Gallus gallus conatus / Part 2

»FALLS ER NOCH KEINE HAT, wäre das eine geeignete Frau für Elmar Clausen«, flüsterte mir Momo zu, nachdem wir uns zu der farbenfrohen Madame Feuille de Trèfle ans Lagerfeuer gesetzt hatten. »Er mit seinem Sächsisch, sie mit ihrem Schweizerdeutsch und zusammen können sie dann in Yeti-Sprache miteinander reden.«

Die Vorstellung hatte tatsächlich etwas recht Amüsantes, musste ich zugeben. Esmeralda war genauso ein Unikat wie der ambitionierte Nessie-Sucher. Glücklicherweise beherrschte auch sie Hochdeutsch, sodass wir darüber aufgeklärt wurden, dass mit Blätzli ein Putenschnitzel gemeint war. Mit Blätterteig überbacken. Außerdem gab es mit Käse überbackene Rösti, das waren im Prinzip Kartoffelpuffer. Dazu bot sie uns eine Menge Quarkinis – frittierte Quarkbällchen an.

»Hier sind noch ein paar Spitzbuben vom Zvieri übrig geblieben!«, trällerte Esmeralda und reichte eine Tupperdose voller Plätzchen mit Erdbeerkonfitüre herum.

»Wenn wir öfter mit Esmeralda zusammenarbeiten, kullern wir bald durch den Harz«, hörte ich Saskia murmeln, bevor sie sich neben Ben setzte und dennoch ein zweites Plätzchen nahm.

»Schon interessant, wie freundlich Saskia sein kann, wenn der Boss in der Nähe ist, nicht?«, sprach mich Momo noch etwas leiser an und deutete auf unsere beiden Kollegen, die uns gegenüber auf einem alten Baumstamm saßen.

»Wie meinst du das?«, fragte ich und dachte an das offene Gespräch, das ich mit meiner Kollegin im Auto geführt hatte. »Ich kann mich in letzter Zeit nicht über sie beklagen.«

»Nun, ich will nicht sagen, dass Saskia ein Unmensch ist«, rührte Momo um den heißen Brei und fummelte dabei mehrmals an seinem Brillenbügel herum. »Aber ich kenne sie jetzt schon eine ganze Weile und Saskia ist eben Saskia. Außerdem weiß, denke ich, jeder, dass sie –«

»So, meine Kinderlein!«, unterbrach Esmeraldas Singsang unsere Unterhaltung. Sie richtete ihre kunterbunten Gewänder, klopfte Erde und trockene Blätter herunter und ließ ihre Fingerknochen knacken. »Es ist jetzt dunkel genug, um die lieben Hühnchen zu suchen. Hurtig, Hurtig!«

Wir halfen Esmeralda, das Feuer anständig zu löschen, packten eine dicke Erdschicht über das glimmende Holz. Dann kramten wir unsere Sachen zusammen, aßen noch eins-zwei Plätzchen und standen schließlich vor dem Fabeltier-Medium Spalier. Ein wenig erinnerte sich mich an meine frühere Sozialkundelehrerin. Das war auch so ein Energiebündel mit Hang zum Blumigen.

»Meine Geräte zeigen ein paar Hundert Meter unterhalb der Aussichtsplattform an der Roßtrappe eine Aktivität an. Das sollten unsere Hanghühner sein.« Momo schnäuzte sich noch dreimal die Nase, bis er uns die genaue Richtung zeigen konnte. »Sorry, bei Kälte kriege ich immer Rotz. Folgt mir einfach und passt auf eure Füße auf. Dahin wo wir jetzt gehen, wird es verdammt unwegsam.«

