[𝟏] 𝐏𝐞𝐫𝐟𝐞𝐤𝐭𝐞 𝐅𝐚𝐦𝐢𝐥𝐢𝐞
Felicia
Die Sonne schien und der späte Hochsommer kitzelte auf meiner Haut. Alles war so belebt und bunt und während ich durch die Straßen Vancouvers lief, malte ich mir eine rosige Zukunft aus. Ich stellte mir vor, was für eine traumhafte Hochzeit ich später einmal haben, oder wie viele kleine, süße Kinder ich bekommen würde. Meine Vorstellung ähnelte meinen Büchern viel zu sehr und mein Vater würde jetzt vermutlich sagen, dass ich aus meinem viel zu wundervollen Traum aufwachen sollte, doch das wollte ich nicht. Ich wollte das mein Leben so war, wie es in glücklichen Liebesromanen geschrieben stand. Ich wollte, dass es perfekt lief. Dass es liebevoll, schön und traumhaft zugleich war.
Ich atmete tief ein und aus, als ich also vor unserem Eingangstor stand und mich darauf vorbereiten musste, meiner verrückten Familie gegenüber zu treten. Dieses Haus war zu laut und so waren es auch die Menschen, die in diesem lebten. Ich wurde von einem Mitarbeiter meines Vaters - Enrico -, welcher übrigens gerade Wache schob, hineingelassen und schritt auf die riesige Eingangstür zu. Ich bemerkte auf meinem Weg dorthin, dass meine Mom unsere Einfahrt mit weißen Rosen beschmückt hatte. Ich lächele leicht. Sie war die Einzige, die mich und meine Träume verstand. Sie verstand genau, wieso ich mir vorstellte, in meinem eigenen Märchen zu leben.
»Du hast dich mal wieder verspätet«, sprach Rafael, welcher gerade im Wohnzimmer saß und sich eigentlich mit meinem Vater unterhielt. Seine braunen Augen glitten über mich und jagten mir eine Gänsehaut ein. Rafael war streng, weil er der Älteste war. Trotzdem wusste ich, dass er es nur gut meinte. Ich schenkte ihm ein Grinsen.
»Dir auch hallo, Bruderherz. Ich war noch in der-«, begann ich, und wurde von Matteo, dem Zweiältesten, unterbrochen.
»Bibliothek«, beendete er meinen Satz und drückte mir einen Kuss auf meinen Kopf, ehe er sich an den großen Esstisch setzte und mit seinem Handy herumspielte. Die Augen meines Vaters leuchteten, als er mich sah. Er stand auf und kam auf mich zu.
»Mein Engel, wir haben dich angerufen. Habe ich dir nicht gesagt, du sollst uns bescheid geben, wenn du dich dazu beschließt, den halben Tag in der Bibliothek zu verbringen?«
Er schaute mich, versucht streng, an, doch er konnte nicht anders als zu lächeln. Das war der Vorteil, die einzige und dabei auch noch jüngste Tochter im Hause Martinelli zu sein - Man konnte einfach nie sauer auf mich sein. Ich umarmte ihn und genoß für einen kurzen Moment, dass er heute nicht den ganzen Tag mit Rafael unterwegs war, um irgendwelche Geschäfte zu erledigen, sondern mit uns zu Mittag essen würde.
»Unfair«, brüllte Alessio, mein dritter Bruder, durch den Raum und setzte sich neben Matteo.
»Total unfair. Papas Lieblingskind wird wieder bevorzugt. MAMA, WO BIST DU? WIR BRAUCHEN LIEBE«, rief Elio, damit der letzte meiner Brüder, hinterher. Sie alle fingen an, zu lachen und schauten zu mir und meinem Vater. Ich zuckte nur mit den Schultern.
»Das Beste kommt halt zum Schluss, richtig, Papa?«, stellte ich schulterzuckend fest und schaute meinen Dad an, welcher mir nur zuzwinkerte. Er gab mir Recht und ich konnte mich beruhigt neben meine Brüder setzen, während mein Vater noch kurz in seinem Büro verschwand.
Rafael, Matteo, Alessio und Elio.
