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May, 2024


"War das die letzte Kiste?"
Fragend sah Timo seinen besten Freund an, nachdem er den Umzugskarton, den er bis gerade noch in den Händen gehalten hatte, mit einem leisen Knall auf den Boden abgestellt hatte.
"Ja", lachte Kai leise und klopfte Timo leicht auf die Schulter," Hast du toll gemacht, Timo. Ich bin stolz auf dich."
Seine grünen Augen verdrehend schlug Timo die warme Hand des Jüngeren weg.
"Du bist lustig, ehrlich. Du musstest ja auch keine fünfzigtausend Kartons hierher tragen, weil dein Göttergatte dir das verboten hat."
"Kann ich jetzt ja auch nichts für", verteidigte Kai sch mit, zum Spaß, erhobenen Händen," Ich wollte ja helfen, aber... du weißt schon."
"ja ja", winkte der Blonde ab," Kann ja auch keiner ahnen, dass du so viel Kram hast. Du musstest nicht mal Möbel mitnehmen  und hast trotzdem so viele schwere Kisten."
"Beruhig dich mal wieder, Timo. Ich geb dir jetzt auch ne Pizza aus."
"Das ist ja wohl auch das Mindeste."
Mit hochgezogenen Augenbrauen nickte Kai. 
Manchmal war Timo echt sehr dramatisch.
Als wären diese paar Umzugskartons so schlimm gewesen.
Zumal Timo das nicht mal alles hatte allein machen müssen.
Jule und Marco hatten geholfen und Kai hätte es ja auch getan, wenn Jule es nicht verhindert hätte.
Und außerdem war der Weg von dem Auto, das sie sich geliehen hatten, und Jules Haus nun wirklich kurz.
Er hatte die Kartons nicht in den sechsten Stock eines Altbaus schleppen müssen.
Aber im Moment benahm Timo sich genau so.
Timo halt....
Kai war ihm dennoch mehr als nur dankbar dafür, dass er hier half; das war echt nicht selbstverständlich und Kai hoffte, dass Timo das auch wusste.

"Geh schon mal ins Wohnzimmer zu Marco", schlug der Jüngere dankbar lächelnd vor," Ich geh kurz zu Jule und frag ihn, welche Pizza er will."
"Jaja, geh du mal mit deinem Schatzi schmusen und lass mich allein", fluchte Timo brummend.
"Du bist ja nicht allein und wenn du ganz lieb und nett fragst, gibt Marco dir vielleicht sogar ein Autogramm."
"Sei froh, dass du schwanger bist. Sonst würde ich dir hier und jetzt eine klatschen."
Missmutig sah Timo seinen Kumpel an, welcher jedoch nur herzlich lachte und dann in die Küche ging, in welche Jule sich vorhin verabschiedet hatte.

Kai war so froh, dass das geschafft war; er hatte echt ein bisschen Angst vor diesem Umzug gehabt.
Nicht, weil er sich nicht sicher war, ob er das wirklich wollte.
Es gab nichts, was er mehr wollte, als mit dem Blonden zusammenzuwohnen.
Aber irgendwie hatte ihn das Ganze beschäftigt; vielleicht war das aber auch normal, denn jetzt fing ein ganz neuer Abschnitt an.
Jetzt war alles real, besiegelt.
Jetzt wohnten sie zusammen und hatten ein gemeinsames zu Hause.
Kai liebte den Gedanken, aber es ist und bleibt ein großer Schritt, vor dem man, so fand Kai zumindest, auch Respekt haben durfte.
Man durfte sich aber auch auf und über ihn freuen und das tat Kai auch.
Es war beides irgendwie.
Komisch aber wahr.

Laut seufzend betrat Kai die Küche und erblickte Jule, wie er mit dem Rücken zu ihm stand und anscheinend auf sein Handy blickte.
Sofort musste Kai lächeln; er konnte einfach nicht anders.
Es war, als würde jemand auf seinem Kopf sitzen und seine Mundwinkel an Schnüren befestigt haben. 
Wenn er Jule sah, zog dieser jemand einfach an der Schnur und seine Mundwinkel verschoben sich zu einem Lächeln.
Kai konnte also nichts dafür; es war dieser kleine mysteriöse Jemand auf seinem Kopf.

