[𝟒] 𝐋𝐢𝐞𝐛𝐞 𝐮𝐧𝐝 𝐇𝐚𝐬𝐬

Leonardos Sicht

Bella hatte ihre Augen geschlossen. Selbst jetzt sah sie so unfassbar schön aus. Ich versuchte, diesen Moment zu genießen, ihr noch näher zu kommen, als ich es ohnehin schon war. Ich wollte diese Frau nur für mich haben. Und ich war es schon immer gewohnt gewesen, das zu bekommen, was ich wollte. Es störte mich kein Stück, dass sie einen Mann hatte. Schließlich kannte ich Ian schon lange und wusste, was für ein widerlicher Kerl er hatte. Was für ein Verlierer er war. Mich wunderte, wie er überhaupt an so eine schöne Frau gekommen war. Wie konnte Bella einen solchen Idioten heiraten? Es war mir ein Rätsel, aber ich wusste, dass sie es nicht freiwillig getan hatte. Niemals würde sie sich freiwillig für so einen Menschen entscheiden.

Ich kannte Ian sehr gut, schließlich habe ein paar Konten eröffnet bei ihm und bot ihm viel Geld, das für sich zu behalten.

Alles begann mit meinem Vater, Matteo Martinelli. Ians Vater, Paul Anderson, der die A-Bank eröffnet hatte, ging beinahe bankrott. Mein Vater gab ihm das Geld, das er brauchte, um dem Ruin zu entkommen. Seitdem schulden uns die Andersons eine Menge Geld. Und ich musste mich nun seit dem Tod meines Vaters mit Ian auseinandersetzen. Es lief sozusagen alles schwarz. Ab und zu traf ich mich mit ihm und wir redeten darüber.

Schließlich wusste er, dass er es mit einem Mafiaboss zu tun hatte. Ich könnte ihn auch einfach umbringen. Und Geld musste ich ihm auch keines geben, schließlich wusste jeder in der Stadt über mich Bescheid und ich wusste auch über jeden in dieser Stadt Bescheid. Sie hatten Angst. Und auch wenn Ian es nicht zeigte, hatte auch er Angst vor mir. Denn er kannte mich. Alle kannten mich. Bis auf Bella. Bella hatte ich noch nie zuvor gesehen und auch sie hatte noch nie von mir gehört. Von den illegalen Dingen, die ich tat. Von den Menschen, die ich jeden Tag tötete. Ich hatte gehört, dass Ian eine Frau hatte. Ich hatte auch mitbekommen, dass die beiden bekanntesten Banken sich damals zu einer zusammengeschlossen hatten. Aber ich hatte nicht mitbekommen, dass der Sohn der Andersons die Tochter der Mitchells geheiratet hatte. Damals hörte man überall von dieser Bankfusion. In den Medien, Nachrichten, Zeitungen.

Ich könnte ihn mit bloßen Hände umbringen, diesen Möchtegern-Unternehmer, der nur Glück hatte, dass seine Eltern ihm die Bank überschrieben hatten. Ich könnte ihn umbringen und niemand würde etwas sagen. Ich könnte jeden in dieser Stadt töten. Ich war Leonardo Martinelli. Ich hatte vor nichts Angst. Aber alle hatten Angst vor mir.

»Nein«, flüsterte Bella mit ihrer zarten Stimme. Ihr ganzer Körper war angespannt, sie atmete unruhig. »Nein, Leonardo«, flüsterte sie erneut, woraufhin ich meine Hände zu Fäusten ballte. Nicht, weil sie mich wütend machte. Sondern weil sie so ein gutes Herz hatte. Sie ließ nicht zu, dass ich sie küsste, weil sie an diesen Mistkerl dachte.

Als ich gestern sah, wie er Bella behandelte, eine so wunderschönen und tollen Frau, kroch die Wut aus mir heraus. Hass stieg in mir auf und ich hätte Ian am Liebsten aus dem höchsten Fenster seiner Bank geworfen. Oder ich hätte ihn mit meinen eigenen Händen erwürgt.

»Bella«, brummte ich und legte meine Hand auf ihre warme Wange. Sie hingegen legte beide Hände auf meine Brust und schob mich vorsichtig weg. Mit Bedacht, um, mir nicht weh zu tun. Das würde sie nie, das sah ich in ihren Augen. Von der ersten Sekunde an, als ich sie sah, erkannte ich die Unschuld in ihren Augen. Sie würde nicht einmal ihm wehtun wollen, obwohl er sie den ganzen Tag nur beleidigte. Sie hatte Angst vor ihm. Tat er ihr noch mehr an? Darüber wollte ich gar nicht nachdenken. Aber ich würde es herausfinden.

»Ich kann nicht«, erklärte sie und entfernte sich von mir. In diesem Moment hätte ich gerne den Tisch umgeworfen und das Regal umgeschmissen. Ich wollte vor Wut jemanden töten. Aber sie hinderte mich daran. Ich wollte in ihrer Gegenwart nichts Böses tun. Niemandem schaden. Was machte diese Frau nur mit mir?