Die besten vier Brüder, die man sich auf dieser Welt wünschen konnte. Zu jedem einzelnen von ihnen pflegte ich eine liebevolle Beziehung. Aber vor Allem zu Rafael. Er war die meiste Zeit streng zu mir, aber die Momente, die ich mit ihm alleine erleben durfte - unter Anderem, wenn wir Deeptalks in seinem Zimmer führten oder zusammen ins Kino gingen, um irgendeinen Marvelfilm zu schauen - waren unbezahlbar.
Sie fingen an, leise miteinander zu tuscheln und ich hob eine Augenbraue, während ich meine Brüder dabei beobachtete. Sie planten wieder irgendetwas und wahrscheinlich würden sie - wie sonst auch immer - meine Mutter ärgern. Ich wollte gerade etwas sagen und sie davon abhalten, doch da spazierte meine Mutter auch schon mit einer handvoll Essen hinein und schaute uns strahlend an.
»Meine fünf perfekten Kinder und mein wundervoller Ehemann ist auch Zuhause! Alle zusammen an einem Tisch! Wie schön«, sagte sie mit einem ehrlichen und großen Lächeln und stellte das Essen auf den Tisch. Der Duft von selbstgebackener Pizza stieg mir in die Nase und augenblicklich überkam mich ein großer Appetit.
»Mom«, sagte Matteo etwas gequält. Sie hielt inne und schaute ihn an. »Was ist, Matteo? Stimmt etwas nicht?«, fragte sie etwas besorgt und fuchtelte mit ihrem Kochlöffel in der Hand herum. Sie machte sich immer sofort Sorgen, wenn irgendetwas mit uns nicht stimmte. Und das nutzten meine dämlichen Brüder aus, um sie zu ärgern. Verwirrt blickte ich ihn an und wollte wissen, was sie diesmal geplant hatten.
»Naja«, meldete sich nun Elio zu Wort und legte unserer Mutter beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Elio, nicht...«, murmelte Alessio und auch Matteo schaute ihn streng an und schüttelte den Kopf. Doch Elio blickte zu Mom und setzte zum Reden an.
Rafael schaute sich das alles nur an und schüttelte genervt mit dem Kopf.
»Sagt es mir. Jetzt. Sofort!«, bat sie - halb schockiert, halb verwirrt. Sie setzte sich an den Tisch und ich versuchte noch immer herauszufinden, was meine Geschwister vorhatten. Ich war genau so neugierig wie sie.
»Rafael hat uns erzählt, dass Dad eine neue Sekretärin hat und naja..«, Elio versuchte sich das Lachen zu unterdrücken, das erkannte ich sofort. Sie wollten sie wirklich ärgern.
»Als Dad gestern meinte, er wäre länger im Büro, war er eigentlich mit ihr in diesem Restaurant, in das ihr sonst immer hingeht«
Ich erkannte sofort, wie meine Brüder versuchten, sich mit aller Kraft ihr aufkommendes Lachen zu drücken. Unsere Mutter hingegen schaute schockiert in die Runde. Ihre Augen waren geweitet. Matteo räusperte sich. »Mom, das ist doch nicht schlimm oder? Sie sind bestimmt nur Freunde«
»Freunde?!«, fragte Alessio aufgebracht. »Sie waren zusammen aus! Er hat für ihr Essen bezahlt!«
»Mom das ist bestimmt wieder nur...«, ...ein Scherz, wollte ich sagen, doch sie war schon wutentbrannt aufgestanden. Als mein Vater den Raum betrat, hatte sie schon längst ihren Kochlöffel nach ihm geworfen. Dad duckte sich verärgert an und schaute Mom so an, als wäre sie verrückt geworden.
»Was soll das?«, fragte dieser entnervt und hob den Kochlöffel hoch, um ihn beschützend gegen sich zu halten, als sie auf ihn zuging.
»Wovon reden deine Söhne da? Hm? Welches Miststück hast du zum Essen eingeladen? Findest du das in Ordnung? Ich bin jeden Tag Zuhause und kümmere mich um alles, während ich an meinem Roman schreibe und das Einzige was du machst ist, mit einer anderen Essen zu gehen, während ich auf dich warte? Sag mal, spinnst du?«, verärgert haute sie gegen seine Schulter.
