Memories
March, 2024
Kai fühlte sich schwach.
Sein Gehirn funktionierte nur noch in Schrittgeschwindigkeit.
Es brauchte einige Sekunden, bis er realisierte, wo er war und was passiert war.
Er hatte aufgeräumt, weil Jule vorbeikommen wollte und sein Wg-Zimmer nicht sonderlich einladend aussah und dann auf einmal war ihm schwindelig geworden.
Das Letzte woran, Kai sich dann erinnern konnte, war, wie alles schwarz wurde und er das Gefühl hatte, zu fallen.
Nein, er war gefallen.
Und dann nichts; gar nichts.
Es war, als hätte jemand in seinem Kopf auf Löschen gedrückt.
Das erste, was dann wieder da war, war Jules entfernte Stimme und dann Timos und dann Paulas.
Alle wirr und durcheinander und so unendlich weit weg.
Und dann waren da auch noch andere Stimmen; Stimmen, die er nicht kannte.
Und ganz viele Hände, die an ihm herumfummelten.
Kai hatte dem nicht folgen können; er war zu schwach gewesen, sich zu wehren oder zu fragen, was das sollte.
Es war, als wären sein Kopf und sein Körper zwei unterschiedliche Dinge, die nichts miteinander zu tun hatten; zwei Fremdkörper.
Der eine wollte nicht auf den anderen hören und andersherum.
Immer mehr Erinnerungen kamen auf einmal zurück und prasselten auf Kai ein.
Da war wieder Jule, der neben ihm hockte und sanft eine Hand auf seine verkabelte Hand legte und ihm irgendwas zuflüsterte, was Kai aber nicht verstand.
Wie er auf eine Liege gehoben und dann weggefahren wurde in... einen Krankenwagen?
Kai wusste es nicht mehr genau.
Und dann wieder diese unbekannten und unscharfen Gesichter, die halb über ihm lehnten und ihn irgendwas fragten, auf das Kai keine Antwort wusste.
Er spürte nur den Schwindel und das Pochen in seinem Kopf und die Kopfschmerzen, die immer schlimmer wurden.
Er hatte nur nebenbei mitbekommen, wie er hierher gebracht wurde, wie wieder neue Stimmen dazu kamen; wie diese Stimmen über ihn redeten, wie sie mit ihm redeten.
Doch Kai konnte nichts verstehen, geschweige denn antworten.
Es war ihm alles viel zu viel.
Die neue ungewohnte Umgebung, der beißende Geruch, der ihm selbst in diesem Zustand zweifelslos verriet, dass er im Krankenhaus war, die grellen Lichter, die das unerträgliche Pochen in seinem Kopf nur noch verstärkten.
Diese wirren Stimmen, die was von ihm wollten und dann wieder nicht, der Schwindel und die Kopfschmerzen und die Müdigkeit.
Warum konnten die ihn nicht einfach in irgendein ruhiges, dunkles und warmes Zimmer stellen und ihn schlafen lassen?
Er war einfach so müde und sein Kopf war kurz vorm Explodieren.
Was wollten die jetzt alle von ihm?
Irgendwann wurde es tatsächlich ruhiger, aber das Pochen in Kais Kopf umso lauter.
Wo war Jule? Hatte er ihn allein gelassen?
Kurz öffnete Kai seine schweren Augen, die er bis jetzt geschlossen hatte.
Zum Einen weil er einfach so unendlich müde war und zum Anderen weil das grelle Licht seine Kopfschmerzen mindestens dreimal schlimmer machten.
Dieser Raum war um Einiges dunkler; eine Erleichterung.
Kai traute sich nicht, aus Angst vor möglichen Schmerzen, die dann vielleicht kommen würden, seinen Kopf zu drehen oder sich generell zu bewegen.
Aber er war sich trotzdem sicher, dass jetzt nicht mehr so viele Leute hier waren; es war nicht mehr so hektisch und um Einiges leiser geworden.
Immer und immer weider spielten sich die Erinnerungen in seinem Kopf ab und wurden mit jeder Wiederholung schneller.
Sturz, Dunkelheit, Jule, Stimmen, Krankenwagen, Krankenhaus, Stimmen und viel zu grelles Licht, Ruhe.
Schneller.
Sturz, Dunkelheit, Jule, Stimmen, Krankenwagen, Krankenhaus, Stimmen und viel zu grelles Licht, Ruhe.
Schneller.
Sturz, Dunkelheit, Jule, Stimmen, Krankenwagen, Krankenhaus, Stimmen und viel zu grelles Licht, Ruhe.
Schneller.
Sturz, Dunkelheit, Jule, Stimmen, Krankenwagen, Krankenhaus, Stimmen und viel zu grelles Licht, Ruhe.
Schneller.
Immer und immer wieder und immer und immer schneller.