Unwegsam war noch eine Untertreibung. Wir mussten den Wanderweg entlang der Bode verlassen, um uns in felsiges Gelände aufzuschwingen. Das dürfte schon tagsüber ein ungeheurer Kraftakt gewesen sein. Aber im Dunkeln und durch die leichte Schneeschicht war es nahezu unmöglich, mehr als ein Schritt nacheinander zu tun. Entsprechend langsam kamen wir voran. Momo und ich hatten uns an den Händen gehalten und dirigierten uns gegenseitig von einer sicheren Stelle zur nächsten. Im schwachen Licht unserer Taschen- und Stirnlampen konnte ich Ben sehen, der trotz der widrigen Umstände seine Einzelgängershow abzog und lieber fast im Vierfüßlergang von Gesteinsbrocken zu Gesteinsbrocken kroch. Saskia war ihm dicht auf den Fersen. Bei ihr sah der Aufstieg ein wenig eleganter aus. Aber nichts im Vergleich zu unserer Bergführerin Esmeralda. Sie tänzelte beinahe von Stein zu Stein und wirkte dabei so leichtfüßig wie eine Elfe.

»Welche Art von Hexe ist dir lieber?«, fragte mich Momo und deutete auf die Hippie-Hexe vor uns. »Die stocksteife Patricia Kreuzer oder die alternative Esmeralda Feuille de Trèfle?«

»Es ist interessant, wie unterschiedlich Hexen sein können. Ich wette allerdings mit dir, dass jede Hexe besser ist als diese Kreuzer. Obwohl sie nachher ganz zahm war, nachdem herauskam, dass ich auch Hexen in der Verwandtschaft hatte.« Ich hoffte allerdings, dass ich nicht über zwanzig Ecken ausgerechnet mit diesem Fräulein Rottenmeier verwandt war.

»Wie ich schon sagte, manche Leute passen ihr Verhalten ihren Zielen an.« Momo ließ offen, was er genau meinte, warf allerdings einen Blick zu Saskia rüber, die beim Klettern beinahe das Übergewicht verlor und von Ben gerade noch aufgefangen werden konnte.

»Jedenfalls war bisher keine Hexe, die ich kennengelernt habe so, wie ich mir Hexen immer vorgestellt habe«, ergänzte ich meine Antwort auf Momos Frage. Tatsächlich lebten selbst praktizierende Hexen ganz normal unter uns Menschen. Esmeralda hatte ihre Fähigkeiten von der Familie ihres Vaters vererbt bekommen, die ursprünglich aus Kamerun kam und später nach Frankreich zog. Ihre schweizerische Mutter war keine Hexe. Esmeralda konnte sowohl Magie anwenden als auch Fabeltiere aufspüren. Letzteres wollte sie mir heute näherbringen.

»Leg deine Technik mal zur Seite, Bueb«, ermahnte sie Momo und wedelte mit ihrer Hand in der Luft herum. »Diese Strahlungen stören nur. Lexi, komm her zu mir.« Ich stellte mich neben sie und wunderte mich abermals, dass Esmeralda in ihren Sandalen keine Eisbeine bekam. »Jetzt versuchen wir beide, mal die Hühnchen aufzuspüren. Wir sollten nah genug dran sein.«

»Wie nah ist denn nah genug?«, fragte ich meine Mentorin und erwartete, dass hinter dem nächsten Baum bereits eines der Fabeltiere sitzen könnte.

»Das kommt darauf an, wie gut du trainiert bist, wie viel Erfahrung du hast, und kann bei jeder Hexe und jedem Hexer unterschiedlich sein. Aber mehr als einen Kilometer hat meines Wissens nach noch nie jemand geschafft«, erklärte sie mir überraschend sachlich. »Meistens spüren Hexen die Wesen ungefähr ab 500 Metern Entfernung. Wir sind aber viel näher dran, als ihr denkt.« Sie blickte sich mit einem allwissenden Nicken zu den anderen um. »Ich weiß, es ist kalt und dunkel. Keine optimalen Verhältnisse, dennoch solltest du mit ein wenig Konzentration etwas spüren können.«

»Muss ich dazu singen und tanzen, so wie Sie vorhin?«, fragte ich und wunderte mich, wie ernst ich dabei bleiben konnte.