»Oh du meinst... du meinst das mit Diana? Ich kann das erklären-«, wollte er sagen, doch meine Mutter schnappte ihm den Kochlöffel aus der Hand und schlug ihn damit.
»DIANA?«, schrie sie aufgebracht. Ich weitete meine Augen. Stimmte das, was Elio sagte?
Ich schaute zu meinen vier Brüdern, die sich kaputtlachten und dann zu meinem Vater, welcher kurz davor war. Dann war es mir klar.
»Mom, die ärgern dich und Dad macht mit«, seufzte ich und das war der Moment, in welchem alle anfingen zu lachen und mein Vater meine aufgebrachte Mutter in seine Arme zog. Meine Brüder - sogar Rafael - lachten sich kaputt und von meinem Vater brauchte ich gar anfangen. Er kriegte sich kaum noch ein.
»Ihr haltet keinen Tag aus, ohne eure arme Mutter zu ärgern«, sagte Vittorio kopfschüttelnd, als er in den Raum spazierte. Lächelnd stand ich auf und ging auf ihn zu. Schließlich hatte er etwas, was mir gehörte.
»Hey, Principessa. Hast du mich vermisst?«
Er drückte mir einen Kuss auf den Kopf, dann schnappte er sich genau dieses eine Buch aus seiner Tasche, auf welches ich den ganzen Tag schon wartete.
»Ich habe nicht dich vermisst, sondern auf dieses Prachtexemplar gewartet. Es ist wunderschön«, stieß ich hervor, während ich mir die allererste Fassung von Jane Austens Stolz und Vorurteil genau anschaute. Es war alt und heruntergekommen, doch Vittorio hatte versprochen, es aufzufinden und hatte sein Versprechen nicht gebrochen.
»Sei nicht so frech, Principessa, sonst bringe ich es zurück«, brummte er und setzte sich neben meine Mutter an den Tisch, welche sich mittlerweile beruhigt hatte. Sie schaute Vittorio nur genervt an. Dieser zuckte mit den Schultern. »Brauchst dich gar nicht aufzuregen, Bella. Du hast Leonardo freiwillig geheiratet«
Sie schnaubte und nahm wieder ihren Kochlöffel in die Hand, als mein Vater auf sie zu kam, um ihr einen Kuss auf den Kopf zu drücken. Sie schlug ihn trotzdem. Ohne zu zögern.
»Aua, Amore Mio, kannst du dir das nicht für heute Nacht aufsparen?«
Ich verzog mein Gesicht. »Papa, sowas ist ekelhaft!«, entkam es mir und Alessandro, welcher als nächstes hineinspazierte und sich direkt neben Matteo setzte, schaute wie immer genervt in die Runde. Er war nie gut drauf. Nie. Ich hatte ihn bisher nur einmal lachen gesehen und das war damals, als wir zusammen Schlittschuhlaufen waren und Dad gestolpert und gefallen ist. Alessandro hat sich damals nicht mehr einbekommen. Aber sonst war er eben der Alessandro, den wir kannten. Der ernste Grinch, der definitiv etwas gute Laune gebrauchen könnte.
»Eure Eltern besaßen noch nie Anstand. Weder vor ihrer Ehe, noch danach«
Vittorio fing an zu grinsen. »Gib zu, dir fehlt einfach nur dieser gewisse... Körperkontakt mit weiblichen Personen«
Alessio fing an, lauthals zu lachen und nickte dann. »Auf gut Deutsch gesagt fehlt ihm einfach nur heftiger Sex, damit er auf sein Leben klarkommt«
Erneut verzog ich mein Gesicht und mein Vater verpasste Alessio einen festen Nackenklatscher. »Red nicht so vor deiner Schwester, Maialino. Setzt euch alle hin, meine wunderschöne Frau hat für uns gekocht, damit wir als Familie essen«, sagte Papa nun - gespielt - streng. Alessandro schaute Alessio nur kühl an.
»In meinem Leben habe ich schon Frauen flachgelegt, da warst du noch nicht einmal gezeugt«
Ich verzog erneut das Gesicht. Meine Mutter knallte ihr Glas auf den Tisch. »Benehmt euch! So habe ich euch nicht erzogen. Am Esstisch wird nicht über so etwas geredet!«, merkte sie wütend an und nahm sich ein Pizzastück. Ich nickte. »Mama hat Recht. Ihr benehmt euch wie kleine Kinder. Werdet erwachsen«, fügte ich hinzu und bekam ein herzliches Lächeln meiner Mutter.
