Prima nocte / Part 1
»ICH HABE DEN KIRSCHSAFT!« Tuyet wirbelte wie ein Sturmwind durch ihre Wohnung. Hätte sie lange Haare gehabt, würde sie mit keinem Kamm der Welt mehr hindurch kommen, sooft wie sie sich diese in der letzten Stunde gerauft hatte. Die drei Packungen Sauerkirschsaft, die sie eigenen angaben nach, erst vergangene Woche gekauft habe, waren nirgendwo aufzufinden gewesen.
»Wo war er denn?«, fragte ich meine ruhelose Freundin, welche das wichtigste Utensil unserer Verkleidung endlich in den Händen hielt.
»Im Putzschrank«, kicherte sie und schlug sich mit der flachen linken Hand gegen die Stirn. »Ich hatte ihn dort versteckt, damit wir ihn nicht aus Versehen vorher schon trinken und heute keinen mehr haben.«
Für Tuyet, ihren fünfjährigen Sohn Liem und mich würde dieser heutige 29. Oktober ein aufregender und stressiger Tag werden. Unser Programm war straff durchorganisiert. Zunächst waren die Kids dran. Eine Kinder-Halloween-Party im Eichenstedter Gemeinschaftshaus wurde ins Leben gerufen. Wir würden Liem und seine Freunde dorthin begleiten und uns um das Catering sowie Spiel und Spaß kümmern. Tuyet hatte sich freiwillig dafür angemeldet. Und mich gleich mit. Anschließend, wenn die lieben Kleinen (hoffentlich) glücklich und hundemüde nach Hause gingen und Liem von Tu-Tus Eltern abgeholt worden war, würde die Grusel-Sause für die Großen starten.
Genau wie im letzten Jahr würde Tuyet ihren Geburtstag auf dieser Halloweenfeier begehen. Dieses Jahr werden wir reinfeiern. Punkt Mitternacht würde meine Freundin dann 31 Gräber-Kerzen auf einer riesigen Torte auspusten müssen, die dem Musikvideo zu Michael Jacksons Thriller nachempfunden war.
Apropos Michael: Unser Boss hatte für Momo und für mich einen Termin bei der Hauptzentrale der Creatura Fabularis in München zugeschickt bekommen. Am Freitag, den 10. November. Also doch ziemlich bald.
Während ich dort wegen meiner angeblichen Fähigkeiten, emotionalen Kontakt zu Fabeltieren aufbauen zu können, auf Herz und Nieren durchgecheckt werden würde und zudem weitere Schulungen und Prüfungen ablegen müsste, hatte Momo mehr Grund zur Freude. Es ging um sein selbst entwickeltes Fabeltier-Aufspür-Programm, an dem er einige Monate lang getüftelt hatte.
Die CF will es als offizielle Applikation zu ihrer eigenen Software hinzufügen. Bislang konnte damit nur angezeigt werden, ob und wo es eine Öffnung zur Parallelwelt gegeben hatte. Dank Momos Erweiterung sollen CF-Agenten weltweit bald auch das Fabeltier selbst leichter aufspüren können. Dadurch soll effektiver verhindert werden, dass Menschen die seltsamen Wesen zuerst zu Gesicht bekamen, wie es zuletzt bei dem Hippokamp der Fall war.
Dieser setzte demnach wohl am Moserteich bei Benneckenstein in unsere Welt über und schwamm dann (glücklicherweise ungesehen) die vielen Kilometer bis zur Talsperre. Somit konnte die CF weder sagen, wo sich das Wesen aufhielt noch, worum es sich überhaupt handelte. Erst die Nessie-Meldungen einige Tage später riefen uns wieder auf den Plan. Momos App, die zu meiner heimlichen Erheiterung Ähnlichkeiten zu Pokémon Go aufwies, soll dieses Problem ein für alle Mal lösen. Ich konnte gar nicht sagen, wie stolz ich auf unseren kleinen Nerd war.
Ach, ja. Mitarbeiter der Creatura Fabularis wurden wirklich Agenten genannt. Klingt ein bisschen nach Matrix und passte zu meinem heutigen Halloween-Kostüm, welches sich irgendwo zwischen Trinity und Selene aus Underworld bewegte.
»Schwarze Haare stehen dir nicht, Lex«, kommentierte Tu-Tu meine Perücke, die ich aus unserem Theaterfundus retten konnte, bevor das »Schiller Theater« am gestrigen Freitag endgültig ausgeräumt wurde.
