakob, das ist viel zu riskant.«
Pennywise hieß also Jakob.
»Was bleibt uns anderes übrig? Wenn der Chef das rauskriegt, gibts Ärger.«
»Deswegen solltet ihr euch vor Ort satt trinken und niemanden hierher schleppen!«
»Vroni, wir mussten Dom doch mal zeigen, wie das funktioniert und er meinte, dass sie auch verwandelt werden will.«
»Andi, die ist besoffen und kommt von ner Halloween-Feier. Die weiß überhaupt nicht, worum es geht. Oder hat sie der Chef rekrutiert?«
Mike Myers hieß mit bürgerlichem Namen also Andi. Nett. Wo wir gerade bei Namen waren, kam mir ein weiterer hochgefährlicher Gedanke. Ich hatte ein Ass im Ärmel, mit dem vermutlich keiner der Anwesenden rechnete.
»Ich kenne Walther sehr gut. Er hat mich bereits auf die Verwandlung vorbereitet.« Ich hob kess die Augenbraue und blickte Vroni direkt ins Gesicht. Wenn ich dafür nicht einen Oscar verdient hätte, wüsste ich auch nicht, wofür dann.
Vroni räusperte sich, Andi gab ein lautes »Häh?« von sich und Jakob sowie der Rest vom Schützenfest verharrten regungslos.
»Moment, du – du kennst Walther?« Dominik war der Erste, der etwas sagte.
»Halts Maul, Dom. Die blufft nur«, herrschte Vroni ihn an.
»Ich bluffe nicht«, spielte ich die Rolle der toughen Peggy weiter. »Peggy Schneider. Schön, euch endlich kennenzulernen. Hat Walther euch nichts von mir erzählt?«
»Nein, hat er nicht.« Vroni trat einen Schritt an mich heran, neben ihr Andi und Jakob. Irgendwie hatten die drei etwas von den Hyänen aus Der König der Löwen.
»Gut, sonst wäre unser Plan vermutlich nicht aufgegangen.« Mensch, Lex. Wovon redest du denn da?
»Was quasselt die? Was für ein Plan?«, mischte sich der dickliche Typ in unsere Unterhaltung ein.
»Na, ich sollte Dom testen. Herausfinden, wie ernst ihm die Sache ist. Ihr wollt ja keine Trittbrettfahrer in euren Reihen, gell?«
Unruhiges Gemurmel erfüllte den stickigen kleinen Raum.
»Und übrigens, dass du die Regeln befolgst, Vroni, wird er dir hoch anrechnen. Ihr anderen solltet eure Loyalität noch einmal hinterfragen.«
»Wer zur Hölle bist du?«, schrie Vroni, die offenbar nicht so leicht zu überzeugen war. Ich gebe den Oscar gern wieder zurück und akzeptiere die goldene Himbeere.
»Irgendein Mädchen, das ich in der Garderobe angesprochen habe«, miekste Dominik.
»Offensichtlich nicht. Jakob, habt ihr sie nicht manipuliert?« Vroni packte Jakob am Rüschenkragen.
»Doch, na-natürlich haben wir das. Sie hat alles gemacht, was wir ihr befohlen haben.« Er schluckte schwer.
»Dann macht es noch mal.« Vroni hielt nun mich an beiden Schultern fest und platzierte mich vor ihre Handlanger.
Jakob kam auf mich zu und starrte mich ein weiteres Mal an. Ich wusste, dass es nicht wirken würde, und starrte selbstbewusst zurück.
»Du wirst dich jetzt nackt ausziehen«, sagte er mit zitternder Stimme. Dennoch weiteten sich seine Pupillen.
Die Menge tobte. »Ausziehen! Ausziehen! Ausziehen!«, riefen sie im Chor und trampelten und klatschten im selben Rhythmus.
Und was tat ich? Ich rührte nicht einen Finger, sondern lächelte mein Gegenüber schief an.
»Zieh dich doch selbst aus, du Clown.«
»Sie kann nicht manipuliert werden. Hast du Trottel das nicht gemerkt?« Vroni drehte mich ruckartig zu sich rum. »So, meine Hübsche. Wenn du nicht manipuliert werden kannst und Walther kennst, dann müsste das bedeuten, dass du die Verwandlung bereits vollzogen hast. Bringt unserem Gast ein Glas null negativ!«
Der Dicke erhob sich. Auf seinem feisten Gesicht ein dreckiges Grinsen. »Prosit!«, sagte er und reichte mir eines der Whiskygläser, die auf dem Tisch standen. Eines mit einer roten Flüssigkeit darin.
»In einem Zug«, gurrte Vroni und betrachtete mich voller Vorfreude.
»Kein Problem«, spukte ich ihr ins Gesicht und setzte das Glas an meine Lippen.
Der metallische Geruch ließ keinen Zweifel. Mit null negativ war wirklich Blut gemeint. Menschenblut. Ich wusste, dass ein Mensch nur eine geringe Menge Blut bei sich behalten konnte. Würde ich dieses Glas auf ex leeren, würde es postwendend den Rückweg antreten.
»Dürfte ich vorher vielleicht auf Toilette gehen?«, fragte ich möglichst unverfänglich. »Ich hab wirklich zu viel Alkohol getrunken in Eichenstedt. Da passt kein weiterer Tropfen rein.«
»Sie schindet Zeit und ihr Herz rast wie bekloppt. Die ist keiner von uns. Im Leben nicht.« Eine weitere Frau trat aus der Menge hervor. Sie schien noch sehr jung zu sein. Vielleicht neunzehn oder zwanzig. Ihre langen glatten Haare und ihre sportlichen Klamotten ließ sie wie alle anderen so harmlos erscheinen, dass die gesamte Situation umso skurriler wirkte.
Aber wie konnte sie mein Herz schlagen hören? Verflucht! Ich musste mir etwas Besseres einfallen lassen, und zwar sofort.
»Natürlich ist die das nicht«, fauchte Vroni und eine Strähne löste sich aus ihrer strengen Frisur. »Die Frage ist nur: Woher kennt sie Walther?«
»Tja, das wüsstet ihr gerne, was?«, neckte ich meine Widersacherin, was sie endlich einmal überraschte. Ich nutze diesen winzigen Moment, um aus der Tür zu sprinten. Ich wollte das Auto meiner Entführer erreichen und flüchten.
»Das war eine ganz blöde Idee, Mäuschen.« Vroni hatte mich eingeholt. Sie musste an mir vorbeigezischt sein, ohne, dass ich etwas davon mitbekommen hatte. Genau wie der Tattoomann. »Jetzt wollen wir erst recht unseren Spaß mit dir.« Sie lächelte finster und erneut traten ihre Adern unter den Augen hervor.
Was dann geschah, war so faszinierend wie schauerlich. Sie öffnete ihren Mund, aus dem spitze Reißzähne hervorblitzten und biss sich damit in ihr eigenes Handgelenk.
»Das Menschenblut hast du verschmäht. Wie wäre es also damit?«, fragte sie und drückte mir ihren blutenden Unterarm gegen meinen Mund.
Ich schmeckte eine metallische Flüssigkeit. Zuerst dachte ich, ich würde diese sofort wieder erbrechen. Dann passierte etwas Seltsames. Vronis Blut schmeckte eigenartig. Nicht gut aber auch nicht schlecht und ich fühlte mich plötzlich, als wäre ich high.
»Jetzt kann der Spaß beginnen!«, rief sie den anderen zu, die sofort wieder in Jubelschreie ausbrachen.
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