Als auch ich mich schließlich hinsetzte, fing Elio an, wie ein kleines Kind an meinen Haaren zu ziehen und mich zu nerven. Ich drehte mich zu ihm. »Che c'è, idiota? Was willst du von mir?«
»Matteo, Alessio und ich sind heute Abend im Inferno feiern. Rafael holt uns ab. Komm doch mit ihm, dann muss er nicht alleine fahren und ich kann dir Ariella vorstellen«, erklärte er und schob sich ein großes Stück seiner Pizza in den Mund. Ariella war seit ein paar Wochen seine neue "Flamme", wie er mir immer erklärte und er wollte unbedingt, dass ich sie kennenlernte. Ich runzelte meine Stirn.
»Ich weiß nicht. Um wie viel Uhr?«
Er antwortete mit vollem Mund. »Gegen 2 in der Nacht?«
Ich dachte darüber nach und wollte Elio antworten, doch Rafael fiel mir ins Wort.
»Ich kann alleine fahren und deine rothaarige Affäre muss sie auch nicht unbedingt kennenlernen. Schäm dich«, sagte dieser und Elio schaute ihn genervt an. »Hat irgendwer mit dir geredet, Scrooge?«
Vittorio lachte und Matteo fand das so lustig, dass er sich fast an seinem Getränk verschluckte.
»Sie bleibt zuhause. Vor Allem um diese Uhrzeit«
»Vergiss es. Felicia begleitet dich, damit sie Ariella kennenlernt. Punkt aus Ende. Du bist ja dabei und kannst auf sie aufpassen, außerdem holt sie uns nur ab. Chiaro?«, antwortete Elio und Rafael konzentrierte sich wieder auf sein Essen. Papa schaute mich nur lächelnd an.
»Entscheide du, mein Engel, aber wenn du mitfährst, dann betrittst du den Club nicht. Ich möchte, dass du immer in Rafaels Nähe bleibst. Okay?«
Meine Mutter verdrehte ihre Augen. »Hört auf, sie wie ein Kleinkind zu behandeln. Sie ist zwanzig, falls ihr das schon vergessen habt. Meine Süße, auch, wenn du in den Club gehen und Spaß haben möchtest, darfst du das«
Alle männlichen Personen, die an dem Tisch saßen - selbst Alessandro - schauten meine Mutter schockiert an und schüttelten heftig den Kopf. Sie fingen an, sich wild darüber zu unterhalten, dass ich niemals auch nur einen Fuß in so etwas wie einen Club setzen dürfte. Meine Mutter war viel zu überfordert und ich verdrehte nur genervt meinen Kopf.
»Ist okay, beruhigt euch. Ich bin sowieso nicht interessiert daran in einen Club zu gehen. Vor Allem nicht, wenn ich euch Bulldogs am Hals habe. Aber ich möchte mitfahren, um Ariella kennen zu lernen. Ich bleibe die ganze Zeit über bei Rafael. Wenn ihr wollt, halte ich sogar seine Hand. Ist die Diskussion damit beendet, ihr Idioten?«
Alle verstummten und nickten dann. Endlich konnten wie in Ruhe und wie eine normale Familie zu Mittag Essen. Papa scherzte mit Mama herum. Und obwohl er sie den ganzen, langen Tag nur ärgerte, erkannte ich jedes Mal aufs neue die Liebe, die sie für einander empfanden. Papa schaute Mama so an, als wäre sie die einzige Frau auf der Welt. Und Mama würde alles für Papa machen und sich immer wieder für ihn entscheiden.
Genau so eine Liebe wünschte ich mir auch. Ich hoffte, diese eines Tages zu bekommen. Ich hoffte auf einen perfekten Mann. Und ich hoffte auf noch eine Sache: Eine Perfekte Familie. Genau so wie unsere es war.
