Hilares dies natales Domini! / Part 1

»UND, HABEN DIE NUN ein Bein kürzer oder ein Bein länger?«, fragte mich Luke, der mit mir gemeinsam die Ausrüstung für unseren heutigen Fall zusammen kramte.

»Beides trifft gleichermaßen zu. Das eine Bein ist viel kürzer als bei einem normalen Huhn und das andere deutlich länger«, antwortete ich und dachte mit einem Schmunzeln an die Hanghühner in Thale zurück, die wir vor zwei Wochen unter großen Bemühungen eingefangen und in die Parallelwelt zurückgebracht hatten. Luke wäre gern dabei gewesen. Er mochte diese possierlichen Tierchen. Jedoch kehrte er erst am darauffolgenden Montag von seinem Urlaub in Dresden zurück. Mit einem neuen Auto!

»Ich hoffe doch, dass dir künftig nicht mehr übel wird. Der hat eine echt gute Straßenlage, ist ruhig und geschmeidig wie ein Panther«, stellte er mir stolz seinen silberfarbenen Opel Insignia A vor. »Ach, du gehst ja zurück nach Hamburg. Hatte ich fast vergessen. Lässt uns allein in diesem Elend«, ulkte der große Blonde und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »Hab ja anfangs nicht erwartet, dass diese Pokémon Go-spielende Schauspielerin sich so gut macht. Und wer hätte gedacht, dass du auch noch ne verbriefte Hexe bist.«

»Keiner, schätze ich und ich am allerwenigsten«, lachte ich, als ich die Infrarotkamera sicher verstaute. »Wobei es verkappte Hexe besser trifft. Zaubern kann ich schließlich nicht. Nur Verbindung zu Fabelwesen aufnehmen.«

»Was extrem cool ist! Hellsehen wäre auch noch schmissig gewesen«, grübelte Luke und überprüfte dann die Batterien der Ghostbox. »Ne, im Ernst. Mit dir kann man wenigstens quatschen. Bis auf Momo sind alle meistens mit ihrem eigenen Kram beschäftigt. Saskia mit dem Voynich-Manuskript oder was auch immer. Na ja und der Boss ist eben der Boss.« Luke blickte sich suchend nach Ben um, der aber noch in einem Kundengespräch verwickelt war. Trickbetrüger hatten man wieder zugeschlagen. Diesmal im Internet. Von „unserer" Bande hatten wir bisher nichts mehr gehört. Zum Glück vor allem von den Vampiren nicht.

»Ihr müsst ihn nur mal ab und zu aus seiner Komfortzone herauskitzeln«, gab ich Luke einen Rat im Umgang mit dem wortkargen Briten.

»Ich weiß!«, rief Luke mir entgegen und grinste frech. »Manchmal kann man sich sogar richtig gut mit ihm unterhalten und Blödsinn machen. Aber irgendwann zieht er sich aus nicht ersichtlichen Gründen zurück in sein Schneckenhaus. Gibt es Menschen, die Angst davor haben, Freunde zu haben?«

Luke machte sich dieselben Gedanken über unseren Boss wie Momo. Ben war sich vermutlich gar nicht bewusst, dass er ihnen nicht egal war. Oder Luke hatte recht. »Sie sind nicht meine Freunde«, hatte Ben damals zu mir gesagt. Das würde ich natürlich niemals jemandem erzählen. Während meiner letzten Tage hier will ich keinen Unfrieden in der Detektei stiften. Dennoch klang es nicht verbittert oder abwertend, als Ben das sagte, eher traurig.

»Ja, ich denke, dass es manchen Menschen schwerfällt, loszulassen und zu vertrauen, wenn sie schon vieles erlebt haben«, versuchte ich, Lukes Frage allgemeingültig zu beantworten.

»Hast recht«, nickte Luke und klappte seinen Kofferraum zu. »Obwohl sich gerade Saskia regelrecht bei ihm anbiedert.« Er deutete mit dem Kopf zum Eingangsbereich der Detektei. Ben stand jetzt dort, eingepackt in einem dicken karierten Mantel und einer grauen Baskenmütze. Neben ihm Saskia, die noch etwas zu sagen hatte, was Ben augenscheinlich nicht sonderlich zu interessieren schien.

»Ich dachte zu Anfang, die beiden seien ein Paar, weil sie so oft in seinem Büro ist«, gestand ich kichernd meine damalige Fehldeutung.

Luke kniff die Lippen zusammen und beugte sich zu mir vor. »Wenn es nach Sas ginge, würde sie dort ganz sicher nicht nur Schach mit dem Boss spielen.«

Dann kam Ben bereits auf uns zu und wir mussten unsere Klatsch- und Tratschrunde unterbrechen.

