[𝐏𝐫𝐨𝐥𝐨𝐠]
Du bist es gewohnt, dachte ich, bevor seine Handfläche auf meine Wange traf. Ich war es gewohnt. Und doch fühlte es sich jedes Mal wie die Hölle an. Er schlug mich so hart, dass ich für einen Moment mein Gleichgewicht verlor und fast nach hinten fiel. Zum Glück war hinter mir die Haustür, die mich vor einem harten Aufprall schützte.
»Du unbrauchbares...«, Ian kam einen Schritt auf mich zu und ich zuckte zusammen. »Nerviges«, noch ein Schritt. Er stand vor mir. Er hielt inne. Sagte nichts. Doch ich wusste, was jetzt passieren würde. Ich schloss meine Augen, bevor ich wieder diesen stechenden Schmerz in meinem Gesicht spürte. »Miststück«, beendete er seinen Satz.
Ich wollte gar nicht wissen, wie rot meine Wange war. Aber es tat unglaublich weh. Ich wusste auch nicht, ob mir Tränen oder Blut über die Wange liefen. Vielleicht beides.
»Es tut mir leid«, sagte ich leise. Es war mehr ein Flehen, aber das war ihm egal. Früher, als ich frisch mit Ian verheiratet war, habe ich geweint. Ich weinte ohne Ende und bat ihn, aufzuhören, wenn er mir wehtat. Aber er hat nie aufgehört. Also würde er auch jetzt nicht aufhören.
»Wenn ich könnte, würde ich dich verdammt nochmal umbringen«, schrie er wütend und nahm mein Gesicht in seine Hand. Sein fester Griff tat weh. So weh, dass ich für einen Moment das Atmen verlernte. Es war jeden Tag dasselbe. Jeden Tag seit dieser unfreiwilligen Zwangsheirat machte er mir mein Leben zur Hölle. Er schlug mich. Trat mich. Beleidigte mich. Manchmal zwang er mich sogar, viel schlimmere Dinge zu tun. Er tat mir weh, um seine Bedürfnisse zu befriedigen.
»Was habe ich dir gesagt? Hm?«, fragte er mich. Seine Augen wandten sich keine Sekunde ab. Sie starrten in meine. Musterten mich. Wollten mich tot sehen. Ich gab ihm keine Antwort. Ich konnte ihm gar keine geben, denn er hielt mein Gesicht noch immer fest in seiner Hand.
»Antworte mir, Bella«, fügte er hinzu. Aber ich schwieg. Ich wusste, dass ich nichts sagen konnte, um ihn zu beruhigen. Ich hatte schon alles versucht. Würde ich mich wehren, würde er vermutlich so lange auf mich einschlagen, bis ich das Bewusstsein verlor. Würde ich mitspielen, würde er es mir nicht abkaufen und mir trotzdem weh tun. Würde ich diskutieren, würde ich erst recht geschlagen werden. Also blieb ich still und hörte ihm zu. Ich gab ihm das Gefühl, dass ich bereue, was ich getan habe, und dass ich es nie wieder tun werde. »Ich sagte, du sollst antworten!«
Der nächste Schlag traf mich am härtesten. Für einen kurzen Moment sah ich schwarz und alles, was ich in den nächsten Sekunden hörte, war ein Piepen. Ich war gefangen zwischen Bewusstsein und Ohnmacht, aber ich wusste, dass ich jetzt nicht aufgeben durfte.
Bleib stark, dachte ich.
Du schaffst das. Gleich hast du es geschafft. Oder?
»Es tut mir leid, Ian«, flehte ich diesmal. Meine Wangen waren feucht. Ich wollte nicht weinen und ihm zeigen, dass ich schwach war. Dass ich Schmerzen hatte und im Käfig seiner Macht gefangen war. Aber sie flossen einfach. Ich konnte sie nicht zurückhalten.
»Dachtest du, ich würde das nicht mitbekommen? Hast du das wirklich geglaubt, Bella?«, fragte er nun und starrte mich an. Ich erkannte eine Ader auf seiner Stirn, die mir verriet, wie wütend ich ihn machte. Wie sehr er mich hasste. Und wie sehr er sich zurückhalten musste, mir nicht noch eine zu verpassen. »Ich wollte nur..«, begann ich, aber mir fiel keine plausible Erklärung ein. Ich konnte mich nicht rausreden. Er wusste Bescheid.