Esmeralda kicherte melodisch und winkte dreimal hintereinander ab. »Noin, noin! Damit habe ich mich lediglich gesammelt und eine Verbindung zur Natur aufgebaut, um mich an die Kälte zu gewöhnen. Jede Hexe entwickelt so ihre Eigenheiten, gäll?« Sie zuckte mit den Schultern und hob ihren rechten Zeigefinger. »Nun schließe die Augen und denke an nichts mehr. Befreie deinen Geist. Lass alles auf dich zukommen.«

Esmeralda legte die Hände auf ihren Bauch und atmete langsam und gleichmäßig ein und aus. Große Atemwölkchen kamen aus ihrem Mund, dennoch zitterte sie kein bisschen. Ich hingegen rieb meine Hände aneinander, die trotz Handschuhen bereits steif vor Kälte waren. Ich blickte mich zu den anderen um, denen es nicht besser zu gehen schien. Momo öffnete schon die zweite Packung Taschentücher. Saskia hüpfte auf der Stelle auf und ab, wodurch der Lichtkegel ihrer Stirnlampe anfing, zu flackern, und Ben hatte seine Hände in die Manteltasche gesteckt und stand da, als wäre er bereits festgefroren. Was bei ihm gar nicht groß auffallen würde. Obwohl! Als er meinen Blick bemerkte, streckte er seine Arme kurz zur Seite aus. Ich musste schmunzeln, ließ meine Hände aber, wo sie waren.

Stattdessen schloss ich die Augen und versuchte, an nichts zu denken. Was gar nicht so einfach war, wie es klang. Nichts passierte. Ich atmete ebenfalls tief ein, was ich sofort bereute, denn durch den Kältereiz musste ich husten. Esmeralda regte sich kaum. Sie schien wie in Trance verfallen zu sein. Vielleicht sollte sie mir den Trick mit dem Singen und Tanzen doch noch beibringen. Ich ging erneut in mich. Lauschte dem Wind zwischen den Fichten und dem Schniefen von Mohammad. In der Ferne hörte ich einen Vogel. Ein heiseres Piepsen. Eher ein Gackern. Als ich mich darauf konzentrierte, spürte ich etwas. Mir war, als würde ich das Gleichgewicht verlieren und zur Seite fallen.

»Ich habe die Hanghühner gefunden. Da lang«, sagte ich schließlich und zeigte in die Richtung, in der ich die Tierchen vermutete.

»Kann ich bestätigen«, sagte Momo mit Blick auf sein Smartphone und streckte seinen Daumen in die Höhe.

»Na dann, los. Umso schneller wir die Biester gerettet haben, desto früher können wir weg aus dieser Winterhölle.« Saskia schritt bibbernd voran. Auf ihrem dunkelgrünen Mantel glitzerten Eiskristalle.

»Warte, warte!«, rief Esmeralda ihr mit diesem herrlich gerollten R-Laut hinterher. »Die Hühner sind scheu, wir dürfen uns ihnen nicht so forsch nähern. Schaltet das Licht runter.«

»Sind das nicht die Fabelwesen, die man von hinten anrufen muss?« Das hatte ich damals in einem von Lukes Büchern gelesen. »Dann drehen sie sich um und verlieren ihr Gleichgewicht.«

»Deswegen müssen wir uns aufteilen«, schlug Esmeralda vor. »Es gibt zwei Arten von Hanghühnern. Die einen haben ein verkürztes linkes und die anderen ein verkürztes rechtes Bein. Damit können die Hühner wunderbar an jedem Hang verweilen, allerdings jeweils nur entweder nach links oder recht schauen. Beim Versuch, zu kehre, landen sie auf ihrem Füdli und wir können sie tifig einsammeln. Das habe ich in den Alpen und im Schwarzwald schon oft gemacht. Sauglatt, sag i euch!« Esmeralda feixte beinahe unangemessen. Immerhin sprachen wir davon, Tiere zum Hinfallen zu bringen.