Dabei habe ich Dustin wiedergesehen, der die Räumung unseres einstigen Traums begleitete. Er und David hatten eine berufliche Übergangslösung bei einem Puppentheater in Stuttgart gefunden. Ich erzählte ihm von meinem Bürojob bei einer kleinen Detektei, was er sehr spannend fand. Wenn er wüsste, wie spannend!
Wenn ich den Termin bei der CF in München wahrnahm, würde es bedeuten, dass ich ab Januar eine Festanstellung als Agentin bekäme. Ein Leben voller Abenteuer, aber auch Gefahren und Lügen läge dann vor mir. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, darüber nachzudenken.
»Hoffentlich haben die Kids keine Angst vor mir«, setzte ich die Unterhaltung mit Tuyet zu meiner Kostümierung fort, um mich schnell abzulenken. »Ist ja schon ziemlich viel schwarz und dann der lange Mantel.«
»Die Kinder von heute halten das aus. Die wollen es gruselig. Komm, Lex. Ich hab jetzt alles. Blutbeutel mit Kirschsaft sind fertig. Sieht doch täuschend echt aus, was?« Tuyet wedelte mit einigen Infusionsbeuteln herum, die sie von ihrer Chefin bekommen hatte. Mit dem roten Saft darin wirkten diese tatsächlich ziemlich authentisch.
Nachdem wir das Gemeinschaftshaus erreicht hatten, wurden wir sogleich von zahlreichen kleinen Gespenstern, Vampiren, Zombies und, ähm, gut, Marienkäferchen und Prinzessinnen in Empfang genommen. Nicht jedes Kind wollte Halloween als Gruselgestalt feiern. Aber wir brauchten ja auch jemanden, der sich gruselte, und es sollte nicht lange dauern, bis die erste Prinzessin von einem zotteligen Werwolf erschreckt wurde und schrill kreischte.
»Da vorne ist Liem! Der kleine Graf Dracula, der sich gerade an Wackelpudding mit Glubschaugen bedient.« Tuyet winkte in Richtung des Catering-Stands, den wir in den kommenden drei Stunden betreuen sollten. Als der kleine Blutsauger uns entdeckte, kam er sofort auf uns zu gerannt. Im Schlepptau hatte er eine Hexe und Jack Sparrow. Verzeihung, Captain Jack Sparrow.
»Tante Lex, Tante Lex!«, rief Liem mir zuerst freudig entgegen. Dann jedoch stoppte er und guckte mich mit großen Augen an. »Bist doch Tante Lex, ja?«
Ich nahm meine Sonnenbrille ab und beugte mich zu dem Mini-Vampir herunter. »Vielleicht bin ich es, vielleicht aber auch nicht.«
»Hihihi! Bist Tante Lex!«, hüpfte Liem glücklich auf und ab und verschwand gleich darauf mit seinen Freunden in die niedlich-gruselige Partymenge.
»Ist ja ordentlich was los hier«, freute sich Tuyet über die ausgelassene Stimmung der fünf- bis zehnjährigen Kinder. »Nachdem einige Eltern nicht so begeistert darüber gewesen sind, dass die Kindergärten und Grundschulen diese Feier organisiert hatten, dachte ich schon, es würden nicht so viele kommen.«
»Wieder die alte Leier von dem amerikanischen Blödsinn, der hier nichts zu suchen habe?«, fragte ich nach den Gründen für die Skepsis bei den Eltern.
»Genau das«, bestätigte Tuyet meine Vermutung und verdrehte die Augen. »Dabei geht der ganze Spaß auf keltische Bräuche zurück. Die Amis haben eine Art Karneval daraus gemacht.«
Drei Stunden später wurde Liem als Letztes der rund einhundertzwanzig Kinder abgeholt. Eine Feier voller Musik, Tanz, Gruselgeschichten und Spiele lag hinter uns. Das Kleckern nicht zu vergessen, zu erwähnen! Tuyet und ich hatten einiges zu putzen. Glücklicherweise bekamen wir Unterstützung von den Betreibern des Gemeinschaftshauses. Denn dieses sollte nur zwei Stunden später, also ab 21 Uhr seine Pforten bereits wieder öffnen. Dann waren die Erwachsenen an der Reihe, ihre Gruselfantasien auszuleben. Ich war wohl die Einzige, die dabei aus eigenen Erfahrungen schöpfen konnte. Kurz musste ich daran denken, was passieren mochte, wenn sich ausgerechnet hier, inmitten der Partygäste ein Portal zur Parallelwelt öffnen würde. Mit etwas Glück würden die Gäste es vielleicht für einen originellen Gag halten. Marlowe hatte mir erklärt, dass diese Portale sich niemals innerhalb von Gebäuden auftun. Hoffentlich wussten die Portale das auch.
