Ultrasound

April, 2024


"Können wir jetzt endlich mal los, Schatz? Wir sind schon viel zu spät dran."
Abwartend sah Kai zu seinem Freund, welcher hibbelig von einem Ort zum anderen lief, während Kai schon seit einer gefühlten Viertelstunde komplett fertig im Flur wartete und von Minute zu Minute ungeduldiger wurde.
Kai wollte unbedingt pünktlich sein und musste sich wirklich sehr zusammenreißen, hier keinen Wutausbruch zu bekommen.
Jules und seine Unpünktlichkeit hatten ihn zwar schon seit sie zusammen waren auf die Palme gebracht, aber seit er schwanger war, hatte sich das nochmal verschärft.
Er war wirklich sensibel geworden und manchmal tat ihm das auch leid, aber er konnte einfach nichts dagegen tun.

Jule war nach ein paar Augenblicken auch schon bei seinem Freund und konnte bei seinem Anblick nicht anders als schmunzeln.
"Hab ich was verpasst?"
"Dass wir einen Termin beim Arzt haben?", fauchte Kai angefressen, während er dem Blonden mit einer alles sagenden Geste seine Jacke hinhielt," Ja, anscheinend hast du verpasst, dass ich dir das gesagt habe."
"Das meine ich nicht", witzelte der Ältere lächelnd und nahm seine dünne Jacke entgegen," Das habe ich sehr wohl mitbekommen, aber anscheinend habe ich den plötzlichen Wintereinbruch verpasst."
Schmunzelnd musterte Jule seinen schwangeren Freund, der so dick eingepackt war, dass man vermuten müsste, es seien minus zwanzig Grad draußen.
Eine dicke Jacke, Schal und Mütze.

Dabei war es relativ warm draußen; so warm wie es Mitte April nun mal war.
Die Sonne schien mild es war nahezu windstill, aber Kai schien das alles etwas anders wahrzunehmen.
Waren Hitzewallungen nicht eher üblich in der Schwangerschaft als Frieren?
Naja, egal...

Sich seine Jacke überstreifend, überbrückte Jule den letzten Abstand zu Kai und drückte ihm einen liebevollen Kuss auf die warme Stirn.
"Tut mir leid, Harvy. Beim nächsten Mal bin ich pünktlich; versprochen."
Nicht ganz zufrieden nickte Kai, griff dann aber doch nach der kühlen Hand des Blonden.
"Dann können wir ja jetzt los. Vielleicht schaffen wir es ja doch noch zur rechten Zeit."
"Bestimmt, Sonnenschein", beruhigte der Blonde seinen Freund, während er ihm noch immer schmunzeln hinaus folgte. 
Sie hatten noch genug Zeit, aber Kai war halt Kai und die Schwangerschaft hatte Kais Sinn für Pünktlichkeit und Ordentlichkeit nur noch verstärkt.

Unruhig trommelte Jule mit seinem Zeigefinger auf dem Lenkrad herum, während sie vor einer roten Ampel standen und darauf warteten, endlich weiterfahren zu können.
Er war maximal aufgeregt; immerhin würde er gleich zum ersten Mal sein Kind sehen; und hören.
Zugegeben, Jule hatte sich schon ein bisschen informiert und wusste nun, dank dem lieben Internet, wie so eine Untersuchung ablaufen könnte; dass er den Herzschlag ihres Kinder hören würde und es womöglich auch sehen würde.
Es war für ihn immer noch so verdammt unrealistisch und das obwohl es schon fast eine Woche her war, seitdem Kai ihm gesagt hatte, dass er es mit ihm versuchen wollte.
Noch immer schlug das Herz des Profifußballers schneller, wenn er an diesen magischen Moment dachte.
Dennoch war in den letzten Tagen wieder Ruhe bei den beiden eingekehrt.
Jule war wieder zum Training gegangen und Kai in die Uni.

Hin und wieder hatte Kai sich auch mal in der Wg blicken lassen, aber von dem geplanten Umzug hatte er seinem besten Freund noch nichts gesagt; das hatte er sich für heute vorgenommen.
Nach dem Arzttermin.
Er war es Timo schuldig, denn Timo war die ganze Zeit für ihn da und jetzt hatte Kai sich kaum mehr bei ihm gemeldet.
Dafür würde er sich auf jeden Fall später entschuldigen und ihm alles erklären müssen; hoffentlich würde Timo nicht sauer auf ihn sein.
Er hoffte es so, so sehr.


Langsam wanderte Kais Blick zu Jule, welcher das Auto mit einem schon fast erleichtertem 'Na endlich' wieder zum Fahren brachte.
Lächelnd legte er seine linke Hand auf den Oberschenkel des Älteren.
"Aufgeregt?"
Schnell nickte Jule; er könnte platzen vor Aufregung.
"Du nicht? Ich meine, wir sehen gleich unser Kind. Ist das nicht... krass?"
"Ja", lachte Kai leise," Das ist es wirklich."
Er machte eine kurze Pause und sprach dann weiter.
"Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie dankbar ich für dich bin und dass du der beste Papa auf der ganzen Welt sein wirst?"
Jule konnte nichts gegen das schon fast schmerzhafte Lächeln tun, das sich auf seinen Lippen bildete.
"Ich liebe dich, Harvy. Dich und unser Baby."

