05. Verflixte Gedanken

Angestrengt versuche ich mich auf meine Vorlesung über die Kunst und Architektur von Mesopotamien zu konzentrieren, doch meine Gedanken springen immer wieder zu Mr. Rousseau und seinen traumhaften türkisen Augen zurück. Eine hypnotisierende Farbe, die mich tagelang über ihn nachdenken lässt. Eigentlich müsste ich mich wirklich konzentrieren, da es ein Kurs für die höheren Semester und daher sehr anspruchsvoll ist. Es kann doch nicht sein, dass ein dahergelaufener Mann durch meine Gedanken spukt, den ich gerade erst kennengelernt habe. Meine Theorie habe ich noch nicht verworfen, es muss damit zusammenhängen, dass ich länger mit keinem Mann zusammen war. Und wenn ich erst einmal meine Bedürfnisse befriedigt habe, sollten diese nervenaufreibenden Gedanken hoffentlich aufhören. Und wenn nicht, dann habe ich ein richtiges Problem.

»... und deshalb war die Kunst gleichzeitig ein wichtiges Instrument der alten Kriege in Mesopotamien«, lehrt der Professor und schaut uns dann ernst an. »Ich hoffe, ihr habt gut aufgepasst, weil das ein wichtiger Aspekt in der Prüfung sein wird!«, verrät er uns.

Ein aufgebrachtes Stöhnen kommt über meine Lippen, weshalb ich anschließend meine schwarze Brille absetze und meine Schläfen massiere, da mich langsam Kopfschmerzen überkommen. Ungefähr die Hälfte der Vorlesung habe ich durch meine verflixten Gedanken nicht mitbekommen, weshalb ich einiges nachzuarbeiten habe, was eigentlich nicht notwendig gewesen wäre, hätte ich doch nur richtig aufgepasst und meine Libido nicht gewinnen lassen. Die Klausur findet in wenigen Monaten statt und der Unterrichtsstoff ist schwieriger, als ich es mir vorgestellt habe. Man hat uns informiert, dass wir ein neues Niveau in unserem Studium erreicht haben, trotzdem habe ich nicht mit einer derartigen Veränderung der Schwierigkeitsstufe gerechnet. Es gibt einen guten Grund, wieso der Kurs erst ab dem vorletzten Studienjahr belegt werden darf. Und es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es Mesopotamien schon lange nicht mehr gibt und man wissen muss, wo die Kunst hingewandert ist oder welche Kulturen diese in den folgenden Jahrhunderten beeinflusst hat. Vorwissen, welches man sich in den vorangegangenen Semestern angeeignet haben muss. Bisher hatte ich noch nie ein Problem mit einem Pflichtfach meines Studiums, doch mit diesem konnte ich mich bisher einfach noch nicht anfreunden, wahrscheinlich, weil mich die mesopotamische Kunst und Architektur nicht anspricht oder interessiert.

Meine Brille packe ich in ihr Etui zurück und stecke es mit meinem Tablet zusammen in meine Handtasche. Normalerweise brauche ich keine Brille, aber die Vorlesungen sind immer so gut besucht, dass man meistens nur noch ganz hinten einen Sitzplatz abbekommt, wenn man nicht mindestens eine halbe Stunde vor Vorlesungsbeginn hier ist. Dadurch ist meine Sicht oft beeinträchtigt, weshalb ich dann doch lieber auf meine Brille zurückgreife, um meine Augen nicht überzustrapazieren oder etwas Falsches zu notieren. Und bei manchen Professoren würde ich selbst in der ersten Reihe eine Sehhilfe gebrauchen, da es einige gibt, die eine Sauklaue haben und nicht einsehen, für die Studenten deutlicher zu schreiben. Ein Professor wurde einmal höflich gebeten uns entgegenzukommen, doch dieser hat direkt zu verstehen gegeben, dass dies nicht passieren wird. Eine Begründung konnte er uns nicht geben. Wenn man bedenkt, dass die Columbia eine Eliteuniversität ist, die Unmengen an Geld für ein Semester verlangt, ist es eine wahnsinnige Unverschämtheit.