Irgendwann wurden die Farben immer heller, sodass sie in Kais Kopf ein Stechen verursachten; wie ein heller Blitz oder der Schmerz in den Augen, wenn man aus Versehen direkt in die Sonne schaute.
Aus Reflex kniff Kai die Augen zusammen, doch es wurde kein Stückchen besser; eher das Gegenteil.
Stattdessen spürte er auf einmal eine Hand auf seiner Schulter und dann wieder eine Stimme; eine fremde Stimme.
"Herr Havertz? Können Sie mich hören?"
Schwach nickte Kai; konnte man das überhaupt nicken nennen?
Aber zu mehr waren seine Muskeln gerade nicht in der Lage.
"Wissen sie, wo Sie sind und was passiert ist?"
Die Stimme wurde mit jedem Wort deutlicher; sie war bei Weitem nicht mehr so verschwommen und verwaschen wie am Anfang.
Wieder nickte Kai.
"Gut. Das ist gut."
Es war ein Mann, der mit ihm sprach. Er kannte diese Stimme nicht, aber sie war ruhig und wirkte routiniert.
Kai erschreckte sich, als auf einmal seine Augenlider sanft nach oben geschoben wurden und eine Leuchte in sein Auge leuchtete.
Das war viel zu hell; viel heller als vorhin.
Aber Kais Körper konnte sich nicht wehren; es ging nicht; und nach einem kurzen Augenblick konnte er seine Augen auch wieder schließen.
Das war viel angenehmer.
"Wie fühlen Sie sich?"
Kai überlegte.
Ja, wie fühlte er sich eigentlich.
Müde? Schwindelig? Kopfschmerzen?
Eigentlich wollte er nur was gegen diese scheiß Schmerzen und ein vernünftiges Bett, um sich ausschlafen zu können und dann könnten die auch alles mit ihm machen, was sie wollten.
"Nicht so gut", nuschelte Kai leise und das war nicht mal gelogen.
"Haben Sie Schmerzen?"
Wieder nur ein Nicken.
"Kopf."
"Mh", murmelte die Stimme, von der Kai vermutete, dass sie zu einem Arzt gehörte, nachdenklich, während sie irgendwas zu notieren schien.
"Also, wir haben bei Ihnen schon ein Mrt durchgeführt und konnten zum Glück jegliche Hirnblutungen ausschließen. Sie scheinen echtes Glück gehabt zu haben und sich nur eine Gehirnerschütterung und eine kleine Platzwunde zugezogen zu haben. Aber so wie es aussieht müssen wir die nicht mal nähen."
Kai nickte, aber so ganz hatte er das alles noch nicht verstanden.
Es brauchte etwas, bis das alles in seinem vernebelten Hirn angekommen war.
Mrt... war das nicht diese Röhre, durch die man durchgeschoben wurde?
Das hat er gar nicht mitbekommen...
Anscheinend war er doch ziemlich zugedröhnt mit irgendwelchen Medikamenten, aber vielleicht war das auch ganz gut so.
Gehirnerschütterung...
Aber keine Hirnblutung; das war doch gut, oder?
Natürlich war das gut.
"Wir würden Sie gerne vierundzwanzig Stunden zur Beobachtung hierbehalten."
Wieder nur ein Nicken.
So langsam kam Kai sich echt blöd vor; er machte hier nichts anderes als Nicken.
Aber was sollte er sonst tun?
Er hatte keine Kraft zum Sprechen; eigentlich nicht mal zum Nicken.
"Okay", seufzte der Arzt leise und legte dann wieder vorsichtig eine Hand auf die Schulter des Studenten," Eine Schwester bringt Sie gleich auf Ihr Zimmer, damit Sie erstmal zur Ruhe kommen können, okay? Und ich komme dann später nochmal vorbei und bespreche den Rest mit Ihnen. Das Wichtigste haben wir ja jetzt schon besprochen."
Besprochen... naja...
Aber Kai nickte wieder und brachte dann noch, wer hätte es gedacht, ein leises und raues 'Danke' heraus.
er war selbst von seiner eigenen Stimme überrascht; er hörte sich an wie ein Rentner, der schon die Hälfte seines Lebens Kettenraucher ist.
Nur am Rande bekam Kai mit, wie er auf ein richtiges Bett verlagert und dann durch die Gegend bis in sein Zimmer geschoben wurde; eigentlich war er schon halb eingeschlafen.
Warum war das auch alles so anstrengend?
Die Schwester fummelte noch kurz an dem Zugang herum, der in seinem Handrücken steckte und wünschte ihm dann noch eine 'Gute Besserung', worauf Kai mit einem zaghaften Lächeln antwortete.
Und dann schloss sie die Tür hinter sich und Kai war allein.
Endlich.
Allein.
Ruhe.
Schlafen.