Der Abend zog sich in die Länge. Alessio, Matteo und und Elio verschwanden im Club und Papa und Rafael mussten ein paar Geschäfte erledigen. Als Mama und ich sie fragten, wohin sie gingen, meinten sie nur zu uns, dass es so eine "Schutzgeld" - Sache ist, die wir nicht verstehen mussten.
Während Rafael und Papa das Haus verließen, half ich meiner Mutter dabei, die Küche sauber zu machen. Ich wollte nicht, dass sie das alleine machen musste. Vor Allem, weil es ihr die ganze letzte Woche schon sehr schlecht ging und sie an starken Kopfschmerzen litt.
»Endlich ist es hier ruhig. Was für eine angenehme Ruhe, wenn die anderen weg sind«, murmelte ich leise und räumte das saubere Geschirr in das Regal, wo es hingehörte. Meine Mutter fing an, leise zu kichern.
»Glaubst du mir, dass mir dieser Lärm fehlt? Dass ich es liebe, wenn dieses Haus so voll ist? Wenn alle meine Kinder bei mir sind?«
Ja, Mama, das wusste ich. Ich wusste, wie sehr sie uns liebte, wie sehr sie uns verehrte. Ich wusste genau, dass sie uns niemals hassen oder genug von uns bekommen würde. »Ich weiß, Mama«, flüsterte ich leise.
»Auch wenn sie mich jeden Tag ärgern. Wenn dein Vater mitmacht. Wenn Vittorio und Alessandro ständig bei uns rumhängen, weil sie selbst, wie es aussieht, kein Zuhause haben.«, ich lachte, weil sie vollkommen Recht hatte. »Ich liebe diese Familie. Ich würde alles dafür tun, dass es genau so bleibt, wie es gerade ist«
Ich seufzte verträumt. »Ach Mama, natürlich wird es genau so bleiben. Nichts kann etwas daran ändern, dass wir eine Familie sind«
»Ich habe viel durchgemacht, um das hier aufbauen zu können«, erwähnte sie plötzlich. Ich bei stumm. Meine Mutter mochte es nicht, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Auch mein Vater blieb uns gegenüber, was das anging, total verschlossen. Ich hörte aufmerksam zu, während sie fortfuhr.
»Das Leben, bevor ihr auf die Welt kamt... war nicht immer einfach. Dein Vater und ich mussten wirklich viel durchmachen. Ich würde es nicht ertragen, wenn irgendeinem von euch etwas passiert«, hauchte sie mit Tränen in den Augen und schaute mich plötzlich schmerzerfüllt an. Ich hielt diesen Anblick nicht aus.
Ich nahm ihr den Teller und das Trockentuch, welches sie gerade in der Hand hielt, ab und umarmte sie ganz fest. Sie schien diese Umarmung definitiv zu brauchen und sie genoß diese.
»Mach dir keine Sorgen, Mama. Uns wird es gut gehen. Okay?«
Sie nickte leise und hauchte mir einen Kuss auf den Kopf. »Ich liebe euch alle. Vor Allem dich, mein kleiner Stern. Ich weiß noch, wie sehr sich deine Brüder gefreut haben, eine kleine Schwester zu bekommen... Das war wirklich schön«
Ich musste lächeln. »Ich liebe dich auch, Mama. Dich und alle Anderen«
Nach mehreren Stunden die ich damit verbrachte, Stolz und Vorurteil erneut zu lesen, spazierte mein großer Bruder in den Raum und lehnte sich gegen den Türrahmen.
»Wir müssen die anderen langsam abholen. Elio ist müde und Alessio ist schon wieder zu betrunken. Matteo war wohl den ganzen Abend verschwunden. Deine Brüder blamieren mich und diese Familie«, erklärte er seufzend und ich stand auf, um mir meinen Pullover überzuziehen. Ich war schon fertig angezogen, damit Rafael nicht auf mich warten musste.
»Wenn ich mich richtig erinnere, warst du bis vor zwei Jahren noch schlimmer als Alessio«
Er verdrehte seine Augen und ich folgte ihm Richtung auto. »Das war, bevor ich erwachsen geworden bin. Deine Brüder sind nicht so schnell... was das angeht«
Wir mussten beide lachen, weil er irgendwie Recht hatte. Vor Allem Alessio liebte es, zu feiern und Spaß zu haben. Ständig war er derjenige, der Blödsinn machte. Doch trotzdem liebte ich seine Art. Er brachte mich immer zum lachen. Rafael und ich fuhren durch die Nacht. Es war ruhig zwischen uns und ich hatte das Bedürfnis, ihm von Mamas und meinem Gespräch vorhin zu erzählen.