Und weil es meine letzte Vorlesung des Tages ist, kann ich endlich den Campus verlassen, um den Stoff nachzuholen, welchen ich gerade versäumt habe. Nach Hause werde ich allerdings noch nicht fahren, da ich am liebsten in einem Café oder in der Bibliothek lerne. Ich habe keinen Schreibtisch in meiner Wohnung, da keiner reingepasst hat und am Couchtisch kann ich nicht besonders gut lernen, weil es ziemlich unbequem ist. Rund um den Campus gibt es etliche Cafés, die sich speziell auf Studenten spezialisiert haben und dementsprechend Möbel angeschafft haben. Mein Lieblingscafé, das Saints, besteht aus mehreren Schreibtischen und auch drei Konferenztischen, sodass mehrere Studenten miteinander lernen könnten, wenn es gewollt wird. Doch als ich gerade daran vorbeilaufe, sehe ich, dass es überfüllt ist und keine ruhige Lernatmosphäre herrscht. Deshalb gehe ich weiter und mache vor meinem zweitliebsten Café Halt, dem Johanna's. Es gibt zwar keine Schreibtische, doch gemütliche Tischnischen, die mit Schreibtischlampen ausgestattet sind. Zudem gibt es hier den besten und auch günstigsten Kaffee der Stadt. Nicht die überteuerten Preise von Starbucks, sondern humane und bezahlbare Preise für Studenten. Dazu bietet das Café kostenlose Nüsse und Salzstangen am Tisch an, was hilfreich ist, da man manchmal durchs Lernen die Ernährung vernachlässigt, vor allem, wenn eine wichtige Klausur oder Hausarbeit ansteht.

Ich möchte mich gerade an einen Tisch setzen, als ich plötzlich meinen Namen höre. »Skylar!«, ruft Lexi, die unweit entfernt sitzt und mich zu sich winkt. »Wieso setzt du dich nicht zu mir?«, schlägt sie lächelnd vor, nachdem ich zu ihr gelaufen bin. »Ich würde mich freuen.«

»Gerne doch«, sage ich grinsend und lasse mich gegenüber von ihr nieder. »Aber was machst du eigentlich hier? Studierst du nicht an der NYU?«, frage ich verwirrt, da die Universität nicht gerade um die Ecke ist. Es kann gut möglich sein, dass sie eine alte Kommilitonen hier getroffen hat, die gewechselt hat oder besucht als Gasthörer einen Kurs an der Columbia. Auch ich habe mich schon ein paar Mal nach Kursen an anderen Universitäten umgeschaut, manchmal werden Raritäten oder Sonderkurse angeboten, die überaus interessant sind. Tatsächlich habe ich letzten Semester einen entdeckt, welchen ich gerne an der NYU besucht hätte, doch die Zeiten hätten sich mit meinem Kursplan überschnitten. Und jetzt kann ich erstrecht nicht mehr nach anderen Kursen Ausschau halten, da mir die Zeit durch meine neue Anstellung fehlt. Doch die Erfahrungen in der Berufswelt würde ich immer einem freiwilligen Kurs vorziehen.

Lexi zeigt mir ihren Arm, wo ich ein Pflaster erkennen kann. »Impfung. Mein Arzt befindet direkt nebenan und ich wollte nicht erneut quer durch die Stadt, um mich in meinem Lieblingscafé niederzulassen. Also habe ich mich ins nächstbeste Café gesetzt und bereue meine Entscheidung keineswegs«, sagt sie anerkennend, bevor sie auf ihren leeren Teller zeigt, der neben ihren Schulbüchern und ihrem Laptop liegt. »Hier gibt es wirklich leckere Sandwiches«, preist sie an. »Du bist auch zum Lernen hier?«, erkundigt sie sich. »Oder triffst du dich mit jemanden?«, fragt sie mich.

Mit einem Ruck öffne ich den Reißverschluss meiner Tasche, hebe kurz mein Tablet hoch und seufze dann. »Ich habe heute leider ein wenig während der Vorlesung vor mich hin geträumt und muss daher Kursstoff nachholen. Und ausgerechnet bei dem Kurs, der mir überhaupt nicht liegt«, teile ich ihr stöhnend mit.

»Was für ein Kurs?«, möchte sie wissen.

