Forum Marianum urbis Monaci / Part 2
»DIE HABEN HIER ECHT KEINE gute Meinung über Marlowe.« Momo schmatzte ein Käse-Sandwich und berichtete mir von seinen bisherigen Erlebnissen in der Hauptzentrale der Creatura Fabularis.
Diese befand sich mitten in der Münchner Innenstadt im Untergeschoss eines großen Kaufhauses am Marienplatz. Frau Urban hatte mich heute Morgen in Empfang genommen und mir erklärt, dass es unauffälliger sei, wenn man sich nicht versteckte. Ihr zufolge sei es ebenfalls weniger verdächtig, eine Baustelle mitten am Tag zu überfallen, anstatt im Dunkeln, wenn niemand mehr mit Arbeiten dort rechnete. Ich fragte sie nicht nach ihren persönlichen Erfahrungen dazu.
»Ihr habt über unsere Detektei gesprochen?«, ging ich auf Momos Aussage ein und gabelte dabei in meiner Pasta herum. Immerhin gab es bei der CF gutes Essen.
»Nicht direkt«, druckste mein Kollege herum und schaute unauffällig nach links und recht. Dann schob er seine Brille zurecht und beugte sich ein wenig weiter zu mir vor. »Ich habe auf dem Weg zur Toilette ein Gespräch mitbekommen. Diese Kreuzer, die so aussieht wie Fräulein Rottenmeier, die hat mit jemanden über unseren Fall an der Talsperre geredet. Und dann haben sie über Wernigerode gesprochen. Das ist kaum 24 Stunden her und schon wird Marlowe seine Kompetenz abgesprochen.« Momo hatte sichtlich Schwierigkeiten, seine Emotionen in Zaum zu halten. »Sie und zwei andere Leute haben sich darüber das Maul zerrissen, dass Marlowe nur eine billige Kopie seines Vaters sei und er nach diesem Desaster in London lieber Bibliothekar oder so was hätte werden sollen.«
»Was war in London?«, fragte ich kaum hörbar. Wilhelm hatte bereits mehrmals Andeutungen über irgendetwas gemacht, dass damals während Marlowes Polizeitätigkeit passiert war. Und auch Marlowe selbst sprach davon, dass er „danach" lieber allein gearbeitet hätte.
Mohammad lachte bitter. »Das weiß kaum jemand. Wilhelm vielleicht. Mit uns spricht er doch nur das Nötigste. Selbst Saskia dringt nicht zu Marlowe durch, so sehr sie es auch versucht. Aber mehr als Fachgespräche über verschlüsselte Texte und eine Partie Schach kommt da auch nicht bei rum.«
»Vielleicht will er euch damit schützen«, dachte ich an das, was Marlowe mir damals während meiner Quarantäne über Unbeteiligte erzählt hat.
»Uns oder sich selbst?« Momo schlang den Rest seines Sandwichs herunter. »Ich arbeite seit fast zwei Jahren für ihn. Mit ihm. Dennoch ist er noch immer wie ein Fremder für mich. Sobald wir auch nur ein bisschen mehr ins Gespräch kommen, zieht er sich zurück.« Mo wischte sich den Mund mit einer Serviette ab, auf der ein Einhorn aufgedruckt war. »Der Titel Boss ist eigentlich nur ein Scherz. Marlowe leitet zwar die Detektei und unsere Arbeitsverträge laufen unter seinem Namen, dennoch ist die CF unser aller Boss. Wenn wir ein Team sein wollen, das sich gegenseitig vertraut, dann sollten wir alle offener miteinander umgehen. Meinst du nicht auch?« Momo sah mich erwartungsvoll an.
»Ja, natürlich.« Ich musste Momo recht geben. Dennoch wollte ich die Sache nicht pauschalisieren. »Er wird seine Gründe haben. Lasst ihm noch etwas Zeit und zeigt ihm, dass ihr hinter ihm steht. Er steht auch hinter euch, ganz egal, was die CF bislang zu meckern hatte.«
»Du sprichst, als wärst du kein Teil mehr von uns.« Momo senkte seinen Blick und drehte einen Kaffeelöffel auf dem Tisch. »Marlowe ist schon seltsam. Er zieht sich von uns zurück und scheint dennoch so große Stücke auf uns zu halten. Doch das alles wird uns nichts nützen, wenn die CF ihn für ungeeignet hält. Dass unser Boss auf einen Menschen geschossen hat, statt auf ein Fabelwesen, kommt hier absolut nicht gut an. Ganz zu schweigen davon, dass Michel so viel von unserer Arbeit mitbekommen hat. Der arme Kerl wird noch von der CF hören.«
Erneut musste ich zustimmend nicken. Unser Einsatz in Wernigerode war abermals alles andere als optimal verlaufen. Das angebliche Fabeltier hatte sich als ein als Bachkalb verkleideter Mann herausgestellt. Er wollte seinen ehemaligen Schulkameraden einen Schrecken einjagen und hatte selbst uns mit seinem einwandfreien Kostüm hinters Licht geführt.