So langsam traten auch diese quälenden Kopfschmerzen in den Hintergrund; sie wurden immer leiser und leiser.
Anscheinend hatten sie ihm jetzt doch endlich mal was Richtiges gegeben.
Kais Körper konnte immer mehr zur Ruhe kommen; seine Gedanken verlangsamten sich, während er die warme Decke näher um seinen Körper zog.
Irgendwie war es doch ganz schön kalt hier drinnen.
Ziemlich kalt.
Kai hörte nichts; es war absolut still.
Abgesehen von de Ekg, das seine Herztöne aufzeichnete und in regelmäßigen Abständen ein Piepen von sich gab, doch auch das blendete Kai immer weiter aus.
Nur noch seinen eigenen Atem nahm er wahr; ruhig und flach.
Ein und aus.
Ein und aus.
Ein und aus.
Immer wieder.
Nochmal.
Und wieder.
Bis Kais Hirn seinen Körper in einen tiefen und traumlosen Schlaf schickte.
Das, was Kai sich die ganze Zeit gewünscht hatte.
Endlich schlafen.
Das war alles, was er gerade wollte.
Schlafen; einfach nur schlafen.
~~
Jule klopfte gar nicht erst an; er hatte schon durch das kleine Fenster, das das Zimmer mit dem Gang verband, gesehen, dass Kai schlief und er wollte ihn nicht wecken.
Stattdessen drückte er vorsichtig die Türklinke und trat leise in das Zimmer ein.
Es war dunkel, aber man konnte sich noch gut zurecht finden; Jule lief also keine Gefahr, Kai zu wecken, weil er irgendwo gegen lief.
Leise ging er auf das Bett zu und ließ sich auf der Kante nieder; bedacht darauf, Kai nicht zu stören.
Sein Arzt hatte Jule nicht viel Auskunft geben dürfen; klar, sie waren ja weder verwandt noch verheiratet.
Aber was er gesagt hatte war, dass Kai jetzt Ruhe und Schlaf brauchte und wenn er sich Kai so ansah, dann glaubte er das auf Anhieb.
Es war in den letzten Tagen ja auch nicht anders gewesen.
Jule hatte sich und den anderen zwar verboten, sich Vorwürfe zu machen, aber irgendwie konnte er die Stimme in seinem Kopf nicht leise stellen.
Die Stimme, die ihm ununterbrochen sagte, dass er das Ganze hätte verhindern können, hätte er Kai schon früher zum Arzt geschleppt.
Die dauernde Müdigkeit, der Schwindel, die Übelkeit; das war doch alles ein Symptom; für was auch immer.
Aber Fakt war, dass es nicht gut war und irgendeinen Grund haben musste.
Warum hatte Jule Kai also nicht zum Arzt geschleppt?
Warum?
Leicht schüttelte der Blonde den Kopf.
Es war nicht sinnvoll, sich darüber jetzt noch den Kopf zu zerbrechen, denn es machte die ganze Misere nicht rückgängig sondern raubt ihm nur Kraft.
Kraft, die Jule jetzt besser dafür nutzen sollte, um für Kai da zu sein.
Vorsichtig, als wäre Kai aus Glas und könnte bei jeder noch so kleinen Berührung zu Bruch gehen, nahm Jule Kais Hand.
Sie war kühl, aber trotzdem weich.'
Jule wollte nie wieder eine andere Hand anfassen; zumindest nicht so, wie er Kais anfasste.
Ein sanftes Lächeln schlich sich auf die Lippen des Blonden.
Obwohl sie in dieser scheiß Situation steckten, konnte Jule nicht ignorieren, wie schön Kai war.
Er war zwar blass, steckte in diesen unsexy Krankenhaushemden und hatte, wenn Jule das richtig gesehen hatte, eine kahl rasierte Stelle am Hinterkopf, aber all das änderte nichts daran.
Kai war so wunderschön; nichts und niemand auf dieser Welt war auch nur annähernd so schön wie Kai.
Wie friedlich sein Gesichtsausdruck beim Schlafen war und das obwohl der Tag vor allem für Kai so turbulent war.
Leicht, wirklich ganz leicht, drückte Jule die Hand seines Freundes, um ihm zu zeigen, dass er da war.
Er war hier; hier bei Kai. Da, wo er hingehörte.
Von dem Jüngeren kam keine Reaktion zurück, aber Jule wusste, dass Kai es wahrgenommen hatte.
Ob bewusst oder unterbewusst sei mal dahin gestellt.
"Ich liebe dich, Harvy", hauchte Jule in die Dunkelheit.
Auch seine Stimme triefte nur so vor Erschöpfung, aber er würde einen Teufel tun und jetzt schlafen.
Er musste wach bleiben; für Kai.
Und abgesehen davon würde er wahrscheinlich eh nicht schlafen können.
"Ich liebe dich so sehr, Kai."
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