Jule ließ sein Handy sofort unbeachtet sinken, als Kai von hinten seine Arme um seinen Freund schlang und seinen Kopf auf dessen Schulter ablegte.
"Timo ist anstrengend", murmelte er leise, was Jule zum Lachen brachte.
Kai genoss die kurze Vibration, die deshalb von dem Älteren ausging.
"Warum das?", wollte Jule wissen, während er seine Hände auf die von Kai legte, welcher um Jules Taille lagen.
"Ach, er ist halt Timo. Du kennst ihn ja."
Lachend drehte Jule sich in den Armen seines Freundes um und legte seine Arme um Kais Nacken.
"Aber er ist auch dein bester Freund und du liebst ihn sehr. Gib's doch zu."
"Ich sag ja auch gar nicht, dass das nicht stimmt. Aber manchmal ist er halt sehr.... naja, Timo halt."
Kai konnte es nur schwer erklären, wenn er ganz ehrlich war.
Natürlich liebte er Timo als seinen besten Freund und war ihm gerade für die letzten Wochen sehr, sehr dankbar, aber Timo Art konnte manchmal auch sehr anstrengend sein; auch wenn er total liebenswert war.
Das eine schloss das andere ja nicht aus...

Sanft küsste Jule die Wange des Jüngeren.
"Alles gut, ich versteh dich ja. Marco und Timo passen eigentlich sehr gut zusammen, wenn man es so sieht."
"Lass die beiden das aber nicht hören. Sonst hilft uns keiner mehr beim Umzug."
"Müssen sie ja auch nicht... oder wolltest du hier nochmal ausziehen?"
"Auf gar keinen Fall", meinte Kai entschlossen und näherte sich den Lippen des Kleineren, um ihn liebevoll zu küssen," Auf gar keinen Fall."
"Dann ist ja gut. Ich hatte es nämlich auch nicht vor."
Kurze Stille kehrte zwischen den beiden ein, aber keiner dachte auch nur daran, sich vom anderen zu lösen.
Zu schön war diese innige Umarmung nach einem anstrengenden Tag, an dem sie sich kaum richtig gesehen geschweige denn miteinander gesprochen hatten.
Irgendwie brauchten sie beide gerade diese Ruhe.
"Du siehst müde aus", murmelte Kai irgendwann leise und ließ seine warmen Finger sanft über Jules blasses Gesicht wandern.
"Das Schleppen war ja auch anstrengend...-"
"Ich hätte euch ja auch geholfen, wenn bestimmte Menschen es mir nicht verboten hätten", unterbrach Kai den Fußballer harsch.
Ja, er war genervt davon, weil Jule ihm das verboten hatte, aber auf der anderen Seite wusste er natürlich auch, dass er es nur gut gemeint hatte.
"Du weißt, dass ich nur das Beste für euch zwei will", verteidigte Jule sich sofort und so liebevoll seine Stimme auch war, so hatte sie auch einen sehr eindringlichen Unterton," Du weißt, dass du nicht schwer heben sollst und die Kisten waren zum Teil wirklich schwer. Was auch immer du da drinnen; ich glaub, ich will es gar nicht wissen."
Kai konnte nichts gegen das Lächeln tun, das sich auf seinen Lippen bildete.
Verdammter komischer Jemand auf seinem Kopf.

Eigentlich wollte er sauer auf Jule sein; wenigstens ein bisschen, aber er konnte einfach nicht.

