November, 2023

Nervös strich Jule sich ein letztes Mal die blonden Haare zurecht, sodass das schwarze Haarband sie zurückhielt. Sonst würden diese ihm während des gesamten Speils im Gesicht hängen oder an der verschwitzten Stirn kleben. 
So ganz wusste Jule nicht, warum er so nervös war. Schon den ganzen Tag hatte er nicht wirklich Ruhe finden können und musste immer und immer wieder an das Spiel gegen Hoffenheim denken. Vielleicht war es, weil Hoffenheim nicht der einfachste Gegner war und sie das letzte Spiel gegen sie verloren hatten. Vielleicht lag es aber auch daran, dass heute jemand ganz Besonderes im Stadion sein würde und dem Bvb zusehen würde. Kai würde da sein; mit Timo, aber vor allem Kai. Wenn Jule an diesen dachte, musste er ganz automatisch lächeln. Ihr letztes Treffen war schon wieder viel, viel zu lange her, auch wenn das Spiel, das sie zusammen gesehen hatte, total toll war und allein der Fakt, dass er mit dem Lockenkopf zusammen gewesen war, hatte Jule gereicht, um sich gut zu fühlen. 
Der Blonde fand, dass die beiden schon jetzt richtig gute Freunde waren und er genoss jede Minute, die er zusammen mit Kai verbrachte. Wenn er so darüber nachdachte, konnte er kaum glauben, dass Kai ihm innerhalb von wenigen Wochen so unglaublich wichtig geworden war.
Vielleicht war Kai der Grund dafür, dass Jule heute so komisch aufgeregt war. Er wusste zwar, dass Kai schon ein paar Mal im Signal-Iduna-Park gewesen war, aber dieses Mal war es einfach anders. Jetzt wusste er, dass es Kai gab, jetzt kannte er Kai und jetzt hatte er ihn eingeladen. Jetzt wusste Jule, dass Kai besonders auf ihn achten würde und jetzt wollte Jule auch alles geben und Kai zeigen, was er so konnte. 
Ein Vibrieren neben ihm ließ Jule aus seinen Gedanken hochfahren und er lenkte seinen Blick zu seinem Handy, das links neben ihm auf der Bank lag. Das Display leuchtete auf und zeigte sein Hintergrundbild, das ihn, seine Brüder und seine Eltern nach einem Spiel im Stadion zeigte. Stolz hielt Jule nach dem Champions-League Spiel den Man-of-the-Match Award in den Händen und lächelte, genau wie seine Familie, schief in die Kamera. 
Es war eines der seltenen Bilder, auf denen die ganze Familie zu sehen ist. Meistens fehlte immer irgendeiner. 
Er entsperrte sein Handy und ging auf den Chat mit Kai, der eine neue Nachricht anzeigte. 
Kurz blieb er an Kais Profilbild hängen, ehe er sich löste und die neue Nachricht betrachtete. Es war ein Selfie von Kai und Timo auf ihren Plätzen. Beide lächelten voller Vorfreude in die Kamera und Timo zeigte einen Daumen nach oben. 

Sind da! 

Mehr hatte Kai nicht geschrieben, aber es reichte schon, um ein Kribbeln in der Magengegend des Blonden auszulösen.
Schnell, damit die anderen es nicht unbedingt merkten, machte er ein Selfie von sich, um es seinem Kumpel zurückzuschicken und ein Wehe ihr supportet uns heute nicht richtig! darunter zu schreiben.

Eigentlich hatte er noch auf eine Antwort warten wollen, aber Nico hielt ihn davon ab, denn er steckte seine Nase neugierig in Jules Handy. Reflexartig schloss er sein Handy und drehte es von dem Verteidiger weg. Wenn es etwas gab, was Jule auf sein Leben hasste, dann war es, wenn jemand ungefragt auf sein Handy schaute. 
"Mit wem schreibst du denn da?", fragte Nico interessiert," Das muss ja was ganz Geheimnisvolles sein."
"Natürlich ist es das", schaltete Marco sich jetzt rufend ein und sorgte damit dafür, dass das eigentlich private Gespräch zum allgemeinen Kabinenthema wurde," Er schreibst mit seiner neuen Flamme."
"Uhh", kam es von einigen sehr sehr zweideutig geraunt, was Jule nur die Augen verdrehen ließ. 
Manchmal hatte er das Gefühl, er war von einer Horde Teenagern und nicht von erwachsenen Männern umgeben.
"Leute, chillt mal. Er ist nicht meine Flamme. Wir kennen uns halt und verstehen uns gut und heute ist er im Stadion. Ist nichts Wildes."
"Zeig mal ein Bild", forderte Nico eindringlich. Leise seufzend öffnete er wieder sein Handy und zeigte ihm das Profilbild des Jüngeren. Nicos Augen wurden groß. "Nein"; rief er ungläubig hervor," Der süße Lockenkopf von neulich? Ist das nicht einer von diesen Studenten, die neulich da waren?"
Verlegen nickte Jule. Nicht, weil Kai ihm peinlich war, sondern weil er gerade das komische Gefühl hatte, durchschaubar zu sein. Warum, wusste er selbst nicht genau.
"Kai Havertz", erklärte Marco grinsend," Jule und er sind aber nur Freunde. Ne Jule?"
"Ja? Was sonst?"
Jules Blick triefte nur so vor Unverständnis. Natürlich waren sie nur Freunde. Was denn sonst? Sie kannten sich ja gerade mal ein paar Wochen.
"Nichts nichts", meinte der ehemalige Kapitän unschuldig, ehe er einen wissenden Blick mit Nico austauschte.
Natürlich hatte der Blonde diesen Blick gesehen und hätte auch sehr gerne noch etwas erwidert, aber dazu war jetzt leider keine Zeit mehr, denn das Spiel würde bald beginnen.

Schon beim Aufwärmen glitt Jules Blick immer wieder zur Tribüne. Dadurch, dass er die Tickets besorgt hatte, wusste er, wohin er in etwa schauen musste. Und nach ein paar Mal Schauen, hatte er die beiden schon entdeckte. Sie saßen nebeneinander, beide mit einem Getränk in der Hand und tuschelten angeregt miteinander, während sie aufs Spielfeld sahen. 
Sachte lächelte der gebürtige Bremer nach oben, bevor er sich wieder aufs Aufwärmen konzentrieren musste; ob er wollte der nicht.
Auch während des Spiels schaffte Jule es nicht wirklich, sich von Kai zu lösen. Aber der Gedanke an den jungen Studenten lenkte ihn nicht ab; im Gegenteil, er spornte ihn nur noch mehr an. Er wusste, dass es Kai darum nicht ging, aber er wollte ihm einfach zeigen, was er konnte. 
Und das schaffte er tatsächlich auch, indem er in der zweiten Halbzeit, relativ gegen Ende des Spiels, gekonnt einen Ball von Marco annahm und ihn im gegnerischen Tor versenkte. Der Torhüter war chancenlos gegen diesen Schuss und das ganze Stadion befand sich in Ekstase, als Jule das Tor schoss. Alle jubelten laut und die Mannschaft freute sich unglaublich über das eins zu null, denn das hatten sie sich nach diesem nervenaufreibenden Spiel echt verdient. 
Bevor das Spiel dann weiter ging, widmete er einen letzten Blick an die Tribüne; dort wo Kai und Timo saßen. 
Richtig sehen konnte er es nicht, aber irgendwas sagte ihm, dass Kai gerade stolz vor sich hin lächelte und genau deshalb wurde Julians Lächeln noch ein kleines bisschen größer.


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