»Kommen deine Detektei-Fuzzies eigentlich auch zur Party?«, riss mich Tuyet aus meinen Gedanken, als sie gerade leere Pappbecher und Papierservietten in einen stinkenden blauen Müllsack stopfte.
»Nein, die haben alle schwer zu tun«, antwortete ich und hatte damit nicht unrecht.
Luke war noch krankgeschrieben und bei seiner Familie in Dresden. Momo war von seiner Software nicht wegzukriegen und Saskia hatte ich nicht gefragt, wobei wir uns zuletzt noch ein bisschen mehr angenähert hatten. Für gemeinsame Freizeitaktivitäten waren wir aber wohl nicht geschaffen.
»Und dein schmucker Chef?«, stieß mir Tuyet beim Vorbeigehen den Ellenbogen in die Seite.
»Tu-Tu, ich habe dir doch erklärt, was passiert ist.« Ich wollte das Thema nicht erneut durchkauen, nachdem ich mich am späten Dienstagabend um Kopf und Kragen gelogen hatte. Wasserschaden, Klamotten im Arsch. Viel Arbeit beim Saubermachen und Gegenstände retten. Völlig erschöpft mit allen anderen zusammen im Hinterzimmer übernachtet. Kleidung von der Aktuellen, nicht der Ex. Ich sieze den Boss. Nichts weiter.
»Hab es ja verstanden. Vielleicht finden wir heute Abend wen für dich, hm? Dein Leben besteht sonst nur aus Schreibtischarbeit und Netflix. Das kann ich als deine Freundin nicht zulassen.« Singend und hüfteschwingend machte sich Tuyet weiter an die Arbeit.
Manchmal war es nervig, wenn die Leute dachten, wie langweilig mein Leben doch wäre. Ab und zu brachte es mich aber auch zum Schmunzeln. Das war glücklicherweise heute der Fall gewesen. Es war einfach ein viel zu schöner Abend, um sich Gedanken zu machen.
Noch vor der Eröffnung des »Jasons-Revenge-Halloween-Massacre-Eichenstedt '17«, so der offizielle Name dieser Party, trudelten die ersten Gäste ein. Diese waren ausnahmslos dem Thema angepasst verkleidet. Keine Prinzessinnen und Käferlein. Dafür jede Menge Kunstblut und Fakeorgane. Ein wenig eklig war das ja schon. Aber ich war mittlerweile ganz andere Dinge gewöhnt.
Es sollte nicht lange dauern, da dröhnten die Bässe und blitzten die Stroboskoplichter. Die Nebelmaschine tat ihr Übriges und abgesehen von der Optik war es eine Club-Party, wie jede andere auch. Es floss viel Alkohol und in der Raucherecke dampften nicht nur Shishas und Zigaretten.
Der Zigarettenduft weckte gleich zweierlei Erinnerungen in mir. Zum einen meine jüngst überwundene Sucht, zweitens kam mir der Zopfmann wieder in den Sinn. Dieser Marko Kellner, der mich bei meinem Spionageeinsatz im Supermarkt in seine Fittiche bekommen hatte. Automatisch wurde ich aufmerksamer und begann, jeden einzelnen der Gäste genau zu betrachten. Bei diesen wilden Kostümen würde ich jedoch niemanden wiedererkennen. Tuyet deutete mein Interesse an unseren Mitmenschen falsch.
»Na, schon wen Passendes gefunden?«, schrie sie durch den Lärm zu mir rüber und ließ bei dem Gedränge beinahe unsere Bloody Marys fallen.
»Ich dachte schon, die Kinder würden viel Chaos verursachen. Nun schau dir mal an, was diese Teenies dort vorne treiben.« Ich ging nicht auf ihre Frage ein, sondern spielte die alte Dame, die sich über die Jugend aufregte.
»Zum Glück müssen wir das diesmal nicht wegmachen.« Wir stießen auf unsere Freundschaft an und tranken einen kräftigen Schluck des Wodka-Tomatensaft-Gesöffs.
Dann mischten wir uns unters Volk und ich tanzte mir alle Sorgen und Gefahren der vergangenen Wochen von der Seele. Wobei das so nicht stimmte. Immer wieder rempelte ich „absichtlich unabsichtlich" jemanden an, um zu überprüfen, ob ich irgendeine Präsenz spürte. Nichts. Keiner der Anwesenden schien einen übernatürlichen Hintergrund zu haben. Auch, wenn sie alle schwer danach aussahen.