Seit ich sie heute Morgen zum ersten Mal gesehen habe, ging sie mir nicht mehr aus meinem Kopf. Und ich hasste es. Liebe hatte in meinem Leben nichts zu suchen. Liebe war eine Schwäche. Das hatte damals schon mein Vater immer gesagt, bevor er starb. Aber sie löste so ein Gefühl in mir aus. Ein wohliges Gefühl. Ich sehnte mich in ihrer Gegenwart nach der Nähe, die ich schon lange nicht mehr an mich herangelassen hatte.

»Ich muss jetzt gehen«, sagte sie und entfernte sich immer weiter von mir. Mein Herz pochte, ich wollte nicht, dass sie schon ging. Ich würde sie nicht hier festhalten. Aber aufgeben würde ich auch nicht. Ich würde einen Weg finden, Ian zu beseitigen, um Bella für mich zu gewinnen. Aber das brauchte Zeit. Und ich brauchte einen guten Plan. Dringend.

»Du willst das auch«, brummte ich ihr hinterher und sorgte mit meinen Worten dafür, dass sie stehen blieb und sich zu mir umdrehte. Ich konnte ihren Blick nicht wirklich deuten, aber sie schien sich nicht gut zu fühlen. Ich wollte, dass sie sich gut fühlt. Dass sie sich sicher fühlt. »Und genau das ist das Problem«, antwortete sie hilflos. Ihre Stimme bebte. »Ich habe einen Mann, Leonardo«, fügte sie hinzu. »Und ich liebe ihn.«

Eine Lüge. Was sie von sich gab, war eine Lüge. Sie liebte ihn nicht, sonst würde sie nicht stehen bleiben und mich so anschauen. Sie empfand nur Hass für diesen Mann. Aber ich nahm Bella diese Lüge nicht übel. Schließlich konnte ich nicht von ihr erwarten, dass sie bei mir blieb und mir die Wahrheit sagte. Noch nicht zumindest.

»Und was ist, wenn ich dich geküsst hätte, Bella?« Ich ging einen Schritt auf sie zu. Sie schien sich keinen Millimeter von ihrem Platz zu bewegen. Sie blieb stehen und ließ zu, dass ich wieder vor ihr stand. Sie ansehen konnte. In ihre wunderschönen, braunen Augen blicken konnte. »Hättest du auch nur eine Sekunde an ihn gedacht?«, fragte ich und hob vorsichtig ihr Kinn an, damit sie mich auch ansah. Es fiel ihr schwer. Ich wusste, dass sie gelogen hatte. Sie liebte ihn definitiv nicht. »Du wolltest, dass ich dich küsse«, stellte ich fest und fuhr mit dem Daumen ihren Hals entlang, bis ich zu ihrer Halskette kam. Der Anhänger ihrer Kette war ein kleines Herz. »Soweit wird es nicht kommen«, flüsterte sie und atmete tief ein und aus, bevor sie sich umdrehte und ging. Ich schaute ihr nach, bis sie verschwunden war. Bella war weg und ich bewegte mich kein Stück. Ich stand da und starrte ins Nichts. In die Richtung, in die sie gerade verschwunden war. Am Liebsten wäre ich ihr nachgelaufen. Hätte sie festgehalten. Wollte sie packen und mit ihr verschwinden. Ihr zeigen, was Liebe bedeutete. Aber jetzt musste ich sie gehen lassen.

»Das werden wir sehen, Bella mia«, flüsterte ich leise und setzte mich auf meinen Bürostuhl. »Das werden wir sehen«

Bellas Sicht

Eilig lief ich die Treppen hinunter. Ich war so in Gedanken vertieft, so eingenommen von Leonardos Ausstrahlung und der Tatsache, dass wir uns fast geküsst hätten, dass ich die zehn Etagen zu Fuß ging und nicht den Aufzug nahm. So gerne hätte ich meine Lippen auf seine gelegt. So gerne hätte ich mich von ihm berühren lassen. Aber es ging nicht. Mein schlechtes Gewissen ließ es nicht zu. Auch wenn ich Ian nicht liebte, auch wenn Ian mich hasste, mir weh tat, mich sogar schon betrogen hatte. Ich brachte es nicht übers Herz. Ich würde mich miserabel fühlen.

Unten angekommen, musste ich mich erst einmal orientieren. Ich fand die Tür, die von einem Security-Mann bewacht wurde, und ging so unauffällig wie möglich zurück in den Club. Ich wollte nicht, dass irgendjemand mich sah und hoffte inständig, dass das auch niemand bis jetzt getan hatte. Ich wusste nicht genau, wie lange ich schon weg war. Aber es muss lange gewesen sein, vielleicht eine Stunde. Ich hatte die Zeit total vergessen und musste mir dringend eine Ausrede für Amelia und ihre Freundinnen einfallen lassen. Meine Gedanken schweiften für einen kurzen Moment wieder zu Leonardo. Seine Art. Das Vertrauen, das ich so schnell zu ihm aufgebaut hatte. Seine Worte. Ich hatte das Gefühl, dass er wusste, was in mir vorging, ohne dass ich es ihm sagen musste. Er verstand mich einfach so, ohne Worte. Wie gerne hätte ich ihn als Ehemann. Jemand, der mir zeigt, dass ich es wert bin. Nicht jemanden, der mir wehtut und mich ständig unglücklich macht.