~~

"Wie geht es Ihnen denn?"
Interessiert sah der Arzt Kai an, welcher sich auf die Liege gesetzt hatte, während Jule auf dem unbequemen Stuhl daneben Platz genommen hatte und das Geschehen aufmerksam beobachtete.
Der Arzt war schon etwas älter; so Mitte fünfzig würde Jule ihn schätzen, aber er wirkte so nett und tolerant.
Jule hatte am Anfang tatsächlich die Angst gehegt, dass der Arzt sie nicht akzeptieren könnte; immerhin waren sie zwei Männer, die gemeinsam ein Kind bekamen, aber wenn er so darüber nachdachte, war dieser Gedanken vollkommen unbegründet.
Schließlich kamen Männerschwangerschaften in den letzten Jahren des Öfteren vor und Doktor Bergmann, wie auf seinem Schuld an seinem klinisch weißem Kittel stand, war genau darauf spezialisiert; für ihn war das also nicht ungewöhnlich und genau das strahlte er auch aus.
Seine gräulichen Haare lagen geordnet auf seinem Kopf und seine Brille rutschte ihm hin und wieder etwas von der Nase, während er freundlich lächelte und über den Rand seiner Brille zu Kai sah.

"Ähh... ganz gut eigentlich. Also mir ist meistens noch echt schlecht morgens, aber es wird besser langsam. Und sonst bin ich schnell müde, aber es ist okay. Ich komm ganz gut klar."
Unsicher sah Kai zu seinem Freund; er war sich einfach nicht sicher, ob er das Richtige gesagt hatte; ob das, was er gesagt hatte, auch das war, was Doktor Bergmann hören wollte.
Aber Jule nickte ihm nur aufmunternd zu; bestimmt war das, was Kai gesagt hatte, das Richtige gewesen und sonst würde der Arzt halt nochmal nachfragen.
Nickend notierte der freundliche Arzt, bei dem sowohl Kai als auch Jule sich wohl und aufgehoben fühlten, etwas auf sein Klemmbrett, das er vor sich hielt.
"Das hört sich doch alles ganz positiv an", lächelte der Mediziner und sah wieder zu seinem Patienten und dessen Freund," Sonst haben Sie keine Beschwerden?"
Unsicher und zögernd schüttelte Kai den Kopf.
Er war verdammt schnell müde und könnte den ganzen Tag schlafen, aber sonst war wirklich nichts, wenn er die Morgenübelkeit dann mal hinter sich gelassen hatte.
Verstehend nickte der Arzt, ehe er aufstand und in einer Schublade kramte.
"Ich würde dann erstmal gerne Ihren Blutdruck messen und Ihnen Blut abnehmen", erklärte er Kai, während er wieder auf ihn zukam," Ist das in Ordnung?"
Nickend zog Kai seinen Ärmel etwas hoch, sodass der Arzt gut an seinen Oberarm kam und ließ zu, dass dieser seinen Blutdruck maß.
"Das sieht alles ganz gut aus", verkündete der ältere Mann murmelnd und zückte wieder seinen Kugelschreiber.
Nachdem er Kai dann auch noch Blut abgenommen und ihn gewogen hatte, bat er den jungen Studenten, sich für den Ultraschall auf die Liege zu legen.

Sofort begann Jules Herz höher zu schlagen; jetzt war es soweit.
Natürlich hatte er den ganzen Termin aufmerksam zugehört und zugesehen, aber jetzt.... jetzt würden sie ihr Baby sehen.
"Sie können auch gerne näher kommen", wandte sich Dotkor Bergmann an den Blonden, welcher sofort mit seinem Stuhl näher an die Liege rückte und Kais Hand nahm.
Kai hatte seinen Pulli etwas hochgezogen, sodass man seinen Bauch sehen konnte, aber eine Wölbung war tatsächlich noch nicht zu sehen.

Kai konnte es kaum erwarten; er war ganz hibbelig.
Aufgeregt drückte er Jules Hand, während der Arzt das kalte Gel auf seinem Bauch verteilte.
Kurz erschreckte er sich und zuckte zusammen, doch Jules Daumen, der sanft über Kais Handrücken strich, ließ ihn sich schnell wieder entspannen.
Jule war da.
Kai fühlte sich so sicher und geborgen, obwohl dieser Moment so spannend und aufregend war.
Jule war da und das war gerade das Wichtigste für ihn.

Mit einem gemurmelten 'Dann wollen wir mal sehen' setzte der Mediziner den Ultraschallkopf auf Kais Bauch auf und sofort erschien auf dem Bildschirm eine Mischung aus grau und schwarz, das irgendwie ineinander verschwamm und sich bewegte.
Wo war da jetzt genau ein Baby; ihr Baby.
Weder Jule noch Kai konnten irgendwas erkennen; beim besten Willen nicht.
Es fiel Kai schon schwer zu glauben, dass das da er sein sollte; seine Organe.
Aber ein Kind?
Das nun wirklich nicht.