Punkt Mitternacht gingen das Licht und die Musik aus. Diejenigen, die nicht eingeweiht waren, schimpften und fluchten. Ich allerdings hatte nur darauf gewartet.
Aus dem hinteren Bereich war ein flackerndes Leuchten zu erkennen. Ich eilte schnell dorthin, um mich in Position zu bringen. Schon tauchten Freunde und Verwandte von Tuyet singend hinter einem Paravent auf und ich schloss mich ihnen an.
»Happy Birthday, Tu-Tu!«, riefen wir nach dem obligatorischen Geburtstagsständchen und im selben Augenblick ging das Licht wieder an und bunte Luftschlangen und glitzerndes Konfetti flog aus allen Himmelsrichtungen durch die Luft. Tuyet standen die Tränen in den Augen, als sie ihre Geburtstagstorte sah. Es war eine riesige Pracht aus Marzipan, Kuvertüre und Ganache. Viel zu schade, zum Essen. Vor allem der kleine Michael Jackson in seiner typischen Tanzposition zu Thriller, mit angewinkelten Armen und Beinen. Selbiger Song dröhnte nun auch durch den großen Saal des Eichenstedter Gemeinschaftshauses.
Tuyet schaffte es natürlich nicht, alle 31 Gräber-Kerzen auf einmal auszupusten, also halfen wir ihr dabei.
»Vielen Dank. Ihr seid großartig!« Der gesamte Saal jubelte und gratulierte meiner Freundin zu. Das hatte sie sich nach der Scheidungsschlammschlacht wirklich verdient. Im kommenden Lebensjahr möge alles besser für sie laufen.
Ich wurde mit einigen ihrer langjährigen Freunde und Arbeitskolleginnen bekanntgemacht, die ich bisher noch nicht getroffen hatte. Nach ein paar Minuten Small Talk begann die Halloween-Party wieder an Fahrt aufzunehmen. Allerdings wurde mir so langsam echt heiß in dem langen Kunstledermantel und der schwarzen kinnlangen Perücke. Ich watschelte Richtung Garderobe, um mich dieser Last ein wenig zu entledigen.
»Na, ist dir auch so heiß geworden da drin?«, sprach mich ein junger Mann von der Seite an.
»Allerdings!«, antwortete ich und atmete schwer aus. »Ist echt stickig und das Kostüm macht es nicht besser.«
»Matrix oder Underworld?«, fragte er nach meiner Verkleidung und musterte mich interessiert.
»Irgendwas dazwischen. Was magst du denn lieber?«, ließ ich mich auf das Gespräch ein. Der Kerl war ungefähr Ende 20, hatte dunkelblonde Haare und grünbraune Augen. Kostümiert war er als blutverschmierter Arzt. Wäre eigentlich was für Tu-Tu, dachte ich. Aber er hatte nun mal mich angesprochen.
»Underworld«, beantwortete er meine Frage, ohne lange zu überlegen. »Vampire sind viel cooler als irgendwelche falschen Realitäten und son Computerzeug.«
»Wenn du das sagst, ehm?«, wollte ich seinen Namen in Erfahrung bringen, während ich mir mit der Perücke Luft zufächelte.
»Dominik.« Freundlich streckte er mir seine Hand entgegen. Mit Mantel und Perücke beladen, hatte ich aber selbst keine frei und grinste nur entschuldigend.
»Kein Ding, äh?«, machte er deutlich, dass er auch meinen Namen wissen wollte.
»Peggy. Nett, dich kennenzulernen, Dominik.« Ich mochte paranoid sein, aber es erschien mir falsch, einem wildfremden Mann meinen richtigen Namen zu verraten. Mittlerweile bereute ich sogar schon, dass er mich mit meinen echten Haaren sehen konnte.
»Sehr erfreut. Wollen wir ein bisschen vor die Tür? Ich brauche Sauerstoff.« Er machte wirklich einen netten Eindruck und ich hatte bislang nichts Verdächtiges bemerkt. Dennoch blieb ich vorsichtig.
»Ne, lass mal. Ist zu kalt und ich bin so verschwitzt«, wiegelte ich ab. »Aber wir können uns ein bisschen auf die Treppe setzen.«
Das Gemeinschaftshaus war ein wunderschönes herrschaftliches Gebäude. In den Fluren und auf den Treppen waren graue Teppiche verlegt und die indirekte Beleuchtung der holzvertäfelten Wände hüllte alles in einen goldenen Schein. Bis auf ein paar Leute, die bereits den Heimweg antraten oder jetzt erst gekommen waren, hatten wir auf der Treppe unsere Ruhe.