»Was wolltest du? Ein bisschen mit der Scheidungsanwältin von nebenan plaudern?«
Ich schluckte. Und wie ich das wollte. Judith war vor Kurzem nebenan eingezogen. Gleich am ersten Tag kam sie vorbei und stellte sich vor. Sie brachte sogar einen Kuchen vorbei. Als ich herausfand, dass sie Scheidungsanwältin ist, sah ich meine Chance. Ich lud sie ab und zu auf einen Kaffee ein und plante meine Flucht. Legte mir seit Wochen die Worte zurecht, die ich ihr sagen wollte. Fotografierte meine Wunden und Narben ab, die ich dank Ian an meinem Körper trug und erzählte ihr gestern endlich von meinem traurigen Schicksal.
Was ich nicht wusste, war, dass ihr Mann für Ian arbeitete. Und er hatte Ian auch alles erzählt, nachdem Judith ihm alles erzählt hatte. Ich wollte mich für meine Naivität ohrfeigen, aber das tat Ian ja schon für mich.
Ich hätte ihr einfach nicht vertrauen dürfen. Und ich hätte nicht glauben dürfen, dass ich diesem Leben entkommen könnte. Denn in einem Punkt hatte Ian recht: Ich würde ihm nicht entkommen. Niemals. Nicht mehr in diesem Leben.
»Ich sage es dir ein letztes Mal«, begann Ian zu sprechen und kam auf mich zu. Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht und schloss für einen Moment meine Augen. Als ich sie wieder öffnete, war sein ernster Blick noch immer auf mich gerichtet. »Du entkommst mir nicht. Und niemand wird je erfahren, was hier vor sich geht. Du hast niemanden, hörst du? Deine Eltern interessieren sich nicht mehr für dich. Du gehörst mir. Und ich kann mit dir machen, was ich will, verdammt nochmal!«, und auch damit hatte Ian recht.
Vor etwa zwei Jahren hatten Ian und meine Eltern die Idee, ihre Banken zusammenzulegen. Beide Banken waren die erfolgreichsten des ganzen Landes. Die A-Bank, die Bank von Ians Eltern, und die M-Bank, die Bank meiner wundervollen Eltern, sind seitdem eins.
Die MAB. Mitchell - Anderson - Bank.
Und um dieses Glück zu festigen, musste ich Ian heiraten. Ich sollte ihn, um unsere Familien zu vereinen. Es war keine Frage und auch nicht meine Entscheidung. Ich musste es tun, sonst hätten meine Eltern mich nicht nur auf die Straße gesetzt, sondern mir auch das Geld gestrichen. Ich hatte keine Wahl, schließlich war ich gerade achtzehn geworden und aus der Schule raus, als die Ehe beschlossen wurde. Ich hatte keine Arbeit und mein Erspartes lag in den Händen meiner Erzeuger. Ich wäre verloren gewesen.
Mit meinen Eltern redete ich nicht oft. Meine Mutter rief mich ab und zu an, doch die meiste Zeit hob ich nicht ab. Mein Vater war im Ausland unterwegs und sorgte dafür, dass die Bank in noch mehr Länder expandierte. Er interessierte sich kein bisschen für das Leben seiner einzigen Tochter.
»Ich habe es verstanden«, murmelte ich leise, während mein Blick auf den Boden glitt. Ian entfernte sich von mir und fuhr sich mit der Hand durch sein blondes Haar. Er war sehr attraktiv. Einige seiner blonden Locken hingen ihm in seinem Gesicht. Seine blauen Augen erinnerten an einen Ozean und in der Sonne funkelten sie wie Saphire. Er hatte ein markantes Gesicht, einen Dreitagebart und ein Sixpack. Er war der Traum aller Frauen.
Wäre da nicht sein ekelhafter Charakter, dachte ich innerlich.
»Du hältst dich von der Nachbarin fern.« Ian hatte sich beruhigt. Er zündete sich eine Zigarette an und sah mich wieder hasserfüllt an. »Aber auch dafür habe ich gesorgt. Schließlich muss ich mich hier um alles kümmern«, fügte er hinzu und zog entspannt an seiner Zigarette. Etwas verwirrt schaute ich meinen Ehemann an.
