Staying with you
March, 2024
Ein Piepen drang in sein Gehirn; genau das Piepen, das er schon beim Einschlafen wahrgenommen hatte.
Er lag also immer noch hier, im Krankenhaus in diesem unangenehm harten Bett.
Als er eingeschlafen war, war ihm gar nicht aufgefallen, wie ungemütlich dieses Bett eigentlich war.
Gestern war er so müde und geschafft gewesen, dass er wahrscheinlich überall eingeschlafen wäre; auch auf dem kalten Boden. Das wäre ihm völlig egal gewesen, hauptsache in Ruhe schlafen.
Langsam aber sicher setzten sich die Puzzlestücke, die bis jetzt wild in seinem Kopf herumgeschwirrt waren, zusammen und seine Erinnerung kam wieder zurück.
Alles, was in den letzten Stunden passiert war... oder... wie lange war das her? Wie viele Stunden waren nochmal vergangen?
Kai wusste es nicht; er hatte keine Ahnung, wie viele Stunden vergangen waren, wie lange er geschlafen hatte.
Fakt war aber, dass er sich schon besser fühlte; noch nicht gut, aber besser.
In seinem Magen hatte sich noch immer ein flaues Gefühl ausgebreitet, aber die Kopfschmerzen hatten sich durch die Medikamente schon gebessert und auch sein Schwindel hatte nachgelassen; das konnte aber auch daran liegen, dass er seine Augen noch geschlossen hatte.
Zum Einen war er noch zu müde, um sie zu öffnen und auf der anderen Seite wusste er nicht, was ihn jetzt erwarten würde, wenn er seine Augen öffnen würde.
Stattdessen konzentrierte sich Kai auf die Geräusche im Raum, doch es war völlig still; bis auf das Piepen.
Er war also allein; zum Glück.
Auf einen nervigen Bettnachbarn hätte er jetzt echt keine Lust gehabt, aber vielleicht hatte Jule seine Promikarte ausgespielt.
Danke Jule.
Plötzlich berührte etwas seinen Unterarm; nur ganz leicht.
Aber Kai spürte es trotzdem und zuckte automatisch zusammen.
Wer oder was war das?
"Harvy?"
Es dauerte etwas, bis Kai diese raue Stimme jemandem zuordnen konnte, aber eigentlich verriet ihm das Gesagte schon, wer es war.
Es gab schließlich nur einen, der ihn Harvy nannte.
Jule.
"Hörst du mich?"
Wieder diese tiefe, vor Besorgnis triefende Stimme, die Kai eine Gänsehaut bescherte.
Kai nickte nur.
Er versuchte, mit aller Kraft, seine schweren Augen zu öffnen.
Er wollte Jule sehen; das war so ziemlich sein einziger Antrieb gerade.
Es brauchte kurz und bedarf einiger Versuche, bis der Jüngere es schaffte, seine müden Augen einen spaltbreit zu öffnen.
Am liebsten hätte er sie direkt wieder geschlossen, so hell und verschwommen war alles, aber er wollte Jule sehen.
In seine blauen Augen und er wollte sein schiefes Lächeln sehen.
"Mach langsam, Havry", flüsterte Jules Stimme ihm wieder zu, während er seine Hand um Kais Unterarm sanft zudrückte; es war nicht unangenehm, eher das Gegenteil," Alles ist gut, Kai."
Kai antwortete nicht, stattdessen versuchte er es weiter.
Und irgendwann schaffte er es tatsächlich; er konnte seine Augen ganz öffnen.
Es brauchte einen Moment, bis er alles scharf sah.
Sein Blick fiel auf die Wand am anderen Ende des Zimmer; trist und kahl.
Als er seinen Kopf und damit seinen Blick etwas senkte, sah er auf Jules blasse Hand, die auf seinem Unterarm lag.
Der Zugang, der in seinem Handrücken steckte, und Stück für Stück eine Flüssigkeit in seinen Körper beförderte.
Dann hob er seinen Kopf wieder und drehte sich etwas nach rechts; die Richtung, aus der Jules sanfte Stimme gekommen war.
Das erste Mal seit er hier war sahen sie sich an.
Kai sah zu Jule.
Jule sah zu Kai.
Jules Gesichtsausdruck besorgt und seine Augen so rot, dass Kai sich sicher war, dass er geweint hatte; wegen ihm.
Kais hingegen müde und geschafft; Augenringe unter den grünen Augen und ein blasses Gesichts.
Ein Pflaster klebte auf seinem Hinterkopf; dort, wo die Platzwunde war.
"Kai", hauchte Jule leise; er war so fucking froh, dass es Kai wieder gut ging; zumindest den Umständen entsprechend," Hey, mein Sonnenschein."
Ein Lächeln erschien auf Kais Gesicht, als er den Spitznamen hörte.
Seinen ganz persönlichen Spitznamen.
"Hey."
Kais Stimme war kratzig und rau; als hätte er monatelang nicht gesprochen.