»Ist es wahr, dass die Eisenbahner die Hanghühner gezüchtet haben?«, bezog ich mich auf die Legende, die in den Büchern stand.

»Das behaupten diese seit eh und je«, hüstelte die Hippie-Hexe. »In Wahrheit gibt es Hanghühner bereits so lange, wie es Hänge und Hühner gibt.«

Das erinnerte mich an die Frage nach dem Ei und dem Huhn.

»Es sind sieben Stück«, meldete sich Momo erneut zu Wort. »Auf meinem Display kann ich vier rote Punkte dort oben ausmachen und drei weitere etwa hundert Meter weiter dort hinten.«

»Die einen linksdrehend und die anderen rechtsdrehend. Erinnert mich an eine gewisse Schokoladen-Werbung«, witzelte Saskia und knetete ihre Finger. »Können wir dann los?«

»Nicht so viel gumpen und nicht secklen! Langsam anschleichen, dann ansprechen mit „Hanghuhn, guck mal!" Verstanden? Dann mal hooch ufä Berg.« Wir verstanden nicht alles, nickten dennoch zustimmend. »Lexi, der Herr Marlowe und i nehmen die rechte Gruppe. Ihr zwo nehmt die anderen. Viel Erfolg!«

Heute hatte ich also zwei Aufpasser, damit nicht wieder etwas schief gehen konnte. Wobei Esmeralda nach der Sache mit dem Bachkalb vermutlich auf mich UND Ben aufpassen sollte. Die CF wollte bestimmt keine weiteren unangenehmen Zwischenfälle. Obwohl die Hanghühner sicher eher ungefährlich waren. Aber was redete ich? Bisher war immer irgendwas schiefgelaufen. Warum sollte es heute anders sein?

Wir hatten uns aufgeteilt, blieben über Funk aber miteinander verbunden. Jeder von uns hatte Jutesäcke im Rucksack. In unserem Firmenfahrzeug befanden sich die Maschinen zum Öffnen der Parallelwelt. Diese Prozedur wollten wir an einem anderen Ort durchführen. Diese felsigen Steilwände eigneten sich eher weniger gut für den sicheren Aufbau des Portals.

Der Wind schnitt uns weiterhin eisig ins Gesicht. Wir hatten das Licht gedämmt und konnten kaum noch was sehen. Der Boden war teilweise sehr rutschig und wir konnten froh sein, wenn sich bei dieser Aktion keiner etwas brach.

»Als ich sagte, dass mir die ganze Sache zu gefährlich ist, hatte ich nicht gedacht, dass die Entführung durch Vampire noch eine der harmloseren Dinge war«, sagte ich, als ich auf gleicher Höhe mit Ben war. »Dieser Aufstieg gleicht einem Selbstmordkommando. Nicht, dass wieder die Bergrettung ausrücken muss.«

»Hopefully it will not get worse«, keuchte der Boss beim Blick auf unserem weiteren Weg. »Hast du wirklich etwas gespürt?«

»Ja, tatsächlich. Erst nach einer Weile aber dennoch«, verkündete ich stolz.

Ben bedachte mich mit einer Mischung aus Anerkennung und Mitleid. Ich konnte mir denken, was in ihm vorging. Wieder die alte Leier, dass ich kein normales Leben mehr führen könne, jetzt wo ich wusste, dass etwas an mir übernatürlich war. Selbst Frau Kreuzer sprach von der Besonderheit dieser Gabe und behauptete, meinen Ausstieg aus der Creatura Fabularis zu bedauern.