»Das würde uns nicht mehr passieren, wenn du deine Fähigkeiten verbesserst«, sprach Momo mich direkt an. »Lex, du hast erzählt, dass du alle Tests mit Bravour bestanden hast. Welchen Beweis willst du denn noch, um einzusehen, dass wir dich brauchen?«
Ich stand auf und stellte mich unter das Bildnis einer antiken Hexe aus dem alten Rom. Tiberia Callista. Möglicherweise eine der Hexen, welche an der Rettung der Fabeltiere und die Erschaffung der Parallelwelt beteiligt war.
»Ich kann das auf Dauer nicht«, sprach ich, ohne den Blick von dem Porträt abzuwenden. »All die Lügen, die Geheimnisse und Gefahren.«
»All das ist jetzt ohnehin bereits ein großer Teil deines Lebens. Du kannst die vergangenen Monate nicht rückgängig machen. Und du hast doch uns. Mit uns kannst du ohne Lügen und Geheimnisse über all das reden. In Hamburg wärst du damit ganz allein. Es sei denn, du wirst Marlowe 2.0 und baust dir eine Schutzhöhle. So wie du da gerade stehst, erinnerst du mich schon sehr an ihn.« Momo riss den Deckel eines Joghurt-Bechers ab.
»Wann fliegst du nach Japan?«, lenkte ich vom Thema ab und wollte mehr darüber erfahren, was bei Momos Gesprächen mit der technischen Abteilung der CF herausgekommen war. Er hatte mir bereits freudig berichtet, dass er zu einem Treffen mit Sakura Takahashi in Tokio eingeladen wurde. Die Wissenschaftlerin war sein absolutes Idol und zugleich die Erfinderin des Parallelwelten-Detektors, welchen die Creatura Fabularis seit Jahren weltweit einsetzte.
»Vermutlich erst nächstes Jahr«, antwortete Momo und löffelte nebenbei in seinem Erdbeerjoghurt herum. An seinem enttäuschten Gesichtsausdruck konnte ich jedoch erkennen, dass er lieber noch eine Weile versucht hätte, mich zum Bleiben zu überreden. »Die technischen Daten zu meiner Erweiterung werden aber vorab zur CF-Japan geschickt. Sakura nimmt dann Kontakt zu mir auf. Also, wenn sie interessiert ist.«
»Das ist sie bestimmt!«, sprach ich Mohammad Mut zu. »Überlege mal! Das hast du ganz allein programmiert mit deinen 22 Jahren. Die in Japan haben ein komplettes Forschungsteam im Rücken. Vielleicht lassen die dich gar nicht mehr zurückkommen, wenn sie erst begriffen haben, was du für ein Talent hast.«
»Das sagt die Richtige.«
»Hör auf damit, Momo. Ich –«
»Frau Emmerich? Bitte folgen Sie mir in Frau Kreuzers Büro.« Frau Urban unterbrach unser Gespräch im passenden Augenblick.
Mit klopfendem Herzen versuchte ich mit der flinken Bayerin Schritt zu halten. Frau Kreuzers Büro lag am Ende eines langen Gangs. Seltsame dröhnende Geräusche über uns ließen die Vermutung nahe, dass sich über uns eine Tiefgarage befand.
Wie tief konnte man sinken, wenn man unter einer Tiefgarage landete?, dachte ich und musste mir ein Schmunzeln verkneifen.
Das Büro der Frau, von der ich bis dahin nur die Stimme kannte, war modern und steril eingerichtet. Nichts deutete auf ihre Position bei einer Vereinigung für Fabeltierwesen hin. Patricia Kreuzer selbst sah mit ihren streng zu einem Dutt am Hinterkopf gebundenen dunklen Haaren und der Businesskleidung wirklich aus, wie ein modernes Fräulein Rottenmeier. Um ihre eisblauen Augen bildeten sich erste Fältchen. Lass sie so um die 45 Jahre alt gewesen sein. Der dunkelrote Lippenstift ließ sie jedoch älter und vor allem strenger wirken. Mit einer Sache hatte ich nicht gerechnet, als ich schüchtern auf einem Stuhl neben ihrem Schreibtisch Platz nahm. Einem Lächeln.
»Frau Emmerich. Es freut mich sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass sie keine Hochstaplerin sind.«
Ach, wer hat denn so was behauptet?
»Ihre Blutanalyse hat eindeutig ergeben, dass sie einer sehr alten Hexenlinie entstammen.«
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