"Hör zu, Harvy. ich weiß, dass dich das genervt hat heute, aber ich kenne dich und ich weiß, dass du nicht aufgehört hättest, wenn dein Körper dir gesagt hätte, dass es nicht mehr geht. Und ich... für mich ist es doch auch das erste Mal und ich will halt, dass dir und dem Baby nichts passiert, es soll euch gut gehen und ich will alles richtig machen."
Sich geschlagen gebend seufzte Kai auf.
Wo Jule recht hatte, hatte er recht.
Kai hätte nicht aufgehört; im gegenteil.
Er hätte sich selbst wahrscheinlich noch beweisen wollen, dass er sehr wohl noch konnte.
"Ich meine das nur gut, Harvy. Es tut mir leid", nuschelte Jule schuldbewusst," Ich will dich nicht bevormunden; nur beschützen."
Mit langsamen Bewegungen nickte Kai.
"Du hast recht. tut mir leid, dass ich dich so angefahren hab. Es ist nur so schwer nur zuschauen zu können."
Gefühlvoll strich Jule über die Wange des Jüngeren.
Er konnte Kai verstehen; so sehr.
Aber er konnte ihm auch nicht viel dabei helfen, außer ihm gut zuzureden.
"Ich liebe dich, du kleiner Dickkopf", flüsterte er mit rauer Stimme, während er seine Hände an Kais Bauch legte, der jetzt so langsam eine kleine Wölbung aufwies; zumindest wenn man es wusste.
Sehen konnte man es noch nicht wirklich, aber spüren tat man es.
Jule tat es zumindest.
"Was willst du denn für eine Pizza haben?"
"So lange keine Pilze drauf sind, ist mir das eigentlich egal", antwortete Jule Schulter zucken und löste sich langsam aber sicher wieder von Kai.
"Na das hätte ich auch gerade so selbst hingekriegt", gab Kai sarkastisch zurück," Dann beschwer dich hinterher aber nicht."
"Niemals", versprach der Blonde grinsend und griff plötzlich wieder nach Kais Shirt, um ihn in einer schnellen Bewegung wieder an sich heran zu ziehen.
Etwas überrascht quietschte Kai auf, schmiegte sich dann aber doch in die Berührung.
"Irgendwann bringst du mich noch um, Julian Brandt", knurrte der Jüngere, ehe er sich wieder aus den Armen des Älteren wand.
Ohne die Antwort seines Freundes abzuwarten, wandte Kai sich von Jule ab und ging zurück zu Timo und Marco ins Wohnzimmer, nur um dort festzustellen, dass die beiden anscheinend dabei waren, beste Freunde zu werden.
Sie unterhielten sich zumindest ziemlich angeregt und leidenschaftlich über Fußball und das Studium und bemerkten erst gar nicht wirklich, dass Kai auch da war.

~~

"Jetzt wohnst du einfach offiziell bei mir."
"Es ist so krass, oder?"
Ungläubig sah Kai seinen Freund an.
Gemeinsam standen sie vor den vielen Umzugskartons, die sie erstmal im Flur zwischengelagert hatten.
Dem Ausräumen würden sie sich morgen widme; der tag war so schon echt lang gewesen und sie wollten beide einfach nur noch ins Bett und schlafen.
"Mhh", stimmte Jule dem Größeren nuschelnd zu," Wenn man bedenkt, dass wir uns vor ein paar Monaten nicht mal kannten..."
"Denkst du, dass es zu schnell gegangen ist?"
Zweifelnd sah Kai zu Jule, welcher sanft lächelnd die Hände um Kais Taille schlang.
"So meinte ich das nicht", erklärte er mit leiser und dennoch eindringlicher Stimme," Ich finds nur krass, wie das alles ging. Ich meine, wenn mir jemand vor ein paar Monaten gesagt hätte, dass ich hier mit dir stehen werde; in unserem Zuhause und dass ich Vater werde... ich glaube ich hätte ihm den Vogel gezeigt. Aber es ist trotzdem das Schönste, was mir hätte passieren können. Mir ging nichts zu schnell, okay Harvy?"
Lächelnd und gerührt von Jules Worten nickte Kai; ihm standen sogar ein oder zwei kleine Tränen in den Augenwinkeln.
"Sehe ich genauso."
"Na siehst du... und jetzt lass uns mal ins Bett gehen. Ich bin echt fertig und wenn wir morgen deinen ganzen Kram ausräumen wollen, müssen wir fit sein."
Genervt verdrehte Kai die Augen.
"Warum sagt ihr alle, dass ich so viel Kram habe? So viel ist das nun wirklich nicht."
"Doch, Harvy, doch", lachte Jule," Du hast echt viel Zeug."
"Pff. Du kannst mich mal", brummte der Jüngere und ging ins Schlafzimmer; ihr Schlafzimmer. Ihr fucking gemeinsames Schlafzimmer.
Das hörte sich noch immer so surreal an.
Wie ein Traum; nur dass Kai nicht gleich aufwachen würde, denn das hier war echt.
Echt, echt, echt.