»Mesopotamische Kunst und Architektur.«

Lexi macht ein angeekeltes Gesicht. »Oh, ja, an diesen Kurs kann ich mich auch noch zu gut erinnern, da hatte ich auch einige Probleme. Ich glaube, ich kenne niemanden, der diesen Kurs mochte. Aber ich habe mich auf den Hosenboden gesetzt, die Arschbacken zusammengekniffen und alles tausendmal durchgearbeitet. Es war keine Bestleistung, trotzdem hat es für eine gute Note gereicht«, sagt sie erleichtert. »Wenn du Schwierigkeiten hast, kannst du mich immer fragen und ich versuche dir zu helfen. Ich hätte auch noch alle meine Aufzeichnungen zum Kurs, die ich dir gerne geben könnte«, schlägt sie vor. »Mein Professor hat tatsächlich Mitschriften zum Downloaden bereitgestellt, was mir zur Vorbereitung geholfen hat.«

Ein Lächeln umspielt meine Lippen, da ich ihre Hilfe durchaus wertschätze. Selbst, wenn wir uns noch nicht lange kennen, versucht sie mich zu unterstützen. Das zeigt mir, dass Lexi ein gutes Herz besitzt. »Wow, das wäre wirklich superlieb von dir, wenn du mir deine Aufzeichnungen geben könntest.«

Nachdem sie von ihrem Getränk in der Tasse genippt hat, lächelt sie. »Ich helfe doch gerne, schließlich müssen wir zusammenhalten, wir sind doch ein Team.« Sie reicht einem Kellner ihren leeren Teller und nachdem ich bei ihm einen Cappuccino bestellt habe, fährt sie fort. »Und wenn du Probleme mit einem deiner Kurse hast, sprich uns einfach an. Jeder von uns hat oder ist dabei Kunstgeschichte zu studieren«, sagt sie grinsend. »Lorenzo zum Beispiel, wenn es um Kunst geht, ist er allwissend und kann dir einfach jede Frage beantworten«, schwärmt sie, während sie leicht rot wird. »Kein Wunder, schließlich hat er sein Studium mit Summa Cum Laude abgeschlossen, Jahrgangsbester.« Irgendwas in ihrem Blick verrät mir, dass es sich bei ihr nicht nur um einfache Bewunderung handelt, doch ich möchte es nicht ansprechen. »Und er wird sich immer Zeit nehmen, wenn du ihn um Hilfe bittest«, versichert sie mir.

»Apropos Arbeit«, beginne ich zögerlich, da mich noch immer ein paar Fragen quälen. »Kannst du mir ein bisschen mehr übers Datingverbot mit Mr. Rousseau verraten?«, frage ich und nachdem sie eine Augenbraue hebt, versuche ich mich zu erklären. »Nicht, dass ich Interesse an ihm hätte, es hat mich nur neugierig gemacht. Wenn man solch eine Bombe ohne Erklärungen platzen lässt, möchte man einfach mehr wissen«, erkläre ich.

Lexi seufzt. »Ich persönlich habe nur einen Vorfall miterlebt, doch anscheinend gab es in der Vergangenheit mehrere unglückliche Vorkommnisse. Olive war eine Angestellte in der Galerie und hat sich Hals über Kopf in Ashton verknallt«, beginnt sie, weshalb ich mich automatisch nach vorne beuge und ihr jedes Wort von den Lippen ablese, da ich ziemlich gespannt bin. »Die beiden haben sich einige Monate getroffen, doch je länger die beiden zusammen waren, desto unglücklicher und bedrückter wurde Olive. Oft habe ich versucht mit ihr zu reden, herauszufinden, was los ist, doch sie wollte sich mir nicht anvertrauen«, sagt sie niedergedrückt, da es sie anscheinend noch immer beschäftigt. »Bei einer Veranstaltung in der Galerie, wo beide anwesend waren, ist sie dann durchgedreht. Vor allen Gästen hat sie ihm eine Szene gemacht und hat geschrien, wie er sich nur gegen sie entscheiden konnte und dass sie nicht versteht, wieso sie ihm nicht ausreicht.« Lexi zuckt mit ihren Schultern. »Genau weiß ich nicht, was vorgefallen ist, da sie gekündigt hat und praktisch über Nacht nach Los Angeles gezogen ist. Keine Nachricht beantwortet, nicht einmal ans Telefon gegangen. Auch nicht bei Ava. Ich habe die Vermutung, dass es etwas mit einer anderen Frau zu tun haben musste. Es hat Lorenzo nicht überrascht, dass es nicht gut endete, da es wie gesagt, nicht zum ersten Mal passiert ist. Doch dadurch, dass das Ende der beiden eine negative Auswirkung auf die Galerie hatte, hat er schlussendlich diese Regelung eingeführt, sodass es nicht erneut passiert und die Galerie nicht nochmal in Mitleidenschaft gerät.«

Nachdenklich gehe ich auf ihre Vermutung ein. »Eine andere Frau? Wegen dem, was Olive geschrien hat? Wieso sie ihm nicht gereicht hat?«, frage ich. »Wenn das der Fall war, war das natürlich nicht in Ordnung von ihm.«