»Hast du Ihnen weh getan?«, fragte ich flüsternd. Mein Herz zog sich schmerzerfüllt zusammen und die Frage, die ich ihm stellte, war nicht mehr als ein leises Stammeln. Ich wusste nicht, was er meinte. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass er jemandem weh tat. Ich war das beste Beispiel dafür. Ich war das Spiegelbild seines Charakters. Das, was er mir jeden Tag antat, zeigte nur, was für ein unglaublich schlechter Mensch er doch war. Was für ein Monster er war.
»Denkst du wirklich, ich werde zum Mörder, wenn ich genug Geld habe, um alles friedlich zu regeln?«, fragte er zurück und ich atmete erleichtert aus. Er hatte ihnen nichts angetan.
Diese ganze Bankenindustrie war gar nicht so normal, wie alle dachten. Es gab Tote und Verletzte. Hinter dem Rücken der Kunden liefen illegale Dinge ab. Böse Menschen waren darin verwickelt, sogar die Mafia. Aber das alles haben mir meine Eltern oder Ian nicht erzählt. Ich bekam es selbst mit. Ich war die stumme Beobachterin, die sich nicht einmischte. Die meistens nicht gesehen wurde.
Ian war ein schlechter Mensch, aber ein guter Geschäftsführer. Er hatte zwei Gesichter. Wenn wir auf einer Gala waren, war er der beste Ehemann. Vor der Kamera schien es so, als würde er mir nie ein Haar krümmen wollen. Als wäre er wirklich verliebt. Er war sehr bekannt in Kanada und vor allem hier in Vancouver. Jeder kannte den netten, freundlichen Geschäftsführer der MAB.
In Wirklichkeit war er ein Monster. War er der Grund, warum ich lieber sterben wollte, als bei ihm zu bleiben. War er der Grund dafür, dass ich jeden Tag, bevor ich zur Universität ging, meine Narben überschminken und meine blauen Flecken verstecken musste. Ian machte mir das Leben zur Hölle und ich konnte dieser Tatsache seit fast zwei Jahren schon nicht entfliehen. Ich hatte oft darüber nachgedacht, ihn zu verlassen. War oft kurz davor, meine Sachen zu packen und zu flüchten. Aber wohin sollte ich gehen? Mit welchem Geld? Mit welchen Mitteln? Ich würde nicht weit kommen. Ich hätte nichts mehr. Ich würde auf der Straße landen. Ich war gefangen. Und das mit gerade mal zwanzig Jahren.
»Das wird nicht noch einmal vorkommen«, sagte Ian nach einigen Minuten des Schweigens und sah mir ins Gesicht. Ich musste schlimm aussehen. Blut und Tränen bedeckten mein Gesicht, meine Augen waren müde von dieser alltäglichen Situation. Ich hatte meine Freude schon längst verloren.
»Nein, wird es nicht«, antwortete ich und wischte mir einmal über meine Wange. Mein weißer Pullover färbte sich rot. Ich musste mich jetzt dringend um mein Gesicht kümmern.
»Nun geh schon. Geh mir aus den Augen. Ich will dich heute nicht mehr sehen.« Mit diesen Worten wandte er sich von mir ab und verschwand in seinem kleinen Büro. Wahrscheinlich würde er sich jetzt vermutlich für die Arbeit fertig machen und den Rest des Abends in der Bank verbringen. Oder er würde eine seiner Mitarbeiterinnen besuchen. Zuhause. Innerlich lachte ich ironisch auf. Was ist nur aus meinem Leben geworden?
Etwas hilflos stieg ich die Treppe hinauf. Der Blick in meinen Badezimmerspiegel ließ mich aufseufzen. Ich war doch so viel mehr wert. Ich hatte es verdient, glücklich zu sein. Aber von der tapferen, lebensfrohen Bella war nichts mehr übrig geblieben. Sie war seit zwei Jahren verschwunden. Das hier war die neue Bella. Die gebrochene, verlassene Bella. Die Bella, von der jeder dachte, dass sie glücklich sei. Die Bella, die ihr Leben über alles hasste und ihrem narzisstischen Ehemann niemals entkommen würde. Zumindest dachte ich das in diesem Moment.
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