"Wie fühlst du dich?", fragte Jule leise und Kai war ihm wirklich dankbar dafür, denn auch wenn seine Kopfschmerzen durch die Medikamente eingedämmt wurden, würden laute Geräusche oder Stimmen ihn sicherlich wieder zum Brummen bringen.
Die Hand des Blonden legte sich nun fürsorglich an Kais kühle Wange und strich mit dem Daumen vorsichtig darüber.
"Geht so", nuschelte Kai undeutlich; Sprechen war anstrengend, eigentlich war alles anstrengend," Ich fühle mich, als hätte mich ein Lkw überfahren."
Leise lachte der Ältere auf.
"Dafür siehst du aber noch ganz gut aus."
Ein müdes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Studenten aus; es fiel ihm immer schwerer, seine Augen offen zu halten.
"Die meinten, ich soll noch vierundzwanzig Stunden hier bleiben. Wegen der Gehirnerschütterung."
Verstehend nickte Jule, bevor er seine Hand in Kais unordentliche Locken legte; bedacht darauf, Kais Wunde nicht zu berühren.
Kais Blick traf Jules und Jules traf Kais.
Müdigkeit gegen Besorgnis.
Liebe gegen Liebe.
"Mach ruhig deine Augen wieder zu und ruh dich aus", hauchte der Blonde," Ich bleib bei dir."
Nickend schloss Kai seine Augen; eine Erleichterung.
"Wie lange hab ich geschlafen?"
Auch wenn er todmüde war, hatte Kai das Bedürfnis, mit Jule zu reden.
Er wollte sich versichern, dass er noch da war.
"Acht Stunden ungefähr."
Verwundert zog der Jüngere die Augenbrauen hoch und bereute es im nächsten Moment schon wieder.
Fuck, warum waren diese Kopfschmerzen auf einmal wieder da?
"Und du warst die ganze Zeit bei mir? Du hättest doch auch gehen können."
"Auf gar keinen Fall." Jules Stimme war scharf, aber zugleich auch sanft und liebevoll.
"Ich bleibe bei dir, bis die mich hier rausschmeißen."
Kai lächelte nur; mehr konnte er nicht und mehr brauchte er auch nicht.
Für Jule reichte das.
"Jag mir bitte nie, nie wieder so einen Schrecken ein", wisperte der Ältere mit gedämmter Stimme, ehe er seine Lippen kurz auf Kais Stirn setzte.
In den letzten Stunden war Jule fast umgekommen vor Sorge. Die Ungewissheit, nicht zu wissen, wie es dem Jüngeren ging und was er hatte, brachte ihn schier um den Verstand.
Jetzt war seine Sorgen zwar noch nicht ganz verschwunden, aber er fühlte sich etwas besser; Kai ging es okay.
Okay.
Nicht gut, aber auch nicht schlecht.
Das war doch ein Grund zur Erleichterung, oder?
Jule hoffte es auf jeden Fall.
Gedankenverloren strich er durch Kais Locken und formte ein geflüstertes 'Ich liebe dich' mit seinen Lippen, aber Kai antwortete nicht mehr.
Er war wieder eingeschlafen.
Seine Gesichtszüge waren vollkommen friedlich; keine Schmerzen, kein Leiden; nichts.
Er schlief einfach nur; so als wäre nichts passiert.
Irgendwie beruhigte es Jule, Kai so zu sehen.
Er wusste genau, dass damit nicht alles überstanden war und dass es noch ein bisschen dauern konnte, bis Kai sich wieder vollkommen von seiner Gehirnerschütterung erholt hatte.
Das wusste Jule aus eigener Erfahrung.
Seit seinem Zusammenstoß mit einem Spieler von Bayern vor ein paar Jahren, bei dem er sich auch eine saftige Gehirnerschütterung eingefahren hatte, hatte es auch gefühlte Ewigkeiten gedauert, bis er wieder richtig auf dem Damm war.
Aber trotzdem; der Fakt, dass Kai mit ihm gesprochen hatte, beruhigte ihn.
Es ging ihm besser, denn als Jule Kai in dessen Wg-Zimmer zuletzt gesehen hatte, war er viel blasser und nicht dazu in der Lage, mit ihm zu sprechen.
Jule war sich nicht mal sicher, ob er wirklich mitbekommen hatte, dass er mit Kai geredet hatte.
Während er seine Hände weiterhin in Kais Haaren vergraben hatte, zückte er sein Handy und schrieb Marco, dass er heute nicht zum Training kommen konnte.
'Warum?', war Marcos bloße Antwort, 'Ist was passiert?'
Jule überlegte kurz, was er antworten sollte, ohne sich direkt zu verraten, aber eigentlich war es ihm egal, was Marco von ihm dachte und auch der Gedanke an eine mögliche Strafe von Edin, weil er beim Training fehlte, ließ ihn kalt.
Kai war gerade alles, was wirklich wichtig war und so lange, ihn das Krankenhauspersonal nicht an den Haaren herauszog, blieb er hier; bei Kai.