»Mama hat heute ein bisschen über ihre und Papas Vergangenheit gesprochen. Sie hatten es wohl nicht so einfach«, murmelte ich und schaute auf meine Hände. Ich hatte mich schon immer gefragt, was damals passiert war, aber eines Tages sagte mir mein Vater, dass sie niemals darüber sprechen würden. Das war wie eine feste Regel im Haus. Mama sagte immer, sobald jemand über schlechte Dinge redete, rief er sie automatisch herbei.
»Sie hatten es nicht einfach, es ist aber nichts, worüber du dir Gedanken machen musst. Die Hauptsache ist, dass es uns allen gut geht und wir sehr glücklich sind. Oder nicht?«
Ich blickte ihn von der Seite an, doch seine Augen waren stur auf die Straße gerichtet, Ich erkannte es sofort. »Du weißt, was ihnen damals passiert ist, nicht? Sag es mir«, erwiderte ich, doch er hielt vor dem Club an und schüttelte nur seinen Kopf. Unverständlich schaute ich ihn an.
»Kleine, mach dir keine Sorgen. Ich weiß genau so viel, wie du«, sagte er und drückte mir einen Kuss auf den Kopf. Er log, weil er anfing, mit seiner goldenen Rolex zu spielen. Das tat er immer, wenn er log und nervös wurde.
»Das ist gelogen«, murmelte ich kleinlaut, doch auch, dass ich es festgestellt hatte, würde nichts bringen. Er würde nicht mit mir darüber reden.
Seufzend lehnte ich mich zurück, als plötzlich jemand an meiner Scheibe klopfte. Ein aufgebrachter Elio schrie herum, als ich das Fenster öffnete.
»Was ist los??«, fragte Rafael entnervt und hatte sich sofort aufrecht hingesetzt. »Alessio prügelt sich!«, rief er, ehe er wieder in den Club hineinlief. Rafael fing an, auf italienisch vor sich hin zu fluchen und schaute mich gereizt an.
»Ich gehe meine drei kleine ausgesetzten Hunde einsammeln. Warte hier im Auto, klar?«
Ich nickte nur lachend und sah ihm dabei zu, wie auch er im Club verschwand. Sobald er verschwunden war, fing ich an, über all das nachzudenken. Über meine Eltern, ihre Vergangenheit und die Tatsache, dass Papa und Mama sich offensichtlich Rafael anvertraut hatten. Wieso sagten sie uns oder eher gesagt mir nicht, was ihnen widerfahren war?
War das so schlimm?
Mein Kopf schmerzte etwas und eine plötzliche Müdigkeit überkam mich. Ich öffnete die Autotür und stieg aus, nur um festzustellen, dass mich jemand beobachtete. Eher gesagt anstarrte. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und sah ihn.
Alles um mich herum blieb für einen Moment stehen und eine Gänsehaut erfasste mich, sobald meine Augen über den Fremden glitten.
Grüne Augen, breite Schultern, markante Gesichtszüge, volle Lippen und eine Zigarette, die an diesen hing. Das war das erste, was ich wahrnahm. Ein unfassbar attraktiver Mann. Er musste wohl ungefähr so alt wie Rafael sein.
Lässig lehnte er an der Wand hinter sich und rauchte seine Zigarette, während er mich von oben bis unten musterte. Wieso schaute er mich so an? Und wieso gingen mir seine grünen Augen augenblicklich unter die Haut?
Ihn schien es nicht zu stören, dass ich ihn dabei ertappt hatte, wie er mich anstarrte. Ganz im Gegenteil. Er setzte sich in Bewegung und setzte seinen Raucherakt ein paar Sekunden später lässig lehnend an der Motorhaube des Autos meines Bruders fort.