»Ich denke, sie sind ganz nah«, brachte ich unseren Trupp zum Halten und schloss erneut meine Augen. »Ich kann diese tollpatschige Aura nun ziemlich deutlich spüren.«

»Dann lasst uns ein wenig mehr Licht wagen«, sagte Esmeralda und regelte ihre Taschenlampe höher. »Jöö! Da sind die Hühnchen. Geht ein bisschen in die Hocke.« Das schweizerische Fabeltier-Medium machte sich klein und nur wenige Meter vor ihr konnten auch Ben und ich die bräunlichen Hühner sehen, wie sie schräg am Hang hockten und gesellig vor sich hin gackerten. Sie waren wirklich kaum zu erkennen in der Dunkelheit und mit ihrem Tarnkleid. Ein Glück hatte Momo ihre Anzahl bereits auf vier beziffert.

Esmeralda angelte einen Beutel aus ihrem Rucksack und versteckte sich hinter einem Baum. »Hurtig! Fangt mir die Tierchen und packt sie hier rein«, befahl sie uns und öffnete ungeduldig den Jutebeutel.

»Du sprichst sie an und ich fange sie auf, okay?«, schlug Ben vor.

»Hoffentlich ist das wirklich so einfach, wie es im Buche steht« hatte ich so meine Zweifel.

Unsere Hühner waren diejenigen, welche ihr Leben lang nur in die linke Richtung gehen konnten, von uns aus betrachtet. Ich musste mich also von rechts anschleichen und sie rufen. »Dann mal los. Oder soll ich sie lieber wieder anlocken, wie die anderen Fabeltiere?«

Wir schauten beide zu Esmeralda. Diese schien abermals in eine Art Meditation gegen die Kälte versunken zu sein und bemerkte uns nicht. Da die Hühner auch nach ungefähr zwei Minuten keine Notiz von mir zu nehmen schienen, schlich ich mich doch an sie heran. Ben folgte mir, die Hände bereit zum Auffangen der Vögel ausgestreckt.

Dann passierte es!

Ich rutschte auf einem glatten Felsen aus und verlor das Übergewicht. Lautes Gackern und Flattern durchschnitt daraufhin die nächtliche Waldesruh.

»Ich wusste, das geht schief!«, rief ich und versuchte, hinter den Hühnern herzulaufen.

»Sie können nur in die eine Richtung laufen. Ich versuche, ihnen den Weg abzuschneiden«, schlug Ben vor und rannte schneller, was bei den Witterungsverhältnissen ein ziemliches Risiko war.

»Pass bloß auf, dass du dir nicht das Genick brichst. Denk an die Bergwacht und den Ärger, den wir dann wieder kriegen«, rief ich ihm zu und hatte selbst allergrößte Not, nicht erneut die Beine unter dem Körper zu verlieren.

»Das ist also deine größte Angst? Good to know, Lex.«

»Schau lieber nach vorne! Die Viecher sind echt schnell. Soll ich sie jetzt anrufen?«

»Mitten im Lauf?« Ben hatte recht. Das wäre ganz schön fies, aber dann würden sie vielleicht alle gleichzeitig den Berg herunterkullern und wir bräuchten sie nur noch einsammeln.

»Besser, als im Dunkeln an diesem Hang herumzurennen. Achtung!«, warnte ich meinen Boss noch, bevor ich stehen blieb, Luft holte und »Hanghühner, guckt mal!«, rief.

Was dann geschah, hätte der Autor einer Comedy-Sendung nicht besser schreiben können. Alle vier Hühnchen blieben mitten im Lauf stehen und versuchten, sich zu mir umzudrehen. Dann verlor das erste von ihnen das Übergewicht, als es das kürzere Bein zur abwärts geneigten Seite des Berges abstellen wollte. Dabei fiel es auf ein zweites Huhn und gemeinsam kullerten sie direkt auf Ben zu, der etwas unterhalb der Gruppe stand und wie ein Torwart hin und her tänzelte, um die verrückten Vögel aufzufangen. Kaum hatte er die ersten beiden in seine Arme geschlossen, kugelten auch schon die restlichen zwei nach unten. Keine Hände mehr frei, entschied sich Ben für einen gewagten Hechtsprung zur Seite, sodass Huhn drei und vier gegen seinen Oberkörper und die Beine kullerten. So etwas Urkomisches hatte ich noch nie gesehen!