Dominik war ein wenig schüchtern, hatte ich das Gefühl. Putzig. Wir unterhielten uns eine ganze Weile weiter über Filme und Serien und so einen Mist. Der Knabe schien definitiv eine Obsession für Vampire zu haben. Er hatte sogar Twilight rauf und runter geschaut, amüsierte sich allerdings über Edwards Glitzern im Sonnenlicht.
»Was denkst du darüber, was mit Vampiren in der Sonne passiert?«, ging ich auf sein Lieblingsthema ein.
»Sie verbrennen«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.
»Ja, davon habe ich auch schon einmal gehört. Aber ich finde es in Ordnung, wenn Autoren zu den bekannten Themen auch ihre eigene Fantasie einbringen. Das wäre sonst irgendwann langweilig.« Ich zwinkerte ihm frech zu, woraufhin sich seine Miene allerdings verfinsterte.
»Ich persönlich denke, dass die Menschen durch solche Filme ein völlig falsches Bild über das Dasein eines Vampirs vermittelt bekommen.« Dominik kratzte sich an seinem linken Oberarm und blickte zu den beiden Eingangstüren gegenüber der Treppe, auf der wir saßen.
»Die Leute sollen ja auch ihrem langweiligen Leben entfliehen und tolle Abenteuer erleben und nicht die realen Leiden der Vampire durchleiden. Das sind keine Dokumentarfilme über Blutsauger«, ich kicherte ein wenig, was meinem Gesprächspartner offenbar übel aufstoßen ließ.
»Denkst du, Vampire leiden unter ihrem Dasein?«, hörte er nicht auf, das Thema auszureizen.
»Möglicherweise«, dachte ich laut nach. »Immer das Sonnenlicht meiden, anderen Menschen wehtun und dann noch die Sache, dass sie sich nicht mal im Spiegel sehen können. Ich meine, stell dir das einmal als Frau vor! Wird schwierig mit schminken und Haare machen.«
»Das mit dem Spiegel ist Unsinn«, herrschte er mich an und stand auf.
»Welchen Vampirfilm könntest du mir denn empfehlen?«, bemühte ich mich um Wahrung des Friedens.
»Keinen. Nichts ist so authentisch wie das echte Leben.« Auf Dominiks Mund machte sich ein seltsames Lächeln breit. »Würdest du es gern mal probieren?«, schnalzte er mit der Zunge und trat einen Schritt an mich heran.
»Was probieren?«, fragte ich und stand ebenfalls auf.
»Wie es ist, ein Vampir zu sein?«
»Wie probiert man das denn?« Ich spielte bei seiner verschrobenen Art zu flirten weiter mit. Es passte zum heutigen Abend und machte irgendwie Spaß.
»Schon mal Blut gekostet?«, hauchte er mir ins Ohr.
»Blutwurst höchstens«, antwortete ich. »Wieso, Herr Doktor. Haben Sie etwa eine Blutkonserve aus dem Krankenhaus mitgehen lassen? So wie Sie aussehen, hat sich Ihr letzter Patient bei der Blutabnahme ordentlich zur Wehr gesetzt.« So langsam machte mir die Sache immer mehr Spaß. Ich musste nur zeitig genug die Reißleine ziehen, bevor er mich zu irgendwelchen kranken Sexspielchen einladen würde.
»Blutkonserve nicht, aber ich kenne jemanden, der gern mit uns teilen möchte.«
Okay, der Moment, den Spaß zu beenden, war schneller gekommen, als erwartet.
»Ach, komm. Hör jetzt auf mit dem Blödsinn«, gab ich mich weiter amüsiert.
»Ich mache keine Scherze. Ich habe mich bislang nicht getraut, aber wenn wir es gemeinsam tun würden«, Dominiks Gesichtsausdruck veränderte sich erneut. Jetzt wirkte er eher verunsichert und dennoch sehnsuchtsvoll. Was ging in diesem kranken Hirn vor?
»Ne, lass gut sein«, wiegelte ich ab und ging langsam auf Abstand zu diesem Freak. »Ich bin dann doch kein so großer Vampirfan. Da kämpfe ich lieber gegen einhundert Hugo Weavings. Trink dein Blut ruhig allein.«
Ich lächelte noch einmal kurz und drehte mich dann um, um zurück zu Tuyet zu gehen. Ich sollte nicht weit kommen. Auf dem Weg zum Tanzsaal passten mich zwei weitere Kerle ab. Zwei Männer, ebenfalls Mitte bis Ende 20 und mit einer stark wahrnehmbaren düsteren Präsenz, wie ich sie zuletzt bei dem Tattoomann gespürt hatte.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top