»Ganz schön mutig von Rafael, dich alleine zurückzulassen. Hast du keine Angst?«
Ich schnaubte und schaute ihn mir genauer an. Jetzt erkannte ich Kleinigkeiten. Wie pechschwarz seine Haare waren und wie seine Muskeln unter seinem Hemd etwas zum Vorschein kamen. Ich erkannte das kleine Tattoo hinter seinem Ohr und das Feuer in seinen Augen. Es entzückte ihn, mich anzuschauen und mir gefiel es, wie er es tat. Auch, wenn er nicht gerade sympathisch war.
»Ich hätte eher an deiner Stelle Angst, denn das hier ist der Porsche meines Bruders, der dich umbringen wird, wenn er sieht, dass du auch nur in der Nähe bist«, antwortete ich frech.
Er fing an zu lachen und zog genüsslich an seiner Zigarette. Dann starrte er mit seinen grünen Augen direkt in meine. Selbst in der Nacht leuchteten sie wie Smaragde. »Der Letzte, vor dem ich Angst habe, ist dein Bruder«
Ich verdrehte meine Augen. »Versuchst du mich gerade zu beeindrucken, in dem du mir erklärst, dass du keine Angst vor meinen Brüdern hast?«
Er blieb einen Moment still. Irgendwie war die Luft plötzlich so stickig geworden, und das lag nicht an seiner Zigarette. Es lag an der Tatsache, dass ich den mysteriösen Fremden vor mir so unfassbar attraktiv fand.
»Würde ich dich beeindrucken wollen, würde ich mir etwas viel kreativeres ausdenken«, er schaute mich nachdenklich an. »Zum Beispiel würde ich dich zum Essen einladen«
Ich blickte ihn an. Seine Augen fesselten sich in meine. »Ich würde nein sagen«, antwortete ich ohne zu zögern und das war vollkommen gelogen.
»Du würdest nein sagen? Wieso das denn?«
Ich unterdrückte mir ein kleines lächeln. »Zu langweilig«
»Zu langweilig?«, fragte er und ich nickte. »Ja, das ist zu langweilig. Weißt du, mich kann man nur schwer beeindrucken. Essen gehen, ins Kino gehen, diese ganzen üblichen Dinge... sind viel zu langweilig«, erklärte ich und er nickte verstehend, nur um dann seine Zigarette auf dem Boden auszudrücken und sich vor mich zu stellen. Ein holziger Duft stieg in meine Nase und ließ mich kurz vergessen, dass der Fremde Mann mir eigentlich viel zu nah trat.
»Gut«, sagte er verstehend und seine Mundwinkel zogen sich nach oben. Er hatte ein unfassbar schönes lächeln, welches mein Herz schneller schlagen ließ, ohne, dass ich das eigentlich wollte. »Herausforderung angenommen«
Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. »Herausforderung angenommen? Was soll das denn heißen?«, fragte ich perplex.
»Eine Wette. Wenn ich es schaffe, dich zu beeindrucken, dann schuldest du mir etwas«
Ich schnaubte. »Und was?«
»Das suche ich mir dann aus. Ich muss es ja erstmal schaffen und wenn du wirklich schwer zu beeindrucken bist, dauert das bestimmt lange«
Er hielt mir seine Hand hin. Ich schüttelte meinen Kopf. »Ich kenne dich gar nicht«, stellte ich, diesmal etwas leiser, fest. Die Freude darüber, ihm noch einmal zu begegnen, stellte diese Tatsache in den Hintergrund.
»Zane Berlusconi. Also, gilt die Wette, Martinelli?«
Ich gab ihm meine Hand. »Nagut, Zane. Außerdem heiße ich Felicia«
Er musste lächeln und ich tat es ihm gleich, ehe ich meine Mundwinkel wieder nach unten zog und versuchte ernst zu bleiben. Er ging weg.
»Und woher soll ich wissen, wann und wo das stattfindet? Wie soll ich dich finden?«, rief in hinterher und er drehte sich zwinkernd zu mir um.
»Mach dir darüber keine sorgen. Man sieht sich immer zwei Mal im Leben«
Mit diesen Worten ging er. Er ging und ließ mich sprachlos zurück. Denn nicht nur meine Worte hatte ich aufgrund seiner Erscheinung verloren, sondern auch mein Herz schlug schneller, als es sollte.
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Oh oh oh...
ICH WILL MEINUNGEN ☺️
LIEBE EUCH
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