Sie nickt, bevor sie erneut an ihrem Getränk nippt. »Es ist die logischste Erklärung«, entgegnet sie schulterzuckend. »Und Ava hat auch einmal erwähnt, dass genau dieser Fall in den letzten zwei Jahren gleich fünfmal eintrat«, teilt sie mir mit, während sie ihre blauen Augen verdreht. »Es scheint mir, so schnell, wie er eine Frau kennenlernt, so schnell ist es auch wieder vorbei. Dazu muss ich sagen, dass wir nur von den Frauen in der Galerie wissen, was er sonst noch treibt, ist uns gänzlich unbekannt. Entweder ist Mr. Rousseau jemand, der sich schnell verliebt und wieder entliebt oder er möchte sich einfach nicht an eine Frau binden«, spekuliert sie. »Also hier ein gut gemeinter Tipp, halte dich am besten von Ashton Rousseau fern«, warnt sie mich ernst.

»Ist gemerkt.«

Selbst wenn ich ihn überhaupt nicht persönlich kenne, hätte ich ihn zunächst nicht so eingeschätzt. Bei unseren Begegnungen habe ich ihn für einen Gentleman gehalten, für jemanden, der die Würde einer Dame ernstnimmt und wertschätzt. Doch, wenn Lexi recht hat, ist Mr. Rousseau ein Frauenheld, der seine Eroberungen nicht an einer Hand abzählen kann. Und es ist ein weiterer Grund, wieso ich mich von ihm fernhalten sollte. Altmodisch beschreibt mich wahrscheinlich am besten, da ich die traditionelle Beziehungsvariante, eine monogame Beziehung, bevorzuge. Und in der heutigen Zeit, in der meine Generation als beziehungsunfähig beschrieben wird, ist es schwierig, den richtigen Mann zu treffen, mit dem man die Ewigkeit verbringen möchte. Und genau das möchte ich, ich möchte meinen Partner heiraten, ihm Kinder schenken und mit ihm zusammen alt werden. Ich brauche einen Mann, der genau weiß, was er möchte und sich nur für mich interessiert. Einen unreifen Burschen, der sich lieber alle Optionen warm- und offenhält, als sich zu binden, brauche ich nicht. Definitiv nicht. Und selbst, wenn ich Jahrzehnte warten muss, bis ich solch einen Mann gefunden habe, dann tue ich das gerne. Ich sterbe lieber allein und glücklich, als vielleicht in einer Ehe gefangen zu sein, wo der Partner jedes Wochenende mit der nächstbesten fremdgeht.

Sie zeigt auf mein Tablet, das noch immer in meiner offenen Tasche verweilt. »Ich werde dich jetzt in Ruhe lernen lassen«, sagt sie, bevor sie ihr Portemonnaie herausholt. »Die Unterlagen werde ich zur Arbeit mitnehmen und dort für dich hinterlassen«, teilt sie mir mit. »Ich wünsche dir noch einen schönen Tag, Skylar«, verabschiedet sie sich von mir.

»Ich dir auch, und Dankeschön!«

Sie möchte mich gerade verlassen, um wahrscheinlich an der Theke ihre Rechnung zu begleichen, als sie sich nochmal zu mir umdreht. »Ach, was machst du eigentlich diesen Samstagabend?«

Meine Pläne für einen Samstagabend sind klar, Netflix, bestelltes Essen und mein Bett. Seit ich keinen wirklichen Freundeskreis mehr habe, gehe ich nicht aus. Und bemühen, meine alten Freunde zurückzugewinnen, möchte ich auch nicht, da ich mich nicht auf meine sogenannten Freunde verlassen kann. Nein, da bleibe ich lieber allein Zuhause, schaue alle Staffeln von The 100, Game of Thrones oder The Walking Dead. Es ist nichts verkehrtes daran, sich in eine fiktionale Welt zurückzuziehen, solange man den Anschluss an die reale Welt nicht verliert. Und obwohl ich am liebsten für immer in eine fiktionale Welt flüchten würde, geht es leider nicht, da ich zu viele Verpflichtungen habe. »Ich habe noch nichts geplant, wieso?«, erkundige ich mich interessiert.

Lexi grinst. »Ava und ich gehen Samstag in einen Club«, teilt sie mir mit. »Und du wirst mitkommen«, bestimmt sie für mich.

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