»Solides Auto«, kommentiere Ben Lukes Neuanschaffung und ließ sich von diesem bei einem Fachgespräch um das Gefährt führen.

Ich stieg währenddessen hinten ein und freute mich insgeheim, dass die beiden so ein richtig schönes Männergespräch führten. Vielleicht schafften es Luke und die anderen ja doch noch eines Tages, Ben aus seiner Schutzhülle zu befreien. Fall es wirklich etwas mit diesem Vorfall in London zu tun hatte, musste er vermutlich nur ein Trauma verarbeiten.

Beim Anschnallen warf ich einen Blick zurück zur Detektei, wo Saskia in eine Strickjacke gewickelt noch immer an der Tür stand und zu uns schaute. Oder zu Ben, falls ich Luke richtig verstanden hatte. »Manche Leute passen ihr Verhalten ihren Zielen an«, kam mir Momos Aussagen wieder in den Sinn.

»Na, dann mal los!«, unterbrach Luke meine Gedanken, der sich übermotiviert in sein neues Auto schwang. »Schade, dass es bis Klein Wiesenstedt nicht so weit ist. Aber wir können auf der Rückfahrt ja noch einen kleinen Umweg machen«, schlug er vor und grinste mich dabei frech an.

»Mir wird nicht schlecht!«, sagte ich sofort zu meiner Verteidigung. »Immerhin bin ich ohne Vorkommnisse in den Harz gefahren. Ich sagte doch, das lag nur an dem Geist.«

»Deswegen bin ich ja so besorgt. Wenn die Bewohner recht haben und in ihrem Haus ein Geist haust, dann könnte es wieder brenzlich werden. Tüten hab ich mit. Für alle Fälle.«

Wilhelm hatte uns vor zwei Tagen über einen kuriosen Fall in einem Einfamilienhaus in Klein Wiesenstedt unterrichtet. Die Familie, die darin wohnte, hatte die Polizei wegen eines vermeintlichen Einbruchs alarmiert. Es seien Geräusche und Stimmen auf dem Dachboden zu hören gewesen, als sie gerade die Weihnachtsdekoration herunterholen wollten. Die Beamten konnten jedoch nichts finden, wodurch der Fall über Wilhelms befreundeten Kommissar an die Creatura Fabularis weitergeleitet wurde. Der Verdacht: Poltergeist.

»Ich werde mich nicht wieder von einem Geist streicheln lassen, versprochen.« Ich hob die Hand zum Schwur, klatschte dieselbe jedoch einen Moment später gegen meine Stirn, als im Radio Last Christmas abgespielt wurde. Luke und sogar Ben verzogen ebenfalls gequält die Gesichter. O du fröhliche Weihnachtszeit!

Wir erreichten die Frühlingsallee in Klein Wiesenstedt gegen 19 Uhr. Familienvater Wolfgang Mahler wartete bereits am Zaun seines überschaubaren Grundstücks und winkte uns heran. Im Vorgarten standen drei leuchtende Rentiere und an der Fassade krabbelte eine Weihnachtsmannfigur herum. An einem Fenster im oberen Stockwerk des Hauses konnte ich hinter einem Schneemann-Fensterbild zwei neugierige Kindergesichter hervorlugen sehen. Ich winkte ihnen freundlich zu, woraufhin sie jedoch verschwanden.

»'n Abend«, begrüßte uns Herr Mahler. Ein Mann um die Vierzig mit leicht ergrauten Schläfen, lichter werdendem Haar und Bauchansatz. »Ich hätte Sie mir ganz anders vorgestellt«, schmunzelte er verlegen und bedachte uns mit neugierigen Blicken.

»Unsere Protonen-Packs sind noch im Auto. Der ECTO-1 allerdings gerade in der Werkstatt«, bezog sich Luke scherzhaft auf die Ghostbusters, was Herrn Mahler ein herzhaftes Lachen entlockte.

»Sie gefallen mir! Dann komme Sie mal rein, dann schildern wir erst einmal, was wir beobachtet haben.« Herr Mahler führte uns in sein festlich geschmücktes Haus. Krippen, Pyramiden, Kränze und Schwippbögen. Es gab nichts an Weihnachtsdeko, was es hier nicht gab. Wir wurden in die Küche dirigiert und Herr Mahler bot uns einen Kaffee an. Seine Frau Sonya stieß kurz darauf ebenfalls zu uns. Ihr stand der Schrecken buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Beide berichteten uns von herunterfallenden Gegenständen, schabenden Geräuschen, kleinen Trapsen im Staub und einer komischen Stimme.