~~

"Soll ich dich nicht doch lieber zu Uni fahren? Ich meine, das ist doch eh auf halbem Weg zum Trainingsgelände."
Abwartend sah Jule Kai an, welcher sich gerade für die Straßenbahn rüstete.
Er hielt in seiner Bewegung inne und zog die Augenbrauen hoch.
"Und dann sieht jeder dein Auto, das ja wirklich total unauffällig vor so einer Uni mit superreichen Studenten ist", ergänzte der Jüngere mit sarkastischem Unterton," Und dann wollen alle nachgucken, wer so ein tolles Auto hat und schwupp wissen alle, dass Julian Brandt mit einem Studenten von der Uni zusammen ist."
Seine Augen nach hinten rollend, schnalzte Jule mit der Zunge.
"Du übertreibst echt. Erstens muss ich das Auto ja nicht jedem auf dem Silbertablet präsentieren, sondern kann auch in einer Seitenstraße fahren und dich da rauslassen und zweitens ist mein Auto jetzt auch nicht so unfassbar auffällig, dass wir gleich von jedem überrannt werden."
"Das weißt du aber nicht", argumentierte der Student, während er sich die Schnürsenkel seiner weißen Sneaker band," Wir wollten uns doch noch mal ganz in Ruhe Gedanken über ein Outing machen, oder? Ich will einfach nichts riskieren und am Ende kommt dann durch irgendeinen blöden Zufall doch alles raus und wir können nichts mehr dagegen tun."
Sich geschlagen gebend, nickte Jule.
"Du hast ja recht... wir hätten nur einfach noch ein bisschen mehr Zeit, wenn du nicht jetzt die S-Bahn bekommen müsstest."
"Heute Nachmittag hast du dich wieder ganz für dich", schmunzelte der Jüngere und drückte Jule einen letzten Kuss auf," Versprochen."
"Mehr oder weniger ganz allein", korrigierte Jule ihn," Aber ich geb mich mal damit zufrieden."
"Du bist echt ein Spinner, Julian Brandt."
"Ich liebe dich auch, Harvy."

~~

Kai hatte die Vorlesungen wirklich nicht vermisst; manche waren ja wirklich interessant, aber wenn es zu diesem dämlichen Finanzkram kam, könnte Kai einschlafen.
Neunzig Minuten redete die Professorin da vorne über irgendwelche Rechnungen und Steuersätze, die Kai wirklich nicht im geringsten interessierten.
Aber es war nun mal sehr wichtig, also musste er sich wohl oder übel zwingen aufzupassen.
Timo neben ihm sah genauso motiviert aus wie er; seine Augen wurden manchmal so klein, dass Kai dachte, er würde jeden Moment auf seinen Laptop knallen, weil er eingeschlafen war.
Brav schrieb der junge Student alles mit, was ihm als wichtig erschien; er würde das später eh nochmal mit den anderen zusammen durcharbeiten und abgleichen, aber er hatte sich vorgenommen, nach seinem langen Fehlen noch mehr durchzuziehen.
Mal sehen, wie lange dieser gute Vorsatz halten wird....

"Alter die geht mir so auf den Sack mit ihren komischen Finanzen", fluchte Timo, als sie in der Mittagspause zusammen mit ihren nudeln in der Mensa saßen.
"Mir auch", gab Kai ihm grinsend recht," Ich hab auch echt gar keinen Bock ihren komischen Essay zu schreiben, aber uns bleibt ja nichts anderes übrig."
Bei der Erwähnung des Essays, den sie ihrer Professorin bis nächste Wochen schicken sollten, verzog Timo gequält sein Gesicht.
"Als hätte ich nichts Besseres zu tun als mich mit dem Scheiß zu beschäftigen."
"Isso man."

Kai war so froh, dass er wieder hier mit Timo in der Mensa saß und mit ihm über die uni und die Professoren lästern konnte.
In den letzten Wochen war dieses belanglose Zeug, das ihn irgendwie zum Studenten machte, echt verloren gegangen in dem ganzen Trubel um ihn, Jule und das Baby.
Früher hatte Kai das als normal und selbstverständlich empfunden, aber die letzten Wochen hatten ihm gezeigt, dass das eindeutig nicht so war; im Gegenteil.
Er würde das unbeschwerte Studentenleben, das er jetzt nur noch zum Teil hatte, ab jetzt noch mehr schätzen, denn bald wäre davon nur noch ein kleiner Bruchteil übrig.
Er würde also diel letzten Monate, die ihm als einfacher Student noch blieben, auskosten und gut nutzen.
Und Timo war ihm dabei wahrscheinlich die allergrößte Hilfe.
Wer, wenn nicht Timo?

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