»Lex, stop laughing!«, fluchte Ben, der sich mit seiner wertvollen Fracht nicht zu bewegen traute. »Hol Esmeralda! Wo steckt die denn?«

Ich konnte nicht aufhören zu lachen. Das war unmöglich. Ben sah einfach zu putzig aus. Die Mütze lag neben seinem Kopf. Die Haare waren verwuschelt und voll mit Schlamm, Schnee und kleinen Zweigen. In seinem Gesicht klebten ein paar Federn und in seinen Armen flatterten zwei Hanghühner. Die anderen versuchten vergebens, sich aufzurichten, und fielen immer wieder auf ihren Allerwertesten.

»Lex, don't do that! Lex!« Er konnte fluchen, so viel er wollte. Von dieser einmaligen Szenerie musste ich einfach ein Foto machen. Noch lieber hätte ich von der gesamten Jagd ein Video gehabt.

»Bei dem schwachen Licht sieht man eh nicht, dass das keine normalen Hühner sind«, beruhigte ich ihn kichernd.

»Die Hühner sind mir völlig egal. Ich sehe aus wie ein Trottel.«

Ja, genau deshalb machte ich dieses Foto. Wenigstens dieses Erlebnis wollte ich als ewige Erinnerung an diese wahnwitzige Zeit aufbewahren.

»Wunderbar! Wunderbar!« Esmeralda hatte uns endlich eingeholt. »Schön liegenbleiben. Nicht bewegen«, wies sie Ben an, der ohnehin keine andere Wahl hatte. »Lex, hilf mir, die Hühnchen ins Säckli zu stopfen. Das habt ihr toll gemacht. Genauso macht man das.«

Ach, wirklich? Sollte ausgerechnet diese peinliche Aktion ein Erfolg für uns gewesen sein? Aber gut, die Hühnchen waren in Sack und Tüten. Mehr wollten wir schließlich nicht.

»Komm, ich helfe dir hoch«, bot ich Ben meine Hilfe beim Aufstehen an, nachdem er von seinen neuen tierischen Freunden befreit worden war. Ich reichte ihm die Hand und versuchte, ihn auf dem rutschigen Untergrund sicher in die Senkrechte zu bringen. Allerdings schlitterte ich dabei selbst auf einer Schlammpfütze aus und lag schneller am Boden, als ich gucken konnte.

»Wer braucht jetzt die Bergrettung?«, grunzte Ben, der genau auf mir gelandet war.

»Es wäre einfach nicht dasselbe, wenn bei unserer Mission nichts schiefgehen würde«, stöhnte ich und rieb mir den Hinterkopf.

»Alles okay?«, fragte er mich und wischte den Dreck aus seinem Gesicht.

»Mir gehts gut«, fing ich erneut an zu kichern.

»Det isch ja härzig!«, jubilierte Esmeralda, die sich den Sack voller Hanghühner über die Schulter geschmissen hatte und nun neben uns stand. »Schaut ja patschiifig aus, was ihr da macht.«

Nachdem sich Ben von mir heruntergehievt hatte, mussten wir erst einmal beide herzhaft lachen. Schließlich lachte auch Esmeralda und wenn ich mich nicht irrte, lachten selbst die Hanghühner im Sack. Wir hörten erst auf, nachdem Momo uns per Funk bestätigt hatte, dass auch er und Saskia Erfolg bei der Hühnerjagd hatten. Aber mit Sicherheit hatten sie nicht so viel Spaß wie wir. Außerdem wurde ich Zeugin eines sehr seltenen Ereignisses: Der Boss konnte lachen!

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