Aber als der Arzt irgendwann auf den einen kleinen grauen Punkt zeigte, der in einem schwarzen Kreis war, welcher wiederum von grau umgeben wurde, und ihnen erklärte, dass dieser graue Punkt, ihr Baby war, konnte Kai sich doch vorstellen, dass das stimmte und dass das, was er da sah, wirklich das Innere seines Bauchs war und es sich nicht um Verarsche handelte.
Mit einer großen Portion Fantasie konnte man sogar einen menschlichen Umriss erkennen; mit ganz, ganz viel Fantasie.
Und eine dünne graue Linie in dem schwarzen Kreis wies auf die Existenz der Nabelschnur hin.

So sehr Kai dem, was Doktor Bergmann erzählte, zuhören wollte; er konnte nicht.
Viel zu sehr war Kai gefangen in dem Ultraschallbild, das ihn so sehr fesselte, dass er seinen Blick von diesem kleinen Punkt gar nicht lösen konnte.
als wären seine Augen mit Sekundenkleber daran befestigt worden.
Dieser kleine Punkt, der bald bei ihnen sein würde.
Das war ihr Kind.
Es war so unbegreiflich, aber es war die Wahrheit, die Realität und dieses Bild bewies es Kai endgültig.
"Dann wollen wir mal nach dem Herzschlag des Kleinen hören."
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, fand Kais Blick den von Jule.
Sanft drückte der Blonde die Hand des Jüngeren. 
Er spürte Kais Aufregung und konnte sie nur zu gut nachvollziehen, denn ihm ging es ganz genauso.
Das Kleine zu sehen war schon absolut magisch, aber jetzt auch noch dieses kleine Herz zu hören.... dafür hatten sie beide keine Worte.
"Bereit?"
Zeitgleich nickten sie beide; sie waren mehr als nur bereit.
Bereiter als bereit.
Und nachdem der Arzt einen Regler am Ultraschallgerät betätigt hatte, war es plötzlich da.
Ein schneller, kräftiges Pochen.
Der Herzschlag ihres Babys.
Das war sein Herz; es lebte.
Es war wirklich da.
Spätestens jetzt war Kai sich sicher, dass er es niemals mit sich vereinbaren könnte, sich gegen dieses kleine Wesen zu entscheiden; gegen diesen Herzschlag.
Schluckend drehte Kai seinen Kopf zu seinem Freund, welchem, genau wie Kai selbst, Tränen in den Augen standen.
Das war so überwältigend und so unendlich schön und berührend; selbst für den Arzt, der eigentlich den ganzen Tag nichts anderes machte.


"Also, Sie sind jetzt in der siebten Woche", erklärte der ältere Mann geduldig," Dass Ihr Bauch noch nicht groß ist, ist völlig normal; da müssen Sie sich keine Sorgen machen."
Erleichtert nickte Kai; zugegeben das hatte ihn wirklich irritiert und besorgt gestimmt.
"Soll ich Ihnen das Bild ausdrucken?"
Sofort nickten beide; was war das auch für eine Frage?
Natürlich wollten sie ein Bild von ihrem Baby.

~~

Breit lächelnd hielt Kai das Bild in der Hand, während Jule, mit einem genauso großen Lächeln, den Wagen durch die Stadt lenkte.
Noch nie hatte er sowas gefühlt.
"Es ist so schön, Jule", schwärmte der Jüngere und sah strahlend nach links zu seinem Freund, welcher amüsiert auflachte.
"Du erkennst da doch gar nichts."
"Trotzdem", beharrte Kai, während er ganz vorsichtig über das Bild strich.
"Ist ja gut; ich versteh was du meinst", stimmte der Ältere ihm zu," Wollen wir noch etwas essen jetzt oder willst du gleich zu Timo?"
"Ehrlich gesagt... ich würde lieber in die Wg jetzt. Dann hab ich das hinter mir."
Fürsorglich legte Jule eine Hand auf Kais Oberschenkel.
"Mach dir keine Sorgen, Harvy. Timo wird nicht sauer sein; er versteht dich bestimmt."
"Ich hoffe es."
"Natürlich. Und sonst bin ich noch da und kann ihm alle Knochen brechen."
"Weißt du, was ich mich manchmal frage?"
Kopfschüttelnd sah Jule seinen Freund an.
"Ob du irgendwelche komischen Gewaltfantasien hast, von denen ich noch nichts weiß oder wissen soll."
Gespielt genervt verdrehte Jule die Augen und schaltete einen Gang höher.
"Da will man einmal romantisch sein."
"Also die Androhung, jemandem alle Knochen zu brechen, ist nun wirklich nicht romantisch, Jule."
"Ich habs ja auch nicht dir angedroht, sondern deinem besten Freund, wenn er dich nicht gut behandelt. Das ist was ganz anderes."
"Spinner", kommentierte Kai nur und Jule beließ es leicht vor sich hin lächelnd dabei.
Er liebte diese belanglosen, dummen, sinnlosen Dialoge zwischen ihm und Kai so sehr; auch wenn jeder Außenstehende nur den Kopf schüttelten würde.
Für ihn waren sie perfekt.
So wie alles gerade perfekt war.



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