'Erzähl ich dir später. Sag Edin einfach, private Angelegenheit oder so, Keine Ahnung'
'Geht es dir gut?'
Jule konnte sich ganz genau vorstellen, wie Marco gerade mit verwirrt hochgezogenen Augenbrauen vor seinem Handy saß und sich fragte, was zur Hölle mit Jule los war. Nicht nur, dass er vermeintlich ohne Grund das Training absagte, sondern auch, dass er Marco mitten in der Nacht schrieb.
'Ja, alles gut. Ich erzähle es dir später, okay?'
Der Blonde wartete gar nicht auf eine Antwort seines besten Freundes, sondern packte sein Handy wieder weg, um sich wieder auf Kai konzentrieren zu können.
Dieser hatte sich friedlich schlafend in die warme Decke gekuschelt und sich etwas auf die Seite gelegt.
"Ich liebe dich, Harvy", murmelte Jule leise an die Wange des Jüngeren," Ich liebe dich so sehr."
~~
Wieder waren fast fünf Stunden vergangen, in denen Kai ganz fest geschlafen hatte; neben ihm hätte wahrscheinlich eine Bombe explodieren können und es hätte ihn nicht weiter gestört.
Und auch Jule nickte hin und wieder ein; den Kopf auf der aufgestellten Faust abgestützt.
Aber länger als fünf Minuten hatte sein Schlaf nie angedauert; dafür war seine Position einfach zu ungemütlich, doch zu Kai ins Bett legen wollte er sich auch nicht, denn er wollte ihn nicht stören.
Für Kai war der Schlaf wichtiger als für ihn.
Irgendwann klopfte es an der Tür und Jule bat die Person auf der anderen Seite mit einem leisen 'Herein', um Kai nicht zu wecken, ins Zimmer.
Es war eine kleine, zierliche Schwester, die ihre blonden Haare zu einem strengen Zopf zurückgebunden hatte und freundlich lächelte.
In ihren Händen hielt sie ein Tablet.
"Guten Morgen", lächelte sie mit gedämpfter Stimme; auch sie hatte erkannt, dass Kai noch schlief.
"Morgen."
"Soll ich Ihnen das Frühstück hierhin stellen oder soll ich es wieder mitnehmen?"
Jule schüttelte nur den Kopf; strich noch immer sanft durch die Haare seines Freundes.
"Lassen Sie es ruhig hier. Vielen Dank."
"Gerne. Wenn etwas ist, klingeln Sie einfach nach mir."
Dankend lächelte der Blonde und die Schwester nickte lächelnd, ehe sie sich umdrehte und das Zimmer verließ.
Jule hatte gar nicht bemerkt, dass die Zeit so schnell vorbei gegangen war; dass es schon morgens war, doch ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es tatsächlich schon kurz nach acht war.
Leise seufzte er auf; jetzt, wo ihm die Zeit bewusst war, begann auch sein Magen zu grummeln.
Aber er wollte sich nicht an Kais Frühstück bedienen; das war für Kai und der brauchte das auch dringend, um wieder zu Kräften zu kommen.
Kurz überlegte er, ob er schnell zur Cafeteria gehen und sich etwas holen sollte, aber er wollte Kai nicht allein lassen; vielleicht würde er das machen, wenn Kai wach war und er ihm bescheid sagen konnte.
So lange würde er es noch aushalten.
~~
"Jule?"
Jule sah von seinem Handy hoch zu Kai, welcher seine Augen nur einen spaltbreit geöffnet hatte; er schien noch im Halbschlaf zu sein.
"Ja, ich bin hier", lächelte der Blonde sanft," Ich bin hier."
Stück für Stück schien der Jüngere immer mehr im Hier und Jetzt anzukommen, bis er seine Augen ganz geöffnet hatte und er leicht lächelnd zu seinem Freund sah.
"Morgen", grummelte er leise.
"Morgen", lachte Jule leise und drückte einen kurzen Kuss auf die Schläfe des Jüngeren," Wie fühlst du dich?"
"Besser."
Kais Stimme hörte sich merklich besser an und auch seine Gesichtsfarbe sah wieder gesünder aus.
Lächelnd schob der Fußballer das Tablet in Kais Richtung.
"Hier, Frühstück."
"Ehrlich gesagt hab ich gar keinen Hunger", nuschelte Kai, setzte sich aber dennoch etwas auf, um Jule besser ansehen zu können.
"Komm schon; du musst ein bisschen was essen. Du hast schon seit gestern Mittag nichts mehr gegessen."
"Na gut", gab Kai seufzend nach und griff nach dem Joghurt, welcher auf dem Tablet stand.
So richtig Appetit hatte er nicht, aber Jule hatte schon recht; er musste was essen.
Jule sagte nichts; er beobachtete seinen Freund einfach beim Essen.
Er war so froh, dass es Kai wieder besser ging; so unendlich froh und erleichtert.
Jetzt konnte es nur noch bergauf gehen und besser werden.
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