»Wir können nicht sagen, was es für eine Sprache ist«, schilderte Frau Mahler ihre Erlebnisse, zupfte dabei an ihrem Adventskranz herum, der auf dem Küchentisch stand und schaute beim Erzählen eigentlich nur zu Ben. »Zuerst dachten wir, es seien Waschbären oder ein Marder, der es sich da oben über den Winter gemütlich gemacht hat. Aber es klang auch ein wenig wie ein Kind. Also haben wir die Polizei gerufen.«

»Die haben alles abgesucht und nichts gefunden, das auf einen Einbruch hinweist«, ergänzte Herr Mahler und rieb sich das stoppelige Kinn. »Dann haben wir einen Anruf von einem gewissen Kommissar Burmeister erhalten, der uns Ihre Detektei empfahl. Und Sie kennen sich mit so was aus? Also, falls es ein Geist ist?« Die Mahlers rissen die Augen auf und schluckten schwer. Vor der Küchentür ertönte zeitgleich gedämpftes Kichern.

»Lisa, Vivi, geht wieder in eure Zimmer! Ihr müsst morgen zur Schule. Hier wird Erwachsenenkram besprochen. Husch!« Frau Mahler stand auf und brachte ihre Töchter zurück in ihre Betten.

»Wir haben zumindest mehr Zeit, als die Polizei«, antwortete Ben auf Herrn Mahlers Frage nach unseren Geisterjägererfahrungen. »Wir legen uns auf die Lauer, überprüfen alles ganz genau und bilden uns dann ein Urteil darüber, was es sein könnte und was Sie tun können, um den Spuk zu beenden.«

»Sie haben ja einen schönen Akzent!«, schwärmte Frau Mahler, als sie wieder in die Küche kam und schaute Ben fasziniert an. »Möchten Sie noch etwas essen? Ich habe frischen Stollen gebacken.«

Luke und ich warfen uns schmunzelnde Blicke zu, als unser Boss direkt ein bisschen rot wurde. Herr Mahler schien von der Begeisterung seiner Frau für Mr Marlowe weniger amüsiert zu sein. »Dann machen Sie sich mal an die Arbeit, Herrschaften!«, sagte er und erhob sich von seinem Stuhl. »Ich habe Ihnen oben ein Gästezimmer hergerichtet. Da können Sie ihre Instrumente und was immer Sie dabeihaben, aufbauen. Der Dachboden ist über eine Holztreppe gleich neben dem Zimmer zu erreichen. Bringen Sie bitte nichts durcheinander. Meine Frau hat ihr ganz eigenes Ordnungssystem.«

»Seien Sie unbesorgt, Herr Mahler. Ich passe schon auf meine Kollegen auf«, beruhigte Luke unseren Kunden, welcher dies mit einem anerkennenden Nicken quittierte.

Mir war schon seit einer Weile aufgefallen, dass unser Lukas auch so seine Eigenarten hatte. So achtete er zum Beispiel darauf, dass, wenn möglich, alles immer in einer geraden Anzahl vorhanden war. Wenn wir drei Packungen Kaffee in der Detektei hatten, war er es, der eine vierte dazustellte. Er konnte es auch nicht leiden, wenn ein neues Kapitel auf einer ungeraden Seitenzahl begann und sogar Trilogien mochte er nicht besonders. Auf seinem Autokennzeichen standen natürlich nur durch zwei teilbare Ziffern. Außerdem knöpfte niemals drei oder fünf Knöpfe an Jacken oder Hemden zu. Vermutlich gefiel ihm deshalb sein Spitzname besser, weil Lukas unverschämte fünf Buchstaben hatte. Damit, dass wir heute zu dritt waren, musste er wohl oder übel klarkommen.

Herr Mahler hatte uns in das kleine Gästezimmer im oberen Stockwerk seines Hauses geführt. Es war eingerichtet mit zwei bezogenen Betten. In der Ecke hinter der Tür stand noch ein Holzbett, wie ich es von früher aus dem Kindergarten kannte. Außerdem gab es einen runden Tisch mit drei Stühlen (Hoffentlich stellte Luke nicht einen davon vor den Raum) und einen großen Wandschrank sowie zwei kleinere Kommoden auf denen jeweils eine Lampe stand. Auch die Kinderzimmer befanden sich auf dieser Etage. Während wir unser Equipment hinaufschafften, öffneten sich ihre Türen einen Spalt breit.

Ab 20 Uhr setzten wir uns auf die Lauer.

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