»Da bist du ja endlich!«, rief Amelia und lachte laut. Sie schien ein wenig betrunken zu sein. Die anderen aus der Gruppe standen um den Tisch herum und tanzten. Mir war definitiv nicht nach Tanzen. Nicht nachdem ich meinen Mann angelogen und beinahe betrogen hatte.

»Hey!« Ich zwang mich zu einem Lächeln und setzte mich auf meinen Platz. Innerlich stieg die Panik in mir auf, als ich auf mein Handy schaute. Drei verpasste Anrufe von Ian. Und ich war auch noch eine ganze Stunde weg gewesen. »Dein Mann hat übrigens angerufen«, Amelia ließ sich neben mir in den Sessel plumpsen und lächelte leicht. »Ja, ich...« Ich überlegte einen Moment. Ich wusste nicht genau, was ich zu ihr sagen sollte. »Mir war so schlecht. Ich bin an die frische Luft gegangen«, log ich und hoffte, dass sie so betrunken war, dass sie mir glauben würde. Sie legte ihre Hand auf meinen Oberarm und schaute mich besorgt an. »Sicher, dass es dir besser geht?«, fragte sie nun eindringlich, während ich nickte. »Alles gut«, murmelte ich leise, obwohl ich genau wusste, dass es das definitiv nicht war. In keiner Hinsicht. Aber das wollte ich ihr nicht zeigen. Ich musste so tun, als würde es mir gut gehen. So wie immer.

»Dann ist ja gut. Um Ian brauchst du dich auch nicht kümmern, ich bin rangegangen und habe gesagt, dass es dir gut geht und du Spaß hast und dass er sich keine Sorgen machen muss.«

Scheiße. Das war das Erste, was ich in diesem Moment dachte. Panik stieg in mir auf. Mein Herz pochte so schnell wie noch nie. Plötzlich wurde mir sehr heiß und unwohl zugleich. Ich schluckte, um ihre Worte zu begreifen. »Was...«, flüsterte ich ungläubig und schaute in Amelias verwirrte Augen.

»Du bist dran gegangen?« Ich konnte mich selbst nicht mehr anlügen und Amelia auch nicht. Die Panik musste mir ins Gesicht geschrieben stehen. Ich wäre am liebsten weggelaufen, weit weg. Oder zu Leonardo. Irgendwohin, wo ich sicher war. Doch gerade in diesem Moment gab es kein Entkommen. »Ja, er meinte, er macht sich nur Sorgen um dich. Er ist gleich hier um dich abzuholen. Sag mal, stimmt etwas nicht?«

Um mich herum wurde es still. Es war laut und der Bass dröhnte in meine Ohren. Doch das hörte ich nicht. Das einzige, was ich wahrnahm, war meine Angst und mein Herz, das immer lauter schlug. Amelia nahm ich gar nicht mehr wahr. Zu schlimm war die Tatsache, dass Ian gleich hier aufkreuzen würde. Dass er erfahren würde, dass alles, was ich heute zu ihm gesagt hatte, eine einzige Lüge war. Ich war erledigt. Ich fühlte mich wie eine Jugendliche, die ihre Eltern angelogen hatte, um endlich auf eine Party gehen zu dürfen. Ich wusste, dass ich heute Nacht weinend einschlafen würde. Dass Ian mir wehtun würde. Ich hoffte, dass Ian nicht zu hart zu mir sein würde. Aber in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich jetzt nicht mehr weglaufen konnte. Ich versuchte so schnell wie möglich einzusehen, dass es kein Entkommen mehr gab.

»Nein, alles gut. Aber ich sollte schon mal raus.« Ich schenkte Amelia ein unechtes Lächeln und stand auf. Zitternd nahm ich meine Sachen. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich zitterte, aber mein Körper reagierte automatisch. Obwohl ich noch hier war, bei Amelia, bei Leonardo, hier, wo nur Menschen waren, obwohl ich noch in Sicherheit war, wusste ich, was auf mich zukommen würde. Ich wusste, dass das kein gutes Ende nehmen würde.

»Schade, dass du schon so früh gehen musst. Danke, dass du da warst«, murmelte Amelia, während wir uns kurz umarmten. Ich unterdrückte mir die Tränen. »Danke, dass du mich eingeladen hast«, erwiderte ich und löste mich. Mit einem, mal wieder unechten, Lächeln, verabschiedete ich mich auch von den anderen und verließ ängstlich den Club. Draußen erwartete mich ein kalter Wind. Vorhin, bei Leonardo, war mir noch warm gewesen. Ich hatte mich wohl gefühlt. Es ging mir gut.

Jetzt war mir eiskalt. Trauer, Wut und Enttäuschung stiegen in mir auf. Wie konnte ich nur so naiv sein und glauben, das alles gut werden würde?

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